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Alles ist gut

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15.03.2008
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Alles ist gut

Priva erwachte, als er gegen eine Mauer taumelte. Eine Gesichtshälfte pochte in dumpfem Schmerz aufs Dasein, aber Priva erinnerte sich an keine Existenz. Die Sonne des mecklenburgischen Hochsommers setzte die Straße in Brand und Priva schritt über glühende Bürgersteigplatten, bereit, das Gottesurteil zu akzeptieren, wie es auch ausgehen wird. Er versuchte, geradeaus zu gehen, stieß aber mit dem Gesicht immer wieder gegen die Mauer rechts von ihm, als hätte er Schlagseite. Doch er war kein Schiff, sondern nur müde und schwach. Kämpfte um jeden Schritt mit einem kleinen Tod, der sich lang machte, aus der Hölle durch die Erdkruste nach Privas Füßen griff und zog.

Jeder seiner Schritte war der Schritt eines frisch Gehbehinderten mit kiloschweren Gewichten an den Füßen. Er kämpfte sich voran, taumelte voraus, dem Ziel entgegen. Spürte dass es Zeit war. Zeit, seine Augen offen zu halten, obwohl er nichts lieber wollte, als die Lider schließen. Er wusste nicht wieso oder woher, hatte kein Wohin und hätte keine Auskunft geben können, wenn ihn jemand nach seinem Namen fragen würde.

Ein klügeres Wesen als Priva hätte nicht behauptet, dass er wach ist. Einem unbeteiligten Beobachter wäre klar gewesen, dass er wach ist, wach sein musste. Mit offenen Augen auf den eigenen Beinen unterwegs. Allerdings auf Beinen, die ihm nicht gehorchten. Nicht so, wie es sich gehörte. Nicht so, wie er es gewohnt war.

Links der glatte Spiegel des Pfaffenteichs, rechts die Mauer des Bolero, gegen die er jeden zweiten oder dritten Schritt prallte. Seine Glieder zitterten und er spannte die Muskeln an, um diese Peinlichkeit zu verbergen. Als die Mauer endete, wollte Priva das Kopfsteinpflaster der alten Straße zum Dom überqueren, eine Straße, die friedlich wirkte wie der stille Don. Doch der Schein trog, die Strömung war zu stark, zog ihn mit, zog ihn runter. Priva wankte nach rechts, wankte weiter, verwechselte seine Beine, verfing sich beim Laufen, stellte sich ein Bein, suchte nach Gleichgewicht, fand aber nur die Straße. Fiel und knallte in vollem Körperkontakt auf das Kopfsteinpflaster. Heidewitzka, hätte er denken können, wenn er wirklich wach gewesen wäre.

Doch da war nur dieses dumpfe Pochen in seinem Schädel. Schmerz, frisch aktualisiert vom Sturz, der seinen Schädel flutete und durch die Kehle in den Magen floss. Wo das Pochen zum Krampf wurde, der seinen Mageninhalt mit der Kraft eines Wasserwerfers auf die Straße pumpte. Es kostete einen unmöglichen Kraftaufwand, den Kopf so weit zu drehen, dass der Strahl des Hochgewürgten von ihm wegspritzte. Priva machte es möglich. Doch danach war alle Kraft erschöpft und er dämmerte weg. Irgendwann weckte ihn ein Hupen.

Priva brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, brauchte noch einen, um zu merken, dass keine Orientierung kommen wird. Offline. Dieses Wort flimmerte auf der Innenseite seiner Augenlider und Priva versuchte erfolglos die Zeichen zu entziffern. Sein Körpergedächtnis signalisierte ihm, dass das Bewusstsein auswärts und gerade niemand zu Hause war. Kein Käptn an Deck. Priva hoffte gegen alle Wahrscheinlichkeit auf Befehle und Weisungen. Doch da war nichts, da kam nichts. Er war führerlos. Keine Priester im Tempel seines Körpers. Trotzdem hievte er sich hoch. Erst Arme und Oberkörper. Abgestützt auf wachsweichen Armen. Als wäre er untrainiert, und hätte gerade dreißig Liegestütze hinter sich. „Ich brauche nur etwas Zeit“, flüsterte er zu niemandem besonderen. Und wie zur Antwort hupte es erneut. Ein zweites, drittes Hupen. Das vierte war lang, unendlich lang, weitete sein Trommelfell, bis es explodierte und vermischt mit den Fragmenten seines Schädels sich wie eine Zumutung im öffentlichen Raum verteilte.

Danach war in ihm nur noch ein hohes Summen. Er arbeitete weiter daran, auf die Beine zu kommen. Übte sich im Aufstehen. Spürte Berührungen. Hände unter den Achseln. Sah Menschen herumstehen. Mit Gesichtern wie Transparenten auf einer Demonstration gegen seine Person. Sorgenvoll oder vorwurfsvoll, schwer zu lesen, kaum unterscheidbar. Sicher sprachen sie davon, dass hier etwas geschah, was so nicht ins Straßenbild gehörte. Lag er auf einem privaten Parkplatz und blockierte das gottgegebene Recht, ein Auto abzustellen? War er auf einem Bahnsteig ohne Bahnsteigkarte? Noch wusste er nicht, was er falsch gemacht hatte, sah aber ein schlechtes Gewissen, das sich anschlich. So was kannte er. Gehörte zur Kategorie der Körperräuber. Parasiten, selbst nicht lebensfähig. Ständig auf der Suche nach einem Wirt. Kurz nicht hingekuckt, schwupps, schlüpft es durch deine Körperöffnung wie ein böser Geist. Schneller, als ein magisches Zeichen gemacht werden kann, das diesem Dämon den Zutritt ins Innere verwehrt. Wo er die Kommandobrücke übernimmt und seinen Wirt Sachen machen lässt, die in keiner Choreographie vorgesehen sind.

Priva fürchtete sich davor, übernommen zu werden, bevor er angekommen war. Nutzte die Furcht als Schubkraft und machte sich gerade, brachte diesen Körper wieder auf die Beine. Sah sich um, sah sich bewegende Münder, vermutete Sprache, hörte aber weiterhin nur dieses hochfrequente Summen. Ahnte aber anhand der Gesten und Gesichter, dass er befragt wurde und Hilfe angeboten bekam.

Der Gedanke daran, sich von jemandem helfen zu lassen, jagte einen Schauer von Peinlichkeit den Rücken hinunter, der über dem Steißbein zu einem Transformator wurde, der am Körperfettreservoir seiner Pobacken saugte und Fett in Energie verwandelte. Genug davon, dass er sich wieder in der gemeinsamen Wirklichkeit zurechtfinden und diesen gefährlichen Ort verlassen konnte. Körperräuber, Gottesurteile, Hilfsangebote.

Was kam als Nächstes? Er musste dem nächsten Zug des Gegenspielers zuvorkommen. Legte dem Nächsten seinen Arm über die Schultern, schüttelte den Kopf, schüttelte den Kopf, schüttelte den Kopf. Sah dem Anderen ins Gesicht. Schüttelte den Kopf. Erkannte einen offenen Blick ohne falsche Fragen und zeigte auf‘s erste Haus auf der anderen Straßenseite.

Ließ sich abschleppen wie eine Karre, deren Batterie schlapp gemacht hatte. Für eine Hand voll Schritte mehr erreichten sie das Haus. I’m hit but I can make it. Dachte er an seinen Gegenspieler adressiert. Priva machte sich wieder frei, brach den Körperkontakt ab und integrierte den Arm wieder in seinen Körper. Der Andere trat zurück in die Dunkelheit des strahlend hellen Tages. Gentleman. Priva wusste mit dem frei gewordenen Arm nichts anzufangen und steckte die Hand in eine Hosentasche. Das Zittern hatte aufgehört. Mit dem anderen Arm stützte er das Haus, ein beunruhigend schiefes Fachwerk. Kein tiefes Durchatmen, kein Augenblick der Ruhe.

Nur weiter, dem Ziel entgegen. Das, was Priva gerade war, was in ihm war und ihn antrieb, brauchte einige Zeit, bevor klar war, dass unklar blieb, was hier geschah. Dass Welt und Menschen trotz gleißenden Lichts in tiefster Dunkelheit verharrten. Sein dystopisches Privatwunder als Vorgeschmack auf Weltuntergang, Weihnachten und Jüngstes Gericht. Priva zwang sich, nicht hin zu sehen, niemanden anzusehen. Schließlich war es unmöglich vorherzusagen, wann ein Gesicht zur Medusa wird und den unverschämten Betrachter zu Stein werden lässt. Priva machte los, machte weiter. Dem Ziel entgegen. Wovon er nicht wusste, was es war, wovon er keine Auskunft hätte geben können, wenn er gefragt worden wäre.

Er ging absolut schnell, relativ sogar schneller. Doch der Schmerz im Schädel holte auf, holte aus und schlug rhythmisch von innen gegen seine Schädeldecke. Im Versuch, sich den Weg ins Draußen frei zu boxen oder Priva wenigstens einen guten Beat als Schrittmacher zu liefern. Der Schmerz intensivierte sich. Glühende Scherben bohrten sich in eine Hirnhälfte und verknüpften ihn Schnitt für Schnitt weiter mit der Wirklichkeit. Und holten ein Stück des Bewusstseins aus dem Safe-Room tief in ihm zurück an die Oberfläche: Priva erwachte.

Und schaffte ein paar souveräne Schritte, bevor er wieder von einer Wand gerammt wurde. Gerammt worden wäre. Denn er streckte die Hand aus, als gehörten seine Gliedmaßen zu einem koordinierbaren Körper. Und hielt die Wand auf Abstand, bevor die seinen Kopf treffen konnte. Er spürte die Oberfläche der Mauer auf seiner Handfläche. Ziegelsteine, ihre Struktur und Beschaffenheit. Tauschte Schritt für Schritt sein Taumeln gegen das konventionellere Gehen. Kam voran. Machte Meter. Der Schmerz in seiner rechten Gesichtshälfte ließ sich nicht abschütteln. Stalkte ihn. Beschattete Priva. Kein Grund zur Sorge, ermunterte der sich, bestimmt nur ein Fan.

Und fragte sich in traumwandlerischer Unbedarftheit, woher dieses dumpfen Pochen stammen mochte. Als wäre irgendwas mit seinem Gesicht nicht in Ordnung. Er stellte eine erste Verbindung zwischen dem betrunkenen Schiff seines heutigen Körpers und dem Rest des Lebens her. Milde Sorge blitzte wie ein fernes Leuchtturmsignal durch die Nebel seiner Wahrnehmung. Erinnerte ihn daran, dass es da etwas gab, was wichtig war, wohin er kommen müsste, ein Ziel. Und als er es vor seinem inneren Augen sah, tauchte es auch in der Wirklichkeit auf : Ja, da war es, stand dort, wie eh und je, in bescheidener Grandezza.

