Was ist neu

Darius.

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02.10.2013
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Darius.

Ein tiefer Atemzug, ein Weiterer. Ein. Aus.
Darius spürte, wie die Luft des für die Jahreszeit sehr milden Abends seine Lungen aufblähte und ihnen geräuschvoll wieder entwich. Er lag auf dem Bürgersteig hinter dem großen alten Mehrfamilienhaus, indem sich seine Wohngemeinschaft befand. Arme und Beine hatte er zur Seite hin ausgestreckt, sein linker Fuß stieß an den Reifen des alten VW Golfs seiner Nachbarn.
Der Boden war noch feucht, am Nachmittag hatte es geregnet. In Darius‘ Nacken klebten einige Blütenblätter von der Schneeforsythie im Nachbargarten. Über seinem Kopf tauchte das künstliche Licht der Straßenlaterne die kleine Seitengasse in eine gespenstische Atmosphäre.
Obwohl die Ausgangssperre, die vor knapp zweieinhalb Wochen über die Stadt verhängt worden war, erst in einer guten Stunde gelten würde, war die Straße vor ihm menschenleer. Gelegentlich brauste jedoch ein Auto vorbei und ab und an hörte Darius das Geräusch eines Tieres, einer Katze oder eines Eichhörnchens, im Garten hinter sich.
Darius war müde, er war den ganzen Tag in der Unibibliothek gewesen. Seine Klausuren standen bevor und wirklich zum Lernen gekommen war er immer noch nicht. Jedes Mal wenn er versucht hatte, den Stoff zu wiederholen, war sein Kopf wie leer gewesen und er hörte bloß ein leises monotones Rauschen.
Die Straßenlaterne über ihm flackerte leicht, Darius gähnte, fuhr sich mit seiner verdreckten Hand über das Gesicht. Seit einer Woche hatte er sich nicht mehr rasiert. Er hatte es sich vorgenommen, doch irgendwie hatte er es nicht geschafft. Er glitt mit einem Zeigefinger über seine Augen, kratzte sich an der Schläfe. Lustlos griff er nach seiner Tasche und stand auf.
Im Treppenhaus fingerte er in seiner Tasche, fand seinen Schlüssel jedoch nicht sofort und beschloss zu klingeln. Durch das kleine gelblich getönte Fenster neben der Wohnungstür schien das dämmrige Licht der Stehlampe im Flur und als er drinnen Schritte hörte, wusste er, dass Frederic zu Hause war und nicht nur vergessen hatte das Licht auszuschalten.
Die Schritte hielten inne, leise Hintergrundmusik ertönte und Darius hörte seinen Mitbewohner irgendwas Unverständliches durch die Tür rufen. Ein Rasseln ertönte, die Kette wurde zurückgezogen. „…dachte schon, du würdest nicht mehr auftauchen, Süße-“, Frederic stoppte jäh mit seiner anzüglichen Ansprache als er seinen Mitbewohner dort stehen sah. Sein schiefes Grinsen hielt noch einen Moment, dann runzelte er die Stirn.
„Was is‘ denn mit deinem Schlüssel?“.
Er nickte kurz und rückartig mit dem Kopf und hob das Kinn ein wenig. Dies tat er, wie Darius aufgefallen war, immer, wenn er mit anderen Männern sprach. Darius hielt dies immer für eine Art Dominanzverhalten, und da er Frederic jetzt schon ein bisschen länger kannte, stimmte dies wahrscheinlich auch.
„Keine Ahnung, der ist irgendwo in meiner Tasche. Wollte jetzt nicht darin rumkramen, du bist ja daheim.“
Frederic gähnte, fuhr sich durch die Haare und signalisierte Darius, dass es ihm eigentlich auch scheißegal war. Frederics T-Shirt hatte einen weiten V-Ausschnitt und legte die Ansätze seiner Tattoos frei, die, wie Darius wusste, an seinen Schultern begannen und sich über seinen gesamten Rücken erstreckten. Er hatte sich die dunkelblonden Haare leicht hochgegelt und roch nach einem teuren Aftershave, auf das die Frauen, die Frederic gelegentlich traf -und die Darius für nuttig hielt- so scharf waren.
Frederic ging zurück in die Wohnung, aus der immer noch satte Musik aus seiner teuren Anlage zu hören war. Er rief im Gehen irgendwas über seine Schulter, doch Philipp Poisel, der gerade eine ruhige Ballade zu singen begann, fiel ihm ins Wort.
„Was ist?“
Darius schmiss seine Tasche auf die kleine Kommode neben seinem Zimmer.
Poisel verstummte.
„Ich hab gefragt, ob du heute nichts mehr vor hast. Ausgehen oder so. Natalie wollte noch vorbei kommen.“ Frederic warf ihm einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Darius verstand. Deswegen das T-Shirt und die Heulmusik. Frederic war schon ewig hinter Natalie her, doch bisher war er noch nie ‚zum Zug gekommen‘, wie er Darius stets beim Frühstück erklärte, wenn Natalie bei einem schnulzigen Liebesfilm, den sie zusammen gesehen hatten, eingeschlafen, oder schon früh gegangen war, weil sie bei der Vorlesung am nächsten Tag ausgeschlafen sein wollte.
