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Der magische Ring
Es war einmal vor vielen Jahren, da wurde ein Junge eines Tages zum Vollwaisen.
Aber nicht plötzlich, denn es war abzusehen, dass es leider irgendwann so kommen musste.
Der Junge, der übrigens schon siebzehn Jahre alt war, lebte mit seinen Eltern in einem Land, das hatte einen Herrscher, der eines Tages alle Gefängnisse öffnete und alle Gefangenen entließ, um deren Unterbringungskosten zu sparen. Gleichzeitig führte er ein neues Gesetz ein, welches besagte: „Alle Menschen müssen sich an die Regeln des fairen miteinander Lebens halten. Wer in unserer Gesellschaft Straftaten begeht, der hat das Recht verwirkt, in unserer Gesellschaft zu leben. Er wird mit dem Tode bestraft. Für kleine Straftaten wird man schnell auf einen Pfahl gespießt, für schwere Verbrechen muss der Täter lange und schmerzvoll am Pfahle leiden bis der Tod ihn erlöst.“
Die Eltern des Jungen betrieben aber schon immer gewerbsmäßigen Diebstahl, um sich den Lebensunterhalt zu bestreiten, und hatten auch nie etwas anderes gelernt. Daher konnten sie mit dem Klauen auch nicht aufhören. Schließlich kam der Tag, der abzusehen war: Sie wurden erwischt.
Die Pfählung fand wie üblich öffentlich auf dem Marktplatz statt, damit jeder Bürger wusste:
Aussetzung der Strafe auf Bewährung, nein, das gibt es nicht.
Der Sohn stand fassungslos und weinend auf dem Marktplatz. Der Vater stand auf dem Schafott, winkte seinen Sohn heran und gab ihm seine Hinterlassenschaft: Zwei wertvolle Goldmünzen. Dann wurden die Eltern des Jungen gepfählt, glücklicherweise mussten sie nicht lange leiden.
Unter den Schaulustigen der Hinrichtung befand sich eine einzige Person, die Mitleid mit dem Jungen hatte. Es war eine alte Zigeunerin, eine Bekannte des gerade hingerichteten Diebespaares. Sie sprach den Jungen an und sagte, sie wolle ihm helfen. Sie hätte einen goldenen Ring, der magische Kräfte besaß. Der Ring würde jedem, der ihn trägt, Glück und Erfolg bringen, vorausgesetzt, man war stets freundlich und ehrlich zu seinen Mitmenschen.
Der Junge hatte wirklich nicht vor, ein Dieb zu werden und wie seine Eltern zu sterben. Also versprach er der alten Hexe, den Ring in Ehren zu tragen. Die Alte wollte eine seiner beiden Goldmünzen für den Ring und versprach, dass der Ring niemals seine Zauberfähigkeit verlieren würde. Man könne den Ring auch verschenken, verkaufen und vererben und die jeweilige Person würde das Glück haben, das der Ring bringt, aber nur, wenn man daran glaubt und danach handelt und lebt.
Eine Goldmünze war viel Geld wert, aber der Junge hatte gerade Glück mehr nötig als Geld. Also kaufte er den goldenen Zauberring.
Schon am nächsten Tag fand er eine Lehrstelle bei einem Schmied und durfte in der Gesindekammer schlafen.
Der Junge wuchs heran und wurde von Beruf Kesselflicker und Scherenschleifer. Er zog von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus und bot an, die Kessel zu flicken und die Messer zu schleifen. Er war dabei immer freundlich, half auch sogar ein wenig im Haushalt. Er reparierte dies und das und wenn die einsamen Hausfrauen es wünschten, dann beglückte er sie auch, denn sie waren vernachlässigt von ihren Ehemännern, die bei der der Arbeit waren und abends müde nach Hause kamen und keine Lust auf irgendetwas hatten, außer auf Essen.
