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Der 87-cm Blaumann
Der Blaumann
Emmys Anweisungen per SMS waren eindeutig: „Morgen nicht vor 08:00; sturmfrei bis 15:30; in Arbeitssachen; Hausnummer 16; Parken vorm Eingang!“
Nachdem sich Thomas und seine große Werkzeugkiste durch die halbgeöffnete Tür fädelte, geriet er arg ins Straucheln. Ihn streifte der sprichwörtliche Bus, als er Emmy lediglich mit einem lottrigweiten, verwaschengelben T-Shirt bekleidet hinter der Tür stehen sah. Das war allein schon gleichgewichtsgefährdend. Er wäre ihr zudem fast vor ihre langen Beine gerollt, weil sie an der schwer tragenden Hand zog.
Die Begrüßung: „Empfängt man so frühmorgens halb zehn in Deutschland den Handwerker...“, blieb ihm im Hals stecken.
Sie zog ihn am Kistengriff bis in die Küche und wies ihm mit einem Kopfnicken einen Stuhl an. Der Tisch war an den Stirnseiten mit zwei großen Kaffeetasse gedeckt. Nein, neben seiner stand noch eine überdimensional große, nicht zum Service passende, Zuckerdose. Obwohl er doch Zucker verabscheute. Emmy, mit der Kaffeekanne in der Hand, fragte noch beim Eingießen mit einem hintergründigem Lächeln: „Kaffee... oder?“
Ohne eine Antwort abzuwarten wanderten Kanne und halbeingegossene Tasse auf die Spüle und plötzlich saß sie vor ihm auf dem Tisch. „Natürlich nimmst du den Begrüßungstrunk erst nach dem Begrüßungskuss!“
Ihre noch halbfeuchten Haare dufteten exotisch und drängelten sich immer wieder zwischen die Lippenpaare.
Thomas ahnte jetzt, dass er wohl sehr kalten Kaffee genießen wird und ergab sich ganz ihrer Inszenierung. Nur bei den Verschlüssen an der Latzhose musste er helfen, wie seinerzeit sie ihm beim Designer - BH. Als sie ihn zu sich nach oben zog, fiel nicht nur die Hose, sondern durch den Ruck auch der Stuhl zu Boden. Ohne hinzuschauen fingerte sie aus der hässlichen Zuckerdose ein irgendwann gepelltes Kondom. Wie ein Zauberkünstler dem Publikum das Kaninchen oder ähnlich pretty J.R. ihrem R.G., präsentierte Emmy den Gummi aus der Dose.
Sie benutzten diese Dinger eigentlich von Anfang an. Eine konkrete Aufforderung einer Seite war dem nicht vorausgegangen. Obwohl ihnen mittlerweile auch ohne gegenseitige Versicherungen klar war, dass es derzeit keine Drittkontakte gab. Nur ein einziges Mal, vor ungefähr vier Wochen, war es im Gewühl untergegangen. Sie kam aus dem Bad und sah beim Zurückschlagen der Bettdecke, dass die zweite Runde vorzeitig begonnen hatte und setzte sich einfach rücklings auf ihn.
Mit zarter Hand überrollte sie die fast vollständige Erektion.
„Komm und beweg dich erst, wenn ich dich kneife!“ Sie seilte sich an seinen Armen nach hinten auf den Tisch ab. Gefühlvoll drang er in sie ein. Dem Nachkommen seines Oberkörpers wirkte sie mit einem sanftem, aber bestimmtem Druck der rechten Hand entgegen. Einzig ein leises Streicheln am Hals duldete sie als Zweitgefühl. Heute hatte Emmy ein ganz besonderes Ritual vollzogen.
Er konnte so ganz locker vor ihr stehen und wie ausdrücklich gewollt seinen sonstigen Körperdruck auf ein Minimum reduzieren.
„Für mich bist Du aber nicht besonders klug gewesen“, ging es ihm durch den schwindelnden Kopf. Er konnte seinen Bauch hinunter über das Fühlen hinaus auch noch sehen, wie sich Emmy um ihn zusammenzog. Die Blickwendung in Richtung ihrer geschlossenen Augen und den zufrieden halbgeöffneten Mund, in dem ihre Zunge sich leise am oberen Zahnweiß festhielt, half da nicht mehr. Noch bevor Thomas den Eindruck hatte, dass sie ganz auserfüllt war, was bestimmt nicht an ihr lag, bemerkte er sein Pulsen. Sie passten jetzt ihre Körperbewegungen dem an und er berührte vom Schenkel nach innen gleitend mit dem rechten Daumen das Ende ihrer Falten. Ihr Seufzen wurde lauter. Die weitere Geräuschkulisse erweckte den Eindruck von nackten Füßen in feuchtem Lehm. Trotzdem begriff Thomas, dass ihr Orgasmus nicht so ganz vollständig ausgebrochen war.