Die Schelfkirche. In der Mitte einer kleinen Wiese, die einst Gottesacker war, umringt von alten Bäumen, würdig und stark. Hartleibige Steher auf ihrem langsamen Lauf durch die Zeit. Stets bereit, dem König in seinem hohen Haus mit Rat beiseite zu stehen. Das Äußere dieser Konstellation hatte er immer gemocht, ohne dass es ihm je aufgefallen wäre. Diese Kirche war anders als alle anderen Kirchen, die er kannte, als er noch Dinge erkannt hatte. Er spürte große Hingerissenheit, starke Hingezogenheit und folgte dem Impuls.

Hinein trat er ins kühle Kirchenschiff. Lehnte sich gegen die Schlagseite auf, um seinen Gleichgewichtsfehler auszugleichen. Gab sich bei jedem Schritt einen Linksdrall, womit er auf den letzten paar hundert Metern sein Krängen nach rechts zunehmend unter Kontrolle bekommen und den Körper auf Kurs gehalten hatte. Doch hier, in der Stille des bescheidenen Kirchenschiffs, hatte er sein Gleichgewicht wieder. So selbstverständlich war es da, als wäre es nie weg gewesen. Und Priva fiel fast wieder hin, diesmal nach links. „Kaum hat man sich auf eine Anomalie eingestellt und die Instrumente nachjustiert, lässt sie einen im Stich wie ein Gott, der von Menschen für tot erklärt wurde“, murmelte Priva, sah auf, sah auf den Körper des Gekreuzigten in seiner sexy Aufmachung und sagte „Pardon“.

Priva stützte sich ab, auf einer Kirchenbank, atmete tief und laut durch, setzte sich, schloss die Augen und schickte einen Dank an etwas, woran er nicht glaubte, wovon er nicht wusste, was es sein könnte.

Öffnete die Augen und betrachtete den Innenraum der Kirche, die ihm immer wieder begegnet war, seitdem er vor drei Jahren das erste Mal an einem Bibelkreis der Gemeinde des guten Pastors Metzger teilgenommen hatte. Erinnerte sich an des Pastors wohlriechende Menschlichkeit. An seinen Glauben, der jedes ihrer Gespräche eingerahmt hatte. Ein Glaube, wirklicher als alle Möbel in der Pastorenwohnung gegenüber der Kirche, die von der Gemeinde gestellt war. Wo sie Tee getrunken und Schach gespielt und geredet hatten, bis ein Leben gerettet worden war.

Er spürte eine Kraft in sich, ein Wollen, das ihn auf die Füße und zu den Kerzen vor dem Altar trieb. Dort nahm er ein paar Münzen aus der Tasche, warf sie in den Spendentopf, hörte das gedämpfte Geräusch des klingenden Metalls. Spürte die Kraft der sakralen Architektur in der Stille des weiten Innenraums vom Kirchenschiff. Zündete zwei Kerzen an. Sah ihnen eine kurze Weile beim Flackern zu. Drehte dann um, entfernte sich geraden Schrittes vom Altar und verließ die Kirche so unwillkürlich, wie er sie betreten hatte. Fast. Denn jetzt hatte er ein Ziel: Zuhause.

Noch tauchten keine konkreten Fragen am Horizont seines Bewusstseins auf. Nur das vage Gefühl, hier falsch zu sein, was auch immer ‚hier‘ war. Sicherlich kein Ort, so viel zumindest war klar. Und dass das, was er hier machte und gemacht hatte, seitdem er an der Wand des Bolero mit Schmerzen im Gesicht erwacht war, falsch war. Nicht das Falsch in der Mathearbeit, mehr ein Falsch wie in lebendig begraben. Als hätte er heute Morgen versehentlich eine der Persönlichkeiten seines Mitbewohners übergestreift, oder als wäre seine Welt einige Millimeter durch die Dimensionen verschoben worden, als er kurz nicht aufgepasst hatte. Solche Dinge passieren andauernd. Deswegen braucht man mindestens drei Augen. Deswegen darf man nichts jemals aus den Augen verlieren. Körperräuber, Dimensionsschieber. Höhere Wesen befahlen die unfriedliche Welt in tiefem Schwarz zu übermalen. Es könnte auch ein Jetlag nach ner Seelenwanderung sein oder schlicht ein besonders schwerer Fall von Irritation nach einem eigentlich harmlosen Körpertausch. Was es auch war. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Trotzdem fühlte er tiefen Frieden, als er den gleichen Weg wieder zurückging. Nun auf dem Weg nach Hause. Bunte Blumen, Vogelflüge. Es war ein herrlicher Frühlingstag und Priva pfiff leise vor sich hin, um in das vielstimmige Gezwitscher einzustimmen, ohne zu stören.

Auf der Höhe vom Bolero traf er Paulo, einen seiner Brüder, der ihm immer wieder alles Mögliche ermöglicht hatte, damit Priva es verunmöglichen konnte. Scheitern, ja, das bringts in diesem Leben, erinnerte er sich an einen Vers seines verlorenen Evangeliums. „Hey, Paulo“, sagte Priva, und sie grüßten sich mit Handschlag und drückten ihre Stirn aneinander. Selbstgängige Bewegungen, die selbstverständlich abliefen, als wären sie geübt. „Wie geht’s?“

„Wollte ich dich gerade fragen“, antwortete der, „ich habe dich vor ner Weile angerufen, versucht, dich auf dem Handy zu erreichen.“ Automatisch griff Priva in die Innentasche seiner Jacke, wo jedes seiner Telefone immer war, wenn er Jacken trug. Es war nicht da. „Keine Ahnung“, sagte er, „muss ich bei mir vergessen haben. Passiert eigentlich nicht. Aber heute ist es eh ein seltsamer Tag.“ Paulo nickte zum Bolero rüber – „frag mal da drin nach.“ Priva musterte Paulos Gesicht einige Sekunden, leicht ratlos auf der Suche nach einer Pointe. Doch Paulos Gesicht blieb ernst, er nahm ihn am Arm und sie gingen die sieben Stufen hoch zum Eingang. Priva wurde es leicht unbehaglich zumute.

Ein Unbehagen, das mit jedem Schritt größer und auf der Türschwelle zur Panik wurde. Als er sich daran erinnerte, dass er heute schon hier gewesen war. Was er getan hatte. Panik wuchs wie ein zweiter Kopf aus seiner Schulter und schrie. Priva sah im Spiegel dass seine Panik das Gesicht von Paulo kopiert hatte und einen Mund öffnete, seinen Mund aufriss wie eine Wunde von Ohr zur Ohr und schrie. Schrillte, bis der Spiegel sprang, bis die Fenster in Scherben auf den Boden klirrten. Priva brach zusammen, als hätte ihn der Schlag getroffen. Konnte die Augen nicht schließen. Sah die Fliesen in High Definition, bis er erwachte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Kubus,

soweit bin ich gestern schon mehrmals gekommen. Die bloße Anrede zu schreiben.
Ich habe den Text noch warm gelesen, aufmerksame Wortkriegerin, die ich nun mal bin. Und als bekennender Fan war ich eh schon euphorisch, einen neuen von dir hier zu finden.
Aber dass er dann auch noch genau meinen Nerv trifft, als hättest du ihn ganz nach meinem Geschmack geschrieben, wühlte sämtliche Gefühle in mir auf. Und davon besitze ich eine Menge. Ich bin noch gar nicht soweit, einen Kommentar zu schreiben, aber ich möchte nicht, dass du auf Kohlen sitzt und sehnsüchtig den ersten abwartest. So wundere dich nicht, wenn er seltsam klingt.
Bas scheint es ebenfalls die Sprache zu verschlagen.

Vorweg: Es gibt nichts, was ich anders lesen wollte. Kein Wort, keinen Satz, kein Bild, keine Begebenheit.
Ich begleite Priva, wie ich es immer tue. Unsichtbar, aber wenn ich in den anderen Geschichten abseits saß, beobachtete, lauschte und mich auch amüsierte, vor allem über die Gespräche, so will ich hier eingreifen. Ich spüre seine Präsenz beinahe körperlich und bin fassungslos, nicht einschreiten zu können, mitansehen muss. Ich bin nicht mal die Schulter, an der er sich kurz festhalten kann.
Und dass ich gar nicht weiß, was passiert ist und was werden soll, außer wieder gut, denn ich vertraue Priva, macht mich tief betroffen.

Kubus. Wörtlicher kann ich (noch) nicht eintauchen. Ich möchte noch etwas hinabsinken, auch weil ich mit Bas Geschichte bereits auf dem Weg nach unten bin. Mit Steinen im Magen.

Kanji

 

Hallo, Kubus

Als wäre er untrainiert, und hätte gerade dreißig Liegestütze hinter sich.

Hier gehört kein Komma hin.

und sagte „Pardon“.

Hier würde ich vorschlagen: sagte: "Pardon." Ansonsten ist das so, wie man im Journalismus zitieren würde. Vielleicht auch ein Kunstgriff, ich würde es Dir an dieser Stelle durchaus zutrauen. Als wäre sich der Autor nicht sicher, ob dies wirklich eine wörtliche Rede sein darf.

Paulo nickte zum Bolero rüber – „frag mal da drin nach.“

Aber hier könnte man das "frag" groß schreiben. Ich erkenne zumindest zuvor keinen objektiven Satzanfang.

Beenden wir das Unerfreuliche. Die kleinen Makel dieses Textes verunsichern mich, lassen sie mich doch fragen, ob ich nicht einfach nur nicht durchdacht genug bin, um das Durchdachte in den Makeln zu erkennen. Denn ansonsten erkenne ich keine.