So lebte er sein Leben, wurde zum Mann und war jahrelang erfolgreich, glücklich und optimistisch. Er war überzeugt, dass der Ring ihm das Glück bescherte. Man könnte jetzt meinen, dass er irgendwann heiratete und eine glückliche Familie gründete, so wie er es auch vorhatte, aber was passierte dann?
Eines Tages wurde er von einem Ehemann in Flagranti erwischt, als er mit dessen Ehefrau Ehebruch beging. Der brave Bürger war sehr böse und wütend auf den Gigolo. Er rief die Polizei. Die kam, verhaftete den Scherenschleifer und gegen den Willen des Ehemannes auch dessen Ehefrau, wegen Ehebruchs.
Bevor beide gepfählt wurden, durften sie einen letzten Wunsch äußern. Es ist nicht überliefert was sich die Ehebrecherin wünschte, aber der Scherenschleifer sagte: „Bringt mir meinen Erstgeborenen, der lebt im Dorf Satul als Sohn der Eheleute Igani.“
Die Pfählung wurde verschoben und der Hinzurichtende musste drei Tage an den Pfahl gebunden warten, bis sein Sohn herangeschleppt wurde, zusammen mit seiner Mutter, die nun natürlich auch gepfählt werden musste, weil sie damals Ehebruch begangen hatte und das Kind ihrem Ehemann untergeschoben hatte.
Bevor er gepfählt wurde, gab der Vater seinem Kuckuckskind den Ring und flüsterte ihm das Geheimnis des Rings ins Ohr und erzählte ihm, dass auch seine Großeltern gepfählt worden waren und ermahnte ihn, bloß keine Straftaten im Leben zu begehen.
Das Kuckuckskind war ganz benommen, soeben erfahren zu haben, dass er einen anderen leiblichen Vater hatte, als er geglaubt hatte, und im nächsten Moment musste er erleben, wie seine Mutter und sein Vater vor seinen Augen gepfählt wurden.
Die Abschreckung wirkte. Das Kuckuckskind nahm den Ring und führte ein braves, straffreies Leben, war immer freundlich und hilfsbereit und alle Menschen liebten ihn, insbesondere die Frauen. Denn er war Sänger und konnte herzzerreißende Schnulzen singen, die von Liebe und Glück handelten.
Er wurde insbesondere zu großen Hochzeiten mit über zweihundert Gästen eingeladen, zog mit einer Band durchs ganze Land und begeisterte alle Menschen mit seiner Manele-Musik. Pro Auftritt erhielt er eine große Gage und außerdem steckten ihm die Zuhörer während des Singens weiteres Geld zu, damit er ihren Namen direkt und live in den Songtext einbaute, so wie es bei diesen Manele-Festen noch heute üblich ist. So kam der Sänger pro Engagement zu so viel Geld, wie arme Menschen in einem Jahr mit harter Arbeit verdienten.
Im Glauben, dass er nur deshalb so viel Glück und Reichtum hatte, weil er den Ring hatte und sich an die Bedingungen des Rings hielt, entlohnte er die Mitglieder seiner Begleitband stets fürstlich und war auch sonst nicht geizig. Er brachte sein leicht verdientes Geld auch gerne schnell wieder unters Volk. Bei jedem, den er kannte, kaufte er auch etwas. Alle liebten ihn, und das brachte wieder Auftritte und Geld. Es war ein wunderbarer Glückskreislauf.
Statt alle seine weiblichen Groupies zu schwängern, wie sein Vater es wohl getan hätte, flirtete er nur mit ihnen und eines Tages heiratete er die Schönste aller Schönen, eine Miss Piranda, die aus einer der reichsten Familien des Landes stammte. Mit ihr verbrachte er ein Leben in Reichtum und Glück und zog drei Töchter auf, die bildschön wurden.
Die Jahre vergingen und im Land wurde auch wieder die Todesstrafe abgeschafft. Das war Voraussetzung, um in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Viele arme Bürger wurden aus Geldnot wieder kriminell aber sie kamen nur für ein paar Jahre ins Gefängnis und nicht aufs Schafott und den todbringenden Pfahl.
