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Der Hochsitz

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03.09.2024
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Der Hochsitz

Er fährt bis zum Ende des holprigen Waldweges und schaltet den Motor aus. Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift. Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg. Feuchtes Laub dämpft die Schritte, es ist nicht weit. Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.
Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung, noch ist die Sicht nicht gut. Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus. Früher hatte seine Frau für die Verpflegung gesorgt. Obwohl sie seine Jagdleidenschaft nicht teilte, fand er manchmal ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel im Rucksack. Eine Thermoskanne mit heißem Tee, in die er den Schnaps kippte.
Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht. Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt. Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles. Der Wald führt ein Eigenleben, die Lichtung auf der rechten Seite ist in dem Nebel kaum zu überblicken. Aber das wird noch.
„Das wird noch“, hatte sie immer gesagt, wenn sie Probleme hatten, anderer Meinung waren, eine ganze Weile, dann nicht mehr. Die Trennung teilte sie ihm mit, als sie den Tisch abwischte. Sie fegte die Krümel herunter und ihre Beziehung gleich mit. Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.
Er nimmt das Nachtsichtgerät aus der Tasche und scannt die Umgebung. Alles scheint ruhig zu sein, zwischen den Bäumen auf der linken Seite ist nichts zu sehen. Er gönnt sich einen weiteren Schluck und prüft das Gewehr. Ein Repetierer, natürlich mit Holzschaft. Nussbaum, dunkelbraun, samtweich im Griff. Sie hatte nie begriffen, warum er die Waffe mag. Sie hatte nichts begriffen, von der Jagd schon gar nicht.
„Wie oft schießt du auf ein Tier?“, hatte sie gefragt. Als würde er das Wild massakrieren.
Die Windrichtung stimmt, die Tiere im Wald können ihn nicht riechen. Die jungen Eichen und Birken stehen am Ende der Lichtung, er hat bei der Aufforstung geholfen, um die Monokultur der Kiefern zu diversifizieren. So nennt es das Forstamt. Wenn das Rehwild dorthin will, muss es über die Lichtung. Eine Schneise von höchstens hundertzwanzig Metern Breite, die perfekte Schussentfernung. Anvisieren, bewegungslos bleiben, ausatmen, Luft anhalten, Abzug drücken. Den Rückstoß merkt er nicht, wenn er auf das Wild fokussiert ist.
„Sie sind nicht nur auf die Jagd fokussiert, oder?“, fragte sie beim ersten Telefonat. Sie arbeitete bei der Forstverwaltung und hatte diese Stimme. Er hielt mit der Antwort zurück, ihn interessierte die Person hinter der Stimme.
„Worauf liegt Ihr Fokus?“, fragte er zurück.
Er hörte nicht, was sie sagte, nur ihre Stimme. Sie klang, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen oder auf dem Weg dorthin. Die Bedeutung ihrer Worte erreichte ihn nur bruchstückhaft, sie sprach von irgendwelchen Aufforstungen, aber er war geistesgegenwärtig.
„Wir sollten eine Begehung machen!“
Sie sagte zu.
Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet. Sie streckte die Hand aus, er nahm sie, etwas zu fest. Sie legte den Kopf zurück und sog den Geruch des Waldes ein wie ein Reh. Sie vermied den Blickkontakt zu ihm, während er sie anstarrte. Er riss sich los.
„Wollen wir?“, fragte er.
Ein Nicken, er schritt voran, sie folgte. Er zeigte ihr die Lichtung und schlug eine Stelle für die Neuanpflanzungen vor. Ihr gefiel der Ort.
„Wir werden einen Zaun um das Areal brauchen“, sagte sie.
„Wegen dem Wildverbiss? Kann nicht schaden, außerdem gibt`s den da.“
Er deutete auf den Hochsitz am Rand.
Sie sah ihn nicht an. Das verwirrte ihn, erst später merkte er, dass sie niemandem direkt in die Augen blickte. Aber er fühlte eine Unsicherheit, sein Gespür täuschte nie. Er hatte längst in den Jagdmodus geschaltet.
Der Nebel lichtet sich zunehmend, die Dunkelheit weicht einem konturlosen Grau. Er legt den Kopf zurück und atmet den Geruch des Waldes ein. Ein Geräusch, ein leichtes Knacken. Als wäre etwas auf einen Kiefernzapfen oder einen Zweig getreten. Das grüne Bild des Nachtsichtgerätes zeigt nur Bäume. Schwenk nach links, wieder zurück, langsam. Er starrt durch die Röhrenkamera. Nichts zu sehen. Aber etwas starrt zurück, er fühlt es. Zwischen den Bäumen. Es wartet und weiß, wo er ist. Der Repetierer beruhigt ihn, drei Schuss im Magazin, einer im Lauf. Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.
Ein paar Wochen nach der Begehung starben ihre Eltern. Ihr Tod warf sie völlig aus der Bahn. Autounfall, nasse Fahrbahn, Kurve, vermutlich zu schnell gefahren. Es ist wie bei der Jagd, dachte er. Die Unvorsichtigen trifft es zuerst. Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
„Ich habe niemanden mehr“, sagte sie.
Er nahm sie in den Arm und beruhigte sie.
„Du hast mich“, erwiderte er.
Auf der Beerdigung konnte sie kaum gehen, klammerte sich an seinen Arm. Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke am Himmel und die Reden waren ergreifend. Er würde sich um sie kümmern. Er versprach es, ihr und sich selbst. Nichts würde das ändern.
Bei ihr änderte sich alles, als sie bei der Forstverwaltung kündigte und den Job als Landschafts-Architektin in einem Park annahm. Meetings mit Kollegen, die sich hinzogen, wichtige Termine, die nicht aufzuschieben waren. Behauptete sie jedenfalls. Das Kochen stellte sie ein. Er schnitt eine Schneise in den Zaun, den sie hatte aufstellen lassen. Fünf Meter breit. Das Rehwild würde den Zugang zu den neu gepflanzten Bäumen begrüßen. Und musste am Hochsitz vorbei. Er brauchte nur zu warten. Das konnte er schon immer.
Bei ihr half es nicht. Eine Weile lebten sie miteinander so gut es eben ging. Er wartete. Es wurde nicht besser. Sie redeten nicht, bis zu dem Abend, an dem sie alles einfach wegwischte. Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?
Er nimmt den letzten Schluck, er hätte mehr mitnehmen sollen. Der Nebel ist fast verschwunden, er kann die Konturen der Bäume erkennen. Wieder ein Knacken, leise, aber er hat es gehört. Er hält den Atem an und lauscht. Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Dann sieht er das Reh zwischen den Kiefern stehen. Bewegungslos, den Kopf erhoben, es schaut ihn direkt an, weiß, wo er ist. Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille. Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.

