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Der Narr

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21.06.2005
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Der Narr

In einem Eck neben dem Thron hockt der Narr. Seinen Rücken hat er dem König zugewandt, sein Blick schweift über die Menschen, die eng gedrängt den Thronsaal füllen. Sein Gesicht liegt halb im tiefschwarzen Schatten, halb im gleißenden Sonnenlicht: Ein Mundwinkel, der sich in einem scharfen Bogen nach oben zieht; ein tückisch funkelndes Auge.

Vor dem Thron kniet der Verräter. Seine Schultern hängen, sein Kopf ist gesenkt. Er hat gesprochen, und er weiß, dass sein Schicksal besiegelt ist. Gestern noch war er der vertrauteste Berater des Königs. Heute ist er, unumkehrbar, der Erzfeind, der Halunke. Der Schandfleck. Er hat das Wort des Königs missachtet, die Ideale des Landes verraten.

Der König wird sein Urteil sprechen.
Der Hof wird lauschen.
Der Hof wird jubeln.
Bei einer Hinrichtung nicht weniger als bei einer Begnadigung.

Der Narr lauert. Sein Blick schweift unermüdlich über die Menge, bleibt an diesem Gesicht hängen, verweilt auf jenem Stirnrunzeln, schwirrt über ein Lächeln hinweg. Weder der König noch der Verräter nehmen von ihm Notiz.

Doch dem versammelten Hof scheint es, als schäle sich der Narr vor ihren Augen langsam aus der Dunkelheit. Wo gerade nichts als ein Schatten lag, zeichnet das Licht das Gesicht des Narren jetzt in scharfen, kantigen Linien. Und sein Erscheinen hat Bedeutung. Wären die Menschen im Saal Hunde, sie würden ihre Nasen in den Wind strecken – der Narr bringt eine Andeutung, nein, ein Versprechen von Blut.

Der König spricht.
Der Narr kauert im Eck, die langen, dürren Beine eng an den Körper gezogen. Sein gekrümmter Rücken ist gespannt wie ein Bogen, kurz bevor der Pfeil sich löst. Die Luft flimmert wie über dem heißen Herz einer Flamme.

Die Menge wird unruhig. Die Worte des Königs fallen ungehört auf den steinernen Boden, verflüchtigen sich. Verdampfen. Ein Augenpaar nach dem anderen verfängt sich im bösen Grinsen des Narren. Die Männer und Frauen im Saal hüsteln und flüstern, verlagern ihr Gewicht und beißen sich auf die Lippen. Sie winden sich in lüsterner Erwartung dessen, was jetzt folgen muss: Jeden Moment wird sich die unbändige Energie des Narren entladen.
Gleich …
Das Gesicht des Narren schiebt sich vollends ins Licht. Blicke flattern zu ihm wie Motten ins Feuer.
Jetzt.

Während die Worte des Königs wie die letzten, vereinzelten Tropfen eines Regenschauers niederfallen, streckt sich der krumme Rücken des Narren. Die spinnenlangen Beine stoßen sich kraftvoll ab, und der Narr landet zu Füßen des Throns.

Noch immer blickt er auf die Menge. Er grinst einen Wimpernschlag lang ins Publikum. Dann wendet er sich seinem Herrn langsam zu. Sein Oberkörper biegt sich zurück. Eine Schlange, die zum Biss ausholt. Machtvoll schleudert der Narr sich seinem Herrn entgegen:
Er brüllt dem König dessen eigenen Worte ins Gesicht. Speichel glitzert im Sonnenlicht und fällt in das versteinerte Gesicht des Königs. Und was eben aus dem Mund des Herrschers weise und gerecht klang, klingt jetzt plump und einfältig. Lächerlich, lachhaft geradezu. Verachtenswert.

Der Saal liegt in absoluter Stille. Kein brokatenes Rascheln, kein Räuspern, kein nervöses Kichern löst den Bann. Nur die Worte des Narren, die Worte des Königs, hallen nach.

Der Verräter hebt den Blick. Ungläubig starrt er auf den Narren. Schaut in die gebannte Menge.
Der Narr wendet sich ab vom König. Sieht in die Menge, hält jeden Blick. Sein Lächeln wird teuflisch, seine Zähne blitzen. Er beachtet weder den König, der jetzt zur Salzsäule erstarrt hinter ihm steht. Noch beachtet er den Verräter, seine Spielfigur im kommenden Tanz. Seine Aufmerksamkeit gilt einzig der Meute. Er hält sie gefangen mit seinem Grinsen und dem Funkeln seiner Augen. Er weiß, dass sie verstehen – er sieht es in ihren gierigen Augen, in der Anspannung ihrer schwitzenden Körper. Er riecht förmlich die Lust an der Zerstörung. Gemischt mit Angst. Denn Zerstörung, sagt die Stimmung im Saal, ist jetzt unumgänglich. Besser, auf der richtigen Seite zu stehen, besser zu zerstören als zerstört zu werden.

