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Bachs klassischer Abschied

Seniors
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24.04.2003
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Bachs klassischer Abschied

Der alte Mann war müde geworden.
Langsam schleppte er seinen schlaffen Körper über die Straße. Die Ampel vor ihm war längst wieder auf rot gesprungen. Einige Autos hupten, doch der alte Mann lächelte bloß.
Heute ging ihn die Welt nichts an. Nebensächlich war sie; und verzichtbar.
Mit herunterhängenden Schultern blieb er vor dem kleinen Straßencafe stehen. Erinnerungen kamen auf. Er verdrängte sie. Bald schon sollte er das Cafe wieder so sehen, wie er es immer am liebsten gesehen hatte.
Keuchend schlurfte der alte Mann weiter.
Dann kam die enge Seitengasse, in die er einbiegen musste. Unzählige Müllcontainer standen hier und bildeten einen Hindernisparcours, den er träge meisterte.
Schließlich war das Schild vor ihm.
Hegenbrooks - Filmstudio für Lebenswerkerei
Der kleine Laden befand sich in der ersten Etage. Die Klimaanlage sorgte für angenehme Erfrischung, und die hübsche Frau am Empfang schenkte ihm ein warmes Lächeln.
"Schönen guten Tag", sagte sie.
"Den wünsche ich Ihnen auch", antwortete der alte Mann. - "Kradinzky, ich habe einen Termin."
Die Frau strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sah auf ihren Bildschirm.
"Sie möchten sich Ihren Lebensfilm anfertigen lassen?"
Der alte Mann nickte.
"Ja, sehr gerne sogar."
Die Frau holte ein Formular aus einer Schublade und reichte es ihm.
"Bitte nehmen Sie noch einen Augenblick platz. Sie werden gleich aufgerufen. In der Zwischenzeit füllen Sie dies hier bitte aus. Stifte liegen dort drüben auf dem Beistelltisch."
Er nickte und lächelte schwach.
"In Ordnung, haben Sie vielen Dank."

Die Fragen dienten lediglich der rechtlichen Absicherung. Zur Antwort standen jeweils zwei Kästchen bereit. Eines für ja auf der linken und eines für nein auf der rechten Seite.
Der alte Mann hakte die linken Kästchen vollständig ab. Nur bei der letzten Frage zögerte er kurz.

Sind Sie damit einverstanden, dass bei der Entnahme der Netzhautkamera, und der damit verbundenen Analyse Ihres aufgezeichneten Lebens, sämtliche - auch äußerst private - Szenen eingesehen und für den finalen Schnitt verwendet werden?

Dann hakte er auch hier auf der linken Seite ab und unterschrieb in dem dafür vorgesehenem Feld.

"Sie können jetzt reingehen, wenn Sie fertig sind."
Sich an den Stuhllehnen aufstützend, drängte der alte Mann sich vorfreudig auf die Beine.
"Danke", keuchte er.
"Den Fragebogen können Sie mir geben", sagte die Frau.