„Nee, macht ihr ruhig, ich störe euch bestimmt nicht. Wollte noch ein bisschen lernen.“, wehrte Darius ab. Frederic startete keinen neuen Ansatz, ihn aus der Wohnung zu bekommen, das hatte er schon seit Monaten aufgegeben. Darius ging nicht aus, auch nicht, als es die Ausgangssperre noch nicht gegeben hatte.
„Wie du willst, alles klar, Kumpel.“
Frederic hob verstehend die Hände, grinste aber kurz.
Darius und er kannten sich nun seit fast einem Jahr. Frederics früherer Mitbewohner Marc hatte die Uni gewechselt und Darius, der für sein Geschichtsstudium nach Gießen ziehen wollte, hatte das günstige WG Zimmer gerne angenommen. Frederic kam aus einem kleinen Dorf in der Nähe, weswegen es ihm leicht viel, seine Mitmenschen immer mit einer lockeren, kumpelhaften Art anzusprechen. Er studierte Sport und Mathe auf Lehramt und war drei Semester weiter als Darius. Bei den Kommilitonen war er beliebt, bei den Kommilitoninnen begehrt, was vor allem daran lag, dass er strahlend weiße Zähne und einen sehr durchtrainierten Oberkörper hatte, und man ihn hauptsächlich „Ric“ nannte, mit einem leicht gerollten „R“, wodurch er ein bisschen wie ein internationaler Filmstar wirkte.
Darius zog seine Fleecejacke aus, hängte sie an die Garderobe, trat die Fersen seiner Turnschuhe herunter und kickte sie unter die Kommode. Er nahm seine Tasche und verschwand in seinem Zimmer.
Dort herrschte eine permanente Unordnung. Benutztes Geschirr, leere Pfandflaschen, Tempotaschentücher, Bücher und hin und wieder auch mal ein Kleidungsstück waren über die spärlichen Möbel und den Fußboden verteilt. Eigentlich hasste Darius seine Unordnung, doch er konnte sich keinen Ruck geben, sie zu beseitigen.
In der Mitte des Raumes stand, in einem harten Kontrast zu dem übrigen Chaos, sein perfekt gemachtes und frisch bezogenes Bett. Als Darius ein kleiner Junge gewesen war, hatte seine Mutter ihm jeden Morgen dabei geholfen, die Decke zusammen zu legen, das Kissen aufzuschütteln und das Laken zurecht zu zupfen. Über die Jahre hinweg war es ein Ritual für ihn geworden, welches er auch nach ihrem Tod vor knapp acht Jahren weiterführte.
Er stieg über die Inseln aus Büchern und Müll hinweg, lief zu seinem Schreibtisch und griff nach einer der Mappen, die darauf lagen, setzte sich aufs Bett, schlug die Mappe auf und zog den oberen Zettel heraus, auf dem er für die Stoffwiederholung das Wesentliche in Stichworten zusammengefasst hatte.
Darius spürte, wie seine Augen glasig wurden als er auf die gleichmäßigen Karokästchen blickte, die er mit seiner Handschrift gefüllt hatte. Ohne einen gedanklichen Zusammenhang zu verknüpfen, las er die einzelnen Unterüberschriften wie: Ursachen und Theorien des deutschen Imperialismus, Internationale Spannungen und Marokko-Krise, Aktive Kolonialpolitik…
Er schloss die Augen und ließ sich nach hinten auf die Matratze fallen. Langsam, wie als wollte er die Zeit hinauszögern, fasste er sich an die Schläfen und begann kleine, kreisförmige Reibebewegungen.
Wirtschaftliche, sozio-ökonomische und strategische Faktoren, das war es, was ganz oben unter der ersten Überschrift stand. Weiter kam er nicht, er fühlte seinen Kopf völlig leer.
Seit Wochen fehlte ihm jegliche Konzentration.
Er war müde, doch er wusste nicht genau, weshalb. Die letzte Nacht konnte er fast vollständig durchschlafen. Für einen kurzen Moment rollte er sich auf die Seite, in eine bequemere Haltung.
Er musste das Thema diese Woche noch abarbeiten, sonst brauchte er eigentlich gar nicht erst zur Prüfung zu erscheinen. Außerdem musste er noch neue Textmarker kaufen gehen, zwei weitere Bücher ausleihen, die bisher vergeben waren, den Pullover wechseln, sich endlich mal rasieren…
Er fand keinen Elan aufzustehen, so antriebslos war er.
‚Nur zwei Sekunden‘, versprach er sich selbst, ‚nur zwei Sekunden‘.
Ein gellender Schmerz ergriff ihn, setzte an seinen Schläfen ein, steckte seinen gesamten Kopf in ein Inferno aus brennendem, vernichtendem Schmerz. Blitzschnell griff er mit beiden Händen an seinen Kopf, umfasste ihn wie einen Ball.
Ebenso schnell, wie der Schmerz gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Darius‘ Augenlider flackerten, dann wurde es schwarz.

