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Berlin im August
In diesem cremefarbenen Ledersessel saß vielleicht schon Churchill, was genaugenommen unspektakulär wäre, denn jetzt machte ich es mir darin bequem.
Sophia Loren war im Hotel. Sie sei zum Auftakt des neuen Filmes „Treffpunkt Todesbrücke“ nach Berlin gekommen, raunte mir Sam, der Hotelpage, zu.
Ich hatte im Lotto gewonnen.
32.427,50 DM.
Dafür gönnte ich mir fünf Tage extravagantes Leben im Kempinski - und ein neues Sofa. Der Rest kam aufs Konto für die Rente, wenn ich auch noch 35 Jahre darauf warten musste. Das einzige, was ich vermisste, war eine Frau.
Die Loren habe ich nicht gesehen, dafür kletterte Chelsea in mein Leben. Mir fiel die Reval aus den Fingern, als sie aus dem Badezimmer huschte.
„Hey, Moooment, wo kommst du denn her? Das ist ja nicht zu fassen!“ Mit ihrer orangefarbenen Trainingshose gehörte sie eindeutig nicht zum Personal.
„Von drüben.“ Ihr Kopf deutete irgendwohin.
„Aha. Was heißt das?“
„Na, aus‘m Fenster die Brüstung lang zu deinem Fenster. Konnt‘ mich ja gut an dem Eisengitter festhalten, wa.“
„Und wieso bist du nicht einfach durch den Gang?“
„Pssttt, nicht so laut … ich bin gar nicht hier. Also nicht dort. Ich musste dringend kurz weg. Kann ich bei dir bleiben?“
Sie meinte es sicher nicht so, wie ich es gerne hätte. Vor mir stand eine Mischung aus Jane Birkin und Isabelle Adjani. Und ein Hauch Pippi Langstrumpf, einfach wegen der Zahnlücke. Dann noch lockiges, braunes Haar, das in alle Richtungen sprang. Weil es so heiß war in diesen Augusttagen, hatte sie außer der weiten Sporthose nur noch ein Trägerhemdchen an. Ihr Körper war durchtrainiert, alle Achtung.
„Sucht dich jemand?“
„Kann ich bleiben?“
„Bist du in Schwierigkeiten?“
„Ja oder Nein?“
„Kann ich in Schwierigkeiten kommen?“
„Also nein?“
„Nein, ja doch, ja.
„Ja, was jetzt: Also ja?“
„Ja.“
„Komm, steh nicht so rum. Das Sofa ist bequem.“
„Danke.“
„Was machst du so, wenn du grade nicht auf Dächern rumkletterst?“
„Sport. Leichtathletik.“
„Und arbeiten?“
„Das ist meine Arbeit. Ich bereite mich auf die Olympischen Spiele vor. In Montreal war meine Leistung im Mittelfeld. Aus Moskau bringe ich eine Medaille mit.“
„Hey, du bist so gut? Ich kann mir das grade gar nicht vorstellen.“
„Stells dir lieber nicht vor, das Trainieren ist hart. Kaum Zeit für anderes.“
„Ich bin Michi. Und du?“
„Chelsea. Oder eigentlich Kathleen. Sag Chelsea.“
Ihr Lächeln war so breit wie das von Jane Fonda. Trotz ihres Ehrgeizes schien sie eine Weichheit zu haben, die mir das Herz öffnete. Für dieses Grün in den Augen konnte ich kein Wie finden. Noch verstand ich nicht, wieso sie so riskant über das Dach geklettert war. Aber ich mochte auch nicht penetrant sein.
Ich brauche dringend einen Schluck zu trinken. In der Bar fand ich einen gekühlten Riesling.
„Was kann ich dir anbieten?“
„Ach, ich würde so gerne einmal richtigen Champagner trinken, bei uns gibt es immer nur ...“
„Kein Problem. Ich rufe den Zimmerservice.“
Sie war gerade auf dem Weg ins Bad, als Sam kam und noch einen kurzen Blick auf sie erhaschte. Er nahm mich zur Seite.
„Entschuldigen Sie bitte, ich als Hausangestellter bin normalerweise nicht befugt, mit Ihnen über Dinge zu sprechen, die über den Servicebereich hinausgehen. Aber ich fühle mich verpflichtet, Ihnen etwas zu sagen. Es geht um die Dame, die in Ihrer Suite auf Besuch ist. Sie ist in einer abgetrennten Suite untergebracht und dürfte keinen Kontakt mit anderen Gästen haben. Das könnte Probleme geben.“
„Wieso? Was ist mir ihr?“ Sein Gesichtsausdruck war geheimnisvoll und er wog ab, ob er noch weitererzählen sollte. Ich griff nach meiner Geldbörse und zog 20 Mark heraus, die ich in seiner Brusttasche verschwinden ließ.