Hinter der Tür war ein stickiger Raum mit einem Schreibtisch in der Mitte. Ein rothaariger Mann, der die Arme hinter dem Kopf verschränkt hatte, begrüßte ihn: "Guten Tag, Herr Kradinzky. Paulson heiße ich. Schön, dass Sie hier sind."
Der alte Mann seufzte.
"Irgendwann musste es ja mal soweit kommen."
Paulson stand von seinem Stuhl auf und reichte Kradinzky die Hand.
"Was sagen denn die Ärzte", fragte er, während der alte Mann den Handschlag schlaff erwiderte.
"Nun ja, wissen Sie, es ist eben, wie es ist. Mit den Organen ist alles in Ordnung, aber der Zellverfall ..."
Paulson ließ sich zurück auf seinen Stuhl fallen und tippte etwas in die Tastatur. Dann pfiff er anerkennend.
"Einhundertachtzig Jahre. Ein schönes Alter. Aber ja, den Zellverfall kann man eben doch bloß verlangsamen. Nichts ist für die Ewigkeit."
Kradinzky wandte seinen Blick ab.
"Nein, da haben Sie wohl Recht."
Paulson räusperte sich.
"Nun gut, haben Sie die Liste dabei?"
Der alte Mann zog mit zittrigen Fingern ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche seines Mantels.
"Hier ist sie. All´ die Schlüsselerlebnisse meines Lebens."
Er machte eine kurze Pause, und fügte anschließend hinzu: "Zumindest die, an die ich mich erinnern kann."
Paulson nahm die Liste an sich, warf einen kurzen Blick darauf, und ließ sie in einer Schublade verschwinden.
"In Ordnung", sagte er. - "Legen Sie Wert auf Musik?"
Kradinzky schüttelte den Kopf.
"Nein, ich will alles so wiedererleben, wie es passiert ist, außer ..."
Der rothaarige Mann sah ihn erwartungsvoll an.
"Außer?"
"Dieses eine Mal, mit Marlene. Es ist die Position 20 auf der Liste, das weiß ich ganz genau, weil ich sie mir immer wieder durchgelesen habe. Damals, in dem Straßencafe, in dem wir uns kennen gelernt haben. Da hätte ich gerne ..."
Kradinzky ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und lächelte.
"... da hätte ich gerne Bach. Air on the G String. Leider kenne ich nur den englischen Titel."
Paulson lachte.
"Das sollte kein Problem sein. Mir sagt der Song zwar nichts, aber wir werden ihn finden, und ihn einbauen."
Der alte Mann bekam feuchte Augen.
"Haben Sie vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel."
Paulson strich sich durch die roten Haare und stand erneut vom Stuhl auf.
"Alles klar. Nochmal zur Sicherheit, Sie wünschen sich eine Filmlänge von zwei Wochen, ist das richtig?"
Kradinzky nickte.
"Ja, das ist richtig."
"Okay. Wir werden zirka einen Monat benötigen, und schicken Ihnen den Film dann mitsamt Rechnung per Post zu. Gehen Sie jetzt bitte zu meiner Kollegin am Empfang. Sie wird Ihnen die Netzhautkamera entnehmen. Herr Kradinzky, hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen."
Der alte Mann erwiderte schlaff den Handschlag.


Als er das Studio verließ, ging ihm ein Gedanke durch den Kopf. Die letzten Stunden sollten undokumentiert bleiben. Ein seltsames Gefühl, darum zu wissen, dass nichts mehr aufgezeichnet wurde.
So also ging es zu Ende.

Knarrend öffnete sich die Wohnungstür.
Kradinzky nahm Marlenes Photo und streichelte behutsam darüber.
"Bald werden wir uns wiedersehen, und anschließend komme ich zu dir", sagte er.

 

PLAGIAT! The Final Cut - Dein Tod ist erst der Anfang mit Robin Williams, Mira Sorvino

Wir befinden uns in der nicht mehr allzu entfernten Zukunft. Hier kann das Leben der Menschen durch einen Chip aufgezeichnet werden. Das heisst, alle Bilder, Dialoge, Begegnungen eines Menschen von Geburt bis Tod werden auf einem Chip gespeichert, aus dem dann sogenannte "Cutter" beim Tod der Person einen Film für die Nachwelt erstellen. Eine Art "Best-of"-Film der verblichenen Person.

 

Hallo Dante.
Diesen Film habe ich nicht gesehen.
Die Idee des aufgezeichneten Lebens ist nicht neu, und ich denke nicht, dass meine Geschichte in irgendeiner Weise dem Film ähneln wird, eben deshalb, weil ich ihn nicht gesehen habe.

 

Sind Sie damit einverstanden, dass bei der Entnahme der Netzhautkamera, und der damit verbundenen Analyse Ihres aufgezeichneten Lebens, sämtliche - auch äußerst private - Szenen eingesehen und für den finalen Schnitt verwendet werden?
Das wundert mich über alle Maßen. Denn genau darum geht es in dem Film. :susp: Gut, kein Plagiat, dann kommst du halt einfach nur 3 Monate zu spät. Schau ihn dir an, der Film ist geil! :)

Liebe Grüße

Der Dante

 

Hi Cerberus,

Leider muss ich dir hier vorwerfen, dass du keine Geschichte erzählst. Da steht für mich nur die Idee, dass ein Leben aufgezeichnet wird.
Aber wozu?
Es ist für ihn doch egal. Oder habe ich die Geschichte nicht verstanden?
Für mich sah es jedenfalls nach einer Einleitung aus, nachdem das ganze (Der Lebensfilm) beginnt.