Bin ich doch sonst kein großer Fan von Texten, in denen nichts passiert, kein großer Fan von Texten, in denen etwas passiert, was ich nicht sehen kann, so hast Du mich hier doch mitgenommen, taumelnd zwischen Mauersteinen, hinterrücks. Das hat gut gewirkt, ließ sich gut lesen.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, den Anfang des Textes auf meinem Handy gelesen zu haben, wo ich aufgrund der winzigen Schrift ständig von Neuem begonnen habe. Doch schließlich habe ich mich an meinen PC gesetzt, um alles noch einmal in einem Zug zu lesen. So habe ich die ersten Absätze aber auch sehr, sehr oft gelesen, taumelnd über winzigen Zeichen. Und ich staune darüber, wie assoziativ Deine Sprache ist, wie Du Bild an Bild reihst, manchmal so, dass ich denke: "Das ergibt keinen Sinn." Aber obgleich dies inhaltlich manchmal große Schritte sein mögen, so sind es doch assoziativ, von den Verknüpfungen in meinem neuronalen Netzwerk, winzige Schritte. Und entlarven, wie das Denken funktioniert.

Ich finde so viele Beispiele, dass ich Dir kaum eins geben kann, aber nehmen wir das:

Als die Mauer endete, wollte Priva das Kopfsteinpflaster der alten Straße zum Dom überqueren, eine Straße, die friedlich wirkte wie der stille Don. Doch der Schein trog, die Strömung war zu stark, zog ihn mit, zog ihn runter. Priva wankte nach rechts, wankte weiter, verwechselte seine Beine, verfing sich beim Laufen, stellte sich ein Bein, suchte nach Gleichgewicht, fand aber nur die Straße.

Ich mit meiner analytischen Art, dachte zuerst: "Hä? Was für'n Fluss?" Doch als ich es beim vierten Lesen ausgeschaltet hatte, da habe ich es einfach gespürt. So wie man diesen ganzen Text nicht liest, sondern ihn spürt. Und das ist eine Kunst. Genauso wie die ständige Verstrickung in Wachsein und Träumen.

Vielen Dank für dieses Erlebnis.

Assoziative Grüße,
Maria

 

*

"Und die Menschen gehn in Kleidern
schwankend auf dem Kies spazieren
unter diesem großen Himmel,
der von Hügeln in der Ferne
sich zu fernen Hügeln breitet."*​

Solche Dinge passieren andauernd. Deswegen braucht man mindestens drei Augen.

Nicht ernst - was nützte Polyphem das Auge in der Mitte? Und 'ne Schelfkirche gibts - für irgendwas muss das WeltWeitegeWerbe ja gut sein - zu Schwerin,

bester Kubus hierorts
und altes Haus mit immer neuen Fenstern!,

ob es dort einen Pastor namens Metzger gibt, weiß ich nicht. Aber warum sollte ein hausnamenbildender Vorfahre des Kopfwerkers nicht auch Handwerker gewesen sein?

Aber ich kann mir vorstellen, dass die Geschichte Privas, wie sie hier fortgesetzt wird, nicht nur reales Geschehen wiedergibt, sondern auch vom trunkenen Schiff (P. als Schiffkörper bis hin zum Schiff der Kirche) Rimbauds beeinflusst ist. Deshalb hab ich den Kafka auch auf links gedreht wie ein zur Waschung bestimmtes Hemd. Oder doch eher auf den Kopf.

Aber nein, aus den Angeln hat weder Rimbaud (trotz Teilnahme an der Kommune zu Paris) noch Kafka die Welt gehoben und wir erst recht nicht und Mauern und Wände wachsen wieder, werden hochgezogen oder angedroht. Warum fällt mir genau jetzt mein erster Besuch St. Victors zu Norden ein, auf einem flachen Hügel in ansonster weiter Ebene gelegen und umgeben von einem Friedhof des 18./19. Jh. mit den im Kindsbett Gestorbenen - auf dass Mutter und Kind wieder eins sind ... eins bleiben?

Alles ist gut
Hoffen wir, das alles gut werde ... oder wenn schon, bleibe.

Trivialitäten

Spürte[,] dass es Zeit war. Zeit, seine Augen offen zu halten, obwohl er nichts lieber wollte, als die Lider schließen. Er wusste nicht wieso oder woher, hatte kein Wohin und hätte keine Auskunft geben können, wenn ihn jemand nach seinem Namen fragen würde.

Komma auf jeden Fall und am Schluss statt des des unwürdigen würde entweder "fragte" (wer da den Konj. nicht erkennte, sollte wieder in der Klötzkenschule anfangen - manchmal muss man ungerecht sein) oder sogar "fragen täte", denn der Fragende ist ja zugleich ein Täter. Ich erinnere nur an den Parzival ...
... und Priva versuchte erfolglos[,] die Zeichen zu entziffern
..., woher dieses dumpfe[...] Pochen stammen mochte.
Doch hier, in der Stille des bescheidenen Kirchenschiffs, hatte er sein Gleichgewicht wieder.
Warum nicht statt haben - was ja nicht falsch ist - "finden"?, wenn's doch einstweilen abhanden gekommen ist?
Priva sah im Spiegel[,] dass ...

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der noch ein schönes Restwochenende wünscht (hier im Pott kann's ga' nich'schöner sein als heute) und noch 'ne Frage hätt'er, dat Pottkind, vor Kurzem hat dar Dussel nämlich 'ne Anfrage eines O. über X. nach Kontakt weggezappt ...


"In der abendlichen Sonne
sitzen wir gebeugten Rückens
auf den Bänken in dem Grünen.
Unsere Arme hängen nieder,
unsere Augen linzeln traurig."
* Kafka​

 

Danke für dein Feedback, Bas. (der Text hier ist entstanden als Skizze zu einem Roman, der wahrscheinlich niemals fertig wird, für den meine Lektorin aber schon ein paar Scheine gekriegt hat. bin wohl der einzige Schreiber in meiner Umgegend, der nicht nur kein Geld verdient damit, sondern noch draufzahlt, Smiley. mein aktuell liebstes Distinktionsmerkmal.)
Kanji,

Ich begleite Priva, wie ich es immer tue. Unsichtbar, aber wenn ich in den anderen Geschichten abseits saß, beobachtete, lauschte und mich auch amüsierte, vor allem über die Gespräche, so will ich hier eingreifen. Ich spüre seine Präsenz beinahe körperlich und bin fassungslos, nicht einschreiten zu können, mitansehen muss. Ich bin nicht mal die Schulter, an der er sich kurz festhalten kann.

es gibt nichts zum Festhalten in dieser Welt. sind doch alles nur Illusionen, an denen wir festzuhalten versuchen, um besser durch den Tag zu kommen. so gesehen, passt deine Rückmeldung zum Text zu meinem Welt- und Menschenbild, was literarisch gesehen was Gutes ist. was da sonst an unterhaltenden Momenten eingebaut war in meine Geschichten, hatte wahrscheinlich auch immer die Funktion, noch ein paar Punkte aus der existentiellen Einsamkeit des Menschen herauszunehmen. Trostspender. tröstende Illusionen. ist ja auch fein, wenn man dran glauben kann. ich sehe das an den Menschen meiner Umgebung, die sich fest verankert fühlen in Familie, Freundeskreisen, Arbeit und Alltagsgeschehen. wenn ich das sehe, erinnere ich mich daran, wie gut sich das Leben anfühlen kann. aber ich kann und will nicht mehr vergessen, wie fragil alles ist. mir kommt es vor, als wären die bewussten Erfahrungen meines formal erwachsenen Daseins nurmehr die Bestätigung meiner intuitiven Weltablehnung als Kind und Jugendlicher. dazwischen lagen ja sieben gute Jahre, in denen ich lebte, wie ein ganz normaler kleiner Junge, und glücklich war. was ja wahr war. Gefühle sind eine Realität. aber in dieser Welt ist nichts wirklich belastbar, hinter jeder Abbiegung lauert der lächelnde Abgrund. aber obwohl alles zerbrechlich ist, ist auch alles gut. ich mag keine Horrorfilme und ich mag keine Aggro-Rapper. mir liegt nichts daran, Grenzen zu überschreiten um des Überschreitens willen. sondern ich wünsche mir, ein paar Ahnungen von dem zu vermitteln, was ich entdeckt zu haben glaube (wie tausende vor mir) - und von den Erfahrungen an den Grenzen oder hinter den Grenzen unserer Alltags-Realität und Komfortzone zu berichten.

Und dass ich gar nicht weiß, was passiert ist und was werden soll, außer wieder gut, denn ich vertraue Priva, macht mich tief betroffen

aber es ist doch alles gut. alles ist zerstört, tief verfault und falsch wie virtuelle Realitäten. und gut.

danke für deine ehrliche, emotionale Rückmeldung, liebe Kanji

Hey, TeddyMaria,

"Als wäre er untrainiert, und hätte gerade dreißig Liegestütze hinter sich."

Hier gehört kein Komma hin.


eigentlich nicht. kann den Satz ohne Komma an der Stelle nicht gut denken. mit Komma wirkt es aber auch nicht richtig. hm.

Hier würde ich vorschlagen: sagte: "Pardon." Ansonsten ist das so, wie man im Journalismus zitieren würde. Vielleicht auch ein Kunstgriff, ich würde es Dir an dieser Stelle durchaus zutrauen. Als wäre sich der Autor nicht sicher, ob dies wirklich eine wörtliche Rede sein darf.

nein, solche Kunstgriffe versuche ich normalerweise auch nicht. wenn das nach irgendwelchen formalen Regeln falsch ist, dann ist das hier kein bewusster Regelbruch. wüsste auch nicht, wofür das an dieser Stelle stehen könnte, was eine falsche Inquit-Formel hier können könnte.
obwohl, doch. wenn man sich einen unzuverlässigen Ich-Erzähller vorstellt, wäre das dann vielleicht die Version eines unzuverlässigen personalen Erzählers? aber nein, wie geschrieben, das war nicht intendiert. und die Unsicherheiten und Verrücktheiten und Wahnwirklichkeiten sollen hier durch andere Effekte im Laserhirn realisiert werden. ich ändere das.

Aber hier könnte man das "frag" groß schreiben. Ich erkenne zumindest zuvor keinen objektiven Satzanfang.

ja.

