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Der dänische Huskarl
Februar 874, westliches Jütland
Das Holz traf mich im Gesicht. Am Kinn, wo sich kaum Fleisch über dem Knochen befindet und ein Treffer daher umso schmerzhafter ist. Mit einem leisen, ärgerlichen Fluch ließ ich meinen Schild und meine hölzerne Übungswaffe sinken und ging hinunter auf mein rechtes Knie, gestand den Treffer ein. Mein Unterkiefer fühlte sich taub an und der Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus. Einer meiner unteren Schneidezähne wackelte bedenklich, wenn ich mit der Zunge prüfend dagegen stieß. Mein Gegenüber lachte laut auf und entblößte dabei eine Reihe gelbbrauner Stümpfe, von denen einige bereits schwarz angelaufen waren. „Hast nicht aufgepasst, Lejf“, stellte er fest und lachte meckernd. „Du bist langsam wie ein altes Weib. Wer weiß, ob Guthrum Dich mitnimmt nach England, zu den Sachsen. Ich würd’s nicht tun“, fügte er mit einem hämischen Grinsen hinzu.
Wir blickten beide nach rechts, zu Guthrum und seinen Huskarls, die am Rande des Platzes standen, auf dem die Probekämpfe stattfanden. Mit vor der Brust verschränkten Armen, in besten Wollstoff gekleidet, gab der Fürst einen beeindruckenden Anblick ab. Er beobachtete die Kämpfe der zwanzig Paar Männer auf dem Platz mit einem amüsierten Gesichtsausruck und ließ seinen Blick wandern. Dann entdeckte er mich, kniend, vor meinem Klopfgegner. Er gab mir ein kurzes Zeichen mit dem Zeigefinger und fuhr fort, die Bewerber bei der Vorführung ihrer kämpferischen Qualitäten zu betrachten, mit denen sie die Reihen seiner Huskarls, seiner Hauskämpfer, verstärken wollten.
Erleichtert stand ich auf. Er hatte mich nicht des Feldes verwiesen. Ich spie blutigen Speichel auf die Erde und atmete ruhig durch. Mein Gegner, der alte Bjoern, blickte mich mit schief gelegtem Kopf an und stellte sich in eine defensive Position. Er hatte einen großen Rundschild, wohl einen Mannschritt im Durchmesser. Diesen hielt er schützend vor sich und lauerte dahinter, bereit, mich mit seinem Knüppel zu treffen, der genau so krumm war, wie seine in vielen Kämpfen zerschlagene Nase. Man konnte eine Laus über seine Stirn krabbeln sehen. Er stank schlimmer als der Abtritt hinter Guthrums Halle.
Ich kannte ihn von früher. Er war als geachteter Huskarl schon oft im Danelag gewesen, hatte Ivar dem Knochenlosen gedient und für ihn gekämpft. Doch Ivar war beim Kampf um Mercien von den Männern des Sachsenkönigs Alfred erschlagen worden. Und Bjoern war nun ohne Herren. Er wusste wohl genau, dass dies hier seine letzte Möglichkeit war, sich ein Auskommen für den Rest seines Lebens zu sichern. Er wollte also unbedingt den tödlichen Siegtreffer setzen, um die Angelegenheit für sich zu entscheiden.
Ich stellte mich ebenfalls in Position, offensiv aber, mit dem hölzernen Schwert in der Rechten und dem rechten Bein nach vorne, meinen Körper mit einem kleinen Rundschild in der Linken schützend, nicht größer als der Boden eines Apfelfasses. Ich schüttelte im Geist den Kopf über mich. Zwanzig Jahre war ich wohl mindestens jünger als Bjoern, zwei Köpfe größer, viel kräftiger und ohne diesen rasselnden Husten, der viele auf See überkam und nie wieder ging. Und doch hatte der alte Mann mich jetzt schon zweimal getroffen, einmal an der Schulter und einmal am Kinn. Zwar beide Male keine tödlichen Verletzungen, würde ich doch im Kampf Kettenpanzer und einen guten Helm mit Wangenklappen tragen. Dennoch - viel öfter dürfte seine Waffe meinen Körper nun nicht mehr berühren, sonst könnte ich höchstens noch als einfacher Krieger mit Guthrum gehen, nicht aber als einer seiner Huskarls.
Bjoern eröffnete den nächsten Schlagabtausch mit einer Finte zu meinem Kopf und hieb dann nach meinem vorderen Schienbein. Das hatte ich allerdings kommen sehen, wich knapp nach hinten aus und ließ mein Holz von oben auf meinen Gegner herab fahren. Doch dieser hob nur seinen übergroßen Schild und krachend landete meine Übungswaffe auf der lederumnähten Kante dieses blau-rot bemalten Ungetüms. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal während dieses Kampfes, woher Bjoern in seinem körperlichen Zustand die Kraft hatte, dieses Wagenrad so lange zu halten und so schnell zu führen.
Der Gegenangriff des alten Mannes kam sofort – und ich reagierte augenblicklich. Bjoern schlug von seiner rechten Seite aus zu. Aber er war mit einem Mal fahrig in seiner unbedingten Bestrebung, gewinnen zu wollen, holte etwas zu weit aus und zeigte mir damit seine Schlagrichtung offen an. Dies gab mir die Möglichkeit, sein Holz mit meinem kleinen Schild zu fangen und gegen seinen großen Schild zu klemmen. Ich musste nur ein wenig weiter drücken und die Bewegung ausnutzen – schon war Bjöerns Oberkörper entblößt und mit einigem Genuss stach ich meinen Knüppel frontal gegen seinen ungeschützten Kehlkopf. Ein im Kampf absolut tödlicher und beim Klopfen sehr eindeutiger und schmerzhafter Treffer.
