Begegnungen
Begegnungen
Oder:
Weihnachten im Monopolkapitalismus
Oder:
Weihnachten im Monopolkapitalismus
„Warum die Weihnachtsmütze?“
„Ich mag Weihnachten.“
„Es ist Juli.“
„Und?“
„Es ist noch lange hin bis Weihnachten.“
„Ein Grund mehr, die Vorfreude zu schüren.“
„Es ist unpassend.“
„Warum?“
„Es ist Sommer, Weihnachten dagegen ist ein Winterfest.“
„Auf der Südhalbkugel wird Weihnachten im Sommer gefeiert.“
„Wir sind nicht auf der Südhalbkugel.“
„Das ändert nichts am Prinzip.“
„Ist Ihnen nicht schrecklich warm unter dieser Mütze?“
„Sie ist atmungsaktiv.“
„Ist der Kunstfaserkontakt auf die Dauer nicht gesundheitsschädlich?“
„Einhundert Prozent ökologisch nachhaltige fair-trade-Baumwolle.“
„Es sieht lächerlich aus.“
„Warum?“
„Weil es unpassend ist.“
„Warum?“
„Weil Juli ist.“
„Und?“
„Es ist noch soooo lange hin bis Weihnachten.“
„Na und? Man trägt diese Mützen nicht nur zu Weihnachten, sondern auch in der Vorweihnachtszeit.“
„Vorweihnachtszeit? Die beginnt frühestens am ersten Advent.“
„Wer sagt das?“
„Ich.“
„Und woher nehmen Sie die Legitimation, der Menschheit den Beginn der Vorweihnachtszeit diktieren zu dürfen?“
„Ich…“
„Ja?“
„Ich war auf der Uni.“
„Und weiter?“
„Nichts.“
„Aha. Und so einer vermiest einem dann Weihnachten.“
„Es ist nicht Weihnachten!“
„Technisch betrachtet befinden wir uns in einem interweihnachtlichen Zwischenzyklus, der gleichermaßen präweihnachtliche wie postweihnachtliche Charakteristika aufweist.“
„Beides heißt aber, dass nicht Weihnachten ist!“
„Es heißt nur, dass wir uns zwischen zwei Weihnachtsfesten befinden. Es kann also nicht schaden, eine Weihnachtsmütze zu tragen, denn das nächste Weihnachten kommt bestimmt.“
„Dann könnte man auch bei jedem Wetter mit einem Regenschirm herumlaufen.“
„Gute Idee eigentlich, aber die Auswirkungen eines Regenschauers sind längst nicht so gravierend wie die eines Weihnachtsfestes.“
„Welche da wären?“
„Umsatzsteigerungen im Einzelhandel im zweistelligen Prozentbereich, spontaner Kahlschlag in Fichtenschonungen mit Folgen für den Lebensraum von Borkenkäfern und anderen Nadelwaldbewohnern, erhöhter Absatz von Süßwaren in Korrelation mit erhöhtem Risiko, an Diabetes oder Arteriosklerose zu erkranken, sowie die sich daraus ergebenden Folgen für unser Gesundheitssystem.“
„Inwiefern hilft das Tragen einer Weihnachtsmütze?“
„Es hilft einem, nicht verrückt zu werden. Außerdem hält es den Kopf warm.“
„Es ist aber doch Juli.“
„Trotzdem sollte man eine tragen. Man ist dann vorbereitet.“
„Im Juli?“
„Sie haben Nerven, Mann! Es ist nicht abzusehen, wann das nächste Weihnachtsfest über uns hereinbricht!“
„Doch, in ziemlich genau einem halben Jahr.“
„Das mag man aufgrund der kalendarischen Interdependenzen und der Konsekutivität der letzten Jahrzehnte vermuten, aber sicher sein kann man sich nicht.“
„Was sollte das Datum für Weihnachten verschieben?“
„Eine Kalenderreform – der Schrecken eines jeden rechtschaffenen Bürgers.“
„Warum sollte man den Kalender ändern? Never change a running system.“
„Das sollte man denken. Aber in letzter Zeit ist alles reformiert worden: Gesundheitssystem, Bildungssystem, Rundfunkgebühren, Rechtschreibung, Währung. Der Kalender fehlt noch.“
„Soll das heißen…?“
„Jawohl! Schon morgen könnte Weihnachten sein! Und niemand kann es aufhalten!“
„Dann brauche ich auch so eine Mütze! Sofort!“
„Gute Entscheidung. Ich habe noch welche übrig, für zehn neunundneunzig das Stück!“
„Das ist recht teuer für eine Weihnachtsmütze.“
„Vielleicht, aber versuchen Sie mal, im Juli eine Weihnachtsmütze aufzutreiben!“