Und der Narr lächelt. Sein Blick fällt auf den König, kurz, verächtlich. Beinahe bedauernd. Er zuckt mit den Schultern und stampft auf – als ob er auf eine Kakerlake träte. Eine Kakerlake, die es sich angemaßt hat, König zu spielen. Eine Kakerlake, die niemals hätte König sein dürfen. Was er gesagt hat, ist dumm und naiv. Er ist geradezu widerlich in seiner Unfähigkeit. Ein Insekt. Ungeziefer.

Die Männer und Frauen im Saal schaudern zornig. Fühlen sich betrogen von dem Mann, den sie ihren König nannten. Ihre gerümpften Nasen und nach unten gezogenen Mäuler, ihre schmalen Augen geben ihnen eine einheitliche Maske aus Ekel, Wut und Hass.

Der Narr weiß, dass der Moment gekommen ist. Noch einmal wiederholt er die Worte des Königs. Schrill kreischt er sie, ein Witz, der in Hass umschlägt. Die Menge tobt. Er hat sie komplett in seiner Hand – was er will, das werden sie tun.
Fast unmerklich nickt der Narr. Und mit dieser winzigen Bewegung seines langen Kinns in Richtung des Königs lässt der Narr die Meute los.

Der König ist nicht mehr.
Sein Blut klebt am Boden, an der Decke, an den Kleidern der Männer und Frauen. An ihren Gesichtern. Sie sind satt, zufrieden. Gerechtigkeit wurde erreicht, der Tyrann ist tot. Der dumme, unfähige Herrscher hat sein gerechtes Urteil erhalten.

Der Verräter spricht, die Menge ist gebannt. Ein weiser Mann, der nur den Lügen des Tyrannen zum Opfer fiel. Er ist der richtige, sie zu führen.

Der Narr sitzt im Eck, im Dunkeln, und lauscht. Er hört nicht dem König zu, sondern dem Herzschlag der Menge. Die Meute ist zufrieden.

Doch dieser Zustand dauert nie lange an, das weiß der Narr. Und wenn die Stimmung umschlägt, dann wird der Narr bereit sein. Er wird das Opfer bestimmen, das die Meute braucht.

Seine Zeit im Licht wird wiederkommen.

 

Hola @ardandwen,

"... meinen Glückwunsch zu diesem Text. Der hat mich gepackt, gefesselt, mitgerissen; ..."
"Hat mir ganz toll gefallen und mich soll der Teufel holen, wenn ich etwas zu meckern hätte."
Das schrieb ich Dir zu Deiner letzten Geschichte „Spann den Wagen an“ – und auch dieses Mal bin ich wieder begeistert. Du präsentierst die Meute als manipulierbaren Haufen; ein beängstigendes Psychogramm, das wir aus unserer Geschichte kennen. Leider gibt es auch heftigen aktuellen Bezug.

Ein paar Kleinigkeiten:

Der Hof wird jubeln.
Für eine Hinrichtung nicht weniger als für eine Begnadigung.
Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing.
Statt ‚jubeln für ...’ hätte ich ‚jubeln über ...’ geschrieben.
Die Luft scheint zu flimmern wie über dem heißen Herz einer Flamme.
Blicke flattern zu ihm wie Motten in eine Flamme.
Noch immer blickt er auf der Menge.
Er beachtet weder den König, der wie eine Salzsäule hinter ihm steht.
Ich dachte, der sitzt auf dem Thron? Oder hat er sich im Zorn erhoben?
Er riecht förmlich die (?) an der Lust an der Zerstörung.
Die Männer und Frauen um Saal schaudern zornig. Fühlen sich betrogen von dem Mann, den sie ihren König nannten. Ihre gerümpften Nasen und nach unten gezogenen Mäuler, ihre schmalen Augen geben ihnen eine einheitliche Maske aus Ekel, Wut und Hass.
Kompliment! Das hat Format. Fabelhaft gemacht!
Schrill kreischt er sie, ein Witz, der in Hass umschlägt. Die Menge tobt.
Dto.