 

Hallo @Jaylow ich steige direkt mal ein:

Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen
Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg.
Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung
Das passt nicht zusammen. Entweder es ist Nacht oder die Dämmerung setzt ein. Ich bin außerdem kein Jäger, habe aber einen Freund, der gelegentlich auf die Jagd geht und wenn mich nicht alles täuscht, sind die Hauptzeiten entweder früh morgens vor der Dämmerung oder abends in der Dämmerung.
Edit: Ah, jetzt habe ich es verstanden. Es ist Nacht, wird aber wohl bald dämmern. Mein Fehler. Eventuell würde ich es aber noch etwas ersichtlicher machen.

Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.
Hier war dann schon klar, dass es sehr wahrscheinlich in Richtung Femizid gehen wird. Unangenehm ist der Protagoninst aber irgendwie auch vorher schon. Da du das vermutlich beabsichtigst, spricht es für den Text, wie ich finde.

Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet.
Warum? Ist für mich nicht so ganz ersichtlich. Da bräuchte es für mich ein wenig mehr.

Das verwirrte ihn, erst später merkte er, dass sie niemandem direkt in die Augen blickte. Aber er fühlte eine Unsicherheit, sein Gespür täuschte nie.
Das ist für mich leicht widersprüchlich. Es verwirrt ihn, gleichzeitig täuscht ihn nie sein Gespür und er hat seine Erklärung (ob das nuns stimmt ist ja erst mal unerheblich).

Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.
Das würde ich komplett streichen. Es erklärt mir zu viel.

Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?
Würde ich streichen. Finde, dass es dann besser wirkt. Aber ist Geschmackssache.

Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Auch hier bin ich mir unsicher, ob ich den Hinweis brauche.

Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille.
Wieso das denn? Er ist doch Profi? Da passiert ihm das doch nicht. Oder habe ich etwas Wesentliches übersehen?

Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.
Das Reh als Symbol für die Frau (oder auch andere Frauen in seinem Leben?), die er zuvor nicht hat gehen lassen und ermordet hat. Mmh, bin mir unsicher, ob ich das nicht zu dick aufgetragen finde. Ich fände es zB. eleganter, wenn du nicht explizit erwähnst, dass das Reh ihn wahrnimmt und keinen Fluchtreflex hat.

Alles in allem finde ich deinen Text gut geschrieben. Dir gelingt es mir ein Bild von deinem Protagonisten zu vermitteln und er wirkt (wie beabsichtigt) für mich sehr unangenehm und bedrohlich. Die Frau bleibt mir allerdings ein wenig zu nebulös und holzschnittartig gezeichnet (schwach, auf ihn angewiesen, unterwürfig, dann trennt sie sich aber doch plötzlich).
Ich finde auch, dass du schon sehr mit der Tür ins Haus fällst und fände es hier angebracht, wenn du es nicht so deutlich machst, was passiert ist, sondern dem Leser mehr zutraust.

Gerne gelesen und beste Grüße
Habentus

 

Hallo @Jaylow

ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Auf mich wirkt der Protagonist nicht unsymphatisch. Im Gegenteil. Besonders mochte ich Deine Naturbeschreibungen. Da war ich mitten drin in den Szenen. Du hast das sehr lebendig gestaltet.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Er fährt bis zum Ende des holprigen Waldweges und schaltet den Motor aus. Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift. Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg. Feuchtes Laub dämpft die Schritte, es ist nicht weit. Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.

Der Einstieg ist klasse. Ich kann mir alles sehr bildhaft vorstellen und bin sofort mitten drin.

Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung, noch ist die Sicht nicht gut. Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus. Früher hatte seine Frau für die Verpflegung gesorgt.

Auch hier beschreibst Du die Szene sehr lebendig. Dazu die subtile Bemerkung am Ende über die Frau. Hier hab ich mich natürlich gefragt, ob sie tot ist oder was passiert ist und die Neugierde war geweckt.

Obwohl sie seine Jagdleidenschaft nicht teilte, fand er manchmal ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel im Rucksack.

