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Das Sterben ist ästhetisch rein

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07.01.2005
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Das Sterben ist ästhetisch rein

Manchmal ist die Einsamkeit, die ein ordinärer Flur vermittelt, mehr als man mit den größten Worten auszudrücken vermag.

Die Wände weiß, die Decke weiß – der Fußboden grau meliert.
Ein wenig Farbe muss sein.
Blumen blühen in ewigem Plastikglanz, täuschen die gewillten Sinne. Geräusche gedämpft – Gefühle verhalten. Man will nicht stören.
Die Bluse weiß, die Hose weiß – der Nagellack grau meliert.
Ein Lächeln muss sein.
Im Porzellangesicht der ungewohnten Jugend. So höhnisch an diesem Ort. Unerreichbarer Traum serviert Essen in Plastiknäpfen.

Schließt sich die Tür wieder, geht es weiter, das humane Sterben in blütenweißen Laken.
Gerahmte Bilder an der Wand, gerahmte Erinnerungen. Luftdicht hinter Glas versiegelt – sie sollen nicht stören.
Verständnis schenkt der tote Heiland an der Wand – salbungsvoller Holzblick vom ehernen Kruzifix.
Erreicht er die blinden Augen?
Die Haare weiß, die Haut weiß – das Gesicht grau meliert.
Milder Blick der Seligkeit in Tablettenform. Dämmern im Tagtraum:
Ein Leben, dass nur noch die Vergangenheit kennt.

Könnte man doch das Lächeln einen Moment für bewusst halten, die Einsamkeit mit Ruhe verwechseln, Lethargie mit Zufriedenheit – einmal Milderung, einmal Erleichterung am Puls der Vergänglichkeit.
Welke Herzen fallen im Herbst.

 

Hi dornenkind,

normalerweise lese ich nicht in dieser Rubrik, aber bei dem Titel musste ich die Geschichte ja anklicken. ;) Allerdings weiß ich nicht, ob der Titel copyright-technisch okay ist. Für das Buch haben wir uns die Genehmigung geholt. Du hast hier ja eine kleine Abwandlung benutzt - aber inwieweit das in Ordnung ist, weiß ich wie gesagt nicht.

Die Geschichte selbst hat mir gut gefallen. Du schaffst ein sehr dichtes Werk. Ich musste recht langsam lesen, damit mir keine Nuance, keine Information durchging. Die Atmosphäre, die Trostlosigkeit, die Anonymität, das alles hast du sehr gut eingefangen und rübergebracht. Nichts zu meckern, außer einer Kleinigkeit:

Erreichen sie die blinden Augen?
Auf wen oder was bezieht sich dieses "sie"? Das wird nicht deutlich, weil es grammatikalisch zu keinem zuvor genannten Plural passt.

Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo ihr beiden!
Danke für das Lob.
Ja, mit Titeln habe ich es ehrlich gesagt nicht so - ich weiß, tolle Voraussetzung zum Geschichten schreiben ;)
Ich habe keine Ambitionen diese Geschichte irgendwie weiter zu veröffentlichen oder zu verkaufen, meinst du, dann geht das mit dem Titel in Ordnung?

Kerstin, zu deiner Anmerkung, du hast völlig recht, das ist ein Fehler, der daher rührt, dass ich die "Holzblicke" in einen "Holzblick" umgeändert, allerdings nicht daran gedacht hatte, den nachfolgenden Satz entsprechend umzuändern.
Wird behoben, danke fürs aufmerksam machen :)

Liebe Grüße

 
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Hallo dornenkind,

Wieder gefällt mir die Ruhe und Klarheit deiner Prosa, der Rhythmus deiner Sprache ist angenehm und lyrisch, deine Wörter bedeutungsvoll.

T.

