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Aus dem Leben eines Koteletts
Ich bin weder wirklich tot noch richtig lebendig, doch es scheint mir, als wäre ich dem Tod wesentlich näher als dem Leben. Mein Herz schlägt zwar, aber keine Seele bewohnt diesen gezüchteten Körper. Das Herz pumpt Blut durch meine Venen, doch ich bin nicht fähig etwas anderes zu empfinden, als den immer gleichen Zustand der grauen Leere.
Ich bin dazu verdammt, als willenloser Beobachter in diesem aufgedunsenen Leib gefangen zu sein und zu warten, bis ich abgeholt werde.
Hätte ich die Wahl, so würde mein Herz auf der Stelle aufhören, zu schlagen. Ich würde alles dafür geben, diesem Dahinvegetieren ein Ende zu setzen - aber ich habe nichts zu geben, denn ich besitze nichts. Und ich verkörpere nicht mehr Wert als den, den ich auf die Waage bringe.
Obwohl das Futter vergiftet ist und grausam schmeckt, fresse ich es mit Hingabe, denn Fressen ist das Einzige, zu dem ich überhaupt fähig bin.
Fressen scheint meine Bestimmung zu sein, denn nur, wer anständig frisst, der wird geholt. Und so fresse ich also mit den zahllosen anderen um die Wette, die wie ich in den Käfigen liegen. Ich fresse mit ihnen so lange es hell ist, und es ist hier eindeutig länger hell als dunkel. Selbst wenn es dunkel ist, fresse ich manchmal weiter, denn diese Leere in mir dehnt sich immer mehr aus. Trotzdem ich weiß, dass ich sie nie zu stillen vermag, so kann ich ihr doch nur entkommen, indem ich weiter fresse.
Ich kann mich in meiner Box nicht mehr bewegen, überhaupt kann ich mich nicht erinnern, je gelaufen zu sein. Und selbst wenn ich jetzt Gelegenheit dazu erhielte, so könnte ich sie nicht mehr wahrnehmen, da mich meine Beine schon lange nicht mehr tragen.
Aber das brauchen sie auch nicht, denn ich komme auch so ans Futter. Und wenn ich nur tapfer genug weiter fresse, so werden sie mich schon bald holen kommen.
Das ist gewiss. Sie kommen jeden holen, der anständig frisst. Ich weiß nicht, wohin sie meine Leidensgenossen bringen, denn niemand, den sie geholt haben, ist je zurückgekehrt. Aber ich weiß, dass es ein besserer Ort als dieser sein muss. Dieses Wissen ist unumstößlich, jeder Ort kann nur besser sein als dieser hier. Das gibt mir stets die Kraft weiter zu fressen, wenn mich jene Leere zu verschlingen droht.
Als sie mich holen kommen, quietsche ich vergnügt. Sie packen mich weitaus gröber, als es nötig gewesen wäre, doch ich wehre mich nicht. Ich wehre mich auch dann noch nicht, als sie mich unsanft durch einen langen Flur schleifen. Seltsame Gerüche beißen in meinen Rüssel, entfesseln grässliche Bilder.
Zum ersten Mal in meinem Leben wird die gähnende Leere in mir mit etwas Anderem als Futter gefüllt.
Angst macht sich in mir breit. Eine unbestimmte Angst, welche die über die Jahre angefressene Zuversicht ins Wanken bringt.
Als ich mich endlich aufbäume, ist es zu spät. Sie halten mich gekonnt in einem Griff, der besagt, dass sie nur auf meine Widerwehr gewartet hatten. Mein plumper fetter Leib, mit Muskeln, die sich nie entfalten konnten, hat den routinierten Händen nichts entgegenzusetzen.
In einer kalten Halle, in der der Gestank mir beinahe die Gesinnung nimmt, reißt man mich plötzlich empor. Ehe ich einen Schrei ausstoßen kann, baumle ich auch schon kopfüber in einer Schlinge, die mein hinteres linkes Bein abschnürt.
Mein panisches Grunzen erstickt in blutigem Röcheln, als mir plötzlich die Kehle aufgerissen wird. Ein langes Messer durchstößt meinen Hals und legt die Gurgel frei.
Ein roter Vorhang schießt an meinen Augen vorüber, nässt mein Gesicht mit falschem Leben. Ein Schmerz, der so grauenhaft ist, dass er meine Wahrnehmung zu verglühen droht, lässt meine Augen trüb werden.
Ich wehre mich nicht länger, ich sehe dem Ausfließen meines Blutes mit Ungeduld entgegen.
Denn ich weiß, dass hinter dem roten Vorhang der bessere Ort auf mich wartet.
* * * * *
„Wie magst du deins, Willy?“, rief der Dicke aus den Rauchschwaden in das fröhliche Gelärme der Gartenparty.
„Schön blutig muss es sein!“, rief Willy zum Grillmeister zurück. „Blutig ist es am Besten!“