Kann ich verstehen. Ich denke, wenige Frauen würden diese Leidenschaft teilen. Die Bemerkung mit Kuchen/ Schokoriegel lässt ahnen, dass die Frau sehr liebevoll war.

Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht. Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt. Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles.

Ich finde es super, wie Du die Sinne ansprichst.

Aber das wird noch.
„Das wird noch“, hatte sie immer gesagt, wenn sie Probleme hatten, anderer Meinung waren, eine ganze Weile, dann nicht mehr.

Diese Überleitung fand ich sehr gelungen.

Die Trennung teilte sie ihm mit, als sie den Tisch abwischte. Sie fegte die Krümel herunter und ihre Beziehung gleich mit. Ob sie einen Neuen hätte, hatte er gefragt. Sie sah ihn nicht an, faltete das Geschirrtuch zusammen ohne etwas zu sagen.

Hier war ich dann fast enttäuscht. Ich hatte eher damit gerechnet, dass die Frau gestorben ist. Dabei hat sie mal so ganz nebenbei von Trennung gesprochen, während sie den Tisch abwischte. Da war mein Mitgefühl erstmal beim Protagonisten.

Als er sie traf, war er kaum in der Lage zu sprechen. Ihre Stimme hatte ihm schlaflose Nächte bereitet, auf das, was da am Waldrand stand, war er nicht vorbereitet. Sie streckte die Hand aus, er nahm sie, etwas zu fest. Sie legte den Kopf zurück und sog den Geruch des Waldes ein wie ein Reh. Sie vermied den Blickkontakt zu ihm, während er sie anstarrte. Er riss sich los.

Interessantes Kennenlernen. Die Stimme am Telefon weckt sein Interesse und geschickt fädelt er die erste Begegnung ein. Dumm ist er nicht, Dein Prota. Ich kann mir das lebhaft vorstellen, wie er sie sieht und sie ihn umhaut. Finde ich sehr spannend.

Der Nebel lichtet sich zunehmend, die Dunkelheit weicht einem konturlosen Grau. Er legt den Kopf zurück und atmet den Geruch des Waldes ein. Ein Geräusch, ein leichtes Knacken. Als wäre etwas auf einen Kiefernzapfen oder einen Zweig getreten. Das grüne Bild des Nachtsichtgerätes zeigt nur Bäume. Schwenk nach links, wieder zurück, langsam. Er starrt durch die Röhrenkamera. Nichts zu sehen. Aber etwas starrt zurück, er fühlt es. Zwischen den Bäumen. Es wartet und weiß, wo er ist. Der Repetierer beruhigt ihn, drei Schuss im Magazin, einer im Lauf. Eine Patrone fehlt, die ist
schon weg.

Auch diese Szene spricht alle Sinne an und ist dabei auch etwas mystisch und geheimnisvoll. Gänsehaut!

Ein paar Wochen nach der Begehung starben ihre Eltern. Ihr Tod warf sie völlig aus der Bahn. Autounfall, nasse Fahrbahn, Kurve, vermutlich zu schnell gefahren. Es ist wie bei der Jagd, dachte er. Die Unvorsichtigen trifft es zuerst. Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
„Ich habe niemanden mehr“, sagte sie.
Er nahm sie in den Arm und beruhigte sie.
„Du hast mich“, erwiderte er.

Ein tragischer Moment und er ist für sie da. Auch hier liegt meine Sympathie bei ihm.
Gut beschrieben, gut die Emotionen transportiert.

Auf der Beerdigung konnte sie kaum gehen, klammerte sich an seinen Arm. Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke am Himmel und die Reden waren ergreifend. Er würde sich um sie kümmern. Er versprach es, ihr und sich selbst. Nichts würde das ändern.

Auch hier finde ich ihn sehr liebevoll. Bisher gab es noch gar nichts, was ihn für mich unsympathisch machen würde. Er will ihr Feld in der Brandung sein.

Bei ihr half es nicht. Eine Weile lebten sie miteinander so gut es eben ging. Er wartete. Es wurde nicht besser. Sie redeten nicht, bis zu dem Abend, an dem sie alles einfach wegwischte. Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?

Hier hätte ich mir vielleicht mehr Details gewünscht. Das geht alles so schnell, dadurch entstehen wenig Emotionen, aber vielleicht ist das so gewollt. In dem Moment fand ich eher sie unsymphatisch. Er hat sich gekümmert, war für sie da, sie ignoriert ihn, redet nicht mehr mit ihm und dann trennt sie sich. Find ich heftig. Klar rechtfertigt das keinen Mord. Seine Reaktion ist total übertrieben und unangebracht. Aber selbst da war er mir immer noch nicht unsympathisch.

Er nimmt den letzten Schluck, er hätte mehr mitnehmen sollen. Der Nebel ist fast verschwunden, er kann die Konturen der Bäume erkennen. Wieder ein Knacken, leise, aber er hat es gehört. Er hält den Atem an und lauscht. Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Dann sieht er das Reh zwischen den Kiefern stehen. Bewegungslos, den Kopf erhoben, es schaut ihn direkt an, weiß, wo er ist. Das Nachtsichtgerät fällt zu Boden, das scheppernde Geräusch durchschneidet die Stille. Das Tier zeigt keinen Fluchtreflex, es steht einfach da und sieht zu ihm hoch. Er nimmt den Repetierer an die Schulter.