Bjoern ging wie ein gefällter Baum zu Boden, röchelte, hustete und rang nach Luft. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, setzte er sich auf und wir sahen hinüber zu Guthrum. Der nickte beifällig und winkte Bjoern dann ungeduldig vom Feld. Mürrisch trollte sich mein verlauster Gegner. Ich blickte ihm nach und wartete ab. Nach und nach lösten sich auf Guthrums Handzeichen dann auch die anderen Paare auf und das Feld leerte sich.
Unsere zweite und letzte Übung bestand nun darin, jeweils in Zehnergruppen gegeneinander im Schildwall anzutreten. Natürlich wollte Guthrum sehen, ob wir in der Lage waren, eine Linie zu halten, denn der Schildwall – und seine mächtigere Schwester, die Schildburg – waren unsere bewährtesten Formationen und hatten uns gegen die Sachsen zu vielen Siegen verholfen. Ich fügte mich ein und kämpfte beherzt gegen die mir gegenüber stehenden Männer, konnte es aber nicht verhindern, hier und dort getroffen zu werden, so wie auch ich viele meiner Klopfgegner traf und immer wieder auf ihr rechtes Knie schickte. Nach einiger Zeit war es Guthrum dann zufrieden und hieß uns, vom Feld zu gehen. Wir zogen uns aus und stiegen in das eiskalte Wasser des Nordmeeres, um uns zu reinigen und zu erfrischen.
Am Abend wurden wir mit allen Ehren in Guthrums Halle geladen. Während er auf seinem Hochsitz Platz nahm und uns von oben herab betrachtete, wählte er einen nach dem anderen von uns Zwanzig aus und ließ ihn vor sich treten. Er nahm uns in seinen Dienst, gab uns silberne Armreifen, gute, vernietete Kettenpanzer und schöne, bronzeverzierte Helme. Dann entließ er uns zur Feier, denn am nächsten Morgen würden seine Schiffe in See stechen um den Sachsenkönig Alfred das Fürchten zu lehren. Noch auf dem Weg an die Tische stellte ich zu meinem Bedauern fest, dass mein schöner neuer Helm mir nicht viel nützen würde, denn er war so klein, dass ich ihn nicht über die Ohren bekam. Nun musste ich jemanden zum Tauschen finden.
Ich setzte mich zu den Hauskriegern Guthrums und lauschte ihren Gesprächen. Dann begann ich eine Unterhaltung mit einem Mann, der neben mir saß und heute auch auf dem Klopffeld gewesen war. Gemeinsam stellten wir uns die kommenden Ruhmestaten vor und erzählten uns lachend, wie oft uns heute beim Klopfen im Schildwall wohl eine blutenden Wunde zugefügt worden wäre, wenn wir nicht Holz in den Händen gehalten hätten. „Das darf jetzt aber nicht mehr vorkommen“, sagte mein neuer Freund Svein lachend und leerte sein Trinkhorn mit einem langen Zug. „Mein Vater hat einen Streich an sein Schienbein bekommen, das hat ihm so sehr den Knochen zertrümmert, dass viele Splitter durchs Fleisch gestochen sind. Sein Bein lief dann bald rot und schwarz an und hat schlimm gestunken. Er ist daran gestorben…“. Svein stockte in seiner Erzählung. „Das passiert uns bestimmt nicht“, beruhigte ich ihn. Lachend vertrieben wir die bösen Gedanken und feierten noch einige Zeit weiter. Wir brachten Tyr in dieser Nacht ein mächtiges Trankopfer dar, Bier, Met und sogar ein schwarzes Gesöff aus England, welches Guthrum von dort mitgebracht hatte und das schmeckte wie Pferdepisse.
Als ich am Morgen nach viel zu kurzem Schlaf und mit heftigen Kopfschmerzen erwachte, sammelte ich meine Habe. Meinen alten Kettenpanzer verkaufte ich an Guthrums Schmied, meinen alten Helm behielt ich hingegen, denn ich hatte keinen passenden Tauschpartner für meinen neuen Helm gefunden. Ich hing mir den Waffenriemen mit Schwert und Saxmesser um und räumte meine bankförmige Truhe zu dem mir zugewiesenen Ruder auf Guthrums Hauptschiff. Dann ließ ich den Blick noch einmal über den Hof, die Langhäuser und die Werkstätten schweifen. Unschlüssig trat ich von einem Fuß auf den anderen.
Schließlich verließ ich doch noch einmal das Schiff und ging ein zweites Mal zum Schmied. Ich kaufte ihm seine schwere, dicklederne Schmiedeschürze für einen wirklichen Wucherpreis ab. Aber das war mir egal. Mit einem sehr scharfen Messer würde ich mir zwei schöne breite Lederstreifen schneiden können, die ich dann nass machen und mir um die Unterbeine wickeln könnte, um meine Knochen vor Schlägen mit Schwert und Axt oder Lanzenstößen zu schützen. Die Nornen hatten meinen Schicksalsfaden zwar schon vor langer Zeit gesponnen – aber ihn ein wenig zu verstärken konnte ja wohl nicht schaden. Ich kehrte zurück auf das Schiff, setzte mich an mein Ruder und wartete auf das Kommando zum Ablegen.