Er schlief bis in die späten Morgenstunden; Frederic war wohl schon wach, als Darius ihn durch die Türen hindurch dumpf in der Küche hantieren hörte.
Während er sich aufsetzte, sah er an sich herab und bemerkte, dass er immer noch dieselben verdreckten Klamotten vom Vortag trug. Er zog sich schnell aus, bückte sich um ein anderes, vermutlich halbwegs sauberes Sweatshirt aufzuheben und verspürte auf einmal ein flaues Gefühl in der Magengegend, gefolgt von einer starken Übelkeit.
Das Sweatshirt noch in der Hand, rannte er aus seinem Zimmer und stürmte ins Bad. Hustend beugte er sich über die Toilette. Sein Hals, sein Magen, sein Kopf… alles brannte und vermischte sich zu einem Schmerz, der kaum auszuhalten war.
Dann verschwanden die Schmerzen und die Übelkeit so schnell wie sie gekommen waren und Darius legte atemlos die Wange gegen den kühlen Rand der Badewanne.
Er musste dringend zum Arzt, dachte er. Aus der Küche hörte er das beruhigende, monotone Geräusch der Kaffeemaschine und er fand die Kraft aufzustehen und sich fertig anzuziehen.
„Guten Morgen.“
Frederic nahm gerade einen ausgiebigen Schluck aus seiner Kaffeetasse, in der linken Hand hielt er die Tageszeitung, die er gerade aus dem Flur geholt hatte. Er brummte irgendetwas Unverständliches zurück. Seiner Miene nach zu urteilen, hatte Natalie immer noch nicht mit ihm geschlafen.
Darius goss sich ebenfalls Kaffee ein, nahm sich eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und setzte sich Frederic gegenüber. Einen Moment lang kaute er still und hing seinen Gedanken nach. Er versuchte sich an den Plan zu erinnern, den er vor einem Monat für seine Stoffwiederholung erstellt hatte, den er jedoch verlegt und ohnehin nicht befolgt hatte. Wenn er ehrlich war, hatte er eigentlich noch überhaupt nicht richtig angefangen zu lernen.
Was war nur los mit ihm?
Ein lautes Scheppern riss ihn aus den Gedanken. Er schreckte hoch und sah, dass Frederics Kaffeetasse auf den Fliesen zu Bruch gegangen war. Sein Gesichtsausdruck war verstört und er war kreidebleich. Heftig stieß er den Stuhl zurück und stürmte aus dem Raum.
Darius stutzte, bisher hatte er erst einmal seinen Mitbewohner so die Fassung verlieren sehen. Er griff nach der Zeitung, die Frederic auf den Tisch hatte fallen lassen und überflog die Seite, um zu sehen, welcher Artikel ihn eben so aufgewühlt hatte.
„Erneutes Opfer des ’Mädchenwürgers‘ gefunden“ hieß die schlichte Schlagzeile, die provokant in fettgedruckten Buchstaben fast ein Drittel der Seite in Anspruch nahm. Darunter befand sich ein sehr langer und ausführlicher Bericht über den Mord. Anscheinend war er gestern am Abend trotz der Ausgangssperre geschehen. Das Mädchen, sie hieß Lisa Winkler, wurde erwürgt in einem leeren Container neben der Bushaltestelle Schiffenberger Weg gefunden.
Ein unangenehmes Gefühl machte sich in seiner Brust breit. Dies war bisher der achte Mord in Folge. Seit dem dritten Mord hatte man den Täter, der sich junge weibliche Opfer suchte, und sie nachts mit bloßen Händen erwürgte, in den Medien den Spitznamen ‚Mädchenwürger‘ verpasst.
Seit dem fünften Mord lebte Gießen in Angst. Sämtliche Bars und Nachtclubs, sogar die Kinos waren kurz vor dem Bankrott, da sich nur noch wenige Menschen abends aus dem Haus trauten. Das vierte Opfer, Melanie Dächer, war mitten aus einer Traube von Freundinnen verschwunden, was viele Menschen zusätzlich verschreckte.
In der Stadt wimmelte es von Reportern. Gießen war so oft in den Nachrichten vertreten, wie schon lange nicht mehr. Sie sprachen von Obduktionsberichten, fehlenden Indizien, Hinterhalt und anderen Serienkillern aus der Vergangenheit, deren Brutalität und Skrupellosigkeit sie mit dem ‚Mädchenwürger‘ verglichen und wirkten dabei theatralisch und falsch, als würden sie sich insgeheim über den ganzen Trubel und die Anspannung freuen, wie in einem billigen Krimi.
Nach dem vorletzten Opfer wurde die Ausgangssperre verhängt. Aus Verzweiflung und Angst der Bewohner Gießens heraus, die die anhaltende Mordserie größtenteils der Unfähigkeit der Polizei zuschrieben, gründeten einige aufgewühlte Bürger, angeführt von Jürgen Marcellus, eine Nachbarschaftswache.
Jürgen Marcellus sollte jedem Gießener ein Begriff sein, da er aufgrund seines großen sozialen Engagements seit Jahren in den lokalen Medien vertreten war. Darius, der jedoch noch nicht so lange hier lebte, kam er nicht bekannt vor, wodurch er die Meinung seiner Nachbarn, Marcellus sei nach dem Mord an seiner Tochter rachsüchtig und irrational geworden, nicht bewerten konnte. Ihm jedoch kam er auf dem Bild, das auf der Rückseite des Flugblattes der NG (‚Nachbarschaftswache Gießen‘) zu sehen war, ziemlich verhärmt vor. Diana Marcellus, seine jüngste Tochter, war das zweite Opfer gewesen. Man fand sie unter einer Wolldecke neben dem Röntgendenkmal in der Südanlage, wo sie sich oft abends mit ein paar Freunden traf, die an dem Abend des Mordes jedoch etwas zu spät ankamen.
Darius registrierte die schwarz-weiß Fotografie, die groß unter dem Zeitungsartikel abgedruckt war. Sie zeigte ein Mosaik aus Portraitfotos, eine Art Collage mit den Gesichtern der Opfer.
Sein Blick blieb an Kristinas Lächeln hängen, das leicht spöttisch, aber trotzdem strahlend war, unwissend, was kurze Zeit nach der Aufnahme mit ihr geschehen würde.
