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Der Gebrandmarkte
Der Gebrandmarkte
Staub hing wie eine Wolke still in der Luft, nichts regte sich in dem Lagerraum. Elias wusste dass dieser Tag wie jeder andere sein würde: Schuften für den alten Pfeffersack. Aber was sollte er schon machen? - Gefangen war er, wie ein dreckiger Köter, dachte er müßig.
In Momenten wie diesen juckte seine Brandnarbe, die ihn als Dieb und Verbrecher zeichnete, besonders.
Er zog sich an einem Balken hoch und legte anschließend seine Decke zurecht. Waschen konnte er sich heute nicht, es war Freitag, nur Sonntags durfte er zum Fluss und ein Bad nehmen.
Von draußen hörte er die ersten Stimmen, anscheinend waren einige Schiffe und Handelskarren in der Nacht in dem Hafen eingetroffen.
Das Tor zu seinem Raum öffnete sich. Ein strahlendes Gesicht tauchte auf, es war das Alons. Elias war verwundert ihn so fröhlich zu sehen, er war mürrisch und nörgelte normalerweise immer über die harte Arbeit. „Raus aus den Federn, du alter Seebär“, trällerte sein Freund.
„So gute Laune, schon am Morgen?“, murmelte Elias. Als Antwort darauf trat Alon zur Seite und gab ihm so freies Blickfeld auf das Hafenbecken. Elias Augen weiteten sich, als er sah, was dort vor Anker lag, die Seeschnitter. Das größte Schiff in der Handelsflotte vom alten Pfeffersack. Seine Augen glitzerten, die Welt wurde ein wenig heller. Jetzt war die lang ersehnte Freiheit zum Greifen nahe.
Wenn die Seeschnitter kam, wurden sieben Gebranndmarkte ausgesucht, um als Ruderer zu arbeiten.
Sie bekamen viel Essen und wurden gut behandelt, ein besseres Leben also.
„Dann mal ran an die Arbeit“, sagte Alon und ging euphorischen Schrittes Richtung Kai. Elias folgte ihm ebenso fröhlich und zupfte dabei sein Hemd zurecht. Ein guter Eindruck ist jetzt alles, dachte er sich.
Am Schiff angekommen warteten sie ungeduldig auf den Hafenmeister. Als er schließlich eintraf, stand die Sonne schon hoch am Himmel und der Hafen war längst erwacht. Statt vereinzelten Stimmen hörte man nun viele Rufe und Geräusche.
Der Hafenmeister sah verschwitzt aus.
Kein Wunder bei diesem Wetter würde ich auch schwitzen wäre ich so fett, dachte Elias schmunzelnd und nach Alons Gesicht zu urteilen, hatte er wohl gerade einen ähnlichen Gedanken.
In den nächsten Momenten trafen die anderen Arbeiter aus ihrer Gruppe ein, sie alle hatten ein Zeichen auf ihrem Oberkörper das sie als Verbrecher kennzeichnete.
Der Kapitän der Seeschnitter trat auf das Deck und sah abschätzend auf die Verbrecher hinab. Alle waren still. Elias wurde heiß und er begann zu schwitzen. So vergingen einige Momente und der Hafenmeister brach die Harrungslosigkeit schließlich, indem er dem Kapitän die Liste mit den Namen der Gezeichneten reichte.
In diesem Augenblick war die Wahl des Kapitäns wohl gefallen, denn er ging zielstrebig auf einige von ihnen zu und fragte sie nach ihrem Namen, woraufhin er sich ein Haken auf der Liste machte.
Noch zwei aus ihrer Gruppe musste er auswählen. Elias wurde immer unruhiger, er war zum Bersten angespannt. Der Kapitän wählte einen weiteren zum Ruderer. Elias Handknöchel traten hervor, so fest klammerte er sich an seine Gürtelschnalle. Er hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als der Hafenmeister zum Kapitän ging und tuschelnd in Elias Richtung zeigte.
Der Kapitän kam auf ihn zu und fragte nach seinem Namen, nach einem kurzen Moment des Zögerns, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, machte er einen Haken auf die Liste.
Alon und Elias fielen sich vor Freude in die Arme, sie hatten es geschafft. Sie waren frei. Während die beiden sich ausgelassen umarmten, bemerkte Elias, wie ihn einer der anderen anstarrte. Er hatte nicht das Glück, als Ruderer auserkoren zu werden. Aber fast wäre die Wahl auf ihn gefallen, hätte der Hafenmeister nicht auf Elias aufmerksam gemacht.
„Morgen in der früh' geht es los, seid pünktlich, sonst wird ein anderer euren Platz einnehmen!“, verabschiedete sich der Kapitän, zufrieden mit seiner Auswahl, von der Gruppe.
Elias ging zuversichtlich in sein Lager und versuchte etwas Schlaf zu finden. Nach einiger Zeit schlief er mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein.
Am nächsten Morgen wachte er, ausgeruht und voller Vorfreude auf den heutigen Tag, auf. Alles war jetzt anders! - Er würde sich nicht mehr, mit schlechtem Essen und wenig Schlaf, abspeisen lassen. Zufrieden starrte er den Balken über seinem Schlafplatz an, so wie er es immer machte, wenn er Gedanken nachging.