"Ich werde das anders ausgleichen müssen!“
Er hob den Stuhl auf, setzte sich und konnte erst wieder richtig durchatmen, als ihre Beine seinen Hals etwas weniger umschlangen.
„Komm, ich zeig dir das Haus!“ Emmy nahm die Zuckerdose und zog ihn vom Stuhl. In der Kellersauna streifte sie das angeschwitzte T-Shirt ab und drehte die Dusche auf. Noch bevor beide das warme Wasser genießen konnten, schlug der Türgong erst zweimal, dann mehrfach an.
Nach Emmy´s blitzartigen Überlegung konnte es sich nur um ein außerfamiliäres Anliegen handeln. Mann und Kinder hatten Schlüssel. Sie ging nach nebenan und warf den Trainingsanzug über und obendrein noch eine Windjacke, die über dem Fahrradergometer hing. Unter der noch laufenden Dusche befeuchtete sie ein Handtuch, schlang es um den Hals und eilte nach oben. Hier und heute war Emmy die platzbauende Mannschaft und musste das Problem mit ihrer Orts- und Sachkenntnis allein lösen. Sie war aber gar nicht hektisch und Thomas fand damit auch seine Ruhe wieder, obwohl doch alle seine Sachen, auch die grüne Werkzeugkiste, in der Küche verblieben waren.
Vor der Tür stand der Nachbar. Emmy entschuldigte sich, dass sie nicht gleich geöffnet hatte und erklärte wortreich, dass eine eingepackte Fahrradfahrt mit guter Musik am besten Fett verbrenne und der Monteur sie erst auf das Läuten aufmerksam gemacht habe. Der Nachbar entschuldigte sich seinerseits, seine Tochter komme morgen aus der Klinik mit dem Baby, die Heizung sei ausgefallen und ob vielleicht der Monteur, der gerade bei ihr war, bei ihm anschließend...
„Herr Mann von VISS...“, rief sie mit leicht zur Kellertreppe gedrehtem Kopf in einem Tonfall als würde der Zeremonienmeister der Queen ein altes deutsches Adelsgeschlecht zum Tee ankündigen: „...wie lange haben wir noch zu tun mit dem Brennerdingsda?“
Thomas konnte sich das Lachen kaum verkneifen, hantierte aber laut und flötete, dass es noch ein Dreiviertelstündchen dauern könne.
„Würden sie dann beim Herrn Störmer in der 18 vorbeischauen, er hat auch einen dringenden Notfall ?“, übersetzte sie das Anliegen nach unten. Um nicht zu riskieren, dass der Herr Störer- nein Störmer- sich vielleicht doch an Emmy vorbei in den Keller bewegen könnte, ihm persönlich die Dringlichkeit sofortiger Hilfe zu erklären, fiel seine Antwort nach oben schnell und klar aus:
„18, o.k., in spätestens einer Stunde bin ich da!“
Herr St. hätte sicherlich nicht verstanden, warum er nackt, jedenfalls ohne die charakteristische blaue Latzhose, auf der Pritsche saß und mit einem Saunabesteck klapperte.
Als Emmy zurück in den Keller kam, stand Thomas schon unter der Dusche. Fast im Laufen warf sie die dicken Klamotten von sich. In der folgenden halben Stunde öffnete sich die Duschverkleidung nur ein einziges mal. Die Zuckerdose stand ja noch draußen auf der Pritsche.
Das Lachen über diese saukomische Situation verschoben sie auf später. Dafür war jetzt tatsächlich keine Zeit. Sein Kaffee war auch ohne Kühlschrank Eiskaffee und sicherlich ungenießbar!
87 cm Zugabe
Christiane las die Blaumanngeschichte, die Thomas geschrieben hatte, gleich zweimal hintereinander. Beim ersten Mal nickte sie nur kurz mit einem: „Ja, Klasse“. Die weiteren Gedanken ließ sie ihm gegenüber unausgesprochen.
Er ging allein einkaufen.