Nur flüchtig erinnerte er sich an Kristina, doch das, was er sich von ihr behalten hatte, war wie in seinem Gedächtnis fest eingeprägt. Sie hatte dunkle, schulterlange Locken, bronzene Haut und große braune Mandelaugen. Wenn sie lachte, dann immer so laut und albern, dass sie die Menschen in ihrer Umgebung sofort ansteckte. Er kannte sie aus seinen Vorlesungen, jedoch erschien sie äußerst selten und dann kam sie etwa einen Monat vor ihrem Tod mit Frederic zusammen. Darius erinnerte sich an ihre Geschichten, die sie von Afrika erzählte, ihrem Geburtsort, den sie jedoch als kleines Mädchen verlassen hatte. Stets hatte er dagesessen und ihr zugehört –er war ein sehr stiller Mensch und es gelang ihm nur selten, von sich aus etwas zu einer Unterhaltung beizutragen- und gewartet, bis Frederic fertig geduscht, oder sich Zigaretten oder eine Tiefkühlpizza geholt hatte.
Nachdem man sie in einem Hinterhof in der Nähe des Liebigmuseums gefunden hatte, wurde Frederic zweimal verhört, doch man konnte ihm nichts nachweisen und bei dem zweiten und dritten Mord hatte er jeweils ein Alibi.
Sie waren auf ihrer Beerdigung, Darius war mitgekommen, ohne zu wissen, wieso, und Frederic hatte die afrikanische Lampe, die sie ihm geschenkt hatte, mit tränenden Augen Kristinas Eltern überlassen. Anschließend hatten sie zu Hause nicht mehr über sie gesprochen, doch jedes Mal, wenn es ein neues Opfer gab, erschien ihr Bild erneut in den Medien.
Darius legte die Zeitung beiseite und kehrte die Scherben der Tasse auf. Danach rief er zaghaft nach Frederic. Er wusste nicht, was er ihm sagen sollte, irgendwelche tröstenden Worte, doch er erhielt keine Antwort und als er in den Flur zurück ging, hing sein Schlüssel nicht am Schlüsselbrett.
In seinem Zimmer klaubte er seine Collegeblöcke und Mappen zusammen, legte sie in den Korb neben der Tür, begann die saubere Wäsche von der schmutzigen zu trennen, gab es auf und warf sie schließlich alle auf den Stapel mit Schmutzwäsche. Er hob seine Klamotten auf, die er gestern angehabt hatte, wunderte sich, wieso sie so klamm waren und unangenehm nach Schweiß und Teer rochen und warf sie schließlich als erstes in die Waschmaschine in der Küche. Anschließend kramte er in dem Spiegelschrank im Bad nach Aspirin. Er hatte Kopfschmerzen, war hundemüde, hatte schrecklichen Muskelkater in den Armen und konnte sich an keine Ursachen erinnern.
In der einen Hand das Glas mit Leitungswasser und die Tablette haltend, fuhr er mit der anderen über die Notizen an der Pinnwand. Die Nummer von Dr. Meyer, seinem Hausarzt, fand er nicht. Er nahm die Tablette in den Mund und spülte sie herunter.
Als er zurück in sein Zimmer wollte, sah er, dass die Tür zu Frederics Zimmer einen Spalt offen stand. Drinnen brannte noch Licht und dem monotonen Summen entnahm er, dass auch der PC noch eingeschaltet war. Darius ging an seinem eigenen Zimmer vorbei und betrat das seines Mitbewohners. Der Raum war nicht wirklich aufgeräumt, jedoch fand er nicht die gleiche Unordnung vor, wie bei sich selbst. Die Möbel waren abgestaubt, der Boden gesaugt, nur hier und dort lagen ein paar Kleinigkeiten herum. Frederics Bett jedoch war nicht gemacht.
Zögernd ging Darius ein paar Schritte darauf zu, verweilte kurz unschlüssig, durchquerte dann den Raum und legte sich auf die ungeordnete Decke. Auf dem Nachttisch standen einige Fotos. Frederic mit der freiwilligen Feuerwehr in seinem Dorf, mit seiner Familie, mit seinen besten Freunden, mit seinem Abschlussjahrgang. Er sah fröhlich aus, beliebt und angesehen. Und schön.
Neben den Fotos lag eine Fernbedienung. Darius drückte auf Play. Es war die gleiche CD, mit der er gestern Abend Natalie beindrucken wollte. Darius wusste nicht, ob er Philipp Poisel mochte, wusste nicht, welche Musik er überhaupt mochte, doch in dem Moment beruhigten ihn die zarten, ruhigen Töne, lullten ihn ein wenig ein. Endlich wirkte auch das Aspirin.
Dann klingelte es an der Tür.
Darius sprang auf, stellte die Musik ab, verließ das Zimmer, peinlich darauf bedacht, die Tür genauso weit anzulehnen, wie zuvor.
Durch den Spion sah er Natalie, die etwas in der Hand hielt.
„Frederic ist nicht da“, rief er durch die Tür.
„Ehrlich? Ich hab doch seine Musik gehört.“
Er stutzte kurz. „Er ist nicht da“
„Kann ich nicht drinnen auf ihn warten?“
Darius zog die Kette und schob den Riegel zurück. Natalie lächelte und lief an ihm vorbei in die Wohnung, wobei sie aus ihren Stiefelletten schlüpfte und sie gegen die Kommode kickte. Sie trug dicke Wollsocken, auf die kleine Sterne gestickt waren. Natalie war das komplette Gegenteil von den Mädchen, die Frederic früher getroffen hatte. Sie war nicht billig angezogen, ließ nicht jeden Satz irgendwie zweideutig und betont sexy klingen und sie roch auch nicht nach einer überladenden Mischung aus Parfüm, Haarspray und tonnenweise Makeup.
Natalie band ihre Haare häufig zusammen, da dies praktischer war, sie aß Fastfood, ohne die Kalorien zu zählen und war trotzdem gertenschlank, ihre Nägel waren nicht lackiert und ihre Wimpern ungetuscht, und da Darius schon einmal ihre Wäsche mit gewaschen hatte, wusste er, dass sie einfarbige, praktische Baumwollunterwäsche trug.
„Was denkst du denn, wann in etwa er wieder da ist?“ rief Natalie über die Schulter. Mit ihren Socken über den Teppich schlurfend, betrat sie Frederic Zimmer. Sekunden später erklang erneut Musik.
„Keine Ahnung, er hat die Zeitung aufgeschlagen… und ist dann abgehauen“
