Das goldene Zauberblatt
Wie jedes Jahr in den großen Ferien, verbrachten Tom und Lisa viel Zeit im Wald. Sie hatten eine Höhle entdeckt und die sie als Schlafplatz eingerichteten. Für jeden gab es ein Bett aus Gras und Blättern. Jeden Abend kammen sie zu diesem Unterschlupf, um hier geschützt vor dem Regen, zu übernachten.
Als beide eines abends müde und erschöpft zu ihre Höhle kamen, mussten sie feststellen, das sie verschlossen war. Ein großer Stein war anstelle des Zweiges an den Eingang der Felsenhöhle gelegt.
„Tom, sieh nur, unser Eingang ist versperrt!“, rief Lisa aufgeregt zu ihren älteren Bruder. Tom, der hinter Lisa gegangen war und ein Bündel Holz schleppte scherzte: "Hast du keine Kraft mehr den Zweig beiseite zu ziehen?" Doch dann sah er den riesigen Stein. "Wer wird wohl so einen großen Stein vor unsere Höhle geschoben haben?" Lisa wurde ganz mulmig zumute: "Ich glaube, das muss ein Riese gewesen sein, komm wir verschwinden hier, sonst zermalmt er uns mit seinen riesigen Händen!"
Tom ließ sein Holz fallen und setzte sich darauf. "Ich würde zu gern mal die Bekanntschaft mit einem Riesen machen", prahlte er, "wir könnten Armdrücken machen und wenn ich gewinne..."
Lisa unterbricht ihn, denn sie wollte nicht länger hier rumsitzen und drängte Tom, eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. „Wir weden hier vor der Höhle schlafen, den Stein bekommen wir nicht weg. Komm! Wir holen ein paar Zweige und etwas Moos." Tom half Lisa den schweren Rucksack abzusetzen. „Ruh dich erstmal aus. Ich hole noch etwas für unser Nachtlager“ und verschwand im Dickicht. Lisa rief hinterher: "Bleib in der Nähe, nicht dass doch ein Riese hier auftaucht."
Sie öffnete ihren Rucksack und nahm ein paar Beeren heraus, die sie am Tag gesammelt hatten und wusch sie im Bach, der zwischen den Steinen nahe der Höhle hervorsprudelte.
Nach einer Weile kam Tom zurück. Unter dem Arm hatte er ein paar Äste. Während Lisa über dem Feuer das Abendessen zubereitete, war Tom damit beschäftigt einen Unterschlupf für die Nacht herzurichten. Sie aßen Lisa's Beerensuppe und bereiteten alles für eine Nacht unter dem Sternenhimmel vor.
„Nur gut, dass es heute nicht regnet, sonst säßen wir ganz schön in der Patsche“, stellt Lisa fest.
„Solange das Wetter schön ist, kann man auch hier draußen schlafen, aber wenn es anfängt zu regnen, würde ich schon gern wieder in unsere Höhle.“ Sie merkten, wie wichtig ihnen dieser Unterschlupf war. Nachdem sie noch eine Weile gerätselt hatten, wer wohl in der Höhle sein könnte, war inzwischen der Mond aufgegangen und die beiden wurden müde. Sie krabbelten in ihre kleines Blätterhaus, kuschelten sich aneinander und schliefen ein.
Am nächsten Morgen wurden sie vom Gesang der Amseln geweckt. Die Sonne färbte den Himmel orange und rot. Tom wacht zuerst auf und sein Blick fiel sofort auf den Eingang der Höhle. Der Stein war weggerollt und der Ast, der sonst davor lag, befand sich wieder vor dem Eingang. Tom rüttelte Lisa sanft an der Schulter: „Lisa, wach auf, sieh mal, der Stein ist fort!“ Lisa setzte sich und rieb sich die Augen und tatsächlich, der Stein war weg. „Komm, wir wollen sehen, ob noch alles da ist“, drängte Tom. Lisa rappelte sich langsam auf und trottete Tom zur Höhle hinterher. Er schob den Ast beiseite und ging voran. Alles war so wie immer. Ihre Vorräte waren noch unberührt und eigentlich war nichts verändert. Doch als Lisa eintrat, sah sie in ihrer Schlafniesche etwas auf ihrer Decke liegen.