 

Mehr als eine Beobachtung ist das allerdings nicht. Und das hätte ich eben anzumäkeln: Da ist eine Idee, die allein von sich selbst leben soll. Jedoch ist diese Idee/Beobachtung nun wirklich nichts besonderes. Daher erreicht mich Dein Text nicht. Deine Sprache ist zurückhaltend, manche nennen sie lyrisch in ihrer Einfachheit. Mag sein, jedoch hält sie sich meinem Geschmack nach zu sehr zurück. Egal, ob Handlung oder Stil, alles hält sich zurück, um diese Beobachtung zu vermitteln. Ist mir zu wenig. Daher wirkt Dein Text belanglos. Wird bei mir nicht hängen bleiben.

 

Hallo TWP :-) Danke! Schön, dass dir mein Stil gefällt.

Hallo Zaza! Du hast recht, es ist nur eine Momentaufnahme. Schade, dass dich der Text so gar nicht berührt. Sicherlich ist die Beobachtung an sich nicht spektakulär, aber mein Ziel war es eher, eine bestimmte Stimmung wiederzugeben, als eine revolutionäre Entdeckung zu machen. Nun hat das bei dir anscheinend auch so gar nicht funktioniert! Könntest du mir noch genauer erklären, was du mit "zurückhalten" meinst? Sind die Bilder dir zu wischi-waschi? (Um mal Klartext zu reden ;) Ich bin zu müde für Euphemismen ;))

 

Also, ich versuche es mal zu erklären:

Die Stimmung soll durch Details vermittelt werden. Die Details sind z.B. weiße Decken und Wände, Plastikpflanzen, weiße Uniform, Essen in Plastiknäpfen. Will jetzt nicht alles raussuchen. Diese Details sind ja auch jedem geläufig, das wird jeder schon beobachtet haben. Daher müsste das wenigstens so aufbereitet oder sagen wir lieber beschrieben werden, dass es etwas eigenes hat. Ansonsten wird da ein Bild abgespult, dem ich ziemlich gleichgültig gegenüberstehe, da ich es schon so oft gesehen habe, also ein alltägliches Bild. Und hier finde ich Deine Sprache zurückhaltend, da sie sich gewöhnlicher Begriffe bedient. Nehmen wir einmal den Ausdruck "Plastiknapf". Der geht schon in die Richtung, die mich ansprechen würde. Diese Beschreibung enthält eine gewisse Schärfe, die mich zum Denken bringt. Und diese Schärfe des beschreibenden Beobachters wird meiner Meinung nach sprachlich noch nicht zur Genüge vermittelt.
So verständlicher?

 

Ganz schön abgebrüht, Zaza - . Der Text ist leise formuliert, aber sehr einfühlsam komponiert. Und der Tod und das sterben sind nun wirklich nichts besonderes, nur ewig bewegend.

 

Ja, Danke für die Erläuterung :)
Plastiknapf..ja, das Wort mag ich auch, allerdings finde ich, dass sich in Ausdrücken wie "Milder Blick der Seligkeit in Tablettenform." dieselbe Kritik finden lässt.
Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass wir unterschiedlich besaitet sind, ich persönlich finde die Realität eines Altersheimes schockierend genug, auch ohne, dass ich die von Golio erwähnten Windeln o.ä. explizit erwähne.

 
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Da muss ich dir widersprechen, Zaza! "Schärfe", auch zur Kritik, ist doch nicht immer was Gutes. Das muss einem schon liegen. Ich meine, dornenkind würde sich durch zuviel aufgetragene "Schärfe" ihren sensiblen Stil verderben, es sei denn, sie kommt wirklich von selbst aus ihr.

 
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Ja, an der Stelle lässt sie sich auch finden. Aber mir ging es ja um die Austauschbarkeit Deiner Begriffe und darum einen Begriff zu finden, der mir gefällt. Und die Konstruktion, die von Dir zitierte, ist mir persönlich zu schmalzig. Es ist auch so typisch Frau (behaupt ich mal dreist), so große Begriffe wie Vergänglichkeit, Lethargie und Zufriedenheit in einen Satz einfließen zu lassen. Das ist für mich gerade nicht poetisch. Natürlich ist das auch Geschmackssache. Aber nicht nur. Nur zum Denken: Worin besteht die Wirkung eines Textes, der etwas sagt, was ich schon kenne, der keine Unterhaltung enthält, weil ja da an Handlung nun einmal nichts ist, und der dazu lauter Begriffe und Sätze aneinanderreiht, die ich durch andere austauschen kann?