Liebe ardandwen, da ist Dir wieder eine tolle Geschichte gelungen. Ein Kunststück, bekannte Verhaltensweisen spannend wie einen Krimi aufzubereiten – und dabei noch Hitchcock-Niveau zu erreichen:

Fast unmerklich nickt der Narr ...
Meinen allergrößten Respekt! Bin überrascht, dass Du schon seit 2005 Mitglied bist; ich vermute, dass Du Deinen Texten genügend Zeit gibst. Deine Leser profitieren davon.

Beste Grüße!
José

 

Hallo @ardandwen !

Bor! Ich lasse mal nur ein "Gefällt mir richtig, richtig gut" da, die Stimmung, die Struktur, leider muss ich jetzt zum Zug. Toll!

Lg
kiroly

 

Hallo @ardandwen ,

ich habe deinen Text mit wachsender Faszination, aber auch mit wachsendem Grauen gelesen, dokumentiert er doch die Manipulierbarkeit der Massen.
Großartig geschrieben.

Zwei Winzigkeiten habe ich gefunden:

Er riecht förmlich die an der Lust an der Zerstörung
förmlich die Lust
Die Männer und Frauen um Saal schaudern zornig
im Saal.

Ich freue mich auf weitere Texte.

 
Zuletzt bearbeitet:

@ardandwen,

schönes Geschreibsel ist dir da gelungen, Chapeau.

Sein Gesicht liegt halb im Schatten, halb im gleißenden Sonnenlicht: Ein Mundwinkel, der sich in einem scharfen Bogen nach oben zieht; ein Auge, dass tückisch funkelt. Der Rest liegt im Dunkeln.
das
Die erste Beschreibung hat schon so was Janus-köpfiges und zugleich wird die Boshaftigkeit des Narrs angedeutet. Ich habe sofort den Joker oder Gruselclowns vor Augen. Damit schiebst du Mystery und Suspense geschickt an, besonders durch den Nachsatz.

Der Schandfleck, der das Wort des Königs missachtet hat, der die Ideale des Landes verraten hat.
Oh ja, wer nicht für mich ist, ist gegen mich und ein Landesverräter. Das zieht immer, besonders bei verstrahlten Patrioten.

Der König wird sein Urteil sprechen.
Der Hof wird lauschen.
Der Hof wird jubeln.
Für eine Hinrichtung nicht weniger als für eine Begnadigung.
Wer dächte da nicht an Personenkult, an Manipulation, an Fake-News? Brandaktuell, oder sollte ich sagen Dauerbrenner?

Wären die Menschen im Saal Hunde, sie würden ihre Nasen in den Wind strecken – er bringt eine Andeutung, nein, ein Versprechen von Blut.
Passend, die Meute wittert den nächsten Thrill. Instinktgesteuert.

Er brüllt dem König dessen eigenen Worte ins Gesicht. Speichel glitzert im Sonnenlicht und fällt in das versteinerte Gesicht des Königs.
Der Narr darf das, doch in seinen Händen wird der Spiegel zur Waffe.

Sein Lächeln wird teuflisch, seine Zähne blitzen.
The devil in disguise, fehlt nur das Meerschwein auf der Glatze.

Und der Narr lächelt. Sein Blick fällt auf den König, kurz, verächtlich. Beinahe bedauernd. Er zuckt mit den Schultern und stampft auf – als ob er auf eine Kakerlake tritt.
Nächste Stufe der Demontage, der Narr als Richter und der Saal gibt das passende Echo.

Fast unmerklich nickt der Narr. Und mit dieser winzigen Bewegung seines langen Kinns in Richtung des Königs lässt der Narr die Meute los.
Richter und Scharfrichter, das Urteil wird vollstreckt.

Der Verräter spricht, die Menge ist gebannt. Ein weiser Mann, der nur den Lügen des Tyrannen zum Opfer fiel. ER ist der richtige, sie zu führen.
Die Großschreibung würde ich nicht nehmen, da finde ich kursiv zur Betonung besser.
Als logische Folge wird der Verräter zum Helden, zum Nachfolger und ist doch nicht mehr als eine Schachfigur. Vergessen ist, was vorher war (was interessiert mich mein Geschwätz von gestern).

Doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, das weiß der Narr. Und wenn die Stimmung umschlägt, dann wird der Narr bereit sein. Er wird das Opfer bestimmen, das die Meute braucht.
Der Narr als Königsmacher, als Strippenzieher, der dem Volk das gibt, wonach es dürstet. Das ist gut gemacht und wirft Fragen danach auf, was wahr ist, was wir glauben zu wissen, bzw. was uns glaubhaft gemacht wird und worauf wir reinfallen.
Sehr ausgewogener, gut komponierter Text, der über sich hinausweist.

