Der junge Mann
„Wohin so schnell junger Mann“?
„Hey Kleiner, bleib doch mal stehen....“
Er sah jedes mal auf, wenn er diese, oder ähnliche Zurufe vernahm. Er fragte sich warum, er hörte sie schon seit Jahren, denn seit Jahren ging er diese Straße entlang, auch wenn er es nicht wollte.
Wieder vernahm er einen Zuruf und wieder schreckte er auf, immer schneller wurden seine Schritte, es war ihm unangenehm, er fühlte sich den Rufen und Lockungen der Frauen schutzlos ausgesetzt.
Endlich verließ er die Strasse mit den Freudenhäusern um in eine kleine, von Unrat stinkende Gasse einzutreten. Hier wohnten Sie und hier hauste Er, in einem der heruntergekommen, wuchtigen Häuser, die die Gasse umschlossen wie eine Mauer, alles wirkt trostlos und leblos, ihn beschlich das Gefühl gefangen, ja ein Gefangener der Gasse zu sein. Ungewollt schmunzelte er, denn in gewisser Hinsicht war er es vielleicht wirklich, ein Gefangener. Er bedachte dieses Wort sorgfältig, aber ja, man könnte es so nennen, denn schließlich fühlte er sich hier unwohl und auch gefangen, aber weg kam er hier nicht. Er blickte nach oben, wenige der kleinen Wohnungen hier waren bewohnt und viele Fenster waren mit Brettern vernagelt. Er blickte immer höher, die Häuser schienen sich über ihm zusammenzuziehen und dann sah er den Himmel, er war so grau, dass er wie ein Dach zwischen den ebenfalls grauen Häusern wirkte. Plötzlich wurde er von Panik übermannt, fing an zu schwitzen, die Gasse schien immer kleiner zu werden, er glaubte sie würde ihn verschlucken.
Ein lautes Fiepen riss ihn wieder zurück in die Realität, eine Ratte huschte an seinen Füßen vorbei. Er sah ihr nach, schüttelte den Kopf und ging die letzten paar Schritte durch die wieder ganz normale, wenn auch nach wie vor leblose Gasse zum Eingang des Hauses, in dem sie lebten.....nun ja, in dem Sie wohnten.
Er stieg die Treppen hinauf, er musste in den dritten Stock. Ein süßlicher Gestank stach ihm in die Nase, immer intensiver, je näher er der kleinen Wohnung kam. Wenn dieses Haus noch von anderen Menschen bewohnt gewesen wäre, hätten sie diesen Gestank sicherlich auch gerochen, doch dem war nicht so. Er wollte nicht hinein, der Gestank war schon vor der Tür schlimm genug, drinnen würde er ihn umhauen. Doch er musste hinein, er musste einfach alleine sein, wenn es geschah. Außerdem spürte er einen Drang, der nichts anderes zuließ als hierhin zu gehen.
Er spürte schon wie die Hitze in ihm anstieg, so ging es immer weiter, er wurde in diese Haus gezwungen und dann geschah es....und er wusste, es ging schnell. Er stieß die Tür auf, schlurfte hinein und stolperte über ein paar Knochen. Er stöhnte, nein, es war nicht er, der stöhnte sondern jemand anderes, er kannte Sie nicht, noch nie hatte er eine von ihnen gekannt. Verschwommen sah er die Umrisse einer Gestalt in einer unmenschlich verrenkten Haltung, gefesselt und geknebelt an der Wand hockend. Dann verblasste alles um ihn herum sein Körper bäumte sich auf und er trat in den Hintergrund.
Endlich war ich frei. Wie immer in den Abendstunden übernahm ich den Körper, der ihm einmal ganz allein gehört hatte, woher ich kam, weiss ich nicht, ich weiss nur ich war auf einmal da, ich lag in der Gasse vor diesem Haus und hörte Schreie, sie kamen aus dieser Wohnung und als ich sie betrat sah ich Sie. Sie lag auf dem Boden, blutend, unfähig sich fortzubewegen. Wie sie zu ihrem Zustand kam, weiss ich nicht, es war mir egal. Ich bekam unsagbare Lust, Lust auf diese Frau.
Ich beugte mich zu ihr hinunter, sah, roch ihr Blut und bekam undenkbare Lust. Ich zitterte vor Begierde. Der Geruch ihres frischen Blutes ließ mich alles um mich herum vergessen. Ich stürzte mich auf sie, genoss ihre Schreie, sie erlitt unsagbare Schmerzen und ich erfreute mich an ihnen, irgendwann verlor ich das Bewusstsein.
Als ich erwachte war er da, ich sah was er tat, fühlte was er dachte. Er war ein Schwächling, ein bemitleidenswerter, armer Mann, doch ich war zu schwach um mich wieder zu befreien, ich war gefangen, irgendwo hinter seinem Geist.
Er hatte Angst und ekelte sich vor mir. Diese Gefühle befriedigten mich, doch er war auch gefährlich. Schon oft hatte er versucht sich das Leben zu nehmen, doch mit all meiner Kraft konnte ich es jedes mal abwenden, auch wenn ich den Tag zu Erholung brauchte, um gegen Abend wieder die Kontrolle zu übernehmen, konnte ich ihn dennoch beeinflussen. Ich hoffte nur, dass er nicht merkte, wie knapp der Kampf jedes mal ausfiel.....
