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Der Hochsitz

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03.09.2024
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Der Hochsitz

Er fährt bis zum Ende des holprigen Waldweges und schaltet den Motor aus. Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift. Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg. Feuchtes Laub dämpft die Schritte, es ist nicht weit. Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.
Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung, noch ist die Sicht nicht gut. Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus. Früher hatte seine Frau für die Verpflegung gesorgt. Obwohl sie seine Jagdleidenschaft nicht teilte, fand er manchmal ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel im Rucksack. Eine Thermoskanne mit heißem Tee, in die er den Schnaps kippte.
Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht. Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt. Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles. Der Wald führt ein Eigenleben, die Lichtung auf der rechten Seite ist in dem Nebel kaum zu überblicken. Aber das wird noch.
„Das wird noch“, hatte sie immer gesagt, wenn sie Probleme hatten, anderer Meinung waren, eine ganze Weile, dann nicht mehr. Die Trennung teilte sie ihm mit, als sie den Tisch abwischte. Sie fegte die Krümel herunter und ihre Beziehung gleich mit. Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.
Er nimmt das Nachtsichtgerät aus der Tasche und scannt die Umgebung. Alles scheint ruhig zu sein, zwischen den Bäumen auf der linken Seite ist nichts zu sehen. Er gönnt sich einen weiteren Schluck und prüft das Gewehr. Ein Repetierer, natürlich mit Holzschaft. Nussbaum, dunkelbraun, samtweich im Griff. Sie hatte nie begriffen, warum er die Waffe mag. Sie hatte nichts begriffen, von der Jagd schon gar nicht.
„Wie oft schießt du auf ein Tier?“, hatte sie gefragt. Als würde er das Wild massakrieren.
Die Windrichtung stimmt, die Tiere im Wald können ihn nicht riechen. Die jungen Eichen und Birken stehen am Ende der Lichtung, er hat bei der Aufforstung geholfen, um die Monokultur der Kiefern zu diversifizieren. So nennt es das Forstamt. Wenn das Rehwild dorthin will, muss es über die Lichtung. Eine Schneise von höchstens hundertzwanzig Metern Breite, die perfekte Schussentfernung. Anvisieren, bewegungslos bleiben, ausatmen, Luft anhalten, Abzug drücken. Den Rückstoß merkt er nicht, wenn er auf das Wild fokussiert ist.
„Sie sind nicht nur auf die Jagd fokussiert, oder?“, fragte sie beim ersten Telefonat. Sie arbeitete bei der Forstverwaltung und hatte diese Stimme. Er hielt mit der Antwort zurück, ihn interessierte die Person hinter der Stimme.
„Worauf liegt Ihr Fokus?“, fragte er zurück.
Er hörte nicht, was sie sagte, nur ihre Stimme. Sie klang, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen oder auf dem Weg dorthin. Die Bedeutung ihrer Worte erreichte ihn nur bruchstückhaft, sie sprach von irgendwelchen Aufforstungen, aber er war geistesgegenwärtig.
„Wir sollten eine Begehung machen!“
Sie sagte zu.
Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet. Sie streckte die Hand aus, er nahm sie, etwas zu fest. Sie legte den Kopf zurück und sog den Geruch des Waldes ein wie ein Reh. Sie vermied den Blickkontakt zu ihm, während er sie anstarrte. Er riss sich los.
„Wollen wir?“, fragte er.
Ein Nicken, er schritt voran, sie folgte. Er zeigte ihr die Lichtung und schlug eine Stelle für die Neuanpflanzungen vor. Ihr gefiel der Ort.
„Wir werden einen Zaun um das Areal brauchen“, sagte sie.
„Wegen dem Wildverbiss? Kann nicht schaden, außerdem gibt`s den da.“
Er deutete auf den Hochsitz am Rand.
Sie sah ihn nicht an. Das verwirrte ihn, erst später merkte er, dass sie niemandem direkt in die Augen blickte. Aber er fühlte eine Unsicherheit, sein Gespür täuschte nie. Er hatte längst in den Jagdmodus geschaltet.
Der Nebel lichtet sich zunehmend, die Dunkelheit weicht einem konturlosen Grau. Er legt den Kopf zurück und atmet den Geruch des Waldes ein. Ein Geräusch, ein leichtes Knacken. Als wäre etwas auf einen Kiefernzapfen oder einen Zweig getreten. Das grüne Bild des Nachtsichtgerätes zeigt nur Bäume. Schwenk nach links, wieder zurück, langsam. Er starrt durch die Röhrenkamera. Nichts zu sehen. Aber etwas starrt zurück, er fühlt es. Zwischen den Bäumen. Es wartet und weiß, wo er ist. Der Repetierer beruhigt ihn, drei Schuss im Magazin, einer im Lauf. Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.
Ein paar Wochen nach der Begehung starben ihre Eltern. Ihr Tod warf sie völlig aus der Bahn. Autounfall, nasse Fahrbahn, Kurve, vermutlich zu schnell gefahren. Es ist wie bei der Jagd, dachte er. Die Unvorsichtigen trifft es zuerst. Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
„Ich habe niemanden mehr“, sagte sie.
Er nahm sie in den Arm und beruhigte sie.
„Du hast mich“, erwiderte er.
Auf der Beerdigung konnte sie kaum gehen, klammerte sich an seinen Arm. Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke am Himmel und die Reden waren ergreifend. Er würde sich um sie kümmern. Er versprach es, ihr und sich selbst. Nichts würde das ändern.
Bei ihr änderte sich alles, als sie bei der Forstverwaltung kündigte und den Job als Landschafts-Architektin in einem Park annahm. Meetings mit Kollegen, die sich hinzogen, wichtige Termine, die nicht aufzuschieben waren. Behauptete sie jedenfalls. Das Kochen stellte sie ein. Er schnitt eine Schneise in den Zaun, den sie hatte aufstellen lassen. Fünf Meter breit. Das Rehwild würde den Zugang zu den neu gepflanzten Bäumen begrüßen. Und musste am Hochsitz vorbei. Er brauchte nur zu warten. Das konnte er schon immer.
Bei ihr half es nicht. Eine Weile lebten sie miteinander so gut es eben ging. Er wartete. Es wurde nicht besser. Sie redeten nicht, bis zu dem Abend, an dem sie alles einfach wegwischte. Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?
Er nimmt den letzten Schluck, er hätte mehr mitnehmen sollen. Der Nebel ist fast verschwunden, er kann die Konturen der Bäume erkennen. Wieder ein Knacken, leise, aber er hat es gehört. Er hält den Atem an und lauscht. Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Dann sieht er das Reh zwischen den Kiefern stehen. Bewegungslos, den Kopf erhoben, es schaut ihn direkt an, weiß, wo er ist. Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille. Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.