Ein sehr düsterer Moment. Ich fands übrigens sehr gekonnt, dass Du letztendlich nie von Mord gesprochen hast. Nur diese eine fehlende Patrone und die Bemerkung, dass er sie nicht gehen lassen kann, lässt durchblicken, was wirklich geschah. Sehr gut umgesetzt. Bei der letzten Szene hats mich ordentlich geschaudert und ich hab gehofft, dass das Reh noch einen Fluchtreflex bekommt.

Ganz liebe Grüße
Silvi

 

Er hat sich gekümmert, war für sie da, sie ignoriert ihn, redet nicht mehr mit ihm und dann trennt sie sich. Find ich heftig. Klar rechtfertigt das keinen Mord. Seine Reaktion ist total übertrieben und unangebracht. Aber selbst da war er mir immer noch nicht unsympathisch.

Hallo @Silvita und @Jaylow ich muss kurz auf den Kommentar eingehen, auch wenn ich das normalerweise sehr selten mache. Hier aber ist meine Lesart der Geschichte und die von dir @Silvita dermaßen unterschiedlich, dass ich gerne etwas dazu sagen würde. Ich lese den Protagonisten wirklich zu keiner Zeit als fürsorglichen Kümmerer. Im Gegenteil. Er wird von Beginn an, als er die Frau zum ersten Mal am Telefon hat, als ein Jäger dargestellt, der die Witterung zu seiner Beute aufgenommen hat. Er weiß um ihre Schwäche, um ihre Unsicherheit und nutzt das massiv, um sie an sich zu binden. Als die Beerdigung stattfindet, ist er nicht aus Fürsorge (ich erkenne keine) zur Stelle, sondern weil er weiß, dass er sie nun noch mehr unter Kontrolle haben wird. Als ihm schließlich die Kontrolle entgleitet und sie sich trennt, weiß er keinen anderen Ausweg als die Frau zu töten. Das ist keine Liebe, das ist keine Fürsorge, das ist zwanghafte Kontrolle und das Streben nach Dominanz mit allen Konsequenzen.
Auch lese ich die Frau nicht als liebevoll, weil sie ihm Tee mitgibt und Brote schmiert, sondern als ihm hörig.

Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte massiv missverstanden habe, wollte aber kurz noch mal meinen Eindruck erklären, warum der Protagonist für mich ein Unsympath (und er offenbart sich ja spätestens am Ende sogar zu einem wahren Monster) vor dem Herrn ist.

Beste Grüße
Habentus

 

Hallo @Habentus,

ich finde es mega interessant, wie unterschiedlich diese Geschichte auf uns wirkt. Du interpretierst den Protagonisten komplett anders als ich. Ich kann ja nichts für, dass das bei mir eben ganz anders ankommt. Auf jeden Fall sehr spannend.

Liebe Grüße
Silvi

 

Hallo @Habentus und @Silvita,

vielen Dank fürs Lesen! Die Einschätzungen können unterschiedlicher nicht sein, vielleicht darf ich meine Intention kurz beschreiben - ob der Text das hergibt, ist eine andere Frage:
"Ich lese den Protagonisten wirklich zu keiner Zeit als fürsorglichen Kümmerer. Im Gegenteil."
Ja, Habentus beschreibt den Jäger perfekt (Streben nach Dominanz, zwanghafte Kontrolle),
zumindest war es so intendiert, ein Hinweis sollte auch die Beschreibung der Situation der Beerdigung (ein strahlend schöner Tag usw.) sein. Er will sie besitzen, spürt eine Schwäche und agiert. Sie ist geschwächt, unterwürfig, ändert sich aber.
"Das Reh als Symbol für die Frau ... bin mir nicht sicher, ob ich das nicht zu dick aufgetragen finde." Ich bin mir ziemlich sicher, dass Habentus recht hat. Zu dicke. Muss ich nochmal ran.

Ganz lustig finde ich eure unterschiedlichen Bewertungen bei bestimmten Beschreibungen: Für Habentus erklärt sich nicht, warum er kaum in der Lage ist zu sprechen ("Warum? Ist für mich nicht so ganz ersichtlich"), während Silvita diese Situation anders kommentiert: "Interessantes Kennenlernen. ... Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie er sie sieht und sie ihn umhaut." Ja, ich hoffe, dass ihre Attraktivität glaubhaft erzählt wird.

"Eine Patrone fehlt, die ist schon weg." Das würde ich komplett streichen, schreibt Habentus. Ich denke darüber nach, ja.

Ich danke euch beiden sehr für das Beschäftigen mit dem Hochsitz!

Schönen Gruß

Jaylow

 

Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift.

Moin,

ein Jäger geht eher nicht nachts los, er sitzt schon vorher, um das Wild nicht zu vergrämen. Deutlich vor der Dämmerung. Denn es gilt: die Jagd beginnt eine Stunde vor Sonnenaufgang und endet eine Stunde nach Sonnenuntergang. Man fährt auch eher nicht mit dem Auto direkt an den Ansitz, aus dem gleichen Grund, das Wild ist nicht dumm. Es kombiniert, Motorengeräusche, Büchsenknall, aha! Du sitzt vielleicht noch zehn, fünfzehn Minuten im dunklen Auto und gehst dann los.

Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.