Mein Blick fiel auf Sie und meine Gedanken überschlugen sich. Ich roch ihr Blut, sah ihr Leid und ich fing an zu zittern. Heute war ihr letzter Abend, dass wusste ich, sie war schon zu schwach, Morgen würde sie tot sein. Ich hoffte, dass sie noch nicht zu schwach war um ihren Schmerz Ausdruck zu verleihen. Wenigstens musste ich nicht raus und durch die Gassen streifen, um mir ein neues Opfer zu suchen, es konnte gefährlich sein um diese Zeit. Bei diesem Gedanken musste ich Lächeln, aber in der Tat, ich war schon öfter in bedrohlicher Situation gewesen, man wollte mich ausrauben oder eine Gruppe Jugendlicher bedrohte mich nur so zum Spass. Bis jetzt konnte ich jedoch immer entkommen, ich kannte die Strassen New Yorks wie meine Westentasche.
Wieder huschte ein Lächeln über meine Lippen, ich hatte Glück in dieser Stadt aufgewacht zu sein. Erst sehr spät ist aufgefallen, dass immer mehr Frauen verschwanden. Seitdem jedoch war die Umgebung noch gefährlicher geworden, oft fuhren Polizeistreifen durch die Straßen, was zwar die dunklen Gestalten aus der Gegend trieb, aber eine ebenso große Gefahr darstellte. Der einzige Grund, warum ich noch nicht gefasst worden war, war wohl die Anonymität in dieser Stadt.
Mein Blick fiel wieder auf die junge Frau, sie sah wirklich sehr schwach aus doch kurz darauf merkte ich schon, dass noch mehr Energie in ihr steckte als ich glaubte. Zum Glück war sie wirklich zäh, irgendwann jedoch erschlaffte sie unter meinen Armen und nach einer Weile war auch ich erschöpft. Die Umgebung verschwamm und Er schob sich wieder in den Vordergrund.
Wie immer wachte er, noch auf meinem Opfer liegend, auf. Ekel überkam ihn und er rannte hinaus. Die sauberen Kleider, die er immer im Haus hinterließ, zog er schnell an, die anderen stopfte er in seinen Rucksack. Schnell verließ er die Gasse und bewegte sich auf die Hauptstraßen zu. Hier fühlte er sich wohler die Menschenmengen beruhigten ihn, hier fühlte er sich sicherer und nicht mehr angreifbar.
Ich lächelte, denn ich war mir sicher, dass es ihn Abends ohnehin wieder in die dunkle Gasse trieb...ob er wollte oder nicht. In dem Augenblick erreichte er die Hauptstraße, er musterte die Leute, ging in verschiedenen Geschäften ein und aus und gönnte sich ein Frühstück in einem kleinen Cafe. Er las die Zeitung vom 2.6.2002 und aß in Ruhe. Irgendwas an seinem Verhalten war anders, es hatte etwas alarmierendes. Er wirkte ruhig, ich spürte nicht, was er vorhatte, doch er hatte etwas vor, das merkte ich anhand seiner Entschlossenheit.
Ich merkte es, leider jedoch einen Moment zu spät. Er ging wie zufällig an einem Polizisten vorbei, den ich gar nicht wahrgenommen hatte. Das sinnlose Herumlaufen hatte wohl nur den einen Sinn gehabt, er hatte gehofft, einem Polizisten zu begegnen. Sofort riss er den Polizist zu sich herum, ich wollte es verhindern aber ich war zu schwach, ich konnte meine Kräfte so schnell nicht sammeln. Wütend kämpfte ich gegen ihn an und ich war mir sicher, dass ich in wenigen Sekunden stark genug wäre ihn zu beeinflussen. Ich schaffte es, nach kurzer Zeit war ich Herr der Lage, er wurde ohnmächtig. Ich dachte, ich wäre grad noch mal davongekommen, erschöpft ließ ich mich zurücksinken, doch auch ich hatte mich überanstrengt und fiel in tiefe Ohnmacht. Als ich wieder aufwachte, hatte er die Kontrolle über seinen Körper. Das erste Gefühl, das ich spürte war Erleichterung und das alarmierte mich. Er saß in einem kleinen Raum mit einem kleinen Bett einem vergitterten Fenster, einem Stuhl, einem Tisch und einer sehr stabil aussehenden Tür, seine Hände waren gefesselt. Nach kurzer Zeit kamen einige Leute in weißen Kitteln und begutachteten ihn misstrauisch.
Wir haben nun das Jahr 2004, die Ärzte haben ihm Schizophrenie bescheinigt. Sie sagten ihm, es seien zwei Seiten in ihm, und er könne nur geheilt werden, wenn er seine dunkele Seite von sich aus bekämpfen würde. Dunkele Seite, diese Bezeichnung gefiel mir irgendwie, sie passte zu mir.
In ein paar Tagen, heißt es, kommt er frei, komme ich frei. Ich habe mit der Zeit gelernt mich zu beherrschen, meine abendlichen Ausbrüche in seinen Körper sind immer seltener geworden, seit einigen Wochen sind sie gar nicht mehr vorgekommen, ich verhalte mich so, selbst er spürt mich nicht mehr und glaubt mich besiegt. Doch er wird merken, dass ich noch da bin, denn tief in mit brodelt eine unbeschreibliche Gier....