Beenden wir das Unerfreuliche. Die kleinen Makel dieses Textes verunsichern mich, lassen sie mich doch fragen, ob ich nicht einfach nur nicht durchdacht genug bin, um das Durchdachte in den Makeln zu erkennen

nein, nein. laste das ruhig dem Autor an. :)

Bin ich doch sonst kein großer Fan von Texten, in denen nichts passiert, kein großer Fan von Texten, in denen etwas passiert, was ich nicht sehen kann, so hast Du mich hier doch mitgenommen, taumelnd zwischen Mauersteinen, hinterrücks.

kann ich verstehen. wie wenn Schreiber übers Schreiben schreiben. solche Texte stehen bei mir unter Generalverdacht der Dampfplauderei.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, den Anfang des Textes auf meinem Handy gelesen zu haben, wo ich aufgrund der winzigen Schrift ständig von Neuem begonnen habe. Doch schließlich habe ich mich an meinen PC gesetzt, um alles noch einmal in einem Zug zu lesen.

krass, das stelle ich mir abtörnend vor. eine Geschichte auf so nem kleinem Bildschirm lesen. Schande, Schande :)

So habe ich die ersten Absätze aber auch sehr, sehr oft gelesen, taumelnd über winzigen Zeichen. Und ich staune darüber, wie assoziativ Deine Sprache ist, wie Du Bild an Bild reihst, manchmal so, dass ich denke: "Das ergibt keinen Sinn." Aber obgleich dies inhaltlich manchmal große Schritte sein mögen, so sind es doch assoziativ, von den Verknüpfungen in meinem neuronalen Netzwerk, winzige Schritte. Und entlarven, wie das Denken funktioniert

o, wie schön! das freut mich sehr und erstaunt mich selbst, wenn das so funktioniert. ich habe den Text vorher nur zweimall gelesen und nur einem Menschen gezeigt und war der Meinung, das funktioniert nicht. dachte, ich hätte mir nur eingebildet, dass der Text hier keine Dampfplauderei ist, sondern etwas vermitteln kann. eure Rückmeldungen haben die Geschichte in meinen Augen rehabilitiert und das hat mich sehr gefreut und macht mich auch dankbar.

Ich mit meiner analytischen Art, dachte zuerst: "Hä? Was für'n Fluss?" Doch als ich es beim vierten Lesen ausgeschaltet hatte, da habe ich es einfach gespürt. So wie man diesen ganzen Text nicht liest, sondern ihn spürt. Und das ist eine Kunst. Genauso wie die ständige Verstrickung in Wachsein und Träumen.

obwohll der Vergleich durch das "wie" etabliert wird?! wie unterschiedlich unsere Hirne funktionieren. eigentlich stehe ich darauf, die Bilder einfach so in den Text zu setzen, ohne durch "wie" oder "als ob" etc anzuzeigen, dass das eine Metapher ist.
ich will, dass die Leser was spüren, reingezogen werden. also freue ich mich sehr über deine Rückmeldung und danke dir für die Zeit und das Einlassen!

lieber Friedrichard,

(dass ich erst vor kurzem verstanden habe, dass sich dein Name als Fried-Richard lesen lässt, habe ich schon vertellt oder das nur geträumt?)

Nicht ernst - was nützte Polyphem das Auge in der Mitte?

hahaha... das nützte niemandem. findet Nemo!

Und 'ne Schelfkirche gibts - für irgendwas muss das WeltWeitegeWerbe ja gut sein - zu Schwerin,

ja, in der Schelfstadt. einem Teil der kleinsten Hauptstadt in Deutschland, der zu großem Teil auf Pfählen gebaut ist wegen des sumpfigen Untergrunds.

ob es dort einen Pastor namens Metzger gibt, weiß ich nicht. Aber warum sollte ein hausnamenbildender Vorfahre des Kopfwerkers nicht auch Handwerker gewesen sein

es gab einen ähnlichnamigen Pastor. ist aber a.D. was wohl hausnamenbildend bdeutet? ah, ich habe eine Idee ...

Aber ich kann mir vorstellen, dass die Geschichte Privas, wie sie hier fortgesetzt wird, nicht nur reales Geschehen wiedergibt, sondern auch vom trunkenen Schiff (P. als Schiffkörper bis hin zum Schiff der Kirche) Rimbauds beeinflusst ist

kann ich mir auch vorstellen. in einer fernen Vergangenheit hat mir eine Geliebte den Rimbaud immer wieder vorgelesen im Original. in der Übersetzung konnte ich damit ehrlich gesagt nicht viel anfangen, selltsamerweise, dachte ich immer. aber dann habe ich letztens eine Performance von Beatpoeten gehört, die einen Text Rimbauds auf eine Art vorgetragen haben, dass ich sie nachvollziehen und spüren konnte. wenigstens glaube ich, dass es Rimbaud war. es ging um ein Stück Holz oder so, dass von einem rasenden Fluss mitgespült wird und immer wieder untergeht und auftaucht. war faszinierend, hat sich eingeprägt. die meisten Lesungen sind ja tieflangweilig, aber das war ein Erlebnis, von dem ich zehre.

Aber nein, aus den Angeln hat weder Rimbaud (trotz Teilnahme an der Kommune zu Paris) noch Kafka die Welt gehoben und wir erst recht nicht und Mauern und Wände wachsen wieder, werden hochgezogen oder angedroht.

kann man nicht sagen, dass sie zumindest ihre eigene Welt aus den Angeln gehoben haben? die Welt mancher Leser wahrscheinlich... ansonsten arbeiten solche Texte eher subversiv, würde ich vermuten. das konkrete Welt-aus-den-Angeln-heben überlassen wir demjenigen, der einen festen Punkt im Weltall findet und einen ausreichend langen Hebel. wohl eher Sache der Physik (oder so)

Warum fällt mir genau jetzt mein erster Besuch St. Victors zu Norden ein, auf einem flachen Hügel in ansonster weiter Ebene gelegen und umgeben von einem Friedhof des 18./19. Jh. mit den im Kindsbett Gestorbenen - auf dass Mutter und Kind wieder eins sind ... eins bleiben?

Ach je, ist das gruselig und anheimelnd. erinnert mich an Hans Henny Jahn. ich würde auch zurück in Mutters Bauch, wenn ich nicht glaubte, die ganze Scheiße noch mal machen zu müssen. ohne Rückzug ins Private ist dieses Leben so eine ekelhafte Zumutung auf so vielen verschiedenen Ebenen. entweder Augen verschließen lernen, vergessen lernen, sich in seine eigene Welt zurück ziehen, oder keine Ideale und Prinzipien haben, oder sich an den Realitäten aufreiben. oder ein anderer sein. alles andere ist doch keine Option.

sehr schön trauriges Zitat. ist das wirklich Kafka? Bella Triste jedenfalls.

ich danke euch allen für die Zeit und das Kommunizieren.

herzliche Grüße
Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

Lehnte sich gegen die Schlagseite auf, um seinen Gleichgewichtsfehler auszugleichen. Gab sich bei jedem Schritt einen Linksdrall, womit er auf den letzten paar hundert Metern sein Krängen nach rechts zunehmend unter Kontrolle bekommen und den Körper auf Kurs gehalten hatte.

Was es auch war. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.

… nun könnte man diesen Text natürlich auf das so augenscheinlich Offensichtliche reduzieren, nämlich darauf, dass hier nichts anderes geschieht, als dass ein Typ im Stadium höchster … äh, ich will‘s mal Derangiertheit nennen - wobei alkoholisch oder sonstwie induzierter Entrückungszustand auch nicht schlecht klingt, rechtbesehen - durch die Stadt latscht, nach Hause oder doch nicht nach Hause, na egal, jedenfalls steht dieser Priva vollkommen und explizit neben den Schuhen, so viel ist mal klar, und das wäre wohl kaum der Rede wert, schon gar nicht wert, aufgeschrieben zu werden, aber … also man würde dem Text nicht gerecht, reduzierte man ihn rein auf die Handlung, auf dieses so oft Gelesene und noch viel öfter - also vor vier Jahrzehnten oder so - Selbsterlebte, diesen Zustand des Sich-verloren-Habens, des gewollten Kontrollverlustes über sich und die Welt und so. Gerecht kann man diesem Text und diesem Priva - oder Trixter, wie er sich auch gerne nennt, genau, jener Trixster, der gerade gestern Nacht um den See quasi geflogen war, dessen ganzer Körper zur Zeit so eine Lust aufs Laufen hatte, der es richtig kribbeln spürte vor Freude zwischen Magen und Arsch. Über den hohen Bordstein auf die Gehwegplatten sprang und weiterrannte usw. - was ich sagen will, gerecht kann man dem Text nur werden, glaub ich, wenn man sich seiner Sprache öffnet. Oder so.

Aber was ich eigentlich wirklich sagen wollte, Kubus:
"Immer wieder schön, einem Poeten beim Ausrasten zuzusehen."

offshore

 

Panik wuchs wie ein zweiter Kopf aus seiner Schulter und schrie.

Hallo Kubus,

ich finde den Text stark. Eigentlich: intensiv. Da sind wirklich einige krasse Beschreibungen des Horrortrips, die mich auch wirklich an Horrortrips oder viel unangenehmere Situationen erinnert haben. Ich will jetzt nicht zum Rundumschlag ausholen, aber nach meinem Gefühl, als ich das nach dem Einstellen gelesen habe, hast du in der Sprache noch mal zulegt. Ich habe die letzten Priva-Texte gelesen und habe das Gefühl, dass die Sprache hier intensiver noch mal wirkt, Plot und Sprache verschmelzen zu einem einzigen Rausch.

Schwer, noch was dazu zu sagen. Hat auf jeden Fall was in mir ausgelöst. Irgendwo hast du geschrieben, es sei nur ein Teil eines Romans. Das wäre so etwas Handwerkliches, das ich vielleicht in meinem Kommentar noch erwähnt hätte. Dass das für mich wirkt und klappt und ich will nicht so kleinlich sein, dem den Rang einer Shortstory abzusprechen. Aber dass ich glaube, dass das als Teil, vielleicht ein Drittel, wenn man so will, einer größeren Story noch viel kräftiger wirken könnte. Ist bloß mein Gefühl. Vielleicht auch ein Zwanzigstel auf Romanlänge, keine Ahnung, das hat jetzt keinen Wert, aber du weißt, wie ich meine. Wäre das eingebettet in einem Plot, denkt mein Wortkrieger-Hirn, also noch mehr um dieser Weg-Szene herum, könnte ichs noch besser finden. Aber mach mal, wie du denkst, ich will dir da nicht reinreden, wenn das eh schon teil einer längeren Story ist. Krieg das mal fertig!

Peace
zigga

 

(dass ich erst vor kurzem verstanden habe, dass sich dein Name als Fried-Richard lesen lässt, habe ich schon vertellt oder das nur geträumt?)

Hastu noch nich verzellt,

bester Kubus hierorts,

aber ich besteh nur aus Namen der Ahnen (hastu schon ge-ahnt im Traum) Friedrich (Vater, Großvater usw., immer der Erstgeborene halt), Richard (Pate, Onkel aus Amerika, mit dem ich es bei der ersten Begenung - He: "Castro?" Me: "Che ..." - verdarb - Ernst (Großvater mütterlicherseits, Pate 2, Bruder Uncle Dick's), den Scherz mit Ernesto lass ich mal - alle schon lange Quark ...

