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- 21.11.2006
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An Anfang von
„Geschrieben steht: `Im Anfang war das Wort!´
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
und schreib getrost: Im Anfang war die Tat!“ – Goethe, Faust.
Er sitzt ein wenig verträumt dreinblickend in einer Jazz-Kneipe.
„Was würde passieren, wenn ich meinen Arm um Deine Schulter legen würde“, sagte er zu Ihr in der verrauchten, etwas schummerigen Kneipe, `Kulturschuppen´; ein Bier in der Hand und vor sich das synkopisierende Saxophon und neben sich Sie, die wunderschöne, samtzartweiche, strahlende Frau. Zunächst ihn mit ihren feucht-feurigen Augen anlächelnd und an seinen Lippen fast klebend, zumindest jene recht deutlich aufmerksam beobachtend anblickend, verlegte Sie ihren Blick nun abschnittsweise auf den argusbeäugten Eingang und hernach auf allerlei anderweitige Accessoires der dunklen Nacht da draußen. Nach einem sekundenbruchteillangen Blick auf Ihre Uhr schüttelte Sie Ihren wunderbar samtweiß geweißten Kopf, um zu antworten: „Das wäre wohl keine gute Idee“. Er wusste, dass Sie das sagen würde und hatte sich, um nicht in ein larmoyant verlegenes Schweigen ausbrechen zu müssen, eine Replik parat gelegt, fasste sich indes, wie um verlegen zu wirken, mit der linken Hand an den Hinterkopf, während Sie, ihre Beine übereinander kreuzend, mit dem linken Fuß leicht über den Boden streifte. „Und was würde passieren, wenn ich mich auf deine Schulter stützen würde, ungefähr so?“ Natürlich musste er, um seine Ausführung plastischer zu machen und ob der praktischen Erfahrbarkeit seiner Äußerung; um selbiger diesmal ein wenig mehr Nachdruck zu verleihen, seinen linken Arm auf Ihre Schulter stützen und die Jazz-Band spielte Herbie Hancock. Sie drehte sich zu ihm um, ihr dunkles Haar glitt durch die verrauchte Luft und er glaubte, ein winziges Härchen auf seiner Wange zu spüren. „Dann würde ich dir sagen, dass meine Schulter keine Hutablage ist!“, gab Sie empört zurück und senkte Ihre Schulter ein ganz kleines Stück, so dass sein Arm abrutschte, an Ihrer Schulter herunter in Richtung Boden schnellte. Langsam gen Boden gleitend konnte nur ein schneller Griff an die Holzbank verhindern, dass er vornüber, mit der linken Hand zuforderst, auf dem Boden aufschlug. Alles hatte sich so zugetragen.
Als er Sie jedoch, mit beiden Händen fest umklammernd, über die Türschwelle zum Schlafzimmer hebt, besonders schwer ist Sie nicht, es war wohl die Dauer der Belastung, die ihm den Schweiß auf die Stirn treiben ließ - er hat Sie durch die ganze Straße getragen - löst er, das Bett, das helle Federbett vor Augen, langsam eine Hand vom sicheren Griff um Ihre Taille, das Ziel sicher vor Augen; immerhin ist es ihre Hochzeitsnacht, und legt eine Hand, jene Hand, die damals von Ihr so rüpelhaft abgewiesen wurde, lässt das Gewicht dieser Hand langsam auf ihrer Schulter lasten und merkt, wie die Belastung, das Gewicht der Liebe, seiner Liebe zu Ihr, ganz plötzlich leichter zu werden scheint. Federleicht wiegt er Sie, könnte noch stundenlang, tagelang, mit Ihr auf dem Arm und doch nicht auf dem Arm durch das abendsonnenerhellte Berlin schreiten. Doch jetzt, wo Sie plötzlich leicht, unbegreifbar leicht, ja schwerelos ihm erscheinend, in seinem Arm liegt und doch nicht dort liegt, möchte er nicht mehr gehen, möchte fliegen, mit ihr gen Himmel, Abendsonne fliegen, über den Dächern der Stadt und im Licht des Unendlichen. Langsam beginnt eine Hand, die Freie, seinem Blick folgend, Ihr über das Gesicht zu streifen und auch die andere, eben mit ihrer Taille fest verwobene Hand beginnt jetzt, frei geworden, ihrem Torso in zärtlicher Gewohnheit streichelnderweise Aufmerksamkeiten zu vermitteln, welche die Gesetze der Schwerkraft mit einem deutlich vernehmbaren Kopfschütteln registrieren würden. Doch die sind nicht da. Nicht mehr. Seine Hand auf Ihrer Schulter hat die beiden zielsicher zum federkernbekernten Bett manövriert und die Schwerkraft gerät, der Schulterhand und dem tragenden Lattenrost sich gewiss, sofort zu einem Gesetz, das hier seine Gültigkeit zu verlieren scheint. Sie indes genießt seine Aufmerksamkeiten, wirft Ihren Kopf leicht zurück, ihre Haare fallen dabei wallend wellig auf den Saum des Bettes, während Sie, ihre Augen geschlossen haltend, seine Hand noch leicht ihre Schulter zu berühren glaubt. Als er mit seiner Hand über ihre Lippen fliegt, öffnet Sie kurz, sekundenblitzend, Ihre Augen, schaut ihn an,
lächelt,
sekundenlang,
sieht dann
seine Hand, jene, die Sie noch bis gerade auf ihrer Schulter wähnte,
und alsdann…
Sitzt er etwas verträumt dreinblickenblickend in einer Jazz-Kneipe. „Was würde passieren, wenn ich meinen Arm um Deine Schulter legen würde“, fragt er Sie.