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Das Kind und das Konzert

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Das Kind und das Konzert

Freitag, der 18.12.2002
Die Ostseehalle ist schon ziemlich voll. Langsam schleiche ich mich vorwärts, auf die Bühne zu, zwischen den herumstehenden Leuten hindurch.
Es sind Metaller, natürlich, und es gibt hier alle Arten von Freaks. Kahlrasierte, totalgepiercte, Gruftis in Samtkleidern, Lack und Leder...
Alle warten auf die Hauptgruppe. Die Vorband spielt, okay, es ist zwar Metal, aber es ist mehr schlecht als recht. Irgendwie haut es, außer den beiden Betrunkenen direkt vor mir, niemanden wirklich vom Hocker. Die beiden gehen ab wie geölt, und ich komme nicht an ihnen vorbei.
Ist es arrogant von einem kleinen, fünfzehnjährigen Mädchen, bei einem Konzert der lautesten Heavy-Metal-Band der Welt in der ersten Reihe stehen zu wollen?
Langsam wechselt das Terrain. Aus den kleineren, schwächlichen Metallern werden langsam richtige Schränke. Irgendwo rechts von mir sehe ich meinen Bruder. Er unterhält sich mit dem ehemaligen Vampire-Prinzen aus Kiel.
Nein, von hier aus kann ich nichts sehen. Die Männer vor mir sind zu groß. Ich muss weiter nach vorne.
Endlich ist die Vorband verschwunden. Das eine, einzige Mal auf ihrem gesamten Auftritt ernten sie frenetischen Jubel.
Unruhe breitet sich im Publikum aus. Aber die Band lässt auf sich warten. Wer denn, ausser den Kings of Metal, kann sich das erlauben?
Jetzt komme ich nicht mehr so voran wie bisher. Ich stehe ungefähr 10 Meter von der Bühne weg, aber es ist ab jetzt unmöglich, wie ein Geist durch die Reihen zu gleiten. Die Fans stehen schon zu dicht.
Soll ich mich weiter vorkämpfen? Nein, lieber nicht.

Dann kommt die Band auf die Bühne. Sofort ist die ganze Halle von Schreien erfüllt. Jemand rammt mich von hinten, und ich rase wie eine Billardkugel durch die Reihen.
Panik überfällt mich. Die Leute stehen hier zu dicht, ich werde von allen Seiten angedrängelt und geschoben. Vier oder fünf Menschen stehen auf einem Quadratmeter, alle kämpfen sie sich nach vorn. Ich beginne in Panik zu schreien, daraus werden gleich danach Schreie der Freude, als die Band zu spielen anfängt. Ich brülle meine Erregung und meinen Zorn darüber, nicht weiter nach vorn zu können, laut heraus.
Die beiden Betrunkenen, die eben noch lauthals darüber geprahlt haben, sich in die erste Reihe kämpfen zu wollen, werden von der Menge langsam, aber sicher nach hinten gespült, als sie nach vorn rückt.
Okay, was die können, kann ich auch.
Ich habe einen Vorteil. Meine spitzen Ellbogen sind auf einer Höhe mit ihren Nieren, und diesen Vorteil nutze ich. Es ist der Kampf meines Lebens, aber ein einziges Mal bringt mir meine fehlende Größe den Sieg.
Ich will die Band sehen! Nein, ich will nicht, ich muss. Mein Seelenheil scheint davon abzuhängen. Mir scheint, mir war noch nie etwas so wichtig. Ich will die Band sehen! Und ich will, dass die Band mich sieht!
Jetzt, vor mir steht nur noch ein blondes Mädchen, neben sich ihr Freund. Hier bleibe ich, jetzt kann ich über sie hinwegsehen.
Über mir steht die Band, der Gitarrist lächelt mir zu. Ich glaube, ich kann fliegen. Sie zerren von hinten an mir, aber dieser kurze Moment hat mir so viel Kraft gegeben, dass ich mich am Geländer festklammern kann.
Dann ziehen sich das Blondie und ihr Freund zurück. Sofort bricht ein Ansturm auf den freien Platz los. Die Personen rechts und links von ihr wollen die Lücke, weil da mehr Platz für sie ist Sie wollen sie, um nächer an der Band zu sein.
Ich will sie auch! Ich muss sie haben!
Ich erkämpfe mir mit rücksichtslosen Ellbogenstößen den freien Platz. Jetzt bin ich vorne in der Mitte! Als der Sänger das nächste Mal nach vorn springt, sieht er mich genau an.
Plötzlich reißt von hinten jemand an meinen langen Haaren, will mich von der Bühne wegzerren! Ich wehre mich, aber diese Person ist stärker als ich.
Mir bleibt nur noch ein Ausweg. Ich öffne meinen Gürtel, schließe ihn wieder - jetzt bindet er mich an das Geländer, das von vielen Leibern bereits glatt und blank gerieben worden ist.
Irgendwann gibt die Person hinter mir frustriert auf. Ich stehe hier vorne, in Sicherheit.
Und über mir spielt die Band.