Hab ich noch nie gehört. Ist übrigens eine sehr gefährliche Situation, einen Ansitz oder eine Ansitzleiter mit Büchse hoch und wieder runter; macht man sich als Nicht-Waidmann vielleicht nicht so die Gedanken. Die Situation auf der Leiter, wie komme ich hoch, immer beide Hände und beide Füße in den Stufen, möglichst breit aufstellen wegen Rutschgefahr, dann wo lege oder stelle ich die Büchse hin, wo den Rucksack? Die Büchse ist ggf teuer, das Glas auch, wenn die Büchse den Abflug macht und das Glas kaputtgeht, kann das direkt mal ein paar tausend Euro kosten. Auch ein Gefahrenbereich, weil man Hindernisse nur mit entladener Waffe begehen darf! Nicht unterladen oder sonstwas, sondern leer. Ich lege meine Büchse, wenn ich den Ansitz hochkomme, auf den Boden und stelle sie dann sicher gegen die Wand, damit ich sie im Dunkeln greifen kann; ich muss sie blind laden und entsichern können, und einmal auf dem Ansitz löse ich auch den Riemen, denn der stört nur beim Anlegen und Hantieren.
Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus.
Taschenlampe hast du nicht im Rucksack, sondern in der Jackentasche. Könnte sein, dass was auf dem Weg zum Ansitz passiert, wo du schnell Licht brauchst. Dann: Schnaps? Ganz ehrlich, mag sein, dass es das gibt, aber ich kenne keinen Jäger, der auf dem Ansitz Alkohol konsumiert. Ich glaube, ich habe in all den Jahren mal ein Bier getrunken. Früher gab es das mal, Ansitzcola etc, aber heute eher nicht, Beständer dulden das nicht mehr und es ist auch saugefährlich, immerhin hat man eine scharfe Waffe. Auch insgesamt: Stulle und Schokoriegel, ich weiß nicht ... macht alles Geräusche, es riecht, vergrämt prinzipiell das Wild. Man hat bei Nachtansitzen auf Sauen eine Thermos mit Kaffee oder so dabei, aber das wars auch. Gegessen wird auf dem Ansitz nicht, also ich kenne keinen Jäger, der sich seine Brotzeit einpackt.
Er nimmt das Nachtsichtgerät aus der Tasche und scannt die Umgebung.
Heute eher: Wärmebild. Das waidmännische Wort wäre: abglasen.

Er gönnt sich einen weiteren Schluck und prüft das Gewehr.
Durchladen, sichern und abstellen ist das erste, was ich tue, wenn ich mich eingerichtet habe. Schießlatte auflegen, Sandsack positionieren, alles an Geräten raus, Handy griffbereit, dann Büchse klarmachen.
Die Windrichtung stimmt, die Tiere im Wald können ihn nicht riechen.
Ja, aber welche Richtung ist das denn? Das Wild riecht ihn auch nicht, das wittert. Man jagt mit dem Wind in den Augen, so sagt man.

Eine Schneise von höchstens hundertzwanzig Metern Breite, die perfekte Schussentfernung. Anvisieren, bewegungslos bleiben, ausatmen, Luft anhalten, Abzug drücken. Den Rückstoß merkt er nicht, wenn er auf das Wild fokussiert ist.

Die Schneise ist 120m breit, aber wie weit die weg ist, steht da nicht. Das meiste Wild wird bei deutlich unter 100m erlegt, zwischen 60-80 meistens. 120m schon anspruchsvoll. Es wird auch nicht so klar, auf was der geht, Rehwild, Schwarzwild, da unterscheidet sich das Gerät und die Ausrüstung erheblich.
Er zeigte ihr die Lichtung und schlug eine Stelle für die Neuanpflanzungen vor. Ihr gefiel der Ort.
Äh, nee. SIE ist doch vom Forst, aber er macht ihr den Vorschlag? Nee. Sie würde ihm auch eine Begehung vorschlagen. Vielleicht kannst du es so machen, dass er da der Hegeringleiter ist oder so, dann wäre er ein logischer Ansprechpartner für das Forstamt, aber das Forstamt fragt jetzt nicht bei den Jägern nach, wie sie ihnen das Revier schön machen können. Es gibt so Projekte, Äcker nach Kitzen absuchen mit Drohnen, Rebhuhn und Fasan zählen, da könnten die zusammenkommen. Und es ist auch nicht klar: Ist das sein Revier, ist er Beständer, hat er einen Begehungsschein? Mir ist unklar, wie die in die Situation kommen?
Der Repetierer beruhigt ihn, drei Schuss im Magazin, einer im Lauf.
Ich glaube, eine im Lauf und zwei im Magazin sind erlaubt, nicht mehr. Bin mir aber gerade nicht sicher.
Ein paar Wochen nach der Begehung starben ihre Eltern. Ihr Tod warf sie völlig aus der Bahn. Autounfall, nasse Fahrbahn, Kurve, vermutlich zu schnell gefahren. Es ist wie bei der Jagd, dachte er. Die Unvorsichtigen trifft es zuerst. Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
Ich habe gedacht, im Text geht es um zwei Frauen, eine die ihn verlassen hat und dann eine, die er neu kennenlernt. Das wird zeitlich nicht so ganz klar, finde ich.