Peace, linktofink

 

Hallo josefelipe,

vielen Dank für dein Lob und deine Gedanken zur Geschichte! Das freut mich natürlich sehr, wenn mein Text gut ankommt. ?

Danke auch für’s Fehlerfinden. Ich hab das alles natürlich sofort berichtigt.

Bin überrascht, dass Du schon seit 2005 Mitglied bist; ich vermute, dass Du Deinen Texten genügend Zeit gibst. Deine Leser profitieren davon.

Haha, lustig – tatsächlich habe ich dank Familie und Vollzeitjob Zeit für nix … deshalb klappts grad auch echt nur noch so einmal im Jahr. Aber wenn es mich packt, dann muss es auch raus aus dem System.

Viele liebe Grüße und Danke nochmal,

LG Ardandwen

Hallo kiroly

Bor! Das ist ein Kompliment, für das ich mich nur bedanken kann – hoffe die Fahrt war angenehm!

LG Ardandwen

Hallo Uhdrapur,

das freut mich ?

Danke und LG

Ardandwen


Hallo Sveit,

Danke für das Gutfinden und auch das Fehlerfinden!

LG Ardandwen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @linktofink


ich freue mich sehr, dass mein Text dich begeistern konnte und auch genau das in dir bebildert hat, was auch ich vor Augen hatte. Das ganze ist aus einem Artikel zum Thema „Archetyp Narr und das Zeitgeschehen“ entstanden.


Danke und LG

Ardandwen

 

Hola @ardandwen,
ich noch mal -
im Kommentar von @linktofink sehe ich Zitate Deines Textes, die mir neu sind – aha, Du hast nachgearbeitet. ‚Nachgebessert’ schreibe ich bewusst nicht, weil mir die erste Version besser gefallen hat.
Neu ist:

... der Tyrann ist tot
. Der dumme, unfähige Herrscher hat sein gerechtes Urteil erhalten.
Aber das ging doch schon glasklar aus dem Text hervor – das königliche Blut, im ganzen Saal verteilt. Hast Du die Veränderung gemacht, weil die Resonanz so schwach war, damit sozusagen auch der Doofste die Story kapiert? (Auch ich habe mal, nach nur zwei eingegangenen Komms das Ende einer Geschichte umgeschrieben, in der Hoffnung, dass sie nun besser ankommt :shy: – ich würde das verstehen. Denn nicht verstehen kann ich das flaue Interesse der Leserschaft an Deinem Text, weil die Geschichte doch weit überm Mittelmaß liegt.)
Der Narr sitzt im Eck, im Dunkeln, und lauscht. Er hört nicht dem König zu, ...
Könnte er gar nicht, denn weiter oben steht (fett), dass der König tot ist.
Doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, das weiß der Narr. Und wenn die Stimmung umschlägt, dann wird der Narr bereit sein. Er wird das Opfer bestimmen, das die Meute braucht.
Du bist die Autorin, es ist Dein Text. Doch meine ich, dass diese nachgeschobene Erklärung für einen aufmerksamen Leser unnötig ist, es wirkt wie angepappt à la ‚hastes endlich kapiert?’
Aber wie auch immer: Für mich ein herausragender, spitzenmäßiger Text!

Wünsch Dir viel Herbstsonne!
José

 

Hi José,

danke für's nochmal reinschauen - und auch gleich die Änderung erkennen.
Hm, und da muss ich es doch gleich zugeben:
Ich habe den Text eigentlich nicht nachträglich geändert, sondern den letzten Absatz nicht reinkopiert, als ich den Text ursprünglich veröffentlicht habe - Depp sum. .:rolleyes: Und jetzt konnte ich es natürlich nicht lassen, es noch einzufügen - für mich war das ja das natürliche Ende der Geschichte.

Neu , bzw neu auch zu lesen, ist:

Der König ist nicht mehr.
Sein Blut klebt am Boden, an der Decke, an den Kleidern der Männer und Frauen. An ihren Gesichtern. Sie sind satt, zufrieden. Gerechtigkeit wurde erreicht, der Tyrann ist tot. Der dumme, unfähige Herrscher hat sein gerechtes Urteil erhalten.

Der Verräter spricht, die Menge ist gebannt. Ein weiser Mann, der nur den Lügen des Tyrannen zum Opfer fiel. Er ist der richtige, sie zu führen.