Und dann, als der Sänger vorne kniet und seinen Göttern des Metal sein Leben anbietet, als er am Ende des Liedes auf den Knien verharrt, fällt sein Blick wieder auf mich, und auf meine hochgereckten Arme... er greift nach vorn, nimmt meine Hand.
Seine Hand ist warm, während meine eiskalt ist und nass vor Schweiß. Er lächelt mir zu und steht dann wieder auf.
Ich schreie vor Glück. Schreie es heraus und lache, drehe mich halb um und umarme den hinter mir Stehenden. Er klopft mir auf die Schulter, lacht mir zu. Ich sehe auch meinen Bruder. Er steht schräg hinter mir, deckt mir den Rücken.
Dann drehe ich mich wieder um, schmiege mich an das Geländer, die Arme hochgereckt, den rechten Ellbogen auf die Schulter des Mannes neben mir gestützt, so wie er seinen Ellbogen auf meine Schulter stützt. Wir werden eng aneinandergepresst. Normalerweise mag ich das nicht, aber in diesem Fall ist es anders. Hinter mir ist noch ein Mädchen, sie wird gegen mich gedrückt mit ihrem weichen Körper. Wir beide sind die einzigen Frauen hier, in der Mitte, bis auf eine merkwürdige Oma, die in einer orange-gelb-rot-gestreifen Strickjacke irgendwo links von mir wahnsinnig abgeht.

Das letzte Lied ist eine Ballade. Mir und allen anderen, die geschwitzt, geblutet und gekämpft haben, laufen die Tränen übers Gesicht. Dann geht der Bassist nach vorn und beginnt, eine Saite von seinem elektrischen Bass zu reißen. Der Bass jault auf, in immer schrillere Höhen, es ertönt ein lautes "Ploink" aus den Boxen.
Die Seite in seiner Faust rollt sich zu einer Spirale zusammen, die er mit der Hand umschließt, und dann geht er an die rechte Seite der Bühne und gibt sie irgendjemandem in die Hand...
Das Publikum schreit. Die Arme an der rechten Seite der Bühne werden hochgereckt. Er lässt sich wieder auf ein Knie sinken, beugt sich vor, zieht eine der Hände aus dem Gewimmel und drückt die Baßsaite hinein. Dann steht er wieder auf, zieht erneut an einer der Saiten, bis sie sich löst.
Der Baß hat vier Saiten. Nur!
Er kommt in die Mitte... er sieht das Mädchen neben mir an, dann mich. Ich schreie seinen Namen, so laut ich kann, stelle mich noch weiter auf die Zehenspitzen... und er sieht mich an. Dann nimmt er meine Hand, zieht mich noch weiter nach oben, aus der namenlosen Menge heraus, bis mein Gürtel mir schmerzhaft ins Fleisch schneidet, und schließt meine Finger um die Saite.
Ich bin im Himmel!

Als das Konzert vorbei ist, bin ich eine der Letzten, die geht. Überall liegen leere Plastikbecher und es riecht nach Bier. Egal. Ganz egal.
Meine Finger umklammern immer noch die Gitarrensaite, meine Beine zittern unter mir, ich bin schweißgebadet.
"Komm schon, Lady, das Konzert ist vorbei!" Einer der Security-Men berührt mich am Arm.
Ich schenke ihm ein Lächeln. Mein ganzer Körper schmerzt von Tritten und Hieben, als ich an ihm vorbei dem Ausgang und dem kalten Winter entgegenschwebe. Draußen warten mein Bruder und ein kühles Bier auf mich.