 

Hallo @Jaylow ich steige direkt mal ein:

Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen
Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg.
Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung
Das passt nicht zusammen. Entweder es ist Nacht oder die Dämmerung setzt ein. Ich bin außerdem kein Jäger, habe aber einen Freund, der gelegentlich auf die Jagd geht und wenn mich nicht alles täuscht, sind die Hauptzeiten entweder früh morgens vor der Dämmerung oder abends in der Dämmerung.
Edit: Ah, jetzt habe ich es verstanden. Es ist Nacht, wird aber wohl bald dämmern. Mein Fehler. Eventuell würde ich es aber noch etwas ersichtlicher machen.

Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.
Hier war dann schon klar, dass es sehr wahrscheinlich in Richtung Femizid gehen wird. Unangenehm ist der Protagoninst aber irgendwie auch vorher schon. Da du das vermutlich beabsichtigst, spricht es für den Text, wie ich finde.

Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet.
Warum? Ist für mich nicht so ganz ersichtlich. Da bräuchte es für mich ein wenig mehr.

Das verwirrte ihn, erst später merkte er, dass sie niemandem direkt in die Augen blickte. Aber er fühlte eine Unsicherheit, sein Gespür täuschte nie.
Das ist für mich leicht widersprüchlich. Es verwirrt ihn, gleichzeitig täuscht ihn nie sein Gespür und er hat seine Erklärung (ob das nuns stimmt ist ja erst mal unerheblich).

Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.
Das würde ich komplett streichen. Es erklärt mir zu viel.

Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?
Würde ich streichen. Finde, dass es dann besser wirkt. Aber ist Geschmackssache.

Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Auch hier bin ich mir unsicher, ob ich den Hinweis brauche.

Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille.
Wieso das denn? Er ist doch Profi? Da passiert ihm das doch nicht. Oder habe ich etwas Wesentliches übersehen?

Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.
Das Reh als Symbol für die Frau (oder auch andere Frauen in seinem Leben?), die er zuvor nicht hat gehen lassen und ermordet hat. Mmh, bin mir unsicher, ob ich das nicht zu dick aufgetragen finde. Ich fände es zB. eleganter, wenn du nicht explizit erwähnst, dass das Reh ihn wahrnimmt und keinen Fluchtreflex hat.