„Tom, sieh nur, auf meinem Bett“, sagte Lisa aufgeregt und deutete in die Ecke, in der ihr Bett stand. Tom ging vorsichtig darauf zu und staunte. „So etwas habe ich ja noch nie gesehen.“
„Was ist das?“ fragte Lisa, aber Tom zuckte nur mit den Schultern und beugte sich über ihr Bett: „Ich weiß auch nicht, aber da, schau nur, ein kleiner Käfer sitzt darauf.“ Als beide den Käfer betrachteten, begann er zu ihnen zu sprechen. „Hallo ihr zwei, ich soll euch hier dieses Ahornblatt geben. Es ist aus Gold und wenn ihr den Zauberspruch sagt und beide dieses Blatt festhaltet, dann geht euer Wunsch in Erfüllung.“
„Aber von wem ist dieses Blatt, und warum dürfen wir uns etwas wünschen?“, fragte Lisa neugierig.
Der Käfer krabbelte auf dem goldenen Blatt hin und her und wackelte mit den Fühlern. „Sei nicht so ungeduldig, ich will euch gleich alles erklären.“
„Na dann fang mal an, denn ich bin auch neugierig“, sagte Tom und schaute den Käfer gespannt an, der auch gleich zu erzählen begann.
„Also, letzte Nacht hat ein Zaubervogel in eurer Höhle übernachtet, denn einmal im Jahr sucht er sich eine Höhle, um ein Ei zu legen und es noch in der selben Nacht auszubrüten. Als Dank für diesen schönen gemütlichen Unterschlupf, hat er euch dieses Zauberblatt hiergelassen und ich soll euch seinen Dank übermitteln und euch sagen, wie ihr damit umgehen müsst.“ Wieder unterbrach Lisa den kleinen Käfer und fragte: „Und was können wir uns damit wünschen?“
„Warte doch, bis ich fertig bin und unterbrich mich nicht ständig“, gab der kleine Käfer nun verärgert von sich. „Also, ihr habt nur einen Wunsch frei und ihr dürft euch nichts für euch selbst wünschen, sondern nur für andere.“ Er flüsterte Tom und dann Lisa den Zauberspruch ins Ohr. „Ich geh jetzt wieder in den Wald, denn meine Aufgabe ist erfüllt. Es liegt nun in eurer Hand, was ihr mit dem Blatt macht. Vergesst den Zauberspruch nicht!“ Dann öffnete der Käfer seinen kleinen Panzer, breitete seine Flügel aus und verschwand im dichtem Grün des Waldes.
„Was nun?“, Tom und schaute Lisa fragend an.
„Ich hätte schon ein paar Dinge, aber wenn wir uns nur für jemand anders etwas wünschen können, dann weiß ich auch nicht so recht.“
"Wir könnten es ja so machen, dass ich mir was für dich und du dir was für mich wünschst,“ schlug Tom vor, aber Lisa lachte und sagte: „Hast du vergessen, das wir nur Einen frei haben?"
„Ach, ja“, seufzte Tom und suchte weiter nach einer Möglichkeit, wofür sie dieses Zauberblatt verwenden könnten, aber ihm fiel nichts ein. „Komm wir legen es in eine Schachtel, vielleicht brauchen wir es ja später einmal. Was sollen wir denn jetzt machen? Wir haben doch alles."