Für mich hat das dann so viel Gehalt wie Small Talk. Doch auch Small Talk hat natürlich seine Zeiten. Damit will ich sagen: Ich erwarte gar nicht, dass Du irgendwas änderst.

Zu der Realität eines Altersheims: Du kannst Altersheime so schockierend finden, wie Du willst, die Realität ist aber da draußen, und wir zwei befinden uns gerade in Deinem Text. Es geht nicht um Deine Einstellung, sondern um den Transport derselbigen. Aber die Story hat ja längst ihre Leser gefunden.

TWP: Das war ein Beispiel. Und so wie ich es sehe, ist diese Schärfe eh schon enthalten, nur nicht zur Genüge auf den Punkt gebracht.

 
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Sorry Zaza,
Ich kann es so einfach nicht stehn lassen - .

dornenkind schrieb:
Könnte man doch das Lächeln einen Moment für bewusst halten, die Einsamkeit mit Ruhe verwechseln, Lethargie mit Zufriedenheit – einmal Milderung, einmal Erleichterung am Puls der Vergänglichkeit.
Ein guter Satz mit gut gewählten Wörtern und wirklich nicht weibisch. Im Einzelnen klingt er etwas pathetisch, im Textfluß glaubwürdig.

Mag dornenkind zwar offensichtliche Dinge beschreiben, so bemerkt doch nicht jeder Mensch, der sich in einem Altenheim bewegt, gleich automatisch des Verfalles Hohn über all das gewohnte Weiße und über die gewahrte Reinlichkeit. Es ist kein Small-Talk, eher metaphysisch; was der letzte Satz unterstreicht.

 

Hi Dornenkind,

schöne Worte, die eine Geschichte im Kopf erzeugen können.

Mir aber einen Tick zu lyrisch. Will sagen, nicht wirklich eine Geschichte.
Hättest du eine kleine Handlung reingebracht. Eine alte Person, die den Flur entlang geht, um vielleicht ihre Freundin, die krank im Bett liegt, zu besuchen.
Sie hätte diese Gedanken haben können, unterbrochen von etwas pulsierendem Leben.

So hast du zwar, wie schon erwähnt, schöne Worte gefunden, aber es ist mir nichts unter die Haut gegangen.
Ist aber alles Geschmacksache. :)

lieben Gruß, coleratio

 

Hallo Dornenkind,
Deine Geschichte musste ich langsam lesen. Eine gewisse Melancholie habe ich schon gesehen, aber die Geschichte hat mich nicht berührt. Dafür ist sie mir zu konstruiert, wirkt mehr wie eine Schreibübung zum Parallelismus

Die Wände weiß, die Decke weiß – der Fußboden grau meliert.
Die Bluse weiß, die Hose weiß – der Nagellack grau meliert.
Die Haare weiß, die Haut weiß – das Gesicht grau meliert.
Das wirkt auf mich aufgesetzt, vielleicht, weil der Text nur von Beobachtung lebt.

So bleiben nicht zuletzt Einleitung und Schlussabsatz für mich auch nur Phrasen, die zwar schöne Worte beeinhalten, mir aber nicht den entsprechenden Gedanken vermitteln.

Welke Herzen fallen im Herbst.

Als Methapher kann meiner Meinung nach dieser Satz nicht funktionieren, weil der vom vertrauten Sprachgebrauch gelöste Bedeutungszusammenhang im Kontext des Textes nur einmal und nicht in einem neuen Zusammenhang auftaucht und daher kann ich die Bedeutung nicht einordnen. Ich denke nur an die welken Blätter im Herbst, die fallen. Die Aussage die ich verstehe (freie Assoziation), ist alte Menschen sterben im Herbst. Den Bezug zum Rest der Geschichte erkenne ich damit nicht.