Bis bald

Friedel

 

offshore,

dass hier nichts anderes geschieht, als dass ein Typ im Stadium höchster … äh, ich will‘s mal Derangiertheit nennen - wobei alkoholisch oder sonstwie induzierter Entrückungszustand auch nicht schlecht klingt,

Derangiertheit! ein herrlich bürokratisch anmutendes Understatement. und besonders geil in dem Kontext.

jedenfalls steht dieser Priva vollkommen und explizit neben den Schuhen, so viel ist mal klar, und das wäre wohl kaum der Rede wert, schon gar nicht wert, aufgeschrieben zu werden, aber

ja das denke ich auch! ABER : wie du letztens zur Hoch-Zeit den Wittgenstein zitiert hast, in einer noch nicht allzu fernen Vergangenheit, in der das Imperium aber schon an der Macht war: "die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt." ([hoffentlich]sinngemäß zitiert)

demzufolge kann Sprache mehr als nur eine Geschichte erzählen. ich glaube daran und etwas in mir will sich frei machen von allen Konventionen, einfach um zu sehen, was dahinter kommt. Terra Incognita. Weltendecker. vllt eine Kompensation meiner kindlichen Enttäuschung, als mir klar wurde, dass die Zeit der Abenteuer vorbei ist und die Helden meiner jugendlichen Abenteuer-Roman-Lese-Erfahrungen damals etwas tun konnten, was heutzutage unmöglich ist : Neuland betreten. aber es geht eben doch. nur auf anderen Feldern. nicht mehr auf der Suche nach dem Quell des Flusses Nil.

was ich sagen will, gerecht kann man dem Text nur werden, glaub ich, wenn man sich seiner Sprache öffnet. Oder so.

Aber was ich eigentlich wirklich sagen wollte, Kubus:
"Immer wieder schön, einem Poeten beim Ausrasten zuzusehen."


Why I write. Gefühle sichtbar machen, Atmosphären schaffen, Ahnungen vermitteln. oder so. ich stehe aufs Ausrasten. wie auf alles, das gegen die Gitterstäbe der Vernunft anläuft und sie nötigenfalls mit dem eignen Dickschädel aufbricht.

ich werde ja hier verwöhnt von eurem Feedback. was eine seltsame Gegenwirklichkeit schafft. hier, im literarischen Alltagsgebrauch auf Lesebühnen & Co, schnitt diese Geschichte sehr schlecht ab. eine Freundin meinte, dass das kein Wunder sei, wenn ich mit so einem Text antrete nach einem anderen Text, der Punchline nach Punchline auf Ohren und Lachmuskel knallte. hatt' ich ja schon zigmal. right place, wrong time. bin aber entweder nur eingeschränkt lernfähig oder talentiert im temporären Vergessen um des Scheiterns willen. checks halt nicht.

dein Link auf diesen alten Text von mir war sehr lehrreich und ich will dazu Danke sagen außerhalb der Reihe. damals hast du den Trickster in meinen Figuren entdeckt und gleichfalls zur Geburt verholfen. was irgendwie faszinierend ist. korreliert nämlich mit einem Entwicklungsprozess der damals schon begonnen hatte und zu Alles ist gut führte. ausschlaggebend für meine Suche war ein Bild, das ich seit Jahren verfolge, als wäre es will-o-the-wisp, ganz schlicht: jemand legt angemessene Anziehsachen für den nächsten Tag heraus und aber auf den Stuhl daneben selbstverständlich eine ebenfalls angemessene Persönlichkeit. mir war klar dass das nicht neu war und was ich hatte, war ja wirklich mager. aber zugleich hatte ich das Gefühl, daraus könnte noch viel mehr werden. kaute da seit ungefähr 2012 drauf rum und war immer der Meinung, das müsste ein lyrischer Text werden. bin aber weder weitergekommen noch konnte ich das vergessen. atypisch für mich.

in diesem Prosatext hier aber entfaltete sich auf einmal einiges literarische Instrumentarium rund um dieses Bild und Themenkreis. eine völlig überraschende Entdeckung für mich.

was ja eigentlich kein Wunder ist, denn wie du damals unter "Treiben" geschrieben hast :

usw., ja, das hat schon was Treibendes. Ansatzweise kam ich auch dem Protagonisten näher, aber eben nur ansatzweise, so wirklich konnte ich nicht entschlüsseln, mit wem ich es da zu tun habe (und warum). Ein drogendealender Schöngeist? Ein vom Trott des Alltags angepisster Hedonist, der den Reiz der Gefahr sucht, die dunklen Seiten der Welt entdecken will? Oder schlicht das Opfer einer Verwechslung?
So viele Fragen. Ist’s gar die Erfindung eines neuen literarischen Genres? „Weitgehend sinnfrei, aber Hauptsache schnell?“
Ja, der Text hat so was Atemloses, das gefällt mir wirklich sehr. Und mal sehen, was mir nach dem zehnten Mal lesen dazu vielleicht noch einfällt.

war ja damals schon das Atemlose durch den Monsun stolpern in dem Text angelegt, wie in mir. und ich habe mich selbst angetrieben, weiter zu machen, habe mich treiben lassen, um keinen Umweg zu verpassen. ohne zu wissen wohin und warum. aber dringlich war es doch und richtig war es auch. weil ich auf diesem Weg - auch durch eure Hilfe, ob Kritik oder Mitdenken. mit oder gegen meine Figuren gedacht und gefühlt. von dir konnte ich in besonderem Maße profitieren - unglaublich viel lernen und erfahren konnte über mich und mein Schreiben, das sich jetzt zunehmend in meinen Texten niederschlägt.

ich muss jetzt los in die Sonne, halts nicht mehr aus das Draußen von drinnen mitzukriegen. weitere Antworten folgen. ich hoffe, ihr habt es nicht eilig und lastet mir mein relativ zeitfernes Antworten nicht negativ an. bleibt doch alles aktuell.

eigentlich wollte ich als erstes Bas' Text kommentieren. habe dabei festgestellt, dass er gar nicht mehr zu finden ist. ahne Schreckliches. was mich sicher täuscht. der macht nur kurz Urlaub, oder?

Kubus

 

Kubus schrieb:
Why I write. Gefühle sichtbar machen, Atmosphären schaffen, Ahnungen vermitteln. oder so. ich stehe aufs Ausrasten. wie auf alles, das gegen die Gitterstäbe der Vernunft anläuft und sie nötigenfalls mit dem eignen Dickschädel aufbricht.

Wunderschön gesagt, Kubus, und überhaupt: „Language is a virus from outer space“, wie schon Burroughs sagte.
Wenn du weißt, was ich meine.
Doch, das weißt du.

 
Zuletzt bearbeitet:

zigga, wenn der Text stark rüberkommt und intensives Lesen ermöglicht, bin ich glücklich. Was du zu Horrortrips schreibst, dockt auch an meine eigenen Erfahrungen auf diesem wichtigen Bildungsgebiet an. Und wie offshore schon schreibt, lässt sich zweifelsohne festhalten, dass hier jemand "neben den Schuhen steht" und dass diese Person eine gewisse Derangiertheit kaum leugnen könnte, wenn sie genug wüsste, um überhaupt widersprechen zu können.

Dass mit dem sprachlichen Zulegen ist für mich freilich besonders interessant. Fühlte sich für mich auch so an. Ich habe kurz über den Grund nachgedacht und bin auf nichts gekommen. Der einzige Unterschied zu vorher, der mir auffällt, ist, dass ich in diesem Text das erste Mal nichts wollte. bereit war, Langeweile, Dampfplauderei und andere Dämonen, die meine Texte heimsuchen, zu umarmen. von denen ich mit Trickserei und Illusionen und Taschenspielertricks stets abzulenken versuchte. diesmal war's mir wirklich egal. und es war schlicht folgerichtig, ohne Effekte und Tricks auskommen, egal, wie dürftig sich das beim Schreiben anfühlte. vllt war das der Unterschied, warum das hier besser funktioniert. ich halte mal den Ball flach und werde am Wochenende sehen, wie sich meine nächste Prosa schreibt. abwarten, wie der nächste Text wird. aber momentan habe ich tatsächlich das Gefühl, als würden sich die Mühen der Ebene endlich auszahlen. Weil mir auf einmal eine Perspektive zur Verfügung steht mitsamt dem zugehörigen Literaturpersonal sowie literarischem Werkzeugkasten, auf die ich seit Jahren zuarbeite, ohne das gewusst zu haben.

dass dir Inhalt und Form im Rausch verschmelzen!
(Vielen Dank)

Wäre das eingebettet in einem Plot, denkt mein Wortkrieger-Hirn, also noch mehr um dieser Weg-Szene herum, könnte ichs noch besser finden. Aber mach mal, wie du denkst, ich will dir da nicht reinreden, wenn das eh schon teil einer längeren Story ist. Krieg das mal fertig!

ich bin unsicher, was meine Fähigkeit betrifft, den Leser bei so einem Text auf noch weiterer Strecke bei der Stange zu halten. ob ich das überhaupt könnte, diesen (in meinem Verständnis) im Kern anti-rationalen, Text sozusagen in eine Strukturform gießen und drumherum plotten. ohne dass verloren ginge, was diesen Text ausmacht. (ich arbeite dran! bzw habe es vor)

Aber dass ich glaube, dass das als Teil, vielleicht ein Drittel, wenn man so will, einer größeren Story noch viel kräftiger wirken könnte. Ist bloß mein Gefühl. Vielleicht auch ein Zwanzigstel auf Romanlänge,

ich fänds klasse, wenn der Text hier seinen Platz in einem Textganzen fände. mehr habe ich nicht, mehr weiß ich nicht, mehr kann ich nicht sagen. wer weiß was wird.

Danke für deine Rückmeldung, zigga, auch deine kritischen Aspekte habe ich registriert und ich erinnere mich auch, was du mir letztens zu All-Tag kritischerweise mitgabst. damit hast du mir einiges mitgegeben. und mindestens eine Frage, die mich wohl die nächsten Tage begleiten wird auf Heimaturlaub.
felixreiner,

ich habe deine Lesart sehr aufmerksam und gespannt bis fasziniert verfolgt. meine Lesart spielt mE keine besondere Rolle. nachdem der Text fertig ist, ist die nur eine unter vielen Interpretationen, nur etwas langweiliger, weil ich mehr Hintergrundinformationen habe. wie es die Leser verstehen ist viel spannender. mir bereiten so ausdeutende Kommentare große Freude, besonders, wenn die Deutung aufgeht. deine Entschlüsselung wirkt plausibel und bereichert diesen Text nicht nur sehr, sondern zeigt mir meine Geschichte auch auf einer Ebene, die zwar bewusst angelegt war, deren detaillierte Auslesbarkeit ich aber so niemals vermutet hätte. obwohl mir die meisten von dir verwendeten Begriffe bekannt sind und wenigstens im Subtext hier mit dabei sind.