Der Narr sitzt im Eck, im Dunkeln, und lauscht. Er hört nicht dem neuen König zu, sondern dem Herzschlag der Menge. Die Meute ist zufrieden.

Doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, das weiß der Narr. Und wenn die Stimmung umschlägt, dann wird der Narr bereit sein. Er wird das Opfer bestimmen, das die Meute braucht.

Seine Zeit im Licht wird wiederkommen.


... das einzig wirklich Neue ist das Wort "neuen", das ich nach deinem Feedback eingebaut habe.

Ich weiß jetzt nicht, ob dir das Ende deshalb aufstößt, weil du dachtest ich hab es dazugedichtet, obwohl die Message eigentlich schon klar war, oder ob du es auch dann zu viel gefunden hättest, wenn du es gleich beim ersten Mal auch mitgelesen hättest... da werde ich jetzt einfach ein bisserl abwarten, ob noch Feedback dazu kommt.

Grundsätzlich war mir wichtig, mit den letzten Absätzen deutlich zu machen, dass das nicht ein einzelner Vorfall ist, dass der Narr eigentlich keine "eigene" Agenda hat, nach der er den einen König nicht mehr mochte. Er ist selbst Produkt der Menge - er lauscht der Menge, und gibt ihnen, was sie sich wünscht. Und das ist nach einer Weile jedesmal Blut.

Wenn die letzten Absätze das aber nicht klarer machen, sondern wie ein Holzhammer wirken, dann ist das natürlich nicht meine Intention und ich muss nacharbeiten :)

Danke dir auf alle Fälle nochmal für dein hilfreiches Feedback! So lernt man :)

LG Ardandwen

 
Zuletzt bearbeitet:

Und was eben aus dem Mund des Herrschers weise und gerecht klang, klingt jetzt plump und einfältig.

„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce ...“, beginnt Marx seinen „18. Brumaire des Louis Bonaparte“, worinnen Marx den Staatsstreich Napoleon III. nach der bürgerlichen Revolution 1848 mit dem Staatsstreich Napoleon Bonapartes – dem Onkel des andern B(u)onapartes – zum Konsul und somit Alleinherrscher Frankreichs im November 1799 - nach dem „revolutionären“ frz. Kalender halt der 18. Brumaire VIII (dem 8. Jahre nach der Revolution) – verglich und als gefährlichen Treppenwitz der Geschichte offenbarte.

In einer ähnlichen weltgeschichtlichen Situation befinden wir uns 80 Jahre nach Beginn des Polenüberfalls durch einen weitaus gefährlicheren Braunau-as Napoleones und seiner Anhängerschaft ...
Mögen Zar Wladimir - der den Tiger reitet, Propertyshark Donald T wie auch Sultan Süleyman der Prächtige (die Liste ließe sich derzeit weiterführen, Brasilien + Indien zB) und dieser besonderen Spezies Mensch, die am einmal „gewonnenen“ Thrönchen klebt, möge nie ihren Eisernen Kanzler finden, der seinerzeit mit der „Emser Depesche“, die zweifelsfrei heute als „Fake“ anzusehen ist, die Karriere des Napoleon-Neffen beendete!

Von einem Fall erzählstu, knapp und drängend, denn auch das passiert, dass gerade noch hofierte Leute vom einen auf den andern Tag abserviert werden – sowohl unter den Beratern als auch den kleinen Napoleones,

lieber Ardandwen -

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts, wofür es nie zu spät sein kann - denn wenn ich es richtig sehe/im Kopf hab, sind wir uns noch nicht begegnet trotz einiger Jahre im Lagerleben, was eher meiner Abneigung gegen Fantasy anzulasten ist als umgekehrt! -

und trotz einer kleine (gramm.) Schwäche ist die kleine Erzählung zu Recht empfohlenen worden.

Ein bisschen streikt es im Konjunktiv, wenn „als ob“-Stuationen aufgeführt werden, die alles andere als real sind, wie etwa hier

Doch dem versammelten Hof scheint es, als ob der Narr sich langsam vor ihnen manifestiert. … Und sein Erscheinen hat Bedeutung. Wären die Menschen im Saal Hunde, sie würden ihre Nasen in den Wind strecken – er bringt eine Andeutung, nein, ein Versprechen von Blut.

Er zuckt mit den Schultern und stampft auf – als ob er auf eine Kakerlake tritt. Eine Kakerlake, die es sich angemaßt hat, König zu spielen. Eine Kakerlake, die niemals hätte König sein dürfen. Was er gesagt hat, ist dumm und naiv. Er ist geradezu widerlich in seiner Unfähigkeit. Ein Insekt. Ungeziefer.


