Daniel verreist
Aufgeregt rutscht Daniel auf dem Stuhl hin und her. Er soll heute verreisen, allein, das heißt ohne seine Eltern. Papa muss zu einem Kongress nach Paris, und Mama will ihn begleiten. Daniel weiß nicht so genau, was ein Kongress ist. Mama hat ihm erklärt, dass dort die Leute ganz viel und ganz lange reden und dass es für einen vierjährigen Jungen furchtbar langweilig ist. Deshalb haben sie beschlossen, dass Daniels Großeltern ihn für die drei Tage zu sich holen.
Daniel hat schon den ganzen Vormittag darauf gewartet, dass Oma und Opa endlich kommen. Immer wieder ist er in den Vorgarten an den Zaun gelaufen und hat nach ihrem roten Auto Ausschau gehalten. Aber erst kurz vor Mittag sind die Großeltern angekommen.
Dann gibt es natürlich erst einmal Mittagessen, Gulasch mit Nudeln und Salat und hinterher Schokoladenpudding. Das mag Daniel gern, und er hat auch großen Hunger. Aber er will ja, dass seine Reise endlich losgeht, und deshalb beeilt er sich mit dem Essen. „Nun schling doch nicht so“, sagt Mama, „das ist ungesund“. Es hilft Daniel auch gar nichts, denn er muss ja doch warten, bis die Erwachsenen ebenfalls fertig sind. Und die lassen sich jede Menge Zeit, sie essen Gulasch und reden dabei miteinander, sie essen Pudding und reden miteinander, und anschließend trinken sie noch Kaffee und reden miteinander.
Endlich aber sieht Opa auf die Uhr und sagt: „So, es wird wohl langsam Zeit, dass wir fahren“. Papa trägt die Reisetasche, die Mama für Daniel gepackt hat, zum Auto der Großeltern. Dann nimmt er Daniel auf den Arm und drückt ihn fest an sich. „Ich wünsche die ganz viel Spaß bei Oma und Opa“, sagt er. Als dann auch Mama ihn umarmt und küsst, fühlt sich Daniel ein bisschen merkwürdig. Eigentlich will er gar nicht mehr verreisen, sondern lieber bei Mama und Papa bleiben. Doch er lässt sich von Opa in den Autokindersitz helfen und dort anschnallen. Seine Eltern winken, und Daniel winkt heftig zurück, so lange bis er Mama und Papa nicht mehr sehen kann.
Zunächst fahren sie noch durch vertraute Straßen. Da ist der Bäcker, dort der Kindergarten, da der Spielplatz und dort der Supermarkt. Doch bald kommt Daniel nichts mehr bekannt vor, und als sie auf der Autobahn sind, wird ihm langweilig. Gut, dass Mama daran gedacht hat, Oma und Opa seine Kinder-Kassetten mitzugeben. Papa meckert immer über „das Gedudel“, wenn Daniel die Kassetten bei ihm im Auto hört. Aber Oma und Opa meckern überhaupt nicht, sondern hören gemeinsam mit Daniel den Liedern und Geschichten geduldig zu. So vergeht die Fahrt schnell.
Bei den Großeltern angekommen, fragt Daniel als erstes: „Wo soll ich denn überhaupt schlafen?“. Oma zeigt ihm das Bett, das sie zusätzlich in ihrem Schlafzimmer aufgestellt haben. Sie sagt: „Und wenn du nachts Angst bekommst, krabbelst du einfach aus deinem Bett und kommst zu mir oder zu Opa“. Daniel nickt zufrieden.
Nach dem Abendbrot darf Daniel noch das ‚Sandmännchen’ im Fernsehen ansehen. „Jetzt aber Zähneputzen“, sagt Oma. „und wenn du dann im Bett liegst, lese ich dir noch eine Geschichte vor“. Als Daniel aus dem Badezimmer kommt, wartet Oma schon im Schlafzimmer auf ihn. Er zieht schnell seinen Schlafanzug an und klettert ins Bett. Die Bettwäsche riecht ein bisschen fremd, und Daniel sieht sich suchend um. „Wo ist denn Fido?“, fragt er und hebt das Kopfkissen hoch. Oma antwortet: „Keine Ahnung. Ich habe ihn beim Auspacken gar nicht gesehen“.
Fido ist ein weißer Teddybär. Eigentlich heißt er Fridolin, so steht es jedenfalls auf dem Schild an seinem rechten Ohr. Aber als Daniel ihn geschenkt bekommen hat, war er noch ganz klein. Daher hatte er ‚Fridolin’ nicht aussprechen können, sondern daraus ‚Fido’ gemacht. Und bei diesem Namen ist es geblieben, auch als Daniel richtig sprechen gelernt hatte.
Seit Daniel denken kann, liegt der weiße Teddy neben ihm im Bett, wenn er einschläft. Ohne Fido kann er nicht einschlafen. Und daher sieht er jetzt seine Oma ängstlich an. Sie zieht die Reisetasche heran und packt alles, was noch darin ist, auf ihr Bett. Kein Fido! Dann geht Opa nachsehen, ob der Teddybär vielleicht irgendwo im Auto liegt. Doch als er wieder hereinkommt, schüttelt er den Kopf. Kein Fido!
Daniel wirft sich aufs Bett und fängt bitterlich an zu weinen. Er will seinen Fido. Und er will zu seiner Mama und seinem Papa. Oma versucht, ihn in den Arm zu nehmen, aber er stößt sie weg. Opa steht etwas hilflos in der Tür. Was soll man da nur machen? Doch plötzlich fällt ihm etwas ein, und er geht zu dem großen Schrank im Flur. Opa kramt eine Zeitlang in all den Kartons, die im Schrank stehen. Dann findet er, was er gesucht hat.
Daniel, der immer noch leise vor sich hin weint und sein Gesicht im Kopfkissen vergraben hat, spürt auf einmal etwas Weiches über seinen Arm streicheln. Er hebt den Kopf. Ist das etwa Fido? Doch der Teddybär, der neben ihm liegt, ist nicht weiß, sondern braun. Er ist wohl auch schon ein wenig älter und an einigen Stellen etwas abgeschabt. Aber sonst ist er genauso kuschelig wie Fido. Opa sagt: „Das ist der Teddy, der deiner Mama gehört hat, als sie noch ein Kind war“. Daniel streicht über das weiche Fell und fragt: „Und wie heißt er?“. „Das weiß ich nicht mehr“, meint Oma, und Opa zuckt ebenfalls mit den Achseln. Daniel sagt mit entschlossener Stimme: „Er heißt Fridolina und ist die Mama von Fido“. Dann nimmt er den Bären fest in den Arm und kuschelt sich unter die Bettdecke. Wenn die Mama von Fido bei ihm ist, kann er ganz bestimmt einschlafen.