Ja, also, zum Text. Da ist ja irgendwie kaum Fallhöhe. Ich erfahre nichts über ihn, über sie, warum ich jetzt mit einem der beiden mitempfinden soll; das ist zu kurz. Auch der Tod der Eltern bei einem Autounfall, warum? Warum dieses Drastik? Diese Dramatik? Warum reicht es nicht, wenn die beiden feststellen, es klappt nicht, sie sind zu eingefahren in ihren Mustern, zu alt für etwas Neues, das müsste man eben mikroskopisch langsam untersuchen. Im Grunde Stoff für ein Roman. Ich würde hier vielleicht eher eine Szene draus machen, die exemplarisch für die Beziehung steht: ein Endpunkt. Der erste Jagdtag wieder solo, was macht das mit ihm? Und auch charakterlich: wenn er einen so großen Jagdtrieb hat, bleibt er dann bei dieser Frau? Schaut er sich nicht schon längst woanders um, wenn er nicht das bekommt, was er verdient? Was ist seine Beute denn genau, was verschafft ihm da Befriedigung?

Das Gerüst ist da, nur es fehlt mir etwas Fleisch, etwas Knochenbrühe, das muss gekocht werden, mehr von allem sozusagen. Das ruhig auf 5-10k aufziehen, mehr Länge, mehr Inhalt in dem Sinne, dass ich die handelnden Personen tatsächlich kennenlerne.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jaylow,

ich finde die Geschichte insgesamt gut geschrieben, es gibt da keine drastischen Fehler oder Misstöne in der sprachlichen Gestaltung und das ist für sich genommen schon eine ganze Menge. Kleinere Mängel wie „Sie sind nicht nur auf die Jagd fokussiert, oder?“ und „Worauf liegt Ihr Fokus?“ (klingt nicht wie ein reales Gespräch, denn fokussiert bzw. Fokus wirkt hier ein bisschen bemüht, um die Verbindung zu Den Rückstoß merkt er nicht, wenn er auf das Wild fokussiert ist... herzustellen) könnte man durch Überarbeiten glattbügeln.

Was aber insgesamt neben den von Jimmy angemerkten Schwächen des Jagd-Fachlichen auffällt, ist die fragwürdige Symbolik Jäger – Mörder. Wenn Du herausarbeiten möchtest, dass die Attribute, die den Protagonisten zum Jäger machen auch etwas mit seinem Verbrechen zu tun haben, müsste das ein wenig ausführlicher dargestellt werden.

(Ich hatte mal eine Geschichte geschrieben, in der eine Figur nur zum Spaß am Lauern, Pirschen und Töten mit einer Armbrust auf die Jagd geht. Da wird dann ein bestimmtes psychologisches Profil deutlich.)

In Deiner Geschichte finde ich aber kaum Ansätze, die den Killer deutlich machen. Das führt dann dazu, dass die Verbindung zwischen Jäger und Mörder eher wie eine Autorenidee wirkt, als die Darstellung eine authentischen Ereigniskette.

Du müsstest die Charaktereigenschaften herausarbeiten, die den Jäger und den Killer verbinden. Ob sich das lohnt, muss man sehen.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Jaylow,

ich finde deine Geschichte atmosphärisch ansprechend, aber zu durchschaubar: Jäger, Waffe, da liegt ein Verbrechen sehr nahe. Du versuchst, den Leser mit einer Pointe zu überraschen, aber in meinen Augen ist das zu antiklimaktisch. Ich als Leser denke nicht: Ach, so, da schau mal an, so ist das! Sondern eher: Ok, das wäre das auslösende Ereignis für eine spannende Story gewesen.

In meinen Augen ist dieses nachgeschobene Drama eine Rechtfertigung für einen rein innerlichen Text ohne Schmiss. Wie gesagt, dir gelingt es ganz gut, Atmosphäre zu schaffen, aber die Beschreibung des Settings ist bei Weitem nicht so dicht, das sie allein einen Lesegenuss schafft. Ich glaube auch, es ist im Jahr 2025 kaum noch möglich, die Leser allein mit Jagd- umd Naturszenen einzufangen. Erstens blicken die meisten Leute mittlerweile mit einer kühlen Distanz und ohne Faszination auf die Natur (auf einen deutschen Waldabschnitt allemal), zweitens gibt es in diesem Genre so ziemlich die sprachgewaltigsten Vorgänger überhaupt, die man quasi nicht mehr überbieten kann an Ausdruck und Pathos.

Kurzum: Ich hätte es spannender gefunden, wenn du eine atemlose Hetzjagd geschildert hättest - mit wohl proportionierten Einsprengseln der Backstory. Aber klar, wir sind hier nicht bei "Wünsch dir was" ;-)

Sprachlich ist mir vor allem der Beginn aufgefallen, wo du dich in meinen Augen (!) etwas in den Zuständen des Sehens verlierst:

Er fährt bis zum Ende des holprigen Waldweges und schaltet den Motor aus. Kalte Nachtluft schlägt ihm entgegen, als er die Tasche mit dem Gewehr schultert und nach dem Rucksack greift. Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg. Feuchtes Laub dämpft die Schritte, es ist nicht weit. Vorsichtig steigt er die Holzbalken des Hochsitzes hinauf und hängt das Gewehr an seinem Riemen an den Haken.
Nebelschwaden wabern in der einsetzenden Dämmerung, noch ist die Sicht nicht gut. Im Rucksack sind Brote, Schnaps, Handschuhe, Taschenlampe und das Nachtsichtgerät. Er nimmt einen Schluck und packt die selbstgeschmierten Brote aus. Früher hatte seine Frau für die Verpflegung gesorgt. Obwohl sie seine Jagdleidenschaft nicht teilte, fand er manchmal ein Stück Kuchen oder einen Schokoriegel im Rucksack. Eine Thermoskanne mit heißem Tee, in die er den Schnaps kippte.
Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht. Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt. Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles. Der Wald führt ein Eigenleben, die Lichtung auf der rechten Seite ist in dem Nebel kaum zu überblicken. Aber das wird noch.