Gruß
Kubus

ps: Ernstoffshore: Du liest Frost. für mich das Stärkste von Meister Bernhard. mir läufts noch immer kalt den Rücken runtern, wenn ich daran denke. Und dazu fällt mir immer sein zweites Buch ein, das danach kam, das düstere Amras /// language is a virus from outer space - dass das von Burroughs kommt. ich kann den eigentlich auf den Tod nicht leiden. dabei kenne ich einiges von ihm, das mir gefällt. kurze Stücke, Sprüche. aber seine Romane gehen für mich gar nicht. kann auch sein, ich mag den nur nicht, weil er mir in mancherlei Hinsicht verflixt ähnlich ist. /// in Snow Crash von Neal Stephenson ist dieser Gedanke von language is a virus sehr beeindruckend ausgearbeitet /// diese Gleichsetzung ging mir schon immer unter die Haut und fühlte sich nach Wahrheit an

 

Hey Kubus,

mir hat dein Text gefallen. (Der davor, Hoch-Zeit oder so, da hatte ich Probleme und bin unterwegs ausgestiegen, aber egal.)

Die Sonne des mecklenburgischen Hochsommers setzte die Straße in Brand und Priva schritt über glühende Bürgersteigplatten, bereit, das Gottesurteil zu akzeptieren, wie es auch ausgehen wird.

Ich vermisse halt immer Konjunktive an bestimmten Stellen, das hab ich dir schon mal irgendwann geschrieben. Aber wenn du die selbst nicht „spürst“, sag ich mal, dann ist es halt so. Ich würde in meinem inneren Ohr hören „... bereit, das Gottesurteil zu akzeptieren, wie es auch ausgehen würde.“ Keine Ahnung, ob du das irgendwie nachvollziehen kannst. Es gibt noch weitere solche Stellen. Das ist so eigentlich mein Kritikpunkt an deinem bemerkenswerten Text, der ein paar echte sprachliche Highlights enthält, dieser Indikativ, der mich so erdet, wo ich gerade gar nicht geerdet werden will. Ich meine, geht es dir nicht gerade darum, dass Realität und Illusion alles zu einem Brei verschwimmen und da sehne ich mich sososo nach Konjunktiv, dazu isser doch da. Aber gut, vielleicht ist das zu oldschool gedacht. Ich hab das dringende Gefühl, dass du deine Texte in dir spürst und ohne Kalkül im Rauschrutsch runterschreibst. Also, wenns für dich indikatief ist, dann isses halt so ...

Kämpfte um jeden Schritt mit einem kleinen Tod, der sich lang machte, aus der Hölle durch die Erdkruste nach Privas Füßen griff und zog.

Starke Stelle!

Heidewitzka und Bahnsteigkarte - wow, diese Begriffe sind wie aus der Zeit gefallen! Du bist doch noch so jung, woher kennst du überhaupt diese Wörter?? :D

Er war führerlos.

Jagottseidank

Sah Menschen herumstehen. Mit Gesichtern wie Transparenten auf einer Demonstration gegen seine Person.

Starkes Bild!

Der Schmerz in seiner rechten Gesichtshälfte ließ sich nicht abschütteln. Stalkte ihn. Beschattete Priva. Kein Grund zur Sorge, ermunterte der sich, bestimmt nur ein Fan.

:lol:

Nur das vage Gefühl, hier falsch zu sein, was auch immer ‚hier‘ war. Sicherlich kein Ort, so viel zumindest war klar. Und dass das, was er hier machte und gemacht hatte, seitdem er an der Wand des Bolero mit Schmerzen im Gesicht erwacht war, falsch war. Nicht das Falsch in der Mathearbeit, mehr ein Falsch wie in lebendig begraben. Als hätte er heute Morgen versehentlich eine der Persönlichkeiten seines Mitbewohners übergestreift, oder als wäre seine Welt einige Millimeter durch die Dimensionen verschoben worden, als er kurz nicht aufgepasst hatte.

Hier hast du mich gepackt! Mir laufen kalte Schauer über den Rücken!

Panik wuchs wie ein zweiter Kopf aus seiner Schulter und schrie. Priva sah im Spiegel dass seine Panik das Gesicht von Paulo kopiert hatte und einen Mund öffnete, seinen Mund aufriss wie eine Wunde von Ohr zur Ohr und schrie. Schrillte, bis der Spiegel sprang, bis die Fenster in Scherben auf den Boden klirrten. Priva brach zusammen, als hätte ihn der Schlag getroffen. Konnte die Augen nicht schließen. Sah die Fliesen in High Definition, bis er erwachte.

Sehr starker Schluss! Sorry, wenn ich jetzt mehr zitiere als kommentiere. Wahrscheinlich weißt du selbst schon, welche Stellen besonders intensiv sind. Ich pick halt heraus, was mir besonders gefällt.

es gibt nichts zum Festhalten in dieser Welt. sind doch alles nur Illusionen, an denen wir festzuhalten versuchen, um besser durch den Tag zu kommen. [...] ich sehe das an den Menschen meiner Umgebung, die sich fest verankert fühlen in Familie, Freundeskreisen, Arbeit und Alltagsgeschehen. wenn ich das sehe, erinnere ich mich daran, wie gut sich das Leben anfühlen kann. aber ich kann und will nicht mehr vergessen, wie fragil alles ist. [...] Gefühle sind eine Realität. aber in dieser Welt ist nichts wirklich belastbar, hinter jeder Abbiegung lauert der lächelnde Abgrund. aber obwohl alles zerbrechlich ist, ist auch alles gut.

Jetzt verstehe ich den Titel!!! Ohne deinen Komm hätt ich es nicht kapiert. Wollte schon rumnölen, was der Titel denn soll.
Ja, der lächelnde Abgrund ... der lauert hinter so mancher Fassade. Ist im Grunde alles bröckelig. Alles.
Interessanter Text!

Beste Grüße
Anne

 

Hallo Kubus,

guter Tonfall, eine Stimme, die nachklingt und eine Geschichte, die an sich berührt. Wenn da nicht der Erzähler wäre, der dazwischen funkt, auf Priva blickt, als wäre er ein Versuchsobjekt, kaum mehr als ein Stück lebloses Vieh, das er zu analysieren gilt:

Ein klügeres Wesen als Priva hätte nicht behauptet, dass er wach ist. Einem unbeteiligten Beobachter wäre klar gewesen, dass er wach ist, wach sein musste.
hier spricht der Erzähler über seine eigene Klugheit… dummer dummer Priva.

Heidewitzka, hätte er denken können, wenn er wirklich wach gewesen wäre.
was heißt den wach für den Erzähler?

Priva fürchtete sich davor, übernommen zu werden, bevor er angekommen war.
hier kriecht der Erzähler in Privas Gedankenwindungen

Nur weiter, dem Ziel entgegen. Das, was Priva gerade war, was in ihm war und ihn antrieb, brauchte einige Zeit, bevor klar war, dass unklar blieb, was hier geschah. Dass Welt und Menschen trotz gleißenden Lichts in tiefster Dunkelheit verharrten.
und hier gibt er gleich ein Urteil über den Zustand der Welt und der Menschen ab.

Kurzum, ich mochte den Erzähler nicht, ohnehin klingt die von dir gewählte allwissende Perspektive meist übergriffig, unsensibel. Schade, hätte (für mich!) ein ziemlich guter Text werden können.

Hoffe, du kannst was mit anfangen.

Viele Heidewitzka (tolles Wort) – Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen Dank fürs kritische Feedback, Isegrims! Das hat mir bei den letzten Geschichten zunehmend gefehlt. nicht weil ich so viel Bock auf Stress habe, sondern weil ich mir nicht vorstellen kann, dass alle gut finden, was ich schreibe. und eine kritische Würdigung oder sogar ein Verriss tun zwar mehr oder weniger weh, meistens mehr, aber ich habe aus solchen Kommentaren einige der wichtigsten Lektionen über mich und meine Geschichten gelernt. (und will ja weiter lernen)

Danke auch dir, Anne, fürs Rauspicken der Lieblingsstellen und das mit dem Konjunktiv. ob Konjunktiv oder Indikativ ist für mich ein wichtiges Thema momentan und innerlich noch längst nicht abgeschlossen. schreibe ich später noch mehr zu. Thesen und Fragen.

aber jetzt erst mal Sonne! wollt' nur zwischendurch mich mal gemeldet haben. ich brauch ja immer so lange zum Kommentieren (in beiden Bedeutungen).

Herzliche Grüße an euch!
Kubus

 

Er wusste nicht[,] wieso oder woher, hatte kein Wohin und hätte keine Auskunft geben können, wenn ihn jemand nach seinem Namen fragen würde.

"Ich ist ein anderer. Schlimm genug für das Holz, das als Geige erwacht ..." Eine andere Übersetzung zum Holz zur Frage gewende lautet - gänzlich anders als im Original "Was kann das Holz dafür, dass es als Geige aufwacht?"

So - oder doch so ähnlich, wie die zwo Übersetzungen aus einem Brief Rimbauds an Georges Izambard, kommt mir Priva vor (auch dieser Brief möglicherweise Deine Erfahrung neben dem trunkenen Schiff mit "Holz" bei Rimbaud, wobei das Holz auch zu Schnitzwerk oder - bei den Alten - als gegabelter Ast zu der Ikone eines Asen (von Wanen - und weniger der an sich älteren Götterfamilie germanistischer Zungen) werden kann,

lieber Kubus -

und geht es überhaupt, dass alles gut sei, wenn alles durch seinen Gegensatz definiert ist (und geschähe es nur durch die Vorsilbe "un...") Piva taumelt zwischen Grenzen (und wären es Wände/Mauern) und der Titel wird zur beschwichtigenden Aussage der Mutter, die das gebeutelte Kind tröstet mit den Worten "alles wird/ist gut". "Besser" sogar, wenn auch gelegentliche kleinere Korrekturarbeiten - vor allem in der ersten Hälfte - noch vorgenommen würden

Spürte[,] dass es Zeit war. Zeit, seine Augen offen zu halten, obwohl er nichts lieber wollte, als die Lider schließen.
Dieses Wort flimmerte auf der Innenseite seiner Augenlider und Priva versuchte erfolglos[,] die Zeichen zu entziffern.