 

Das ist ein Erlebnisbericht - keine fiktive Geschichte! Bevor es hier vernichtende Kritiken hagelt, will ich nur sagen, dass ich versucht habe, das Erlebnis so gut wie möglich einzufangen.

 

Hi

Hehe, das ist fies, wenn man von vornherein sagt, dass es ein Erlebnisbericht ist. Allerdings kann man vom selben Ereignis unzählige völlig verschiedene Erlebnisberichte schreiben, weshalb auch der Inhalt nicht unantastbar ist :teach:

Dir scheint es hier vor allem auf die Gefühle des Mädchens anzukommen. Dein Stil liest sich gut, kurz und bündig wie ein Livebericht. Ein bisschen mehr Athmosphäre hätts allerdings schon sein dürfen. Damit sich der Leser auch live dabei vorkommt, braucht es mehr Beschreibungen von Geräuschen, Gerüchen, visuellen Eindrücken etc. Reicht ja, wenn das angedeutet wird, aber hier fehlt mir das etwas.

Auch wenn das ein Erlebnisbericht ist, verstehe ich nicht ganz, wieso das Mädchen am Anfang so ironisch und lässig die Leute und die Vorband inspiziert, obwohl es doch eigentlich viel zu aufgeregt und beschäftigt sein müsste, seinen Platz zu verteidigen, um solche UNtersuchungen durchzuführen.

An einigen Stellen hab ich schmunzeln müssen, als sie sich festkettet z.b., oder hier: "Mir und allen anderen, die geschwitzt, geblutet und gekämpft haben, laufen die Tränen übers Gesicht."
Ich hoffe, dass die Ironie da gewollt war ;)

Liebe Grüße
Christoph

 

Ja, war sie :)
Ich muss die Geschichte auch nochmal überarbeiten, es war nur erstmal das Skelett, das raus wollte!

 

Hey Noel,

schön, dass du mit der Geschichte was anfangen konntest. Ich habe mich auch sehr bemüht. ;)
Beim Lesen ist alles wieder hochgekocht - danke, dass du alte Schinken rausgekramt hast. Ich hab den Text nochmal editiert und ein paar Tippsler und Wortwiederholungen rausgekramt - ich werde den jetzt mal abonnieren, falls hier noch weitere Kritiken eintrudeln (das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, ich würde mich sehr darüber freuen!)

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Vita,


mir hat deine Geschichte weniger gefallen. Schwer zu sagen, warum, aber die Geschichte hat sich tatsächlich wie der Bericht eines naiven Mädchens gelesen, welches, gerad erst der Pubertät entronnen, nun unbedingt wie seine Freundinnen in ein Metalkonzert wollte und dieser Besuch das "größte ihres Lebens" wurde. Ganz gut erzählt, aber inhaltlich stellt mich der Text nicht zufrieden, ich finde ihn platt.

Von dir erwarte ich eindeutig mehr, aber die Geschichte, wenn ich dich recht verstehe, stammt ja auch aus dieser deiner Zeit, oder?


FLoH.

 

Hi floh,

schade, dass du mit dem Text nichts anfangen konntest. Ich habe überlegt, ob ich überarbeiten soll, aber ich kann deine Kritik nicht richtig nachvollziehen (soll keine Kritik an der Kritik sein) und denke, dass ich den Text lieber noch etwas liegenlassen sollte.
Trotzdem danke für deine Meinung.

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo vita,

Vielleicht könntest du ja die Geschichte besser machen, indem du bewusst neben der vielbenutzten - tschui: - 08-15-Ich-hab-ein-Rockkonzert -besucht-und-das-war-das-größte-Erlebnis-meines-Lebens-Schiene läufst.
Du hast ja schon einige Schmankerl angedeutet in der Geschichte, wie z.B. wie das Mädchen sich vorwärts kämpft und die beiden Betrunkenen, der Kampf um die besten Plätze, der Blick des Sängers, der das Mädchen zur Extase bringt. All das könntest du noch weitertreiben, näher, markanter beschreiben. Baue Kontraste ein und gestalte sie aus, am besten solche Kontraste, auf die vielleicht ein jeder Konzertbesucher stößt aber sie nicht wahrnimmt bei dieser Reizüberflutung. Fakt ist, jedenfalls meiner Meinung nach, die Geschichte braucht mehr Profil, braucht mehr Abhebung vom Mainstream.