Mich hast du hier bezüglich der Sichverhältnisse schnell verwirrt. Auch das zweimalige Erwähnen des Brotes ist mir als Redundanz aufgefallen.

Soweit mal.

Freundliche Grüße

Henry

 

Hallo @Jaylow

Habe gerade deine Geschichte gelesen. Insgesamt finde ich, hat sie leider ein paar Probleme, ich spare mir mal einen Gesamteindruck und schildere meine Leseerfahrung anhand von Zitaten.

Die schmale Mondsichel gibt kaum Licht, aber er kennt den Weg.
'gibt kaum Licht' klingt für mich unliterarisch. Du gibst Dir Mühe, die Atmosphäre und das Setting zu etablieren, das kommt soweit auch nicht schlecht an bei mir, aber solche Stellen ziehen mich dann eher bisschen raus.

Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Das leichte Rascheln der Nadeln und Büsche, wenn eine Böe durchzieht.
Ich glaube 'durch zieht' müsste auseinander, damit es Sinn ergibt, oder bin ich gerade falsch gewickelt? Anyway, ich denke, durch ein wenig Umstellung würde der Satz prägnanter und aussagekräftiger werden, bspw.: Es ist still hier oben, bis auf das Grundrauschen: Böen lassen Nadeln und Büsche rascheln. Ein Rascheln impliziert für mich, dass es 'leicht' ist, ein Rascheln ist ja nie wirklich laut, denke ich.

Das Knacken, wenn etwas von den Bäumen fällt.
Auch das: Ist es nicht eher das Knacken im Unterholz oder sowas?

Er atmet den Geruch des Herbstes ein, die Frische, die eigentlich Verwesung ist. Er weiß das alles. Der Wald führt ein Eigenleben, die Lichtung auf der rechten Seite ist in dem Nebel kaum zu überblicken. Aber das wird noch.
Beide gestrichenen Sätze halte ich für redundant. Der letzte Satz hier dient natürlich für den Übergang, als Brücke, zu seiner Frau, weil die das jeweils zu ihm gesagt hat. Dennoch würde ich mir da was anderes überlegen, wahrscheinlich funktioniert die Stelle aber auch so (ohne 'Aber das wird noch').

Wie schon andere Leser hatte ich Mühe mir die Licht- und Sichtverhältnissen hier im ersten Abschnitt vorzustellen. Da ist der Mond, es ist Nacht, dann jedoch die Dämmerung, der dichte Nebel, der sich langsam lichtet ... Also mir fiel es eher schwer, das richtig einzuordnen, musste mein Bild teilweise wieder nachjustieren, aber vielleicht liegt es nur an der Reihenfolge, wie Du diese Informationen an den Leser weitergibst, oder es fehlt am Anfang irgendwo ein Satz, dass sich das Morgengrauen am Horizont zeigt o.ä. (?)

„Das wird noch“, hatte sie immer gesagt, wenn sie Probleme hatten, anderer Meinung waren, eine ganze Weile, dann nicht mehr.
Da geht es mir ein wenig zu schnell: Wie ist das gemeint? Also hatten sie eine ganze Weile Probleme und dann keine mehr, oder hat seine Frau eine ganze Weile "Das wird noch" gesagt und dann irgendwann nicht mehr? Ich würde das etwas genauer schildern.

Er nimmt das Nachtsichtgerät aus der Tasche und scannt die Umgebung.
Ich bin nun wirklich kein Jäger und habe keine Ahnung davon, aber 'scannt' scheint mir dennoch ein unpassender Ausdruck für seine Tätigkeit zu sein. Da gibt es doch bestimmt ein fachmännische(rere)s Wort dafür? Wurde ja auch schon eines vorgeschlagen, wenn ich die Kommentare richtig im Kopf habe.

Ein Repetierer, natürlich mit Holzschaft. Nussbaum, dunkelbraun, samtweich im Griff.
Treffender fände ich es hier, wenn Du ein wenig verkürzt und präzisierst: Ein Repetierer mit Holzschaft. Nuss, wellige Maserung, samtweich im Griff. Nussholz ist per se meist dunkelbraun, denke ich, das ist also eine Art Doppelung. Wörter wie 'natürlich' sind meist überflüssig. Was denkst Du? Ausserdem hat mich hier ein wenig irritiert, dass lediglich der Schaft der Waffe beschrieben wird und nicht deren ganze Beschaffenheit. Wäre doch interessant: Der Protagonist ist ja schon auch ein wenig in sein Gewehr vernarrt, da wäre es treffend, wenn er da ein wenig mehr über seine Waffe schwelgt.

Sie hatte nie begriffen, warum er die Waffe mag.
Hier hätte ich erwartet, dass ich einen (ersten) Anhaltspunkt bekomme, warum er den Repetierer so mag.

Wenn das Rehwild dorthin will, muss es über die Lichtung. Eine Schneise von höchstens hundertzwanzig Metern Breite, die perfekte Schussentfernung.
Das mit der 'Breite' zu erwähnen ist überfüssig, finde ich.