Priva zwang sich, nicht hin zu sehen, niemanden anzusehen.
Was "ansehen" recht ist, ist "hinsehen" billig, "hinzusehen" zusammen!
Priva sah im Spiegel[,] dass seine Panik das Gesicht von Paulo kopiert hatte und einen Mund öffnete, seinen Mund aufriss wie eine Wunde von Ohr zur Ohr und schrie.

Schönen Restsonntag noch aus'm Pott

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Anne49

mir hat dein Text gefallen. (Der davor, Hoch-Zeit oder so, da hatte ich Probleme und bin unterwegs ausgestiegen, aber egal.)

bei dem davor wäre ich bestimmt auch ausgestiegen.

Ich vermisse halt immer Konjunktive an bestimmten Stellen, das hab ich dir schon mal irgendwann geschrieben. Aber wenn du die selbst nicht „spürst“, sag ich mal, dann ist es halt so.

ich spüre diese Konjunktive schon und kann mir das anders auch schwer vorstellen. entweder man hat ein Gefühl für den Konjunktiv oder nicht, das kann doch eigentlich nicht mal einsetzen und dann wieder aussetzen, denke ich.
mir sind diese Stellen also bewusst und ich entscheide mich immer wieder bewusst gegen den Konjunktiv, wenn das so geschrieben steht. (außer es ist ein Fehler) da streitet das anerlernte Sprachgefühl in mir mit einer anderen, neueren Perspektive auf Sprache.

Ich meine, geht es dir nicht gerade darum, dass Realität und Illusion alles zu einem Brei verschwimmen und da sehne ich mich sososo nach Konjunktiv, dazu isser doch da. Aber gut, vielleicht ist das zu oldschool gedacht. Ich hab das dringende Gefühl, dass du deine Texte in dir spürst und ohne Kalkül im Rauschrutsch runterschreibst.

ich kann mir gut vorstellen, dass du das auch anders denken könntest, wenn du dir das eine Weile lang ansehen würdest und sich das an verschiedenen Beispielen wiederholte. also welchen inhaltlichen Grund es haben könnte, statt Konjunktiv den Indikativ zu wählen. ich behaupte einen inhaltlich-formalen Zusammenhang.

Heidewitzka und Bahnsteigkarte - wow, diese Begriffe sind wie aus der Zeit gefallen! Du bist doch noch so jung, woher kennst du überhaupt diese Wörter??

ich bin noch sooo jung! :D letztens las ich einen Artikel des Hamburger Hochbahn-Magazins, in dem über die Jahreseinnahmen der Hamburger Hochbahn 2017 geschrieben wurde, die aus dem Verkauf von Bahnsteigkarten stammen. knapp über tausend Euro. ich dachte auch, das Wort wäre ausgestorben und spätestens seit Lenins Bonmot über revolutionierende Deutsche aus dem aktiven Sprachschatz verschwunden. stimmt nicht. ich mag einfach seltene Wörter und viele alte oder ältere Wendungen haben einen ganz eigenen Klangkörper und jedes löst eigene Assoziationen aus und ist verschieden konnotiert. ich fände es außerdem schade, wenn die einfach so verschwänden.

Sorry, wenn ich jetzt mehr zitiere als kommentiere. Wahrscheinlich weißt du selbst schon, welche Stellen besonders intensiv sind. Ich pick halt heraus, was mir besonders gefällt.

es gibt durch Leseraugen immer wieder was Neues zu entdecken und ich lasse auch Lob gelten, obwohl ich zur Kritik einlade. Dankeschön für deinen Besuch hier und die genommene Zeit, Anne.

Hallo, Isegrims,

vielen Dank für deine Kritik. du hältst dich ja nicht lange auf und gehst schnell auf Punkte ein, die dir missfallen. ich versuche, angemessen zu antworten.

guter Tonfall, eine Stimme, die nachklingt und eine Geschichte, die an sich berührt. Wenn da nicht der Erzähler wäre, der dazwischen funkt, auf Priva blickt, als wäre er ein Versuchsobjekt, kaum mehr als ein Stück lebloses Vieh, das er zu analysieren gilt:

interessanter Blick! ich entdecke da auch Einiges von dem wieder, wie ich selbst aufs Leben blicke, was ich ja langweiligerweise einfach in der Literatur spiegele. ich sehe das Leben auch als fortgesetztes Experiment mit ungewissem Ausgang, als längere Feldstudie.
formal gesehen: darf ein personaler Erzähler so was nicht aussagen, weil das die Grenze zum Allwissenden überschreitet?

"Ein klügeres Wesen als Priva hätte nicht behauptet, dass er wach ist. Einem unbeteiligten Beobachter wäre klar gewesen, dass er wach ist, wach sein musste."

ich glaube, dass du Recht hast und dass das ein Formfehler ist. Kommt mir gerade vor wie ein Über-Ich, das sein eigenes Es zu analysieren versucht, im Versuch, aus dem schlau zu werden, was da passiert, was geschieht. es bricht auch die Identität zwischen Erzähler und Priva auf. für mich passt das.
aber ich verstehe - ehrlich - deine empathische Entrüstung. wenn es nicht um meinen eigenen Text ginge, würde ich die bestimmt teilen. aber bei meinem eigenen Text : dieser leicht abstoßende, überkluge Tonfall. das Bloßstellen und der Verrat an der eigenen Figur, die ziemlich klar ein Alter Ego ist : das muss so sein. fühlt sich richtig an.

hier spricht der Erzähler über seine eigene Klugheit… dummer dummer Priva.

könnte man nicht auch sagen dass der Erzähler eine Skala mit zwei Polen liefert, zwischen denen er seine eigene Figur schwanken und wechseln sieht?

was heißt den wach für den Erzähler?

ich will meinen eigenen text nicht ausdeuten, aber ich würde hier einen Unterschied machen zwischen bewusst wach und einfach nur auf den Beinen, eher unbewusst - wie es beim fasten passieren kann, in Fieberfantasien, bei Nahtoderfahrungen etc. formal würde der Mensch als wach behauptet, weil er die Augen offen hat und sprechen kann und sich bewegen. aber ist jemand wirklich wach, der eine so auffällige Derangiertheit an den Tag legt. finde ich eine gute Frage, habe darauf aber keine gute Antwort.

hier kriecht der Erzähler in Privas Gedankenwindungen

ja, absolut. ist wieder so ein Beispiel. kann nachvollziehen, dass einem so was gegen den Strich geht.

und hier gibt er gleich ein Urteil über den Zustand der Welt und der Menschen ab.

das tut er. so was kann meiner Meinung nach nicht stimmen, nie stimmen. je größer die Behauptung, desto größer auch der Irrtum. ich bin da bei dir in der Ablehnung dieses sprachlichen Gestus'. ist außerdem auch unsympathisch.

Kurzum, ich mochte den Erzähler nicht, ohnehin klingt die von dir gewählte allwissende Perspektive meist übergriffig, unsensibel. Schade, hätte (für mich!) ein ziemlich guter Text werden können.

das ist mutig, so was zu schreiben. ich danke dir für deine ehrlichen Worte und die Erklärung deiner Ablehnung. schadé schadé, olé!

... an Friedrichard und Ronja schreibe ich später, jetzt erst mal raus an die Sonne ... und ich danke noch mal ausdrücklich fürs kritische Feedback, was ja auch eine Form ist, Literatur zu würdigen - und vor allem die Form, von der ich oft am meisten lernte. ich erinnere mich an üble Verrisse meiner Texte, an denen ich wochen- oder monatelang kaute, weil ich die dreist geschrieben und inhaltlich falsch fand. was man halt so denkt, wenn der eigene Text verrissen wird. aber manchmal - das dauert bei mir wesentlich länger, als wenn ich aus Positivem lerne, was aber auch nicht immer geht - haben mich die kritischen Würdigungen und sogar Schmähkritiken am weitestens voran gebracht.

liber Gruß!
Kubus

PS: außerdem habe ich den Eindruck, dass eine oder mehrere kritische Beiträge einen vielgelobten Text wieder erden und es leichter machen, wieder anders über diesen Text zu denken. ich weiß ja nicht wie euch das geht, aber wenn ich früher so hochgelobte Texte gelesen habe, spürte ich so fast einen Sog, entweder in die Begeisterung einzustimmen oder den Text so krass abzulehnen, wie er vorher gefeiert wurde. ist ja auch alles gut und auch der fünfzigste lobende Beitrag kann noch was Neues bringen, auch wenn das selten geschieht. aber fürs Gespräch über Literatur ist so ein Kraftfeld aus zustimmenden und ablehnenden Kritiken bestimmt besser.

 

... an Friedrichard und Ronja schreibe ich später, jetzt erst mal raus an die Sonne ... und ich danke noch mal ausdrücklich fürs kritische Feedback, was ja auch eine Form ist, Literatur zu würdigen - und vor allem die Form, von der ich oft am meisten lernte. ich erinnere mich an üble Verrisse meiner Texte, an denen ich wochen- oder monatelang kaute, weil ich die dreist geschrieben und inhaltlich falsch fand. was man halt so denkt, wenn der eigene Text verrissen wird. aber manchmal - das dauert bei mir wesentlich länger, als wenn ich aus Positivem lerne, was aber auch nicht immer geht - haben mich die kritischen Würdigungen und sogar Schmähkritiken am weitestens voran gebracht.

liber Gruß!
Kubus

PS: außerdem habe ich den Eindruck, dass eine oder mehrere kritische Beiträge einen vielgelobten Text wieder erden und es leichter machen, wieder anders über diesen Text zu denken. ich weiß ja nicht wie euch das geht, aber wenn ich früher so hochgelobte Texte gelesen habe, spürte ich so fast einen Sog, entweder in die Begeisterung einzustimmen oder den Text so krass abzulehnen, wie er vorher gefeiert wurde. ist ja auch alles gut und auch der fünfzigste lobende Beitrag kann noch was Neues bringen, auch wenn das selten geschieht. aber fürs Gespräch über Literatur ist so ein Kraftfeld aus zustimmenden und ablehnenden Kritiken bestimmt besser.