(wobei das Schriftbild verrät, dass Du lieber mit „würde“-Konstruktionen denn dem eigentlichen Konj. zwo, dem evtl.umgelautetn Prät. des Verbes (in der Reiehnfolge des Auftritts „manifstierte“, „brächte“, „träte“, „angemaßt hätte“) verwendetest … Aber „Würde“ (ahd. „wirdi“, mhd. „wirdi, wierde = Wert, i wird zu ü umgelautet) und „würde“ haben nix miteinander zu tun, so wenig wie der Konjunktiv mit dem Indikativ.

Gern gelesen vom

Friedel

und herzlichen Glückwunsch zur Empfehlung!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @ardandwen ,

und Glückwunsch zur Empfehlung :gelb:.
Ich hab die Geschichte vor ein paar Tagen gelesen, aber nicht kommentiert. Das Genre ist einfach nicht meins. Doch nach der Empfehlung und dem großem Lob von @Kellerkind , dachte ich, kannst du sicher auch eine kritische Sicht vertragen. Vielleicht bringt sie dir etwas.
Das Setting, der Narr und der König, der kluge Kommentar zum Zeitgeschehen, dass hat mich an Bob Dylans ›All Along The Watchtower‹ erinnert. War zu Teeny-Zeiten einer meiner Lieblingssongs. Der Unterschied: Beim Lesen deines Texts hatte ich das Gefühl, dass der/die Autor/in zu genau weiß, wo er mit seinen Andeutungen hinwill. Planmäßigkeit ist etwas Gutes, aber hier habe ich mich dadurch auch belehrt gefühlt. Das ist so gleichnismäßig aufgebaut, darin stark vereinfachend, in der Aussage recht pessimistisch, sehr klar. Es hätte für mich eben nicht diese super abstrakte Handlung gebraucht. Es hat sich wie ein Vergleich gelesen, der nachgeschoben wird, obwohl die Sache, um die es geht, klar ist; ein Vergleich, der mir die Sache eher verschwommener, abstrakter macht.
Gefallen haben mir deine Absätze und die malerischen Beschreibungen (»Ein Mundwinkel, der sich in einem scharfen Bogen nach oben zieht; ein Auge, das tückisch funkelt.« etc.). Aber ich hatte auch Probleme mit dem Stil der Geschichte. Oft geht die märchenhafte Abstraktion auch auf die Beschreibungen über und macht zumindest einige von ihnen unscharf. Die Bilder sind nicht so spannend, wie sie sein könnten. Auf ein paar komme ich zu sprechen.

Der Narr Der Narr

Die zweite Überschrift kannst du streichen.

Vor dem Thron steht der Verräter.

hier so etwas. Das »stehen« kann ich mir zwar vorstellen. Aber wenn du schon im Abstraktions- und Symbolmodus bist, dann könnte er sicher auch knien.

Seine Schultern hängen, sein Nacken ist gebeugt

das Bild stellt sich bei mir nicht ein. Vielleicht weil »beugen« so abstrakt ist, dass es bei mir zu viele Bilder möglich macht und ich, weil ich mir nicht alle gleichzeitig vorstellen kann, an dieser Stelle vorbeilese. Dabei geht es um die Geste der Resignation. Der Kopf ist gesenkt.

Der Schandfleck, der das Wort des Königs missachtet hat,

Ein 'Schandfleck' kann kein ‘Wort missachten‘. Außerdem ist der Bezugsort des Schandflecks nicht klar. Das ist wie ein Käseloch ohne Käse.

Der Hof wird jubeln.
Über eine Hinrichtung nicht weniger als für eine Begnadigung.

Über etwas jubeln hört sich für mich unstimmig an. Würde es beide Male mit »bei« schreiben.
Bei einer Hinrichtung nicht weniger als bei einer Begnadigung.

bleibt an diesem Gesicht hängen, verweilt auf einem Stirnrunzeln

wenn du hier »diesem« schreibst, erwarte ich im folgenden Satz »jenem« oder etwas Ähnliches. Hier springst du mEn zwischen den Stilfiguren, die du im übrigen sehr üppig verwendest.

Doch dem versammelten Hof scheint es, als ob der Narr sich langsam vor ihnen manifestiert

das »manifestiert« finde ich ungelenkt. Auch das »scheint es«. Langsam schält sich der Narr aus der Dunkelheit. ... es wird, obwohl das da eigentlich steht, mir nicht klar, dass ihn mittlerweile alle anschauen; ich kenne den Auslöser nicht. Warum schauen plötzlich alle auf den im Dunkeln verborgenen Narren.