Natalie erschien im Türrahmen, ihr Blick verdüsterte sich und sie sah zu Boden. Sie ging in die Küche, hob die Zeitung auf und setzte sich. Dann sagte sie in ihrer beruhigenden, melodischen Stimmlage: „Ja, ich habe es mitbekommen. Mein Vater war außer sich. Er ist auch in dieser Nachbarschaftswache und versteht nicht, wieso sich niemand an die Ausganssperre hält. Kanntest du Lisa?“ und ohne eine Antwort abzuwarten: „Ich kenne sie aus Germanistik, nicht gut, aber wir sind uns ein paar Mal in Phil 1 begegnet. Sie ist lebensfroh und abenteuerlustig und ist in Berlin aufgewachsen, einer Großstadt. Ein Mädchen wie sie hält sich nicht an die Ausgangssperre einer Kleinstadt.“
Etwas in ihren Worten weckte Darius‘ Erinnerungen, doch er wusste nicht genau, was. Er dachte an das Foto, welches er von ihr in der Zeitung gesehen hatte und sah
vor sich eine lachende, tanzende, lebendige Lisa Winkler, obwohl er sich nicht erinnern konnte, sie zuvor schon mal gesehen zu haben.
„Süß von Ric, dass ihn die Morde so mitnehmen. Das zeigt mir, dass sein Machogehabe größtenteils nur Fassade ist.“
Sie lächelt ihn an und Darius fällt ein, dass er ihr eigentlich etwas zu trinken anbieten sollte. Als er es nachholt, winkt sie jedoch nur ab, sieht ihn jedoch erwartungsvoll an, als erwarte sie von ihm, sich mit ihr zu unterhalten.
„Du hältst wohl sehr viel von ihm?“, es war eher eine Feststellung, als eine Frage und Natalies Lächeln wurde breiter.
„Am Anfang überhaupt nicht. Er ist nicht gerade der Typ, der Frauen viel Aufmerksamkeit schenkt, nachdem er einmal mit ihnen im Bett war. Aber mittlerweile glaube ich echt, dass ich mich in ihn verliebt habe.“
Sie sah ihn verlegen an und ihre Wangen verfärbten sich leicht rot. Aus irgendeinem Grund wurde Darius wütend. Seine Schläfen pulsierten auf einmal wieder schmerzhaft, seine Hände zitterten und er verschränkte sie hinter seinem Rücken. Nur mit Mühe konnte er sich davon abbringen, heftig mit den Zähnen zu knirschen.
„Du liebst ihn?“
„Irgendwie schon.“
Irgendetwas in Darius ging zu Bruch, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sein Kopf war wie ausgebrannt, leer, seine Gesichtszüge eingefroren, wie eine Maske.
Er blinzelte, sah kurz unscharf, dann sofort wieder glasklar. Natalies Augen weiteten sich und sie sah irritiert aus.
„Was?“, hauchte sie nur, doch Darius nahm sie nicht mehr war. Er sah sie an, doch gleichzeitig durch sie durch. Ihre Augen waren grün.
Nein, irgendwie waren sie auf einmal auch nussbraun, wie Kristinas Augen. Dunkelblau wie Dianas Augen. Graugrün, wie Lisas Augen.
Er keuchte laut auf, sein Mund stand offen. Er wollte es nicht, wollte sich mit aller Kraft davon abhalten, doch wie von selbst schnellten seine Arme hinter seinem Rücken hervor und schlossen sich fest um Natalies Hals.
Eine Sekunde stand die Welt still, dann kippte ihr Stuhl nach hinten, landete mit einem lauten Krachen auf den Fliesen und Darius schlug hart mit den Knien auf.
Sein Griff wurde fester, fassungslos sah ihn Natalie an. Aus ihrer Kehle kamen grauenvolle, gurgelnde Laute. Achtmal zuvor hatte er bereits dieses Geräusch gehört.
Darius zitterte am ganzen Körper, schwitzte auch gleichzeitig, das Sweatshirt klebte an seinem Rücken.
Natalies Augen rotierten in ihren Höhlen, ihre Gliedmaßen zuckten unkontrolliert und ihre Hände kratzten vergebens über Darius‘ Handgelenke.
Er hörte ein Rauschen, welches anschwoll und ihn vollkommen ausfüllte. Er wollte loslassen, aufhören, doch er konnte es nicht, konnte seinen Griff keinen Deut lockern.
Dann erschlafften Natalies Züge.
Schwer atmend legte sich Darius neben sie auf den kühlen Küchenboden und schloss die Augen.
Gestern Nacht hatte er wohl doch nicht geschlafen. Wie an einen Traum erinnerte er sich an Natalies Lachen und Frederics laute, angeheiterte Stimme, die aus dem Zimmer nebenan kam. Er dachte daran, dass seine Haut geglüht hatte und gejuckt, als liefen Tausende von Ameisen darauf herum. Er wollte sich nur kurz die Beine vertreten gehen.
Lisa hatte er zuerst nicht bemerkt, sie war betrunken und saß an einer Bushalterstelle, obwohl längst kein Bus mehr kam. Lediglich der Geruch nach Alkohol und billigem Parfum hatten seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Er wusste nicht, ob Frederic sie kannte, nur, dass sie ihm gefallen hätte.
Natalies Kopf rollte zur Seite. Im Treppenhaus hörte er, wie jemand die Treppe hinaufstieg, dann, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Seine Augen wurden feucht und brannten, er fand nicht die Kraft, aufzustehen.
Im Hintergrund lief immer noch leise Musik.
Darius hörte, wie Frederic die Schuhe auszog und mit fünf dumpf klingenden Schritten zur Küchentür kam.
Wie angewurzelt blieb Frederic stehen, seine Mimik wandelte von Erstaunen zu blankem Entsetzen, als sein Blick über den umgekippten Stuhl, Natalies Körper und Darius wanderte.
Er war kreidebleich und hielt sich blitzschnell am Türrahmen fest, um nicht den Halt zu verlieren.
Darius setzte sich langsam auf. Die Tränen brannten auf seinen Wangen.
„Du?“, hauchte Frederic, verständnislos und starr vor Entsetzen.
„Ich wusste es nicht. Es tut mir leid.“
Wie ein kleiner Junge fühlte sich Darius in diesem Moment, doch in seinem Körper breitete sich auf einmal ein warmes Gefühl aus.
Noch nie hatte Frederic ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Er schluchzte erneut.
Die Anlage ließ das letzte Lied der CD ausklingen.