Noch mal zur Erklärung: meine Kritik speist sich aus Enttäuschung über den Erzähler, die gewählte Perspektive. In dem Text steckt so viel Substanz und Kraft, sprachlich und inhaltlich. Ich schätze, vor allem meine Erwartungen wurden enttäuscht. Und klar: Kritik spitzt zu, versucht, die wunden Punkte zu berühren, ermöglicht aber einen Prozess. Dafür wortkriegern wir hier.
Vielleicht eine miese Angewohnheit: die Texte der Autoren, von denen ich am meisten lerne, die frische, überraschende Texte produzieren, sich von meinen am stärksten unterscheiden, kritisiere ich manchmal am heftigsten.

Lass die Sonnentage strahlen
liebe Grüße
Isegrims

 

felixreiner

wenn der Text fertig und veräußert ist, verschwindet der Autor. Wie ein Kind im Kindergarten ohne Eltern, muss er in der Begegnung mit dem Leser auf eigenen Beinen stehen und sich behaupten.

ja! relativ selten und umso schöner zu hören, wenn Schreibkollegen das ähnlich sehen und zu praktizieren versuchen. Danke fürs Nachhaken.

Und, nachdem ich die Kommentare und Deine Antworten überflogen habe, ein Satz zur Frage: Why I write? - Es sind die auslaufenden Schiffe, die das Meer hervorbringen..

Und - nachdem dein Satz zu Why I write schon auf den ersten Blick verdächtig sexy wirkte, hat der sich ein, zwei Tage später als gedanklicher Begleiter herausgestellt, der mir einiges gegeben hat und mich auf wahrscheinlich kaum nachvollziehbaren Wegen an Pessoa erinnerte und Segelschiffe, die den Hafen von Lissabon verlassen... Einbäume, Triere, Trireme, Karavellen, Galeonen und die perfekt anmutenden Linienschiffe, mit denen das Zeitalter der Segelschiffe endete ... Schiffe laufen weiterhin aus, aber Dampfschiffe und ihre Nachfahren bringen andere Meere hervor.

ich habe gesehen, dass Du Wittgenstein zitierst. Wittgenstein war Positivist (Die Welt ist alles, was der Fall ist). Genau das ist in Deinem Text nicht der Fall. Was Deinen Text kennzeichnet, ist der Antagonismus von transzendentaler und physischer Realität. Der metaphysische Taumel und der Zusammenprall mit dem Stein, einem der härtesten Materialisierungen der physischen Wirklichkeit.

ich bin Eklektiker und suche mir aus all dem, womit ich mich beschäftige, das heraus, was sich passend anfühlt. und ich finde auch, dass ich alles Recht dazu habe, weil durch die Weiterverarbeitung in meinen Texten etwas Eigenes mit ausreichender Schöpfungshöhe entsteht.
was nicht heißt, dass es mein Wissensstand erlaubt, theoretisch über Wittgenstein diskutieren.

Vielen Dank fürs Nachhaken und die feinen und besonderen Gedanken sowie das kritische Aufzeigen der Causa Wittgenstein.

Gruß
Kubus
Friedrichard

"Ich ist ein anderer. Schlimm genug für das Holz, das als Geige erwacht ..." Eine andere Übersetzung zum Holz zur Frage gewende lautet - gänzlich anders als im Original "Was kann das Holz dafür, dass es als Geige aufwacht?"

das war eine andere Punchline, die sich früh einprägte, mich prägte und auf verschiedene Spuren schickte. die ihre Bedeutsamkeit für mich niemals verlor, sondern mich immer begleitete - stets frisch wie eben erfunden - durch alle Vorstellungsräume, die durch 'Ich ist ein Anderer' überhaupt erst geschaffen wurden. der kurze Satz stand vielleicht am Anfang einer lebenslangen Suche, die mich zwischendurch zu diesem Text Alles ist gut führte. denn was ich Ernst erzählte, dass mich seit Jahren dieses vage, magere Bild - jemand legt über einen Stuhl seine Kleidung für den nächsten Tag, über den anderen seine dazu passende Persönlichkeit - mit einer Hartnäckigkeit beschäftigte, die dem dünnen Material absolut unangemessen war. aber ich hatte doch das Gefühl, dass diese Spur sich lohnt. und war tausendmal sicher, mich darin getäuscht zu haben. zwischendurch - 2016 / '17 - hatte ich mich bereits damit abgefunden, von einem billigen Bild verfolgt zu werden, das sich als Inspiration verstellt und Bedeutung behauptet, ohne dass offensichtlich jemals etwas daraus werden können wird. schließlich aber ist was mit meinen Texten geschehen, das sich für mich nach echter Entwicklung anfühlt und durchaus in diesem Bild und Sentenzen wie Ich ist ein Anderer wurzeln könnte.

ansonsten sind Übertragungen eben so eine Sache. völlig unterschiedliche Bedeutungen. wegen solcher missglückten Transkriptionen hat Sie mir den Rimbaud im Original vorgelesen und mir nur eine Übersetzung aus den 1920er Jahren gegeben, von der sie meinte, das sei die beste der schlechten Übertragungen. nicht weil die Übersetzer so schlecht sind, sondern weil Rimbaud so schwer zu übertragen ist, meinte sie.

und geht es überhaupt, dass alles gut sei, wenn alles durch seinen Gegensatz definiert ist (und geschähe es nur durch die Vorsilbe "un...") Piva taumelt zwischen Grenzen (und wären es Wände/Mauern) und der Titel wird zur beschwichtigenden Aussage der Mutter, die das gebeutelte Kind tröstet mit den Worten "alles wird/ist gut". "Besser" sogar, wenn auch gelegentliche kleinere Korrekturarbeiten - vor allem in der ersten Hälfte - noch vorgenommen würden

kann ich mir auch nicht vorstellen. vielleicht ist für den Titel meine innere Mutter verantwortlich, die mir auf diesem Wege wenigstens etwas Trost zukommen lassen will. freilich vergeblich.

ich bin fest entschlossen, die Korrekturarbeiten an dieser Geschichte an einem anderen Tage anzugehen.
in diesem Faden haben mir schon viele Kommentatoren wichtige Hinweise gegeben und ich will das erstens würdigen und zweitens bin ich auch nicht mehr so gleichgültig gegen alles und will dass diese Geschichte formal so gut wird, wie sie nur sein kann.

Danke fürs erneute Vorbeischauen, liber Friedrichard - herzlicher Gruß!
Ronja

Ernst offshore hat geschrieben, dass man diesem Text nur gerecht wird, wenn man sich der Sprache öffnet. Deine Sprache, deine Bilder sind sehr gut. Daher habe ich die Geschichte auch bis zum Ende gelesen und sicher auch, weil du so überschwängliche Kritiken erhalten hast.

okay! :) weiß gerade nicht, was ich zu deiner Lesemotivation sagen könnte.

Aber wenn ich ganz ehrlich bin, reicht mir persönlich ein schöner Schreibstil nicht, sondern ich hätte mir gewünscht, dass mehr in der Geschichte passiert. Mehr Spannung, mehr Konflikte etc. Ich empfinde es als eine ganz große Kunst, wenn Autoren sowohl Spannung erzeugen können als auch einen wunderbare Schreibe habe. Zeitweise war mir der Text zu langatmig

ich schreibe intutiv, plotte meine Geschichten also nicht durch. trotzdem glaube ich in anderen Geschichten so was wie Spannung aufbauen zu können. dass der Text hier jetzt so sehr anders wurde, als ich meine Schreibe bisher kannte, hat was mit dem Prozess der Entwicklung meiner Schreibe zu tun, der mir folgerichtig erscheint. einer der Punkte, die mir hier selbst auffielen, war vllt das, was du kritisierst: dass ich hier auf alle Elemente verzichte, die ich sonst auch aus Unsicherheit und Werben um den Leser in jeden Text einbaute - ob Spannungselemente, der Versuch besonders krasse Bilder zu erzeugen, geilen Sex und andere positive Räusche ... letztendlich kann ich dazu nur sagen, dass dieser Text absolut nicht das bietet, was du als ganz große Kunst definierst. schöne Schreibe mit Spannung zu verbinden. ich bin zwar der Meinung, dass es hier um mehr geht, als nur meine kultivierte Schriftsprache über den Catwalk der Wortkrieger spazieren zu führen. felixreiner zeigte zum Beispiel, wie sich diese Geschichte auch lesen lässt, wenn der Leser das entsprechende Werkzeug mitbringt, diesen Text durch ihre Lesart erst fertig zu stellen und dadurch in meinen Augen aufzuwerten.

vielleicht ist es einfach eine Geschmacksfrage? :)

Nach den ersten drei Sätzen habe ich verstanden, dass gerade niemand zu Hause war. Die darauffolgenden Sätze können m.E. gestrichen werden. Zudem finde ich zwei unterschiedliche Vergleiche für ein Bild zu viel. Beide passen, aber eins würde ich streichen

kann ich sehr gut verstehen diese Kritik. ich habe auch jahrelang kritisiert, wenn verschiedene Bildebenen durcheinander geworfen werden. ich sehe das auch. zwar schreibe ich meine Texte meist wirklich im Rausch in ein paar Stunden runter und komplett fertig. aber danach lasse ich sie abhängen, bespreche sie mit Vertrauten, hole mir Feedback, und da stehen solche wilden Metaphoriken sowieso immer auf dem Prüfstand. aber während ich viele andere Vorschläge in diesem Text umsetzen werde, kann ich das hier nicht tun. kann sein, das ändert sich auch noch mal. aber momentan will ich auf diese Bilder und was sie hoffentlich vermitteln nicht verzichten.

Mir auch too much. Mir reicht entweder frisch Gehbehinderten oder die kiloschweren Gewichte. Hiervon gibt es noch weitere Beispiele im Text. Ist natürlich Ansichtssache. Hat die anderen Kommentatoren auch nicht gestört.

bei dem Punkt habe ich kurz geschwankt. bleibt wahrscheinlich so. aber das hat mich von deinen Kritikpunkten am ehesten zu denken gegeben.

ich danke dir für deine Zeit und das kritische Beschäftigen mit meinem Text, Ronja. und für das Lob.
Isegrims

Vielleicht eine miese Angewohnheit: die Texte der Autoren, von denen ich am meisten lerne, die frische, überraschende Texte produzieren, sich von meinen am stärksten unterscheiden, kritisiere ich manchmal am heftigsten.

wenn ich mutiger wäre, würde ich mich auch öfter so äußern. ähnliche Impulse spüre ich auch, aber ich habe mir das eigentlich immer verboten, weil ... ich weiß nicht genau. Danke, Isegrims, du bist super.

 

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