Er sah, wie eine kleine Fliege auf dem Balken herumkrabbelte. Plötzlich kam eine große Spinne auf die Fliege zu, doch bevor sie ihre mit Gift durchtränkten Beißer in die Fliege stoßen konnte, flog diese blitzschnell fort.
Elias lächelte grimmig bei dem Gedanken an die Fliege. Er würde sich seiner großen Spinne auch noch rechtzeitig entwinden, so wie sie.
Es wurde stetig heller in dem Lagerraum. Er beschloss, aufzustehen und seine Sachen zu packen. Viel musste er nicht zusammensuchen, eine Decke, ein Hemd, seine Hose, einen alten, geflickten Mantel und das kleine Kästchen, in dem er seine Vergangenheit aufhob. Er schaute sich nicht mehr um. Mit diesem Ort verband er keine schönen Erinnerungen. Er wollte diesen Abschnitt seines Lebens nun hinter sich lassen. Er schloss die Tür hinter sich und genoss die leichte Brise, die durch sein Gesicht und sein Haar streifte. Entschlossen ging er zu der Seeschnitter.
Auf einmal kam ein Mann mit entsetztem Gesicht aus einer Hafengasse auf ihn zu gerannt. Die Gasse führte in eine der gefährlicheren Gegenden des Hafens. „Hilfe! M... Mein Freund ist in einem eingestürzten Haus begraben. Bitte helft mir beim Wegräumen der Trümmer.“, schrie er, als Elias ihm entgegen kam.
Er überlegte einen Augenblick und entschloss sich dem Mann zu helfen, aber er musste sich beeilen sonst würde er die Abfahrt der Seeschnitter verpassen.
„Ja, ich werde dir helfen, aber wir müssen uns beeilen.“ , antwortete er ruhig. „ Zeig mir das eingestürzte Haus.“
Der Mann nickte und lief hastig los, Elias folgte ihm im Laufschritt. Beim Laufen musterte Elias den Mann. Er war dürr und hatte kurze Beine, sein Gesicht wirkte eingefallen, so wie ein Gesicht aussieht wenn man Jahrzente lang regelmäßig Pflanzen geraucht hat. Seine Kleidung sah dreckig aus und war voll mit Flicken.
Nach einiger Zeit blieb der Mann stehen und drehte sich um, sein Gesicht war verschwitzt und seine Hände zitterten. Elias blickte ihn fragend an. „Warum läufst du nicht weiter?“, fragte er ihn. Der Mann sah mit großen Augen an ihm vorbei. Elias war verägert, warum sagte dieser Mann nichts? Er drehte sich um und sah gerade noch, wie ein riesiger Stock auf sein Gesicht zukam. Er stürzte zu Boden und hörte, wie der Mann, der ihn geholt hatte, mit vor Aufregung zittriger Stimme etwas zu der anderen Person, die ihn niedergeschlagen hatte, sagte, verstand aber nur wenig Worte: „Pflanze... schnell... versprochen...“ Dann wurde alles um ihn herum schwarz.
Als er wieder aufwachte, schmerzte sein ganzer Körper und er konnte nichts sehen. Etwas blendete ihn. Er roch Salz und hörte ein regelmäßiges Rauschen. Langsam gewöhnten seine Augen sich an das helle Licht und der stellte schockiert fest, dass er auf dem offenen Meer trieb. Weit und breit kein Land zu sehen.
Er sah sich um auf dem Stück Holz auf dem er lag. Es maß etwa acht Ellenlängen und war nur mit Nägeln versehen, ansonsten war dort nur von Pech verschwärztes Holz zu sehen. Wer war er überhaupt? Wahrscheinlich hatte ihn ein Schlag auf den Kopf getroffen, denn sein Haar war an einer Stelle verklebt und es tat weh, wenn er diese berührte. Wo war er? Wer war er?, dachte Elias sich verzweifelt.
So verbrachte er drei Tage auf dem Meer und begann langsam aber sicher zu denken, dass das salzige Meerwasser eine gute Alternative zum Süßwasser sei.
Er musste sich zwingen, nicht von dem Wasser zu trinken. „Bald kommt eine Küste in Sicht und ich kann so viel Wasser trinken, wie ich will.“, versuchte er sich zu beruhigen.
Nach zwei weiteren Tagen konnte er kaum noch die Augen öffnen. Seine Gedanken ließen sich nicht ordnen, er wusste nur, dass er bald am Ende sein würde. Seine Beine waren durchgescheuert und sein ganzer Körper tat ihm weh. Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben.
Doch hörte er da etwas? - Ein Geräusch? Er war sich nicht sicher, aber irgendetwas war da. Es wurde lauter, das Geräusch wurde lauter. Er jubelte innerlich, anders konnte er nicht jubeln, er lag kraftlos an dieser Planke festgebunden.
Jetzt hörte er das Geräusch ganz deutlich! Es waren Stimmen und ein Flattern, das von einem nicht ganz gerafftem Segel stammen könnte. Ein Schiff. - Ja, genau ein Schiff war in seiner Nähe.
Er war gerettet, aber zu Tode erschöpft. Eine Stimme rief irgendetwas aber er konnte es nicht recht in Gedanken ordnen, er war einfach zu erschöpft. Elias hörte platschen und wurde einige Augenblicke später in ein Boot gezogen. Dann fiel er in einen tiefen Schlaf.
Ende