Im zweiten Versuch dauerte das Lesen nicht länger. Ihre Antwort, nur an ihr Innerstes gerichtet, kam aber wesentlich später und fiel länger aus.
„Da steht doch tatsächlich schwarz auf weiß, wie eine fremde langbeinige Frau raffiniert meinen Mann verführt!“
Natürlich, auch wenn es noch so glaubhaft beschrieben war, es war Fiktion, überlegte Christiane.
„Diese Emmy gibt es genauso wenig, wie den blauen Werkstattbus und seine Latzhose ist beige… und das Thomas unter der Dusche, in seinem Alter... im Stehen... also!“
Sie tolerierte sein neues Hobby als Verarbeitungsventil für etwas, was zwischen ihnen so nicht mehr ganz lief. Klar schliefen sie noch miteinander. Für ihn, wie er immer beklagt, viel zu wenig. Bei ihr war es mehr Last als Lust. Manchmal sah das Bild, was sie von sich hatte so düster aus, dass in ihrer Einbildung wohl niemand sie körperlich begehren, lieben oder sonst was könnte.
„Soll er doch schreiben, dass eine langbeinige Emmy... vor ihm nur mit einem Shirt bekleidet auf dem Küchentisch hockt... er sein Unterstes und dann seine losen Dritten in sie verscharrt...“,
nur solle er sie damit in Ruhe lassen, war dann die nichtwörtliche Fortsetzung der Überlegung. Ihre Unruhe wuchs. Thomas hatte die Geschichte nicht für eine Emmy geschrieben, die gab es ja gar nicht.
„Aber für mich auch nicht... ich setze mich nicht nackt vor ihn auf den Tisch, nicht mal vor dreißig Jahren habe ich das gemacht und er verlangte es ja auch nie...“.
Die Unsicherheit nahm nicht ab. Die Bilder, die er da ausführlich gemalt hatte, waren zugegeben auch in ihrem Kopf nicht ganz ohne. Plötzlich erschloss sich ihr ein ganz anderer Hintergrund der Geschichte und sie begann mit den Augen vertikal die Möbel zu vermessen.
„Seine Bandscheiben lassen seine Gedanken um das Stehen kreisen! Dieses quälende Bettgewälze hasse ich genauso!“
Sie nahm nach kurzem Suchen seine beige Arbeitshose aus dem Schrank. Das Kleidungsstück vor sich angehalten, wie zur Voranprobe im Kaufhaus, durchstreifte sie die Wohnung.
„Es gab da nur wenig Übereinstimmungen“, erkannte Christiane. Dabei blieb unklar ob sie Bedauern oder Erleichterung fühlte. Nur in der Küche, die Höhe der Arbeitsplatte war an der Stelle zu Ende an der, der Reißverschluss die Mitte hatte.
„Ein entspanntes Abseilen ist hier nicht drin“, erinnerte sie sich an die Geschichte, ohne dass es ihre Absicht war, sie einfach nachzuspielen. Die scharfen Kanten der Oberschränke und die Enge ließen Christiane diesen Ort endgültig ausschließen. Kopffreiheit war für ihr Gefühl Voraussetzung. Blieb nur der große Tisch in der Stube geeignet, an dem sie, meist bei Besuch, die Mahlzeiten einnahmen.
„Ein pikanter Einfall, zukünftig vielleicht nicht nur den Geschmack ihres Rehbratens mit Klößen, Preiselbeeren und dem betörend duftenden Nelkenrotkraut, sondern auch noch anderen Genuss im Hinterkopf!“
Sie fühlte sich irgendwie erregt, aber nicht unangenehm. Es war nur die falsche Zeit und bestimmt auch der falsche Ort. Erstens war Thomas nicht da und würde auch vor drei Stunden nicht zurück kommen. Im Kaufland am Freitag, das dauert. Zweitens quietschte auch bei der leisesten Bewegung an der Platte der Stubentisch sehr fürchterlich. Die tatsächlichen Bewegungen hätten die Akustik des Fußballspiels in Nachbars Wohnung wohl erheblich gestört.
„Ausrede zählt nicht“, machte sich Christiane Mut. Sie wollte es doch auch, dass sich etwas änderte und nicht nur in seinem Kopf mit den Geschichten. Wie zufällig fiel ihr Blick auf die spezielle Seitentasche der Hose.
„87 cm!“, sagte der Zollstock als sie ihn am Tisch anhielt.
"Diese Hausnummer werde ich mir merken!"