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Abschied
„Sind sie sich sicher, dass sie diesen Schritt gehen wollen?“, Diplompsychologe Dr. Jeremias Brown blickte sein Gegenüber eindringlich an.
„Die Auswirkungen, die der Eingriff auf ihre Psyche haben wird, sind unabsehbar. Ich bin mir sicher, dass sie nicht einmal ansatzweise einschätzen können, welchen Belastungen sie sich damit aussetzen.“
Stur und scheinbar emotionslos hielt Hank dem Blick des Arztes stand und schwieg.
„Der Prozess ist unumkehrbar. Die Technik ist ausgereift, es ist davon auszugehen, dass ihre zukünftige Existenz von unbegrenzter Dauer sein wird.“, Brown verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Seit Wochen redete er mit Engelszungen auf diesen Menschen ein, der im Begriff war einen Fehler zu begehen, für den er unendlich würde büßen müssen. Hank war ihm nicht sonderlich sympathisch, was wohl in erster Linie daran lag, dass er nichts von sich Preis gab.
Trotzdem konnte der Psychologe es nicht mit sich vereinbaren, den Mann in sein Unglück rennen zu lassen.
„ich sage es ihnen noch einmal ganz direkt. Tun sie es nicht!“
Keine Reaktion. Dr. Brown zögerte, wollte noch etwas hinzufügen, überlegte es sich dann anders und verließ resigniert den Raum.
„Meine verehrten Zuschauer, heute bieten wir ihnen eine Sensation. Mensch und Maschine, Lebewesen und Technik, werden hier, in dieser Sendung, miteinander verschmelzen.“ Die Stimme des Moderators, der dem Publikum professionell seine Aufgeregtheit und Anspannung suggerierte, überschlug sich.
„Professor Verberg, wir begrüßen sie als Sachverständigen für Bioinformatik und Raumfahrttechnik.“
Der Professor nickte zurückhaltend als begrüßende Geste.
„Bitte erklären sie uns, worum es bei diesem Projekt geht.“
Verberg räusperte sich: „Seit Jahrzehnten versucht die Wissenschaft eine künstliche Intelligenz, kurz KI, zu entwickeln, welche über die Fähigkeit verfügt, selbstständig Entscheidungen zu treffen, die in ihrer potentiellen Unfehlbarkeit unter wechselnden Rahmenbedingungen der eines intelligenten Lebewesens, eines Menschen, in nichts nachsteht. Doch sind wir bisher immer wieder an unsere Grenzen gestoßen.“ Er machte eine kurze Pause, augenscheinlich um dem nun folgenden mehr Bedeutung zukommen zu lassen.
„Doch mit Hilfe der Bioinformatik und moderner Medizin ist es uns gelungen, eine Lösung zu entwickeln, die die bisherigen Problemfelder geschickt ausblendet.“
„Herr Professor, sagen sie uns: Was wird heute hier geschehen?“
„Wir werden das Gehirn eines Freiwilligen operativ vom Körper trennen und es anschließend, ohne dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen, in die Mechanik eines neuen Raumschiffprototypen integrieren.“
Eine Frau aus dem Publikum meldete sich zu Wort: „Was ist mit seinem Verstand, seinem Bewusstsein? Wird er sich darüber im Klaren sein, nachdem er Bestandteil der Maschine geworden ist?“
„Ja natürlich!“ erwiderte der Professor euphorisch. „Das ist ja die Sensation. Nur so ist er in der Lage die Prozesse innerhalb des Computers zu lenken und bewusst Entscheidungen zu treffen. Der menschliche Verstand mit den Möglichkeiten eines komplexen Betriebssystems, dass zudem in der Lage ist durch veränderbare Strukturen wechselnden Anforderungen gerecht zu werden.“
„Ist das nicht eine Verschwendung sondergleichen? Irgendwann ist das Raumschiff hinüber, die Technik veraltet. Was passiert dann mit der Versuchsperson?“ ,der ältere Herr aus der ersten Reihe verbesserte sich. „Ich meine mit dem Hirn der Versuchsperson.“
Verberg machte eine Bewegung mit der Hand, wie um die Bedenken beiseite zu wischen. „Daran haben wir selbstverständlich gedacht. Das Organ wird in ein Modul eingepflanzt. Dieses lässt sich…“, er überlegte kurz. „Wie eine Diskette oder ein anderer Datenträger mit jedem Rechner mit entsprechenden Kompatibilitätsvoraussetzungen verwenden.“
„Finden sie es nicht unverantwortlich, was sie hier einem ihrer Mitmenschen antun?“, fragte eine Frau mittleren Alters empört.
„Hank macht es völlig freiwillig. Er erweist der gesamten Menschheit damit einen unschätzbaren Dienst, was wir in höchstem Maße zu würdigen wissen.“
Jetzt meldete sich eine weitere kritische Stimme: „Können sie nachempfinden wie Hank sich fühlen wird, wenn er auf ewig von seinem Körper isoliert ist und keinerlei Möglichkeiten mehr hat soziale Bindungen einzugehen oder sich überhaupt nach außen hin mitzuteilen?“
Bevor Verberg darauf eingehen konnte, schaltete sich der Moderator ein und verkündete eine Werbepause.
„Es ist soweit.“ Die Aufnahmeleiterin, eine hübsche junge Frau mit langem blondem Haar, ergriff seinen Arm und zog ihn mit sanfter Gewalt in Richtung Studio. Für einen Augenblick schien sich Bedauern in ihren Augen zu spiegeln.
Tosender Applaus umfing ihn. Er nahm einige Zwischenrufe war, ohne dass der Inhalt ihn erreichte. Schon stand er vor dem Moderator.
„Hank, wir freuen uns sie zu sehen. Sie wissen was ihnen heute bevorsteht.“ Er wurde feierlich. „Sie werden Geschichte schreiben. Sie leisten mehr für unsere Gesellschaft, als jeder einzelne von uns.“ Hank wollte etwas erwidern aber der Moderator fuhr fort. „Hank, trotz allem muss ich sie etwas fragen. Wollen sie das wirklich tun? Wollen sie sich zur Gänze der Wissenschaft zur Verfügung stellen?“ Hank nickte.
Hank sah wie sich Ärzte mit Gesichtsmasken über ihn beugten. Ihre Gesichter verschwammen vor seinen Augen. Das Narkotikum begann zu wirken. Konnte er es jetzt noch abbrechen, hatte er überhaupt noch die Kraft dazu? Er versuchte etwas zu sagen. Die Atemmaske machte es ihm unmöglich. Panik stieg in ihm auf. Er versuchte sich zu bewegen, doch seine Glieder waren bereits schlaff. Langsam verlor er das Bewusstsein. Was hatte er getan?