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Bonifatius Hümpel

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19.08.2003
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Bonifatius Hümpel

Bonifatius Hümpel

Als Kind habe ich in einem kleinen Dorf im Münsterland gelebt. Meine Eltern hatten dort ein Geschäft, in dem es alles Mögliche zu kaufen gab. Im Sortiment waren Lebensmittel genau so wie Nägel, Gläser, Nähgarn oder Schulhefte. Wenn mein Vater gefragt wurde, was er beruflich mache, antwortete er stets: ‚Ich haben einen Kramladen.’
Es war eine schöne Zeit für mich. Denke ich zurück, habe ich noch immer den Duft von frisch gemähtem Heu, von abgebrannten Stoppelfeldern und dem nahen Kiefernwald in der Nase. Der Herr Kaplan steckte mir stets nach dem Sonntagsgottesdienst ein Bonbon zu, heimlich, damit es mein Vater nicht merkte, der Süßigkeiten zum größten Feind der Zähne erklärt hatte.
Bernhardt, Tinka und Kristine waren meine besten Freunde, mit denen ich viele Abenteuer erlebt habe. Bernhardt war ein Jahr älter als ich, und Tinka, die eigentlich Katharina hieß, ging mit mir in die gleiche Schulklasse und wohnte schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Ihr Vater war der Dorfbäcker. Bernhardt war ein kräftiger Junge mit Pausbacken, strohblonden Haaren und verschmitzt blinzelnden Augen. Obwohl er damals erst neun Jahre alt war, fuhr er schon den Traktor seines Vaters und half auf dem Bauernhof. Kristine war die Tochter unseres Postboten.
An vieles von dem, was wir damals erlebten, kann ich mich nicht mehr genau erinnern, doch jedes Jahr zur Weihnachtszeit kommt mir ein abenteuerliches Erlebnis aus dieser Zeit in den Sinn.

Am Rande des Waldes, außerhalb des Dorfes, umgeben von saftig grünen Wiesen, gab es ein kleines Fachwerkhaus mit einer Scheune und einem Stall. Dort lebte ein alter Mann mit dem Namen Bonifatius Hümpel. Um ihn rankten sich viele seltsame Geschichten. Er sollte gar keiner aus unserer Gegend sein, nicht einmal aus Deutschland, denn er hätte eine komische Sprache. Kristines Vater, der einmal einen Brief zu ihm gebracht hatte, erzählte, wie eigenartig der Mann aussehen würde. Lange zottelige Haare hätte er und einen bis auf seine Brust reichenden Vollbart. Über einer Hose aus Leder, die bis kurz unter die Knie reichte, hätte er eine beige Strickjacke mit metallenen Knöpfen getragen. An seinen ebenfalls gestrickten Kniestrümpfen wären bunte Bommeln an geflochtenen Fäden angenäht gewesen.
Er würde Nachts durch den Wald streifen, hieß es, und seine Scheune sei vollgestopft mit den merkwürdigsten Sachen. Das Schlimmste war aber für mich, und ließ mir nur bei dem Gedanken daran einen Schauer über den Rücken laufen, dass er Kinder fangen und an Zigeuner verkaufen würde.