Alles in allem finde ich deinen Text gut geschrieben. Dir gelingt es mir ein Bild von deinem Protagonisten zu vermitteln und er wirkt (wie beabsichtigt) für mich sehr unangenehm und bedrohlich. Die Frau bleibt mir allerdings ein wenig zu nebulös und holzschnittartig gezeichnet (schwach, auf ihn angewiesen, unterwürfig, dann trennt sie sich aber doch plötzlich).
Ich finde auch, dass du schon sehr mit der Tür ins Haus fällst und fände es hier angebracht, wenn du es nicht so deutlich machst, was passiert ist, sondern dem Leser mehr zutraust.

Gerne gelesen und beste Grüße
Habentus

 

Hallo @Jaylow

ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Auf mich wirkt der Protagonist nicht unsymphatisch. Im Gegenteil. Besonders mochte ich Deine Naturbeschreibungen. Da war ich mitten drin in den Szenen. Du hast das sehr lebendig gestaltet.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Er fährt bis zum Ende des holprigen Waldweges und schaltet den Motor aus. Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift. Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg. Feuchtes Laub dämpft die Schritte, es ist nicht weit. Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.

Der Einstieg ist klasse. Ich kann mir alles sehr bildhaft vorstellen und bin sofort mitten drin.

Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung, noch ist die Sicht nicht gut. Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus. Früher hatte seine Frau für die Verpflegung gesorgt.

Auch hier beschreibst Du die Szene sehr lebendig. Dazu die subtile Bemerkung am Ende über die Frau. Hier hab ich mich natürlich gefragt, ob sie tot ist oder was passiert ist und die Neugierde war geweckt.

Obwohl sie seine Jagdleidenschaft nicht teilte, fand er manchmal ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel im Rucksack.

Kann ich verstehen. Ich denke, wenige Frauen würden diese Leidenschaft teilen. Die Bemerkung mit Kuchen/ Schokoriegel lässt ahnen, dass die Frau sehr liebevoll war.

Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht. Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt. Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles.

Ich finde es super, wie Du die Sinne ansprichst.

Aber das wird noch.
„Das wird noch“, hatte sie immer gesagt, wenn sie Probleme hatten, anderer Meinung waren, eine ganze Weile, dann nicht mehr.

Diese Überleitung fand ich sehr gelungen.

Die Trennung teilte sie ihm mit, als sie den Tisch abwischte. Sie fegte die Krümel herunter und ihre Beziehung gleich mit. Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.

Hier war ich dann fast enttäuscht. Ich hatte eher damit gerechnet, dass die Frau gestorben ist. Dabei hat sie mal so ganz nebenbei von Trennung gesprochen, während sie den Tisch abwischte. Da war mein Mitgefühl erstmal beim Protagonisten.

Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet. Sie streckte die Hand aus, er nahm sie, etwas zu fest. Sie legte den Kopf zurück und sog den Geruch des Waldes ein wie ein Reh. Sie vermied den Blickkontakt zu ihm, während er sie anstarrte. Er riss sich los.

Interessantes Kennenlernen. Die Stimme am Telefon weckt sein Interesse und geschickt fädelt er die erste Begegnung ein. Dumm ist er nicht, Dein Prota. Ich kann mir das lebhaft vorstellen, wie er sie sieht und sie ihn umhaut. Finde ich sehr spannend.

Der Nebel lichtet sich zunehmend, die Dunkelheit weicht einem konturlosen Grau. Er legt den Kopf zurück und atmet den Geruch des Waldes ein. Ein Geräusch, ein leichtes Knacken. Als wäre etwas auf einen Kiefernzapfen oder einen Zweig getreten. Das grüne Bild des Nachtsichtgerätes zeigt nur Bäume. Schwenk nach links, wieder zurück, langsam. Er starrt durch die Röhrenkamera. Nichts zu sehen. Aber etwas starrt zurück, er fühlt es. Zwischen den Bäumen. Es wartet und weiß, wo er ist. Der Repetierer beruhigt ihn, drei Schuss im Magazin, einer im Lauf. Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.

Auch diese Szene spricht alle Sinne an und ist dabei auch etwas mystisch und geheimnisvoll. Gänsehaut!

Ein paar Wochen nach der Begehung starben ihre Eltern. Ihr Tod warf sie völlig aus der Bahn. Autounfall, nasse Fahrbahn, Kurve, vermutlich zu schnell gefahren. Es ist wie bei der Jagd, dachte er. Die Unvorsichtigen trifft es zuerst. Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
„Ich habe niemanden mehr“, sagte sie.
Er nahm sie in den Arm und beruhigte sie.
„Du hast mich“, erwiderte er.

