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Der Braten

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24.02.2008
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Der Braten

Der Braten

„Ich kann mich noch genau an das verschmitzte Gesicht meines Bruders Jochen erinnern“, sagte meine Mutter zu mir, „und an den duftenden Braten, den er aus der Küche in die Stube brachte.
Er roch genauso lecker wie der, den wir gestern am Heiligen Abend gegessen haben.
Wirklich!
Es war für meine Mutter, also deine Großmutter, bestimmt das schwerste Weihnachtsfest überhaupt.
Seit Vaters letztem Urlaub, ich glaube es war so im Sommer 1944, hatten wir nichts mehr von ihm gehört. Er wurde irgendwo in Russland vermisst.
Mutter wollte dieses Weihnachtsfest, das erste nach Ende des Krieges, für uns Kinder so schön wie möglich machen, du weißt doch für Jochen, deinen Onkel Paul und für mich. Vater sollte erst dreieinhalb Jahre später nach Hause kommen, lungenkrank und ausgemergelt von sechs Jahren Untertagearbeit im Bergwerk.
Aber er war wieder zu Hause, lebend.“

Wir gingen zusammen durch den Schnee, der unter unseren Stiefeln knirschte. Wie in Zeitlupe tanzten dicke Schneeflocken aus dem grauen Himmel.
„Bitte erzähle doch weiter von eurem Weihnachtsfest“, bat ich meine Mutter.

„Jochen hatte versprochen für einen Weihnachtsbraten zu sorgen.
Wir haben alle nur gelacht.
Die Lebensmittelkarten reichten hinten und vorne nicht, und Jochen und Paul verputzten so einiges, sodass Mutter ständig auf der Suche nach Lebensmitteln war.
Sie hatte schon viele wertvolle Sachen, soweit sie uns geblieben waren, bei Bauern auf dem Land eingetauscht, denn zum Glück war unser Mietshaus von den Bombenangriffen der letzten Kriegstage verschont geblieben, weil es am Stadtrand lag.
Die nächsten Einschläge lagen etwa 200 Meter von unserer Straße entfernt und dort spielte ich die meiste Zeit mit meinen Freundinnen Erika und Heidi aus der Nachbarschaft.
In den Trümmern konnte man wirklich gut Versteck spielen und Mutter schimpfte immer, wenn sie uns dort erwischte.
Ich glaube, sie hatte nur Angst, uns könnte etwas passieren.
Zunächst wusste keiner, wie Jochen es geschafft hatte.
Aber er hatte es geschafft!
Einen Tag vor Weihnachten brachte er ein schon abgezogenes Kaninchen mit nach Hause, stand lachend in der Küchentür und schwenkte es vor seiner Nase.
Mutter war sehr erstaunt und fragte ihn, woher er das Kaninchen habe, und Jochen antwortete, er hätte drüben bei Neufeld im Wald eine Falle gebaut, schon seit Anfang Dezember, und jetzt endlich hätte es geklappt.
Mutter fragte nicht weiter, sondern legte das Kaninchen gleich in den großen gusseisernen Topf, der uns noch geblieben war, und bald darauf roch man den würzigen Duft des gebratenen Fleischs, das wir schon so lange vermissen mussten.
Wo er denn das Kaninchen geschlachtet habe, wollte Mutter wissen, und leise fügte sie hinzu:
„Und wo hast du den Kopf gelassen?“
Jochen antwortete, er hätte das Tier im Keller geschlachtet, mit Vaters alter Axt, und dabei hätte er etwas zu fest zugeschlagen und den Kopf deshalb gleich vergraben, wir sollten lieber nicht runtergehen, er würde gleich dort saubermachen.“

Der Schneefall wurde stärker.
„Hast du denn überhaupt etwas von dem Kaninchen gegessen“, fragte ich aufgeregt meine Mutter.

„Weißt du, ich wollte damals eigentlich gar nichts von dem Kaninchen essen, als ich das hörte, tat es dann aber doch.
„Wie kannst du nur so etwas machen, soviel Blut, das ist gemein“, habe ich zu Jochen gesagt, daran kann ich mich noch erinnern.
Doch Jochen hat nur gelacht, du weißt doch, Onkel Jochen, der jetzt in Karlsruhe wohnt.
„Kannst ja das Fell haben, du kleiner Schisser! Ich mache es dir auch zurecht“, hat er zu mir gesagt, und ich habe ihm die Zunge ´rausgestreckt.
Aber neugierig auf das Fell war ich dann doch.“

„Hast du es dir geholt?“, wollte ich ungeduldig wissen und klopfte mir den Schnee von meinem Anorak.