„Sie sind nicht nur auf die Jagd fokussiert, oder?“, fragte sie beim ersten Telefonat. Sie arbeitete bei der Forstverwaltung und hatte diese Stimme. Er hielt mit der Antwort zurück, ihn interessierte die Person hinter der Stimme.
„Worauf liegt Ihr Fokus?“, fragte er zurück.
Er hörte nicht, was sie sagte, nur ihre Stimme.
Hier stolperte ich beim Dialog, also bei der initialen Frage, ob er nicht nur auf die Jagd fokussiert sei, da verstand ich zuerst überhaupt nicht, wer das jetzt sagt. Im zweiten Satz kommt dann die Auflösung, aber ich finde das nicht so gut arrangiert, vielleicht müsste schon vorher erwähnt werden, mit wem er da telefoniert. Ausserdem liesst sich die Passage etwas ungelenk für mich, da kommt mir zu oft die Stimme vor.

Die Bedeutung ihrer Worte erreichte ihn nur bruchstückhaft, sie sprach von irgendwelchen Aufforstungen, aber er war geistesgegenwärtig.
Ist für mich ein Widerspruch: Er versteht sie nur bruchstückhaft, ist dann jedoch geistesgegenwärtig.

Sie legte den Kopf zurück und sog den Geruch des Waldes ein wie ein Reh.
Nun ja, die Frau sieht wohl gut aus, ist eine Schöhnheit, aber sie mit einem jungen Reh zu vergleichen: Ich weiss nicht, das ist doch ausgelutscht und auch ein wenig komikhaft, wenn Du mich fragst. Ich zweifle hier ein wenig, wie ernst die Geschichte gemeint ist.

Das verwirrte ihn, erst später merkte er, dass sie niemandem direkt in die Augen blickte.
Hat mich ein wenig verwirrt, irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass er die Frau nächstens erschiesst. Also das macht er ja auch, aber erst viel später. Ist das relevant? Also zusammen mit dem Vergleich des Rehs und dieser unterwürfigen Art zeichnest Du schon so ein Abbild einer naiven Frau, die ansonsten keine grossen Charaktermerkmale besitzt. Aber vielleicht entgehen sie dem Protagonisten auch, den in erster Linie scheint sie Beute für ihn zu sein, von daher passt es dann schon zusammen.

Aber er fühlte eine Unsicherheit, sein Gespür täuschte nie.
Das sind so Behauptungen, die müssten dem Leser ja aus dem Text indirekt übermittelt werden, finde ich. Also für mein Empfinden würde es ausreichen, hier sowas zu schreiben wie: Er fühlte ihre Unsicherheit. Ohne die nachfolgende Behauptung würde der Protagonist auch abgebrühter wirken, denke ich, und so wie ich ihn lese, würde das doch gut passen.

Er hatte längst in den Jagdmodus geschaltet.
Auch das hier: Ist mir zu viel Erklärung irgendwo. Dass er in den Jagdmodus schaltet, kannst Du doch viel besser an seinem Verhalten beim Aufeinandertreffen mit der Frau vom Forstdienst schildern.

Sie stellte das Essen ein, ließ sich krankschreiben, zog bei ihm ein.
Diese beiden 'ein' geben dem Satz einen unmelodischen Klang, das liest sich folglich nicht so schön.

Ausserdem hier ein ziemlicher Bruch: Gerade eben noch sind wir mit dem Protagonisten auf dem Hochsitz, etwas beobachtet ihn aus dem Wald, und dann zack!, in der nächsten Szene kommt diese Rückblende. Ich fand da den Übergang ein wenig zu hart, ausserdem wird da ein weiteres storytechnisches Fass aufgemacht, dass so kurz vor Ende nicht mehr allzu relevant sein kann. Aber ich les mal weiter! Und jetzt verstehe ich es auch: Die Frau vom Forstamt ist die, die ihn zu Beginn der Geschichte verlassen hat. Ich dachte, es handelt sich hierbei um zwei Frauen ... Sorry, da war ich bisschen verwirrt!

Es war ein strahlend schöner Tag, keine Wolke am Himmel und die Reden waren ergreifend.
Da würde ich vielleicht eher schildern -- falls das überhaupt wichtig ist -- wie er sich nach der Beerdigung und diesen Reden gefühlt hat.

Das konnte er schon immer.
Ist auch reine Behauptung, würde ich rauskippen.

Hat sie tatsächlich geglaubt, er würde sie gehen lassen? Nach all dem?
Nach all dem was? Ich glaube, es wurde bereits angemerkt, die zweite Frage würde ich rauslöschen.

Der Nebel ist fast verschwunden, er kann die Konturen der Bäume erkennen.
Also hier war ich wiederum verwirrt, er kann doch schon über die Lichtung sehen, oder nicht? Es wird ja langsam hell, der Nebel zieht sich zurück, aber trotzdem sind da nur die Konturen der Bäume? Das geht für mich nicht recht zusammen oder ich verstehe bzw. sehe was nicht.

Es kann noch niemand hinter ihm her sein, so schnell nicht.
Ok, er hat die Frau umgelegt. Das kommt hier relativ leise, finde ich gut. Wahrscheinlich wars in einer früheren Fassung viel deutlicher, wenn ich den ersten Kommentar so anschaue? Jedenfalls hat der Schluss für mich nicht schlecht gepasst.

Beste Grüsse,
d-m

 

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