Abschiedsbrief
Liebe Nachwelt,
diesen Abschiedsbrief widme ich meiner Frau Maria und meiner kleinen Tochter Isabelle. Bitte seid nicht traurig ohne mich weiterleben zu müssen, seht es als Geschenk an. Ich bin es nicht wert von euch geliebt zu werden. Jedes Lächeln meiner kleinen Tochter und jeder Kuss meiner liebsten Frau sticht in meinem Herzen wie glühende Stecknadeln.
Ich mache meinem Leben ein Ende, da ich sicher bin, dass ihr ohne mich besser zurecht kommt. Maria, heirate noch einmal und schenke unserer Tochter einen neuen, besseren Vater als ich es je sein könnte. Ich weiß, du bist unzufrieden mit mir und es würde mir das Herz zerreißen dir sagen zu müssen, dass mir meine Stelle bei der Bank gekündigt wurde.
Aber das darfst du jetzt nicht falsch verstehen, du bist keineswegs Schuld an meinem Tod – ich bin es ganz allein... denn ich wie du wie kannst...
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Liebe Maria,
zuallererst möchte ich, dass du weißt, dass du keinerlei Schuld an meinem Tod trägst. Niemand trägt Schuld daran. Ich habe aus freien Stücken gewählt, denn ich möchte, dass ihr euch ein besseres Leben gönnt. Ein viel besseres Dasein als jenes, das ich euch je hätte bieten können.
Isabelle ist jetzt sechs Monate alt und so wunderschön. Jedes Mal wenn ich in ihre Augen sehe, sehe ich dich darin. Es macht mich so wahnsinnig stolz zu sehen, was für ein wunderbarer Mensch sie mal werden wird. Wenn ich etwas im Leben gut gemacht habe, dann ist sie es.
Doch das war’s dann auch schon. Obwohl du mir nie einen Grund gegeben hast, das zu denken, weiß ich, dass ich kein guter Ehemann bin und auch kein Vater sein kann. Ich bringe es nicht zu stande, meine Familie zu ernähren. Vielleicht magst du nun denken, dass ich ein schwacher Mann bin – wahrscheinlich hast du damit auch recht. Ich bin schwach, unfähig und dieser Abschiedsbrief ist der Beweis dafür, dass ich ein Taugenichts bin und dieser Selbstmord ist lediglich die Flucht vor meinen Pflichten. Vielleicht wird mich Isabelle als ihren schwachen Vater in Erinnerung behalten, den sie kaum kannte, aber ein feiges Arschloch war, das...
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Liebe Isabelle,
wenn du das liest, bin ich bereits Tod. Es ist weder die Schuld deiner Mutter (ich liebe dich Maria, und werde dich immer lieben) noch ist es die nackte Flucht vor meinen Pflichten. Zumindest nicht nur.
Vielleicht verstehst du es noch nicht und ich hoffe, dass du nie in die Situation kommen wirst, es nachvollziehen zu können, aber es ist wirklich besser für uns alle, wenn ich tot bin und euch von meiner Anwesenheit befreie. Ich habe in meinem Leben nie etwas erreicht und werde auch nie etwas erreichen. Ich bin einfacher Bankangestellter gewesen, es ist das einzige, das ich je gekonnt habe. Doch ich sterbe als Arbeitsloser. Ich wäre nun nicht mehr fähig, euch das zu bieten, was ich euch gerne bieten würde. Kein Geld, kein Ansehen, kein gar nichts. Vielleicht siehst du es ja ein. Ich hoffe es.
Soll ich dir was Witziges erzählen? Dies ist die dritte Version des Abschiedsbriefes. Ich möchte euch einfach sagen, wie viel ihr mir bedeutet, dass ihr keine Schuld an meinem Tod habt und es Gründe gibt für das, was ich tue. Aber es ist so unheimlich schwer für mich nur irgendetwas davon auszudrücken...
Deine Mutter hat mich gerade geschickt, die Einkaufsliste zu schreiben, während du gerade von ihr gebadet wirst. Ich höre dich im Bad lachen – es ist ein süßes Babyglucksen und es brennt in meinem Herzen es vielleicht das letzte Mal gehört zu haben. Aber glaub mir, es ist besser so. Bald wirst du fertig sein. Deine Mutter wird dich abtrocknen, frische Windeln anlegen und dich in den Kinderwagen legen. Dann wird sie nach mir sehen kommen, doch statt einer Einkaufsliste wird sie diesen Brief (Maria, du musst ihn ihr unbedingt lesen lassen – wirf ihn nicht weg!) und ein offenes Fenster vorfinden. Es wird heute kein leichter Tag für sie werden, all die Rettungswagen und die Fragen der Polizisten, die dummen Blicke der Nachbarn... vielleicht werdet ihr auch umziehen (Maria, ich denke echt, dass das das Beste für euch wäre). Aber zu guter Letzt wird euer Leben dadurch besser, glaube mir.
Ich bin neugierig, wer nun dein neuer Vater ist. Eigentlich gibt es nur zwei Kandidaten. Karl oder Tim. Karl ist ein guter Mann. Er arbeitet auch bei der Bank, er ist alleinstehend und ich weiß, dass ihn deine Mutter sympathisch findet (du weißt doch Maria, der den wir mal im Guns’n Roses getroffen haben!). Er arbeitet auch in der Bank – noch immer – und verdient mehr als ich. Er ist ehrgeizig und anständig. Er hatte nur einmal etwas mit der Polizei zu tun gehabt, als er seine damalige Freundin geschlagen hatte, aber da meinte er es sei eher Notwehr gewesen oder so... nun, vielleicht ist er doch nicht so gut geeignet. Dann wohl eher Tim. Er arbeitet zwar nicht in der Bank, ist aber trotzdem ganz nett. Und er hat noch nie irgendjemanden geschlagen, auch keine seiner Freundinnen, obwohl ich mich nicht daran erinnern könnte, dass er je eine gehabt hätte. Vielleicht steht er auch auf Männer... oder noch schlimmer, auf Kinder. Das könnte doch sein, oder? Oh Isabelle, ich hoffe, deine Mutter hat diesen Pädophilen nicht geheiratet und dir geschieht etwas. (Maria, halt dich ja fern von ihm!). Wie auch immer, es wird einen Vater für dich geben, der besser ist als ich es je sein könnte.
Wahrscheinlich...
Vielleicht kannst du es nicht so gut nachvollziehen, warum mein Tod besser für dich ist und keine reine Flucht eines feigen Komplexlers, der es nicht mal versucht hat, sein Leben und das seiner Familie auf die Reihe zu bringen. Ich gebe dir einen guten Grund nicht zu denken, dass dein Vater mit den Alltagsproblemen einfach nicht klar gekommen ist und so einfach seine Familie im Stich gelassen hat und einfach ein niederträchtiges Arschloch ist. Es ist einfach so, liebste Isabelle, ich... im Leben passieren eben einfach Dinge, die...
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