Bald werden wir uns wiedersehen, und anschließend komme ich zu dir", sagte er
Was heißt: anschließend komme ich zu dir. Ist das nicht die gleiche Aussage, wie "bald werden wir uns wiedersehen"?
Gruß
Bernhard

 

Hi Cerb

Ich machs mal recht kurz weils stilistisch nicht viel zu kritisieren gibt:
Hat mir gut gefallen. Solide Umsetzung eines interessanten Themas, das aber noch bessere Möglichkeiten bietet.
Ich kenne zwar den Titel aber den Film selber nicht, dessen Plagiat zu sein Dante deine Geschichte bezichtigt (Boah, Deutsch ist doch ne geile Sprache oder :D)

Wie gesagt, solide Umsetzung. Ohne große Höhepunkte, Spannungshochs oder -tiefs. Kann man ja durchaus so machen, aber dann sollte wenigstens das Ende mE einen wirklichen Kracher aufweisen. Gibts hier aber leider nicht. Ist doch schon ganz schön vorhersehbar.

Einen kleine Textstellenbemerkung noch:

Keuchend schlurfte der alte Mann weiter.
Spätestens hier nervte mich diese Titulierung bereits. Warum gibst du ihm da nicht schon seinen richtigen Namen?

Ansonsten: Fands ganz gut für dein SciFi-Erstling(war's doch oder?). Bist hier immer gern gesehen :)


Gruß
Hagen

PS: T Minus 9 Postings

 

Hi Cerberus81!

Finde die Idee nicht schlecht, aber irgendwie fehlt der Geschichte eine wirkliche Handlung...
Im Übrigen ist mir der Filmm auch völlig unbekannt... du bist also nicht allein. :)

Könntest du mir vielleicht erklären, was das ganze mit Bach zu tun hat?

An deinem Stil gibt es nichts zu kritisieren! Also mach in der Hinsicht auf jeden Fall weiter so!

Liebe Grüße
Takhisis

 

Salute!
Ein interessanter Titel, ein guter Anfangssatz, das reichte, um mich für die Geschichte zu interessieren. Stilistisch solide umgesetzt, gut gefiel mir diese Stelle: Die Klimaanlage sorgte für angenehme Erfrischung, und die hübsche Frau am Empfang schenkte ihm ein warmes Lächeln..
Und die Handlung - nun, ich kenne den Film nicht, finde aber, dass die Idee nicht so abgedreht ist, dass man nicht von unabhängig davon draufkommen könnte.
Der Einstieg, übrigens, ist interessant, weil er den Leser verwirrt: "Warum SciFi? Wirkt doch alles sehr normal."
Mit der Erwähnung des Filmstudios hoffte ich schon auf ein wenig Surrealismus, aber leider kam der nicht. Stattdessen also kommt die SciFi.
Gut, das ist der Faden, den du spinnst, er erscheint angesichts der Reduktion auf die Cafészene ein wenig dünn, hält aber.
Nette Idee mit dem biblischen Alter des Protagonisten, allersdings hier Verwirrung ob des Kontexts:
Aber ja, den Zellverfall kann man eben doch bloß verlangsamen. Nichts ist für die Ewigkeit."
Kradinzky wandte seinen Blick ab.
"Nein, da haben Sie wohl Recht."

"Ja"-"nichts"-"nein"-"haben Recht", das ist unglücklich formuliert und lässt straucheln!
Warum es grad der englische Titel ist, tut mE nichts zur Sache, darum überflüssig. Hier übrigens kannst du ein "ihn" streichen:
Mir sagt der Song zwar nichts, aber wir werden ihn finden, und ihn einbauen."
Also, zusammenfassend: sprachlich ordentlich umgesetzt, nettes Spiel mit der Zeit, die Kernidee (Marlene) ein wenig dünn.
Soweit meine Meinung zum Text.
Gern gelesen!
...para

 

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