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Alles auf Rot!
Alles auf Rot
„Wie hätten wir´s denn gern?“
Oh man, wie ich diese Frage hasse! Wie wir´s gern hätten? Na voluminös, lockig, strahlend: einfach traumhaftes, wallendes Haar, das immer richtig fällt und auch morgens nach dem Aufstehen aussieht wie frisch gefönt. So hätte ich das gern, mein gestyltes Blondchen!!
„Äh, ich weiß nicht…“
„Wollen wir es mal mit ein paar Strähnchen versuchen?“
Mit ein paar Strähnchen? Jetzt kommt die Nummer, meine Haare sind strähnig genug!!“
„Wenn Sie meinen…“
„Also Ihr Haar ist ja ein bisschen fein…“
Fein, nett gesagt, wahrscheinlich stundenlang vom Ausbilder eingetrichtert. Meine Haare sind nicht fein, sie sind dünn, fusselig und straßenköterblondbraunweißichnicht.
„Ja, glauben Sie, das ist das Richtige?“
„Also, wir sollten ruhig mal etwas wagen - ein bisschen Pfiff ´reinbringen!“
Ich pfeif´ dir gleich was! Stehst vor mir mit deinem unübersehbaren Bauchnabelpiercing umrahmt von echten Designerspeckröllchen und redest vom Pfiff?
„Ich weiß nicht…?“
„Ja, unbedingt, Sie werden sehen es wird toll!“
Ja, ganz toll! Dünne, fusselige, straßenköterblondbraunweißichnicht Haare mit wirklich super tollen Strähnen. Das wird der Hit. Alle Shampoohersteller und Traummänner herbei, hier bin ich! Die strähnenverzierte Mittdreißigerin, auf die ihr so lange gewartet habt! Nehmt eure Kameras und Körper, die Party kann beginnen! Nein das kannst du deinem Frisörinnenausbildermärchenbuch erzählen!
„Toll, ja?“
„Doooch wiirklich, sie werden sich toll fühlen, so frisch und…“
Jetzt sind meiner Haarkunstakrobatin doch tatsächlich die Worte ausgegangen, hätte ich nicht gedacht, ehrlich! Ich möchte mich ja gern supertoll fühlen aber… nichts aber, jetzt in die Vollen!
„…“
Feigling, dann bleib doch bei deinem schicken Pagenschnitt mit der langweiligen
Discounterfarbe! OK! Ich sag´s!
„Ich hätte es gerne rot, feuerrot und streichholzkurz!!!“
„ Eeecht??“
Eeecht, wie die das Wort in die Länge zieht, guckt mich an mit ihren schwarzumrandeten Kulleraugen, während ihre pinkfarbene Locke über das eine von den beiden fällt und ist offensichtlich völlig überfordert mit meinem provokativen Sinneswandel.
„Ja, rot und kurz!“
„Äh, ich bin gleich wieder da“
Die Friteuse klappert mit ihren ebenfalls pinkfarbenen Flip-Flops zur Chefin.
Augenbrauen werden hochgezogen, Mundwinkel herab und dann kommt das resignierende Schulterzucken, wunderbar! Ich fühle mich gut! Ja, komm nur und mach´s mir!
„Wir hätten da einige Möglichkeiten.“
Mir wird ein 10 Zentner schwerer Farbkatalog auf die Beine gelegt.
„ Wie wär´s mit diesem Kastanienrot? Ein so schöner und warmer Ton.“
Kastanienrot? Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt? Was bitteschön hat denn die Farbe von Kastanien mit Feuer zu tun? Nichts, außer man röstet diese über dem Besagten.
„Nein, ich möchte es rot, so richtig rot, wissen Sie, was ich meine?“
„Ja klar, rot mal sehen, hmm… Sonnenuntergang?“
Sie tippt auf eine kastanienrote, aber farblich abgeschwächte Kunststrähne. Jetzt bin ich gereizt!
„Nein meine Liebe, ich will feuerrotes Haar! Knallrot!! Okay?“
Sie schaut mich mit ihren “Aber- ich- hab- doch- nichts- getan- Kinderblick“ an, besinnt sich dann wohl an das Kapitel „Wie gehe ich mit aggressiven Kundinnen um?“ und sagt mit einem schiefen, leicht verkrampften Lächeln:
„Sie haben Recht! Wer nicht wagt, gewinnt auch keinen Blumentopf!“
Na, da hat meine pinkgesträhnte Blonde wohl einen Geistesblitz gehabt. Was für eine Konversation! Sie zeigt mir eine postkartengroße Tafel mit allen Farben, die das Universum zu bieten hat, und ich tippe mutig auf die Nummer 17, was unter dem Farbkästchen steht kann ich dank Weitsichtigkeit nicht lesen, ist ja auch egal, diese Farbe ist es!
Auf die weitere intellektuelle Unterhaltung
„Ist die Temperatur so angenehm, ist nichts zu fest?“
möchte ich nicht näher eingehen. Ich sitze vor dem Spiegel, nachdem mich das schöne Geschlecht zwei Stunden bekleistert, erwärmt, wieder gewaschen hat und nun schnippelt sie um ihr Leben! Die Haare fliegen wie von einer erdanziehungskraftabweisender Energie in alle Himmelsrichtungen.
„Die Farbe ist toll geworden, eecht, ganz toll!“
Meine Haare sind noch immer nass und ob die Farbe toll geworden ist, kann ich, der Zunft nicht angehörend, beim besten Willen nicht erkennen. Nach weiteren 30 Minuten, die letzten 10 habe ich bewusst das Spiegelbild vermieden, ist es soweit:
„Na, wie gefällt´s ihnen, ich finde sie sehen gaanz toll aus, die Farbe steht ihnen, wirklich gaanz toll!“
Ich öffne die Augen, um mich von meinem gaanz tollen Anblick zu überzeugen. Im Spiegel zwinkert (ich hab ´noch ein paar Fusseln im Auge) mir ein grünäugiger Pumuckel zu. Jetzt lacht er sogar und spricht:
„Na bitte, geht doch!“
Ich nehme den roten Fratz und gehe zur Kasse.
„Einmal waschen, Färben Nr. 17, schneiden und fönen, dass macht genau 70 Euro.“
Während ich die Scheine auf den Glasteller lege kommt mir noch eine Frage in den Sinn:
„Sagen sie bitte, wie heißt die Farbe Nr. 17 eigentlich?“
Die Herrin über Shampoo, Pflegemittel und Kasse kramt die riesige Farbtafel hervor und liest: „Feuerrot, (sie schaut mich an) ja genau!“
Volltreffer! Ich schau noch einmal in den Spiegel. Alle Herbstlaubfarben, Sonnenauf- und Untergänge, alle Früchte mit romantisch, dezentem Schimmer, es tut mir Leid, nistet euch auf andere Köpfe ein ich setzte Alles auf Rot, Feuerrot!
Der Pumuckel grinst keck und zwinkert mir wieder zu!