Es war der erste Tag der Weihnachtsferien, und in der Nacht hatte es ordentlich geschneit. Schon früh waren die Kinder des Dorfes draußen, bauten Schneemänner, schlidderten über vereiste Flächen oder zogen auf ihren Schlitten Freunde, Bruder, Schwester oder ihren Hund die Straße auf und ab. Alles blieb friedlich, bis – ja, bis einer den ersten Schneeball warf. Im Nu hatte sich eine richtige Schneeballschlacht entwickelt. Bernhardt, Tinka, Kristine und ich hatten es mit meinem Vetter Franz und seinen Freunden zu tun, die in der Überzahl waren. Wir hatten keine Chance gegen sie, wir mussten zurückweichen. Sie trieben uns aus dem Dorf hinaus in Richtung Wald. Wir wollten aufgeben, hörten selber auf zu werfen, doch immer stärker trafen uns die Schneeballgeschosse unserer Gegner. Zum Schluss gab es keinen anderen Ausweg, wir liefen in den Wald hinein. Obwohl wir schon einige Zeit nichts mehr von unseren Verfolgern bemerkten, liefen wir weiter und erreichten den Waldrand auf der anderen Seite.
„Oh je, das Haus vom Kinderfänger!“, entfuhr es Kristine. Abrupt war sie stehen geblieben. Bernhard, der ihr unmittelbar gefolgt war, konnte seinen Lauf nicht rechtzeitig bremsen und schubste Kristine an. Die fiel bäuchlings in den Schnee, während Bernhard, Arme und Beine hoch in die Luft gestreckt, halb auf dem Po, halb auf dem Rücken den Hang hinunter zum Bach rutschte. Obwohl auch ich Angst hatte, musste ich laut lachen. Auch Tinka, die zunächst nur hinter vorgehaltener Hand gekichert hatte, platzte heraus.
Bernhards unfreiwillige Rutschpartie endete unter einem der Büsche, die am Ufer des Baches wuchsen. Er rappelte sich auf, schlug sich den Schnee von den Kleidern und winkte uns fröhlich zu.
„Glück gehabt“, lachte Tinka, und sie hatte es noch nicht ganz ausgesprochen da strauchelte Bernhardt erneut, glitt ab und stürzte zwischen zwei Büschen hindurch ins Wasser. Wir drei waren starr vor Schreck, doch es kam noch schlimmer.
Wie aus dem Nichts war ein mächtiger Riese am Bach aufgetaucht, hatte sich durch die Büsche gezwängt, war mit einem Bein in den Bach gestiegen, stützte sich mit dem anderen an der Uferböschung ab, beugte sich nach vorne und griff nach unten. Als er sich wieder aufrichtete, zappelte triefend Bernhardt an seinem ausgestreckten Arm. Der Riese hatte ihn am Hosenbund gegriffen und stieg mit ihm die Böschung hinauf.
„Mann, hat der eine Kraft!“, kam es von Tinka voller Bewunderung.
„Oh, oh“, jammerte dagegen Kristine, „das ist bestimmt der Hümpel. Ich laufe schnell nach Hause und hole Hilfe!“
Doch sie blieb stehen und starrte wie ich gebannt auf das, was sich unten weiter abspielte.
Der Riese hatte Bernhardt auf die Beine gestellt, einen Arm um dessen Schultern gelegt und sich zu ihm hinab gebeugt. Wieder fiel Bernhardt unerwartet hin. Hatte der Mann ihn nach vorne gestoßen? Nein, als Bernhardt sich mit Mühe erneut aufgerappelt hatte, erkannten wir den Grund. Seine Hose war herunter gerutscht und zappelnd zog er sie nun hoch.
„Kommt, lasst, lasst uns Hilfe holen“, stotterte Kristine und wollte sich umdrehen.
Tinka griff sie sofort am Arm und sagte: „Bleib hier, du weißt wie streng Bernhardts Papa ist, der bekommt furchtbaren Ärger.“
„Was können wir denn machen?“, fragte ich.
Das war für Tinka keine Frage. Sie war schon immer die Mutigste von uns allen gewesen.
„Wir gehen da runter und helfen Bernhardt. Und wenn ihr nicht wollt, gehe ich alleine!“, sagte sie mit fester Stimme.
Ich glaube, Kristine ging es so wie mir. Zu diesem unheimlichen Haus gehen wollte ich nicht, aber andererseits auch nicht alleine am Waldrand zurückbleiben. So schlidderten wir vorsichtig den Hang hinunter und gingen zum Steg, der über den Bach führte. Wir wagten nicht auch nur ein Wort zu sagen, bis wir vor dem Haus angekommen waren. Dort sah ich Tinka fragend an, und flüsterte: „Du willst doch da nicht rein oder?“
Bevor sie antworten konnte, wurde die Haustür geöffnet und wir hörten eine laute, tiefe Stimme, die uns aufforderte einzutreten. Tinka steckte als erste ihre Nase durch den Türrahmen, dann folgten wir zwei. Es war wohlig warm und roch nach Kuchen und Plätzchen. Bernhardt hockte in eine Decke eingewickelt vor einem offenen Kamin, seine Kleidung war an einer Schnur darüber aufgehängt.
„Setzt euch ans Feuer“, sagte der Riese freundlich lächelnd, der mit einer Schachtel in der Hand das Zimmer betrat.
Die Schachtel, die randvoll mit Spritzgebäck war, stellte er vor uns hin und sagte: „Nehmt von den Keksen, habe ich frisch gebacken. Gleich habe ich noch warme Milch für euch, ihr müsst richtig durchgefroren sein.“
Die Zeit bis Bernhardts Kleidung trocken war verging wie im Fluge. Opa Bonifatius – er hatte uns erlaubt ihn so zu nennen – erzählte von seinem Sohn, der nach Australien ausgewandert war, dass dieser ihm einen Brief geschrieben und angekündigt hatte, ihn zu Weihnachten zu besuchen. Wir erfuhren, dass er seit acht Jahren alleine hier lebte und aus Österreich kam, einem wunderschönen Land mit hohen Bergen und seine Kleidung dort ganz normal sei. Während er erzählte, nähte er an Bernhardts Hose einen neuen Knopf an. Es war ein besonderer Knopf, den der alte Mann selbst aus dem Horn eines Hirschen geschnitzt hatte.
Da es schon am frühen Nachmittag sehr dämmerig war, begleitete er uns auf dem Weg zurück bis an die Dorfgrenze. Dort verabschiedeten wir uns mit dem Versprechen ihn bald zu besuchen.
Daraus ist jedoch nie etwas geworden, denn sein Sohn, der wenige Tage später eintraf, hat ihn mit nach Australien genommen.

