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Atemdurst
Vorbemerkung: Entstanden für den Challenge “Mit allen Sinnen”.
Verdursten, denke ich mir, muß eine besonders qualvolle Todesart sein. Finde ich ein besseres Bild, den Zustand zu beschreiben, dem ich mich ausgeliefert glaubte? Auf der Suche nach einem Ort, einer Zeit, einem Gegenüber.
Als du dann kamst, war ich schon gar nicht mehr auf der Suche nach dir. Du bist in mein Leben eingefallen wie das presto agitato aus Beethovens Mondscheinsonate: wie Sechzehntel deine Sprache, wie Triolen deine Rhetorik, dein Geist wie eine komplexe, verspielte, unerbittlich-bestimmte Kadenz. Und dazu dein Lächeln: ein strahlendes, silberwarmes Dur.
Von der Allee in die Querstraße, der unentschlossene Wind peitscht mir meine vorherige Dusche ins Gesicht. Bauchgetrappel treibt meine Schritte voran, voran. Das Treppenhaus empfängt mich mit dem Linoleum der Siebziger im frisch chlorschwangeren Gewand einer Reinigung. Fettverschmiert der Knopf für den Lift, zitternd drücke ich ihn. Er leuchtet matt und gelb und künstlich auf. Aluminumkalt und -rauh der zerkratzte Türgriff, tabakgeräuchert und -gelb die vollgeschmierten Wände. Meine weichen Knie werden vom plötzlichen Schwebflug auf die Probe gestellt, wie Lichtblitze die Stockwerke: zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, immer weiter, bis in die bedrohliche Höhe einer zwanzigsten Etage. Will weiterfliegen, werde gestoppt und stolpere hinaus. Mir wird geöffnet, man kennt mich noch nicht, ich nenne deinen Namen, die mitgebrachte Rose wird beäugt, ich werde eingelassen. Mit einem Prickeln auf den Lippen gehe ich den Flur entlang, mein Mund ganz trocken, meine Ohren taub, Vorfreudenübelkeit im Magen.
Echohallend meine Eile, bis zum Ende des Ganges. An der Tür steht ein Name, ist es deiner? Vorsichtiges Klopfen, mein Atem davor, Schuhquietschen dahinter. Mit einem Schwung bist da du, erfaßt mich ein Schwall Du aus deinem Zimmer. Verlegenheitshitze, bin unentschieden zwischen der Blume und einer Umarmung. Dein verhaltenes, im Versuch zerbrechendes Lächeln erfaßt mich, wir springen uns entgegen: warm und pulsierend ist dein Körper, süßlich kitzeln deine Haare meine Wangen. Hab’ ich dich gefunden? Ertrinken will ich in dir, doch etwas reißt mich los, wir klappen auseinander, diese Speise war zu süß, wir lassen sie zurückgehen.
Am knieniedrigen Tisch knabbern wir Gebackenes, nußhart und schokoladenschmierig, Teeheiß rinnt mir über die Zunge, Geruch einer Sommerwiese. Nervös deine Worte, stumpf ihr Widerhall in mir. Nervös auch meine Antworten, meine ungewollt bitteren Fragen. Sätze schwappen hin und her, dann Stille wie in tiefster Nacht. Krämpfe im Bauch, ich suche in deinem Sphinxgesicht nach Anzeichen einer Wehmut, wie ich sie gerade empfinde. Schmecken die Blicke anders als die Worte? Meine Augen wandern zum Fenster, in der Ferne räkelt sich die bekannte Skyline dieser fremden Stadt in einem dunstverhangenen Mittagsschlaf. In der Luft nur unser Atem, der Puls legt sich auf die Ohren, etwas Warmes, Weiches will mir über die Zunge, über die Lippen kommen, honigsüß und verzweifelt, doch bleibt es mir kloßdick im Hals stecken. Und vielleicht, denke ich, ist Ersticken, wenn auch schneller, doch viel schlimmer. Wo bist du? Warst du je du? Bin des Suchens müde, schaue dich an, du schaust zurück.
Nur an einem Blick sich festhalten, an einem hoffnungsvoll interpretierten Mienenspiel sich entlanghangeln zu dir. Will dir eine Brücke bauen, breit und fest. Der Mittelstein ist noch nicht eingesetzt, da fällt ein „Ach…” aus deinem Mund, zerklirrt am Boden, über Scherben gehe ich ein „Ach…” zu dir. Streckst mir ein gespreiztes „Ja…” entgegen, ich packe zu. Der Hocker fällt teppichdumpf, der Weg um den Tisch ein ziehendes Dauern, von deinen Armen umfangen, ein Schraubstock, der aus mir den Zweifel preßt. Lippennähe, schlingende Bekenntnisse einer unstillbaren Gier.
Wir taumeln, fallen bettweich, leinenwarm. Nestelst am Bund meiner Hose, dein Entkleiden ein Reißen, keine Zeit mehr für verspieltes Necken, nur Entblößen noch, ich folge.
Heißrote Wallung schießt mir in die Wangen, als ich so ganz Ich vor dir ausgebreitet liege. Königinnenstolzer Blick, die Beute beugt sich willig. Von meinen Achseln ströme ich mir entgegen, kaum wahrnehmbar, riechst du mich auch? Berauschst du dich am Geruch meiner Ausgeliefertheit? Gnädig und verletzlich fließt du mir ganz plötzlich entgegen. Wir liegen fröstelnd, engumschlungen. Schutz begehrend unter einer gemeinsamen Decke, händewandernd.
Ganz unscheinbar dein Deuten, doch deutlich genug. Ich beginne den Schlangentanz, der immer tiefer führt und immer tiefer. Über sanfte Hügel, Rast nur auf der Spitze, hungrig knabbernd. Hinab die weiße Ebene, glasglatt, salzig und sommerwarm. Dein Seufzen bedeutet Ankunft, heißt willkommen.
Suche etwas im Drahtfarn, einst im Spiel verloren, bade mich im Duft deiner Blöße. Du sprichst mit mir in fremdartig-vertrauten Lauten, die lauter werden, anschwellen.
Und als ich mich an dich schmiege, finde ich dich endlich: in diesem Lächeln, das mir in den Ohren dröhnt, bist du. Im Zucken eines Körpers; in der Wärme, die du wie Flüssigkeit in mir ausbreitest und dem süßen, stoßweise-schweren Atem, der mir meinen Namen nennt.