„..dir einmal noch nah sein, bevor ich dich für immer verlier.
Für immer verlier“
Frederic stand noch immer im Türrahmen, tief blickte Darius in seine hellgrauen Augen. Noch nie war ihm aufgefallen, dass seine Wimpern so unendlich lang waren.
Er ließ sich wieder zurück auf den Küchenboden sinken, verschränkte die Arme im Nacken und starrte an die Decke.
Er dachte an seinen Lernplan und es fiel ihm wieder ein, dass er diese Woche die deutsche Kolonialpolitik wiederholen wollte. Der Herero-Aufstand fiel ihm wieder ein und im Kopf wiederholte er dessen einzelne Etappen, die er, wie er wusste, stichpunktartig aufgeschrieben hatte.
Dass Frederic gegangen war, hatte er nicht bemerkt. Auch nicht, dass er die Wohnungstür von außen verriegelt hatte und davor komplett in sich zusammen gebrochen war.

Irgendwann später hörte er das Geräusch ferner Sirenen, die sich rasch näherten.

 

Hallo Benjamin12,

herzlich willkommen!


Eine recht interessante Geschichte um einen Serienmörder mit dissoziativer Identitätsstörung. Eine schöne Idee, dieses Gespaltene auch auf das Erscheinungsbild des Zimmers zu übertragen.
Diese Persönlichkeitsstörung will ich nicht weiter verfolgen. Zu schwammig sind die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, bis hin zum Abstreiten dieser Erscheinung. In einer fiktiven Erzählung kann man daher das Krankheitsbild wunderbar ausmalen.
Etwas kritisch oder als ungenügend ausgearbeitet sehe ich die Phase des Protagonisten am Ende der Geschichte. Da fließen seine zwei Persönlichkeiten zusammen, ohne dass mir dazu ein annehmbarer Anlass gezeigt wird.