...und noch etwas. Bernhardt ist heute der Bauer auf dem Hof und in seinem Wohnzimmer, hinter dem Sofa, hängt an der Wand ein kleiner Glasrahmen mit dem Knopf darin, den Opa Bonifatius damals angenäht hatte.

 

Hallo Jadro

ich bin`s Luis! Grad eben hat mein Papi mir deine neue Geschichte vorgelesen. Ich konnt es nicht erwarten, als er sagte dass du wieder was geschrieben hast. Es is immer ganz spannend, wenn ich auf Papi`s Schoß sitzen darf, von dem Computer. Wir wohnen auch auf einem Dorf, aber haben keinen Riesen hier. Wo ich aber auch so was mal gesehen hab, war in Südtirol, der hat genauso wie deiner ausgesehen. Lange Haare, mordsmäßig langen Bart und ganz viele schwarze Zähne, manche ham sogar gefehlt, wie bei Daniel, meinem Freund, dem fallen sie auch grad alle aus. Das kommt vom vielen Naschen, sagt Paps. Mach ich nich. Ein bißchen hab ich Angst gekriegt, da wo der Riese nach dem Bub gelangt hat, der will den verkaufen, hab ich gedacht. Ich wär nich so mutig wie die anderen, ich wär nich ins Haus rein, sonst schnappt er mich auch noch. Papi wär doch ganz allein dann. Verstehste gell?
Papi hat ganz kurz mal nich weitererzählt, da:


Wie aus dem Nichts war ein wahrer Riese am Bach aufgetaucht

da hat er gesagt,

Wie aus dem Nichts war ein mächtiger Riese am Bach aufgetaucht.

hört sich vielleicht auch nicht schlecht an, gell?
Daß deine Geschichte dann doch noch gut ausgegangen ist, da war ich aber froh. Heut Nacht träum ich vielleicht davon, wär schön. Also Papi sagt, dass ich jetzt ins Bett muß, sonst liest er mir nichts mehr von dir vor. Ich mach ganz schnell. Tschüss und Gut Nacht Kindergschichtenschreiber bis bald.

Luis und Morpheus

 

Hallo Luis (und Morpheus),
da du gestern abend sicher schon geschlafen hast, werden dir Mama oder Papa dieses sicher heute vorlesen. Es macht mich richtig stolz, dass dir meine Geschichten so gut gefallen. Darum fange ich jetzt noch eine neue an, und die schreibe ich ganz besonders für dich. Sie handelt von einem kleinen Jungen wie du es bist, dessen Mut seine Grenzen hat, der aber ein großes Herz hat.
Liebe Grüße
Dein Kindergeschichtenschreiber

Hallo Morpheus, hast Recht! 'Ein wahrer Riese' klingt etwas 'altfränkisch' und ist für Kinder von heute wohl nicht verständlich - werde es ändern.
Danke und einen lieben Gruß aus Hamburg

Jochen

 

Hallo Jadro,

wieder eine nette Geschichte, wenn mir auch andere Deiner Kindergeschichten schon besser gefallen haben. Ich glaube, das kommt daher, dass diesmal alles sehr vorhersehbar ist, zumindest für mich, als Erwachsene. Als Du beschriebst, wie Bonifatius Hümpel (wunderbarer Name!) mit Vorurteilen überzogen wird (Kinderfänger, verkauft Kinder an die Zigeuner), da dachte ich schon, dass er sich wahrscheinlich als guter Mensch herausstellen wird. Möglicherweise geht es aber nur erwachsenen Menschen so, weil wir solche Geschichten natürlich auch schon oft selber erlebt haben?

Ansonsten hast Du viele nette Details verarbeitet. Z.B. gefiel mir, wie Du das Äußere von Bonifatius beschriebst, seine Kleidung und sein Haar - man konnte ihn sich sehr gut vorstellen.

Sehr hübsch ist auch der Schluss, wo Bernhardt den Knopf hinter Glas aufbewahrt.

Natürlich sind mir wieder ein paar Kleinigkeiten aufgefallen:

Du sprichst im ersten Satz von einem jungen Mädchen - da denke ich an eine Sechzehn- oder Siebzehnjährige. Später stellt sich heraus, dass die Kinder so um die neun Jahre sind, deshalb würde ich zu Beginn "kleines Mädchen" oder "als Kind" schreiben.

"erzählte, wie eigenartig der (sehr umgangssprachlich - ich würde "er" statt "der" schreiben) aussehen würde."

Manchmal schreibst Du "Kristine" manchmal "Christine", vielleicht kannst Du das noch überprüfen?

"„Was können wir den (denn) machen?“, fragte ich."


"denn sein Sohn (Komma!) der wenige Tage später eintraf, hat ihn mit "

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara!
Danke für deine Korrekturhinweise. Diese Geschichte ist, da stimme ich dir zu, recht vordergründig und von der Idee her nicht neu - Es war halt nur eine Übung! :rolleyes:

Liebe Grüße
Jochen

 

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