Also, Ardandwen, ich hoffe du bist mir nicht böse, dass ich ins Jubelrauschen nicht eingestimmt bin, auch wenn ich den Text für solide halte. Nimm von den Anmerkungen, was du brauchst; den Rest kannst du gerne als Unterschiede textlicher Vorlieben verbuchen.
Wünsche dir weiterhin (mehrheitlich) gute Resonanz zu deinen Texten und frohes Schaffen hier!

Herzliche Grüße
Carlo

 

Hola!

Original-Text:

Der Hof wird jubeln.
Für eine Hinrichtung nicht weniger als für eine Begnadigung.

Vorschlag von José:
Statt ‚jubeln für ...’ hätte ich ‚jubeln über ...’ geschrieben.

neue Version:
Der Hof wird jubeln.
Über eine Hinrichtung nicht weniger als für eine Begnadigung.

Vorschlag Carlo Zwei:
Über etwas jubeln hört sich für mich unstimmig an. Würde es beide Male mit »bei« schreiben.
Bei einer Hinrichtung nicht weniger als bei einer Begnadigung.

In Stein gemeißelt bei Wiki (Verb + Präposition):
jubeln über

Uff!

 

Nabend @ardandwen ,
ich habe deinen Text vorhin im Auto gelesen und zufällig vorhin noch Dermot Kennedy gehört mit seinem Lied "The Killer was a coward". Auch dort geht es um Archetypen und ich liebe es.

Während Dermot Kennedy aber recht an er Oberfläche bleibt (und thematisch woanders), taucht dein Text recht schnell in etwas Abstoßendes ab. Da wird der Narr plötzlich zu diesem manipulativen Monster, wie dem krummen Mann aus "Das Buch der verlorenen Dinge", der sich mir sehr eindrucksvoll eingeprägt hat.
Weißt, ich habe mit poetischer Naivität in den Text gespäht und plötzlich bin ich in dieser ungeschönten, bestialischen Szenerie und dann beginnt mein Kopf natürlich die Metapher zu entschlüsseln und gleich schüttelt es mich noch mal, weil ich einsehen muss, dass du nicht übertrieben hast.

Schön gemacht (ironisch und wortwörtlich gemeint). :)

man liest sich
huxley

 

Hallo Friedel,

danke für deinen sehr ausführlichen Kommentar, und auch für das Willkommen – wenn auch tatsächlich mit einigen Jahren Verzögerung. Das kommt davon, wenn man sich wie ich immer im Silo Fantasy rumtreibt ?

An der Konjunktivsache habe ich gearbeitet.

LG und Danke nochmal,

Ardandwen

Hallo Carlo,

danke auch dir für den Glückwunsch und den Kommentar – und nicht zuletzt für die Kritik. Ohne kann man ja nicht besser werden.

Dass du den Text als zu geplant empfindest – das kann ich nachvollziehen, aber nicht mehr ändern. Und ja, er ist sicher gleichnishaft, das sollte er auch sein.

Vielen Dank aber vor Allem für die konstruktive Hilfe beim Nachschärfen der Beschreibungen – das habe ich gerne übernommen. (Nur dass der Verräter noch immer steht – er steht wie ein Schuljunge vor dem erhöhten Vater, oder Lehrer, so war das in meinem Kopf ?)

Also, Ardandwen, ich hoffe du bist mir nicht böse, dass ich ins Jubelrauschen nicht eingestimmt bin, auch wenn ich den Text für solide halte. Nimm von den Anmerkungen, was du brauchst; den Rest kannst du gerne als Unterschiede textlicher Vorlieben verbuchen.

Auf keinen Fall. Danke dir, dass du dir trotzdem die Zeit für einen ehrlichen und ausführlichen Kommentar genommen hast! Lobhudelei würde ja keinem helfen.

LG Ardandwen

Lieber José

Uff, indeed ?

LG Ardandwen

Lieber Huxley,

Ui, The Book of Lost Things hat mich auch sehr beeindruckt – und Dermot Kennedy hab ich mir gleich mal zu Gemüte geführt – schee!

Danke auch für dein Lob, freut mich wenn es dich abgestoßen UND dir gefallen hat ?