Durch die Digitalisierung seiner Lieder und internationale Vermarktung blieb der Schlagersänger auch im Alter reich. Also hatte er immer Glück, so wie es der Ring garantierte, wenn man brav war und immer freundlich zu seinen Mitmenschen und Fans.
Gegen Ende seiner Lebenszeit wurde der gealterte Sänger gebrechlich und fühlte, dass bald sein Ende kommen würde. Statt nur einer wollte er aber allen drei Töchtern einen Glücksring schenken, da ihm alle Töchter gleichermaßen lieb waren. Also ging er zu einem Juwelier und sagte ihm, dass dies ein Glücksring sei und bestellte die Anfertigung zweier Kopien. Die Kopien müssten so gut werden, dass man nicht mehr erkennen konnte, welches der Originalring sei. Dann müsste die Zauberkraft auch in den beiden Kopien sein. So war seine Überzeugung.
Der Juwelier, der vom Glück und Reichtum seines Auftraggebers wusste, machte aber nicht nur zwei, sondern drei gleiche Kopien. Er behielt den Originalring für sich und gab dem Sänger die drei täuschend echten Fälschungen.
Es kam der Tag, da rief der Sänger seine drei Töchter ans Sterbebett. Er vererbte ihnen die drei Ringe und erklärte ihnen die Zauberkraft, die verknüpft ist mit der Mahnung, dass das Glück nur eintritt, wenn man sich an die Bedingungen hält, sich anständig und fair in der Gesellschaft zu benehmen. Die Töchter versprachen ihrem Vater, stets brav und anständig zu bleiben und den Ring zu ehren.
Was passierte dann mit den falschen Ringen? Sie verwandelten sich in echte Ringe, denn man muss ja nur glauben, dass sie echt sind.
Alle drei Töchter waren überzeugt einen echten Glücksring zu besitzen und glaubten an ihre Magie. Sie waren immer freundlich und ehrlich und strahlten vor Selbstbewusstsein und Schönheit. Deshalb wirkten die Ringe und die jungen Damen machten unbeschreibliche Karrieren. Wie wir alle wissen, kann Glaube Berge versetzen.
Die eine Tochter wurde Bloggerin auf YouTube und Instagram mit über 5 Millionen Followern und noch heute wachsen die Schar der Follower und die Einnahmen aus Werbung.
Die andere wurde die schönste Weltrangerste im Tennis und man kann sich denken, wie hoch die Werbeeinnahmen von weltrangersten Tennisspielerinnen sind, wenn sie auch noch schön sind und Vorbildikone, dank der skandalfreien Lebensführung, dank des Glaubens an die Magie des Ringes.
Die schönste der drei wurde ein Topfotomodell und heiratete einen Immobilienmilliardär, der später weltbekannt wurde.
Was dann in den nächsten Generationen dieser Töchter passierte, kann in dieser Geschichte nicht erzählt werden, weil die Töchter immer noch leben und immer reicher und glücklicher werden.
Aber es gibt noch eine Nebengeschichte, nämlich die vom unehrlichen Juwelier. Weil er den echten Ring gestohlen hatte und ein übler Fälscher war, wandte sich die Zaubermagie des Ringes gegen ihn. Eines Tages wurde der Juwelier bei seiner Arbeit im Juwelierladen von zwei Räubern überfallen. Weil er glaubte, er wäre durch die glückbringende Macht des Rings geschützt, setzte er sich gegen die Räuber zur Wehr. Zu seinem Pech aber wurde er von diesen im Kampf abgestochen und starb noch am Tatort. Die Räuber zogen ihm den Ring ab und schmolzen ihn zusammen mit dem anderen erbeuteten Goldschmuck ein, damit man das Diebesgut nie bei ihnen finden konnte.