Kleines Detail:

Die beiden Betrunkenen, die eben noch lauthals darüber geprahlt haben, sich in die erste Reihe kämpfen zu wollen, werden von der Menge langsam, aber sicher nach hinten gespült, als diese nach vorn rückt.
... notwendig, da sie eine höhere Affinität zum Subjekt hat und daher mit dem Singularverb rückt in Konflikt gerät. Nimm diese, das bezieht sich erstmal immer auf das nächst vorangehende Substantiv.
Dieser Stilfehler ist mir noch schnell aufgefallen.


Grüße, FLoH.

 

Lol, fast auf den Tag zwei Jahre her, lol. Und hab ich das gerade richtig gelesen, Manowar? Argh. Solche Fehler hab ich in meiner Pubertät nicht begangen (moment bin ja noch drin).
Also ich fand den Text eigentlich ganz gut. Ich meine, ist halt wie ein Livebericht und muss dann auch wie so einer behandelt werden. Ich glaub da hab ich schon einge schlechtere gelesen. Ich grad die anderen Kritiken gelesen und gesehen, dass mehr Eindrücke gefordert werden. Hab auch drüber nachgedacht. Aber nein, eigentlich fand ichs okay. Würde sagen, ich bin zufrieden. Hab ihn gelesen und nicht gedacht, "Boah ist der gut, aber ich dachte auch nicht, joa scheiße, dass du den jetzt grad noch gelesen hast." Also gutes Mittelding. Ich fand die Euphorie oder wie mans nennen will, ist gut rübergekommen. Ich meine, ich bin nicht der Typ, der jemals auf ein Konzert gegangen ist und so rumgeschrien hat. Aber du hast es so rübergebracht, dass ich es nachvollziehen konnte. Nur so aus Neugierde: das mit dem Gürtel, hast du das wirklich gemacht? LoL

 

Hallo Vita,

ich fand die Geschichte auch okay so. Wenn du nicht geschrieben hättest, dass es ein Erlebnisbericht ist, dann hätte ich vermutlich auch etwas mehr Handlung verlangt :)!
So hingegen fand ich ihn echt sehr gut. Es hat mich wieder in die Zeit zurück versetzt, als ich selbst noch 15 Jahre alt war und auf Konzerte gegangen bin - und eigentlich genauso gefühlt habe, wie dieses Mädchen. Da war einem alles egal - hauptsache man kam der Band so nah wie möglich.
Insofern war deine Geschichte eine kleine Zeitmaschine. Danke dafür!

Frohe Weihnachten und LG
Bella

 

Hi floh, Tommy und Bella,

tut mir Leid, dass ich hier so lange nicht reingeguckt habe - aber mein Internet geht auf dem Zahnfleisch. Deshalb an dieser Stelle ein liebes "Danke" fürs Kritisieren.

floh: Den Stilfehler werde ich überarbeiten - ich mag das Wort "diese" nicht so besonders, mal sehen, ob ich den Satz umstellen kann.

Tommy: Ja, das hab ich gemacht, aber nur kurz, als das Gedränge am schlimmsten war. Irgendwann hat mein Bruder mir den Rücken freigehalten und ab da ging es dann. Schön, dass du mit dem Text etwas anfangen konntest.

Bella: Mehr Handlung? :susp: Wo soll ich die denn noch reinquetschen? :D

Da war einem alles egal - hauptsache man kam der Band so nah wie möglich.
Das ist Gott sei Dank auf Metal-Konzerten nicht so. Bei einem normalen Konzert wird jemand, der umgefallen ist, von den anderen zum Draufstellen benuzt, man kann ja besser sehen so. Bei Metal-Konzerten wird der Entsprechende meistens hochgezerrt und nach vorn in den Bühnengraben durchgereicht... das erinnert mich an diese eine Anekdote, weiß nicht mehr, welche Band das war. Jedenfalls taumelt ein Besoffener auf der Bühne rum, bis der Drummer ihn ins Publikum tritt. Das hat er, glaub ich, nur knapp überlebt - die Band war aber auch Black oder Death-Metal, also nichts, wo man solche Dinge tun sollte.
Ich hoffe, du hast damals mit 15 nur angenehme Dinge erlebt, sonst müsste ich mich jetzt ja schuldig fühlen ;)

gruß
vita
:bounce:

 

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