So legten sie das Blatt in eine Schachtel und stellten es auf ein Brett, was in der Höhle an der Wand befestigt war. Es vergingen einige Wochen. Die beiden Kinder erforschten den Wald, beobachteten die Tiere und sammelten Pilze und Beeren. Einmal machten sie eine seltsame Entdeckung. Auf einer Lichtung bewegte sich etwas im Gras. Es war etwas großes Schwarzes. Tom hatte es zuerste entdeckt und winkte Lisa zu sich. "Ein Adler, was macht er da auf dem Boden?", fragte Lisa neugierig. "Keine Ahnung, aber es sieht irgendwie komisch aus. Ich will versuchen, näher heranzukommen. Du wartest hier." Tom pirschte sich langsam im Gebüsch vorwärts. Der Vogel war zu sehr mit sich beschäftigt und bemerkte ihn nicht. Nach einer Weile kam Tom zurück."Er scheint verletzt zu sein, sein Flügel hängt so schlaff herunter, wir müssen ihn irgendwie beruhigen!"
“Aber wie?“, fragte Lisa ratlos.
Da hatte Tom eine Idee. "Gib mir deine Decke aus dem Rucksack, und ich will versuchen ihn einzufangen."
„Mach bitte vorsichtig, ja.“
"Du musst schnell zu unsere Höhle und das Zauberblatt holen, vielleicht können wir ihm damit helfen. Los, lauf schnell!"
Tom schlich sich erneut unbemerkt an den Adler heran, um einen günstigen Moment abzuwarten, in dem er ihm die Decke überwerfen konnte. Es dauert nicht lange und er hatte es geschafft. Der Greifvogel war bereits zu erschöpft, um sich noch weiter zu wehren. "Beruhige, dich, ich will dir doch nur helfen!" Der Adler hört auf zu zappeln und Tom hört, wie er sagt: "Lieber so sterben, als sich noch lange quählen." Tom ist erstaunt: "Nein, wir wollen dich nicht töten, wir haben etwas, was dir sicher helfen kann wieder Gesund zu werden. Du mußt nur stillhalten!"
Da kam auch schon Liese mit dem Blatt in der Hand zurück. Außer Puste fragte sie Tom: "Weißt du noch den Zauberspruch? Ich kann mich nämlich nicht erinnern."
"Ich schon, sprich mir einfach nach." Beide hielten das goldene Zauberblatt in der Hand und sagten den Zauberspruch. Da kam ein Sturm auf und sie konnten kaum noch stehen. Dann gab es einen Dong, wie bei einer Glocke und alle drei fielen zu Boden. Tom und Lisa hielten noch immer das goldene Blatt fest und der Adler lag bewegungslos unter der Decke. „Lebt er noch?“, fragte Tom.
“Ich weiß nicht. Heb mal die Decke hoch! Vielleicht haben wir etwas verkehrt gemacht.“ und Lisa hobt vorsichtig eine Ecke hoch. Da begann sich der Vogel langsam zu regen und hüpfte unter der Decke hervor. Er spannte seine Flügel weit auf und schwang sich in die Luft.
„Er kann wieder fliegen. Hurra!“ Tom und Lisa fassten sich an den Händen und tanzten durch das Gras. Der Adler drehte einige Runden über ihren Köpfen und kam dann wieder zu ihnen zurück. "Ich danke euch. Wie kann ich das nur wieder gut machen?" Lisa hatte schon eine Idee, was der Adler für sie tun könnte, doch Tom kam ihr zuvor und sagte: "Du bist frei, du bist uns nichts schuldig. Wir haben dir gern geholfen.Wenn du jemdem danken willst, dann dem Zaubervogel, der uns das goldene Blatt geschenkt hat. Wo ist es denn überhaupt?"
Da sahen sie, wie der Wind das goldene Zauberblatt davon trug, immer höher in den blassblauen Herbsthimmel. Der große Vogel bedankte sich nochmal bei den beiden und folg in Richtung Berge davon.
Jeden Herbst, wenn die Blätter sich wieder golden färben, dachten sie an das goldene Zauberblatt und ihren Freuend, den Adler.