„Von drüben.“
„Ja, das weiß ich. “
„Stasi. BND. Keiner weiß so recht.“
Ich schluckte. Von drüben, na klar, ich Depp. „Keiner weiß so recht, aha.“ Ich zog nochmal einen Zehner aus der Geldbörse und stopfte ihn zu dem Zwanziger.
„Ich würde mich da nicht einmischen.“
Das wollte ich jetzt nicht hören. Aber es klang gefährlich. Vielleicht ist sie eine Doppelagentin?
„Haben Sie noch einen Wunsch?“
„Nein, danke schön. Später vielleicht.“
Chelsea kam mit etwas gebändigterem Haar aus dem Badezimmer zurück.
„Ick freu mir so uff den Schampus!“
„Schön, wie dein Berlinerisch durchkommt.“
„Eigentlich möchte ich mir das abgewöhnen. Soll doch nicht jeder hören, wo ich herkomme.“
„Wo kommst du denn her?“
„Na, aus Berlin eben!“
„Berlin ist groß.“
„Ach komm, das ist doch unwichtig, lass‘ uns anstoßen.“
Wir setzten uns auf dem riesigen Sofa gegenüber, jeder eine Armlehne im Rücken, die Füße fast ausgestreckt und die Gläser in der Hand. Der Champagner lockerte Chelseas Beine, die wie zufällig immer wieder meine berührten. Ich zielte mit meinen Fußsohlen auf ihre. Sie lächelte mich spitzbübisch an und drückte mich mit immenser Kraft in die Lehne. Meine Beine gaben nach.
„Okay, okay, ich habe keine Chance.“
„Aber du hättest Chancen auf einen Kuss.“ Ihre Wangen leuchteten, die Augen lockten.
„Ohlala, du bist nicht nur auf der Tartanbahn schnell.“
„Wenn du dich nicht wehrst, willst du das auch.“ Kaum ausgesprochen, saß Chelsea auf meinem Schoß, wühlte in meinem Haar und strich mit den Fingerspitzen über die Koteletten. Ich war scharf auf sie und zog ihren Kopf zu mir her.
Ein lautstarkes Klopfen riss uns aus diesem wunderbaren Moment.
„Herr Weber, ich bin es, Sam.“
"Jetzt nicht!“
Chelsea flüsterte ich zu: „Wieso muss DER jetzt grade kommen? Ist ja ein netter Kerl, aber ich habe doch viel Besseres zu tun ...“ Ich küsste sie forsch auf den Mund und sie reagierte.
„Ich bitte Sie, wenn es nicht äußerst dringend wäre, würde ich nicht persönlich hier anklopfen. Herr Weber, bitte öffnen Sie die Türe.“
Vielleicht hatte sein Gezeter mit Chelsea zu tun? Mir blieb wohl nichts anderes übrig.
„Bin gleich wieder bei dir.“ Ich küsste sie sanft auf die Wange und rutschte unwillig vom Sofa.
„Ich komme, Sam!“
Mir war es etwas mulmig geworden, bis ich an der Tür war. Sam stand gehetzt und mit unordentlicher Frisur vor mir.
„Sie müssen Ihren Gast wegschicken. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass in wenigen Minuten das Hotelzimmer von ihr gestürmt werden soll. Wenn sie nicht da ist, durchsuchen sie garantiert das ganze Hotel.“
„Aber was ist denn? Ich möchte das jetzt wissen!“
„Herr Weber, fragen Sie nicht. Retten Sie Ihre Haut.“
„Was ist denn los?“ Chelsea kam neugierig zur Tür.
„Frau Uhlig, schauen Sie, dass Sie wegkommen.“
„Wie?“
„Sie sind ein Maulwurf, seien wir mal direkt und wenn Sie jetzt nicht Zunder geben, ist die Polizei hier.“
„Ohh … danke. Vielleicht kann ich das irgendwann einmal gutmachen.“
„Michi, es tut mir leid.“ Sie drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und war schon um die Ecke.
Sam lehnte sich an die Flurwand. Er schien sichtlich mitgenommen.
Die Hitze tat ihr übriges. Wir hatten sicher um die 27 Grad, wenn nicht noch mehr.
„Kommen Sie, ich lade Sie auf ein Glas Schampus ein, das können Sie doch jetzt gebrauchen, dann muss ich meinen Riesling nicht alleine trinken.“
Sam kam ohne Zögern mit mir in die Suite. Ich schenkte ihm ein volles Glas kalten Champagner ein und wir stießen auf nichts an. Er ließ sich auf das Sofa plumpsen und ich rekelte mich auf dem Ledersessel.
„Sam, war Churchill eigentlich auch schon mal hier im Hotel?“
„Ja, oft. Aber auf dem Sessel lag immer sein Hund.“