LG
Goldene Dame

 

Welke Herzen fallen im Herbst.
Der Bezug ist zu erkennen, da sich im Verlauf des Textes eine sterile, völlig anti-herbstzeitliche Stimmung aufbaut. Dass der Satz keinen direkt förmlichen Bezug zum voran gegangen hat, bestärkt seine Wirkung, lässt ihn wie eine letzte, einnehmende Klage klingen.

 

Ich bin nicht in der Lage das feine Zusammenspiel einzelner Wörter abzugleichen oder die glatte Atmosphäre auf winzige Haarrisse zu untersuchen.
Obwohl keine Geschichte, hat mir der Text gefallen. Obwohl er nichts Neues zeigt, bringt er Erinnerung an Bekanntes, was auch wichtig ist und wir brauchen.
Liebe Grüße
3

 

Zaza schrieb:
Mehr als eine Beobachtung ist das allerdings nicht.
dornenkind schrieb:
Hallo Zaza! Du hast recht, es ist nur eine Momentaufnahme.
lukas_iskariot schrieb:
inhaltlich gibt es wenig zu beanstanden, nur formal, da es sich eher um ein prosagedicht handelt, als um eine kurzgeschichte.
Dreimeier schrieb:
Obwohl keine Geschichte, hat mir der Text gefallen.
:confused: Keine Geschichte und der Text steht noch hier, auf kurzgeschichten.de? :confused:

 

Hallo, Hallo :)

Danke Golio :) Und danke TWP, du nimmst mir die Worte aus dem Mund. Der letzte Satz bricht mit dem vorher Beschriebenen, denn in diesem wurden die Menschen als Teil der Räumlichkeiten in einem Atemzug mit der Beschreibung der Umgebung genannt. Dieser Satz sollte nun daran erinnern, dass es sich hierbei doch immer noch um Menschen handelt ("Herzen" als Symbol für die Gefühle, die gerne mal übersehen oder ignoriert werden). Der Herbst ist die Jahreszeit des Verfalls, alles stirbt, andererseits wohnt ihm eine Ruhe inne, ein zur Ruhe kommen, die Zeit des Innehaltens, deshalb hielt ich das Bild hier für angebracht.

 
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Hallo dornenkind

Ich freu mich über ein wenig Prosa. Und Golio ist da ja auch meiner Meinung. Der wird nämlich gerade Fan von Miniaturprosa.
Deine Prosa KG ist schön statisch, ohne Bewegung. Ich hatte ein exaktes Bild vor Augen. Das hat man selten. Es könnte das letzte Bild in den Augen einer alten Frau in diesem Altenheim sein. Denn der letzte Blick erfriert und bleibt vereist. So wunderschön und gleichzeitig eiskalt tragisch beschreibst du hier den entscheidenden Moment des Todes. Den endgültigen Stillstand. Wie ein Zielfoto von einem Läufer. Auf die hundertstel Sekunde genau. Nach „welke Herzen fallen im Herbst“ kann man nur noch metaphysisch weiterschreiben (aus der Sicht in der du hier schreibst). Denn das Irdische hat hier seinen absoluten Stillstand gefunden.
Mann sollte sich bedanken, dass man zu diesem, zeitlich nicht zu erfassendem Moment dabei sein durfte.
Also: Dankeschön!
Übrigens finde ich es wichtig und hier gelungen, dass man Pseudonym und Geschichte in Einklang bringen kann.
Wie wäre es mit „das Sterben ist ästhetisch starr“? Wenn ich mir anmaßen darf dir hier Vorschläge machen zu können. Passt aber auch nur zu dieser Interpretation.

 

Hallo Aris :)

Danke für deine netten Worte. Titelvorschläge sind willkommen :D Ich hatte auch darüber nachgedacht, den letzten Satz als Titel zu verwenden, aber das wäre ja irgendwie arg einfallslos oder

 

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