Insgesamt könnte der Text etwas mehr Schwung vertragen, was besonders den ersten drei Seiten zugute käme, da es dort außer ein Paar Hinweise (Ausgangssperre und sein Herumliegen in einer Gasse), die neugierig machen, wenig Spannung gibt. Der Text enthält zu viele unwichtige Informationen und Füllwörter.
Einige Beispiele, die ich mal intensiv bearbeite – bitte durchaus ernst verstehen, aber mit einem Lächeln lesen. Ist ja nix Schlimmes, nur so Kleinigkeiten.

Darius spürte, wie die Luft des für die Jahreszeit sehr milden Abends seine Lungen aufblähte und ihnen geräuschvoll wieder entwich.
Da stecken sehr viele Informationen drin. Klar, ein Erzähler möchte sich gerne verständlich machen, will genau zeigen, was er vor seinem geistigen Auge sieht. Der Haken an der Sache ist nur, je ausführlicher er versucht, etwas (gefühlsmäßig) zu beschreiben, desto weniger versteht der Leser. Das gilt verstärkt für Wertungen des Erzählers. Aber der Reihe nach:

„die Jahreszeit“ Da wäre eine direkte Eingrenzung angebracht, Herbst, Winter oder Frühjahr, sonst fragt sich der Leser, welche Jahreszeit der Erzähler wohl meinen könnte … und ist erst einmal raus aus der Geschichte.

„sehr milder Abend“ Einen milden Abend kann ich mir aus dem Stand, ohne Mühe und störende Leseunterbrechung, vorstellen. Haarig wird die Angelegenheit bei einem „sehr“ milden Abend, da komme ich ins Grübeln. Zunächst suche ich nach dem Unterschied zwischen „mild“ und „sehr mild“. Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich schon ein paar sehr milde Abende erlebt habe, aber die waren – für die Jahreszeit, die ich meine – eher unnatürlich mild. Also, was nun? Dem Erzähler scheint der Grad der Milde sehr wichtig, sonst hätte er ja kein „sehr“ davor geklebt. Aber die Fragen, was versteht der Erzähler unter „sehr mild“ und was will er damit bei mir auslösen, kann ich nie im Leben beantworten. Ich bin in echten Schwierigkeiten und schon wieder aus der Geschichte raus.

„geräuschvoll“ Schon wieder so ein Urteil, dem ich nicht auf anhieb nachkommen kann. Geräuschvoll klingen die Kirchenglocken, die ich gerade höre. Doch da Vergleiche zu ziehen, ist Unsinn, denke ich sofort. Nein, der Erzähler meint, relativ geräuschvoll, also relativ zum normalen Atemgeräusch.
Und schon stecke ich wieder in Schwierigkeiten: Ich atme. Und ich lausche. Ich höre aber nix. Wie muss ich mir nun, relativ zu nix, ein geräuschvolles Nix vorstellen?
Ich atme bewusst tief ein und aus. Ja, doch, da ist was zu hören. Aber geräuschvoll? Und sind das nicht eher „Innengeräusche“, so über Knochen und Knorpel geleitet? Ich gehe zu meiner Frau, nicht ohne zuvor aus der Geschichte zum dritten Mal während eines einzigen Satzes geistig auszusteigen, und sage: Atme mal!
Das meiner Aufforderung folgende Gespräch will ich hier gar nicht im Detail wiedergeben, es war jedenfalls spaßig. Am Ende, so nach zehn Minuten, kamen wir zu folgendem Ergebnis:
Normales Atmen hört man nicht, sofern Bronchien und Nase frei sind. Bewusst tiefes Atmen ist kaum zu hören, wenn man es vermeidet, zum Beweis, wie etwa beim Arzt, die Nasenflügel leicht zu schließen.
Na ja, immerhin ist ein Geräusch zu hören. Aber es fehlt mir immer noch der einleuchtende und erklärende Vergleich zu der Erkenntnis, wie laut den nun dieses „geräuschvoll“ vom Erzähler gemeint sein kann? Meinte er etwa wirklich dieses kaum hörbare Säuseln? Und wenn ja, warum erwähnt er dieses unbedeutende Geräusch? Was zum Teufel ist daran so wichtig? Mir bleibt nix anderes zu tun, als den Satz Stück für Stück von allem zu befreien, was ich nicht verstehe. Zunächst ohne „Jahreszeit“ und ohne „sehr“.