„Warte ab, mein Junge“, antwortete Mutter.
„Am Heiligen Abend ließen wir uns den Braten schmecken.
Wir saßen um den hölzernen Tisch, weißt du, um den, der noch unten im Keller steht und auf dem Papa immer sein Werkzeug lagert.
Mutter umarmte uns alle, wünschte uns eine frohe Weihnacht und sagte nur einmal ganz leise: „Hoffentlich lebt Vater noch.“
Doch dann lächelte sie wieder und gab uns allen ein kleines Päckchen, eingepackt in Zeitungspapier mit einer kleinen Schleife aus Paketband.
In meinem waren ein paar Wollstrümpfe, die sie aus alter Pulloverwolle selbst gestrickt hatte. Was Jochen und Paul in ihren Päckchen hatten, weiß ich nicht mehr. Du musst sie mal selbst fragen, wenn sie uns das nächste Mal besuchen, vielleicht in den Sommerferien, zu meinem Geburtstag.
Ich weiß noch, dass von dem Kaninchen außer ein paar Knochen nichts übrig blieb.
Paul leckte den Teller ab, was Mutter ausnahmsweise erlaubte, und auch ich lutschte mir die Bratensoße von den Fingern und wischte mit einem Stückchen Brot den Teller sauber.
Ja, mein Junge, an viel mehr kann ich mich dann auch nicht mehr erinnern.
Einen Tag später schlich ich mich heimlich auf leisen Sohlen in den Keller, denn das Kaninchenfell ließ mir keine Ruhe. Für meine kleine Strohpuppe, ich glaube, sie hieß Susi, konnte ich es gut gebrauchen.
Jochen hatte das Tier wirklich hier geschlachtet, denn es war noch alles voller dunkelbraunem, getrocknetem Blut.
Und neben dem Fenster lag das Fell.
Es war ein grau-braunes Fell und gehörte einer Katze!
Ich war mir ganz sicher, einer Katze!
Unserer Katze Milli, die Erika, Heidi und ich hinten bei dem zerbombten Haus gefunden und mit der wir nachmittags häufig gespielt hatten!
Ich erkannte sie an dem weißen Pfötchen!
Du glaubst nicht, wie schockiert und entsetzt ich war!
Schreiend lief ich die hölzerne Treppe in den 3. Stock hinauf und war völlig außer Atem, als ich oben ankam.
Zuerst bekam ich keinen Satz heraus, verhaspelte mich dauernd und stotterte schließlich: „Mama…, Mama…, wir haben zu Weihnachten eine Katze gegessen! Eine Katze, hörst du!
Unsere Milli, die mit dem weißen Pfötchen“
Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend und böse ich auf Jochen war. Er stand in der Wohnzimmertür und sagte kein Wort, genauso wie Mutter.“

„Habt ihr wirklich eine Katze gegessen, Mutti?“, fragte ich und schaute meine Mutter ungläubig an.

„Es kam mir vor wie eine Ewigkeit“, antwortete sie schließlich nachdenklich, „bis meine Mutter endlich, endlich den Arm um mich legte, mir lächelnd über das Haar strich und leise sagte: „Weißt du, mein Schatz, Katzen haben doch einen langen Schwanz. Das hätte ich in der Küche bestimmt gemerkt. Und auch Wildkaninchen haben manchmal ein weißes Pfötchen!“
Und dabei zwinkerte sie Jochen zu, der immer noch in der Tür stand.
„Jochen, du hast vergessen unten sauber zu machen. Gehe doch gleich mal in den Keller und räume dort ein bisschen auf!“
Ja, mein Junge, heute weiß ich, warum sie Jochen zugezwinkert hat.“

Wir stellten die kleine, rote Kerze hinter den Windschutz auf das Grab meiner Großmutter und verließen den winterlich verschneiten Friedhof.

 

Hallo Xeranda,
eine gelungene und eindrückliche Geschichte, fast ein wenig zu kurz geraten, um die Sprache richtig zu geniessen.

Formal hat es mir einige Absätze zu viel, es ist ein wenig anstrengend, für mich ergeben nicht alle Absätze einen Sinn.

Wir stellten die kleine, rote Kerze hinter den Windschutz auf das Grab meiner Großmutter und verließen den winterlich verschneiten Friedhof.

Zu viele Adjektive in einem einzigen Satz. Im Allgemeinen eher ein schwacher Abschluss der Geschichte. Vor allem: Ist es wirklich eine Geschichte, die vor dem Grab der Grossmutter erzählt wird - nicht eher auf dem Nachhauseweg?

Ansonsten: Gerne gelesen.

Marana

 

Hallo Marana,

vielen Dank für deine liebe Bewertung. Eigentlich wird die Geschichte auf dem Weg zum Friedhof erzählt. Endpunkt ist dann das Grab der Großmutter.

Liebe Grüße und frohe Ostern
xeranda

 

Hallo Xeranda,

eine wirklich schöne, kleine Geschichte. Du hast sie sehr ruhig erzählt, wodurch dann die Wendung am Ende noch plötzlicher kommt und schockierender wirkt.

Das mag Kleinkrämerei sein, aber der Satz

„Warte ab, mein Junge“, antwortete Mutter.
wirkt auf mich etwas altbacken. Ansonsten wie gesagt eine sehr schöne Geschichte :)

 

Hallo Arnie V.,
vielen Dank für deine Anmerkungen zu meiner Geschichte. Sie ist übrigens in unserer Familie in ähnlicher Weise wirklich geschehen.
Liebe Grüße
xeranda

 

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