Ein tragischer Moment und er ist für sie da. Auch hier liegt meine Sympathie bei ihm.
Gut beschrieben, gut die Emotionen transportiert.

Auf der Beerdigung konnte sie kaum gehen, klammerte sich an seinen Arm. Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke am Himmel und die Reden waren ergreifend. Er würde sich um sie kümmern. Er versprach es, ihr und sich selbst. Nichts würde das ändern.

Auch hier finde ich ihn sehr liebevoll. Bisher gab es noch gar nichts, was ihn für mich unsympathisch machen würde. Er will ihr Feld in der Brandung sein.

Bei ihr half es nicht. Eine Weile lebten sie miteinander so gut es eben ging. Er wartete. Es wurde nicht besser. Sie redeten nicht, bis zu dem Abend, an dem sie alles einfach wegwischte. Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?

Hier hätte ich mir vielleicht mehr Details gewünscht. Das geht alles so schnell, dadurch entstehen wenig Emotionen, aber vielleicht ist das so gewollt. In dem Moment fand ich eher sie unsymphatisch. Er hat sich gekümmert, war für sie da, sie ignoriert ihn, redet nicht mehr mit ihm und dann trennt sie sich. Find ich heftig. Klar rechtfertigt das keinen Mord. Seine Reaktion ist total übertrieben und unangebracht. Aber selbst da war er mir immer noch nicht unsympathisch.

Er nimmt den letzten Schluck, er hätte mehr mitnehmen sollen. Der Nebel ist fast verschwunden, er kann die Konturen der Bäume erkennen. Wieder ein Knacken, leise, aber er hat es gehört. Er hält den Atem an und lauscht. Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Dann sieht er das Reh zwischen den Kiefern stehen. Bewegungslos, den Kopf erhoben, es schaut ihn direkt an, weiß, wo er ist. Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille. Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.

Ein sehr düsterer Moment. Ich fands übrigens sehr gekonnt, dass Du letztendlich nie von Mord gesprochen hast. Nur diese eine fehlende Patrone und die Bemerkung, dass er sie nicht gehen lassen kann, lässt durchblicken, was wirklich geschah. Sehr gut umgesetzt. Bei der letzten Szene hats mich ordentlich geschaudert und ich hab gehofft, dass das Reh noch einen Fluchtreflex bekommt.

Ganz liebe Grüße
Silvi

 

Er hat sich gekümmert, war für sie da, sie ignoriert ihn, redet nicht mehr mit ihm und dann trennt sie sich. Find ich heftig. Klar rechtfertigt das keinen Mord. Seine Reaktion ist total übertrieben und unangebracht. Aber selbst da war er mir immer noch nicht unsympathisch.

Hallo @Silvita und @Jaylow ich muss kurz auf den Kommentar eingehen, auch wenn ich das normalerweise sehr selten mache. Hier aber ist meine Lesart der Geschichte und die von dir @Silvita dermaßen unterschiedlich, dass ich gerne etwas dazu sagen würde. Ich lese den Protagonisten wirklich zu keiner Zeit als fürsorglichen Kümmerer. Im Gegenteil. Er wird von Beginn an, als er die Frau zum ersten Mal am Telefon hat, als ein Jäger dargestellt, der die Witterung zu seiner Beute aufgenommen hat. Er weiß um ihre Schwäche, um ihre Unsicherheit und nutzt das massiv, um sie an sich zu binden. Als die Beerdigung stattfindet, ist er nicht aus Fürsorge (ich erkenne keine) zur Stelle, sondern weil er weiß, dass er sie nun noch mehr unter Kontrolle haben wird. Als ihm schließlich die Kontrolle entgleitet und sie sich trennt, weiß er keinen anderen Ausweg als die Frau zu töten. Das ist keine Liebe, das ist keine Fürsorge, das ist zwanghafte Kontrolle und das Streben nach Dominanz mit allen Konsequenzen.
Auch lese ich die Frau nicht als liebevoll, weil sie ihm Tee mitgibt und Brote schmiert, sondern als ihm hörig.

Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte massiv missverstanden habe, wollte aber kurz noch mal meinen Eindruck erklären, warum der Protagonist für mich ein Unsympath (und er offenbart sich ja spätestens am Ende sogar zu einem wahren Monster) vor dem Herrn ist.

Beste Grüße
Habentus

 

Hallo @Habentus,

ich finde es mega interessant, wie unterschiedlich diese Geschichte auf uns wirkt. Du interpretierst den Protagonisten komplett anders als ich. Ich kann ja nichts für, dass das bei mir eben ganz anders ankommt. Auf jeden Fall sehr spannend.

Liebe Grüße
Silvi

 

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