Die entrümpelte Version Nummer eins sieht so aus:
Darius spürte, wie die Luft des milden Abends seine Lunge aufblähte und ihnen geräuschvoll wieder entwich.
Und: Aha! Bei so viel Klarheit plötzlich noch etwas entdeckt! Dieses „geräuschvoll“ passt da gar nicht hin! Kann Darius es tatsächlich spüren, dieses Geräuschvolle? Kann man Geräusche spüren? Oder nur Vibrationen? Verdammt, da hätte ich mir die ganzen Atemexperimente sparen können. Aber unter dem Wortschwall der Urversion ging diese Widersprüchlichkeit irgendwie unter.
Die entrümpelte Version Nummer zwei sieht so aus:
Darius spürte, wie die Luft des milden Abends seine Lunge aufblähte und wieder entwich.
Ja, das geht. Das kann man spüren. Aber … Irgendwas stimmt da nicht oder? Nur eine Kleinigkeit, gewiss, aber wenn wir schon mal dabei sind … Also, zur Klarheit nochmals reduzieren:
Darius spürte, wie die Luft seine Lunge aufblähte … bleiben wir erst einmal dabei.
Das liest sich, als hinge Darius an einer Druckluftflasche oder? Normalerweise verhält sich die Luft passiv. Man muss sie (aktiv mittels Zwerchfell usw.) einsaugen, sonst bleibt sie eben draußen. Dass die Luft die Lunge „aufbläht“, passt demnach nicht so ganz. „Füllen“ würd ich empfehlen und die Aussage umbauen.
Etwa so: Darius spürte, wie sich seine Lunge mit der Luft des milden Abends füllte und sie wieder entweichen ließ.
In diesem, gewiss grobschlächtigen Satz, steckt alles, was der Leser zunächst wissen muss und auch problemlos „verarbeiten“ kann.

Dann folgt die Information, wo er liegt:

Er lag auf dem Bürgersteig hinter dem großen alten Mehrfamilienhaus, indem sich seine Wohngemeinschaft befand.
Auf dem Bürgersteig, aber hinter dem Haus. Wie kann man ihn dort sehen? Und verläuft ein Bürgersteig nicht eher vor dem Haus, egal, wie herum das Haus steht?
Dann müsste es etwa heißen: „Auf dem Bürgersteig, der an der Rückseite des Hauses verlief.“

Oder ist hier eher der zum Grundstück gehörende private Gehweg vom öffentlichen Bürgersteig hin zur Eingangstür gemeint? Führt der ums Haus herum?
Das ist alles sehr schwierig. Dann noch „groß“ und „alt“. Okay, „alt“ könnte ein Hinweis auf die soziale Ebene der Wohngegend sein. Obwohl, es gibt auch alte, um nicht zu sagen, sehr alte Wohnhäuser, die gepflegt und im Mietpreis recht teuer sind.
Ich würde mich demnach für verfallen, schäbig, sanierungsbedürftig usw. entscheiden. Das sagt mehr aus als „alt“. Besser noch, man zeigt dem Leser die Risse im Putz und die Löcher im Dach oder ähnliches. Das wäre der eindrucksvollste und eleganteste Weg. Show, don’t tell!

Zwischen „großen“ und „alten“ gehör ein Komma. Es sind übrigens einige Kommafehler im Text!
„Indem“ wird in dem Fall getrennt geschrieben.

Arme und Beine hatte er zur Seite hin ausgestreckt, sein linker Fuß stieß an den Reifen des alten VW Golfs seiner Nachbarn.
Auch hier wieder, nur um das Ambiente genauer zu zeigen, statt „alten“ besser rostigen oder verbeulten, rostzerfressenen, verdreckten oder wenn das Soziale der Umgebung egal ist, einfach nur VW Golf. Auf jeden Fall würd ich „seiner Nachbarn“ weglassen. Dass der Golf zu einem der Hausbewohner gehört, denkt man sich automatisch. Und weder der Golf, noch die Nachbarn, spielen später eine Rolle.

Der Boden war noch feucht, am Nachmittag hatte es geregnet.
Da kann man einfach drüberlesen und gut ist. Aber man kann sich das auch genauer anschauen und sich fragen, wieso ist der Boden, genauer gesagt, der Bürgersteig/Gehweg, am Abend noch feucht ist, wenn es am Nachmittag geregnet hat. Und das bei „sehr milden“ Temperaturen nach(!) dem Regen.
Der Boden war noch vom Regen feucht.
Das genügt.

In Darius‘ Nacken klebten einige Blütenblätter von der Schneeforsythie
Damit ist die Jahreszeit offenbar geworden. Ich hatte übrigens auf Herbst getippt!
Ich meine, es müsse "an" Darius‘ Nacken heißen.

Über seinem Kopf tauchte das künstliche Licht der Straßenlaterne die kleine Seitengasse in eine gespenstische Atmosphäre.
Hier fällt sofort das „künstliche“ Licht auf. Laternen geben eh kein natürliches Licht. Das tun nur die Sonne und das Feuer.
Nun, ich kann mir bestenfalls vorstellen, dass das Licht dieser Laterne in seiner Lichtfarbe künstlicher wirkt als das der meisten anderen Laternen. Dann müsste man das aber auch so hinschreiben.
Überhaupt würde ich den Satz neu konstruieren, sonst entsteht ein fragwürdiges Bild. Etwa so:
Das Licht, der Straßenlaterne über seinem Kopf, erzeugte/bewirkte/verbreitete in der kleinen Seitengasse eine gespenstische Atmosphäre.
Erkennst du die zwei Unterschiede?


Lieben Gruß

Asterix

 

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