LG Ardandwen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @ardandwen

ich will an dieser Stelle auch noch ein paar Worte zu Deiner Geschichte loswerden.
Meine Empfehlung war sehr spontan und vorwiegend emotional begründet. Natürlich kann jeder Text noch verbessert werden und ich sehe, dass hier schon fleißige Helfer am Werke sind, sodass ich diesbezüglich im Schatten verweile.
Mir gefällt Deine Herangehensweise, ein aktuelles, gesellschaftlich hoch relevantes Thema durch ein gelungenes Gleichnis darzustellen. High Fantasy geht mir meist auf die Nerven, weil da immer irgendwelche bekackten Könige gegen böse Mächte kämpfen, was letztendlich bedeutet, dass ihre Untertanen kämpfen und verrecken (der König muss ja überleben), und nach dem Sieg gegen das Böse gehen die Untertanen wieder auf den Acker und schuften für ihre Drecks-Könige. Ich habe früher einiges gelesen, um der Unterhaltung willen, aber irgendwann hatte ich genug von dem reaktionären Kram.
Gute fiktionale Texte, knüpfen einen Bezug zu relevanten realen Themen. Und sie präsentieren keine kontrastierten Gut-Böse Schemata oder gar Lösungen. Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass ich die Rollen des Königs, des Verräters und des Narren ein bischen anders besetze, als die meisten Leser. Auch das ist ein positives Merkmal der Geschichte.
Zum Schluss doch noch eine kleine Stil-Kritik. Zum Einstieg und Ausklang verwendest Du häufig das böse Wort "ist". Es passt auch irgendwie zum Sound, aber ein paar davon würde ich dann doch rausschmeißen. Hauptsächlich wegen der Monotonie, die durch die Wiederholung entsteht.

Bis bald!
Kellerkind

 

Hallo @ardandwen


gratuliere zur Empfehlung.

Völlig verdient, überzeugt sprachlich, handwerklich, bildlich und inhaltlich. Toller Plot und ein klasse Beispiel der Instrumentalisierung der Massenpsychologie.

Sehr, sehr gern gelesen.

Den Kleinkram überlasse ich meinen Vorkommentatoren.

Viele Grüße
Napier

 

Die Luft flimmert wie über dem heissen Herz einer Flamme.

Dieser eine Satz, lieber @ardandwen, berührte mich nach mehrfachem Lesen immer wieder aufs neue. Ist es einfach der der Klang der klug gewählten Worte? Oder auch weil in ihm die ganze Stimmung deines Gleichnisses verdichtet zum Ausdruck kommt?
Herz und Hitze: Des Volkes Herz schlägt nicht mehr für seinen König/Führer/Präsident, es hat sich erhitzt, lässt das Blut kochen und verlangt nach Veränderung. Dieser Sound des Unheilvollen, die Zeit ist reif, allein der zum Statisten verkommene Protagonist mit Krone merkt es nicht. Oder erst, als es zu spät ist.
Herrlich wie du den Narr am Anfang zeichnest, Gesicht halb im Schatten; die Blut leckende Meute, bereit zum Sprung; den selbsherrlichen Herrscher, isoliert und dem Tode geweiht.
Sehe förmlich die ganze Szenerie als überdimensionales Wandbild in Öl. Genau so habe ich mich gefühlt beim Lesen, als würde ich vor einem Gemälde stehen und immer neue Sachen entdecken.

Fazit: Die Geschichte stellt klar ein Gleichnis dar, die aber sehr gut unterhält, weil sie ohne Moralin oder erhobenem Zeigefinger geschrieben wurde.

Hat mir sehr gut gefallen.
Liebe Grüsse, dot.

 

Hallo @Kellerkind,


danke nochmal für deine Empfehlung und auch deinen Kommentar.

Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass ich die Rollen des Königs, des Verräters und des Narren ein bischen anders besetze, als die meisten Leser.

Ich wüsste tatsächlich sehr gerne, wie du die drei Rollen besetzt in diesem Spiel! Für mich sind König und Verräter praktisch austauchbar. Es ist nur eine Frage er Perspektive.

Das „ist“ Thema habe ich mir angeschaut und ein paar der bösen kleinen Worte ersetzt.

Danke nochmal und viele liebe Grüße,

Ardandwen

Hallo @Napier,

danke für die Gratulation ?

Ich freue mich sehr, dass die Geschichte dir gefallen hat!

LG Ardandwen

Hallo @dot,

was soll ich sagen, ich freue mich wahnsinnig, dass das Gleichnis bei dir Anklang gefunden hat. Das mit dem Ölbild finde ich spannend: Tatsächlich hatte ich die Story in einzelnen Bildern vor Augen, im Stil eines Wandteppichs ?


Danke dir vielmals uns LG

Ardandwen

 

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