Was ist neu

Der Nazi, der Jude und der Krüppel

Mitglied
Beitritt
08.06.2007
Beiträge
3

Der Nazi, der Jude und der Krüppel

Es war ein kühler, grauer Tag. Die Wolken liefen groß und schwer die Winde entlang, während Günther auf seinem Klappstuhl im Garten saß.
Es war rau hier draußen aber er fühlte sich eben nur wohl, wenn er seine Pfeife genüsslich unter seinem Apfelbäumchen paffen konnte.

Anke kam den Weg herauf geradelt. Günther beobachtete sie stumm, als sie ihr Fahrrad am Schuppen abstellte, ihn halb mit einem Blick begrüßte und schließlich ihr Haus ging.
Darauf fiel ihm nur noch ein müdes Lächeln ein und humpelte nach kurzem inne halten gemächlich seiner Frau hinterher.

Der Wind war lästig geworden die letzten Tage, wirbelte Blätter über den ganzen Garten und warf ständig Eimer und Scheite um.
Die Tür wurde mit einem lauten Knall zugeworfen.
Geschockt fasste Anke sich an den Hals. Wie sie es immer tat, wenn sie erschreckt wurde oder nur so tun wollte.

„Mach doch nicht so einen Krach“, fuhr sie ihn an.

„Wie war es bei deiner Tante? Hat sie sich über die Äpfel gefreut?“

Günther setzte sich auf den Schemel neben dem Herd, während er seiner Frau dabei zusah, wie sie Wasser aufsetzte.

„Na ja, die wurmstichigen Dinger haben sie sicher nicht beeindruckt. Aber ich soll dir einen schönen Gruß sagen.“

„Na dann. Danke“

Es setzte Stille ein. Das einzige Geräusch verursachten Ankes Hände, als sie anfingen Kartoffeln zu schälen.

Unruhig setzte sich Günther wieder auf, nahm seinen Gehstock und humpelte zum Radiokasten.

Fast liebevoll streichelte er über das feine Holz und klopfte sachte auf die vordere Armatur.

„Geht das Radio immer noch nicht?“, meinte Günther zögerlich.

Anke bedachte ihn nur mit einem Blick, welcher sagen wollte:
„Weißt du doch. Warum redest du so unwichtiges Zeug daher?“, und schälte weiter die schrumpligen Kartoffeln.
Er schaltete das Radio ein, um sich noch mal zu vergewissern und sah dass im magischen Auge nach einer Minute immer noch kein Licht aufglimmte.
So in etwa verlief auch der restliche Abend. Während dem Abendessen wurde nur zum Tischgebet gesprochen, ansonsten wurde geschwiegen.

Als die beiden in Ihrem Ehebett lagen, blieb Günther noch wach. Er lauschte dem gleichmäßigen Atem seiner Frau und dem Pochen des immer heftiger werdenden Nachtwindes. Sich vergewissernd, dass Anke sicher schlief gönnte er sich eine Minute der Trauer und schluchzte schwer in sein Kissen hinein.
Nachdem sein Klos im Hals gelindert war, fiel im auf, dass der Wind ganz seltsam gegen die Tür zu schlagen schien. Vielleicht war es ein Ast, dachte er sich kurz.
Aber dann setzte er sich doch auf und hörte aufmerksam hin. Gleichmäßig und schwach klopfe etwas gegen die Haustür.

Neugierig und ängstlich zugleich raffte sich Günther aus dem Bett. Sein schlechtes Bein pochte vor Schmerz, aber er riss sich zusammen. Schwerfällig schleppte er sich den Gang entlang und stellte sich neben die Eingangstür. Das Klopfen war nicht mehr zu hören, aber er nahm den Schuhlöffel in die Hand um sich gegebenenfalls verteidigen zu können.

Es gab zwar nie Probleme hier draußen, aber es war Krieg und Deserteure waren immer gefährlich. Er öffnete vorsichtig die Tür
Vor der Schwelle saß ein kleiner Junge. Gebeutelt von Nacht und Wetter grub dieser sich in seine eigenen Arme und zitterte wie Espenlaub. Man konnte sein Gesicht kaum erkennen, weil er von Kopf bis Fuß verdreckt war.

Günther sprach ihn ein paar Mal an, aber als er auch auf einen leichten Schubser nicht reagierte trug er ihn schließlich ins Haus.
Er setzte den Jungen auf einem Schemel und fing sofort an, den Kamin zu heizen. Das Feuer knisterte laut, als die Flammen größer wurden.
Von der Wärme geweckt, blickte der Junge auf und sah Günther ängstlich mit seinen dunklen Augen an. Günther lächelte nur sanft und winkte ihn ans Feuer heran.

„Wie heißt du?“

Keine Antwort.

Nach etlichen Fragen, woher der Junge wohl kam und warum er des Nachts durch die Gegend streifte, akzeptierte Günther irgendwann, dass dieser Junge nicht sprechen konnte oder es einfach nicht wollte.

„Komm mein Junge. Wir müssen dir den Meter Dreck vom Leib schrubben, sonst machst du das ganze Haus noch voll.“

Günther brachte ihn zur Wanne, welche am Rand der Küche stand, zog ihn aus und spritzte seine Dreckkruste mit einem Schlauch ab.
Mit Entsetzen stellte er dabei fest, dass der Junge blutige Striemen über den ganzen Körper hatte... und noch viel schlimmer… beschnitten war.

Plötzlich stand Anke wie ein Geist neben ihm. Mit versteinertem Gesicht betrachtete sie den Burschen.
Still betrachtete das Paar den zitternden Jungen bis Günther diesem endlich ein Tuch reichte.

"Ich hole ein Seil", meinte Anke mit kalter Miene und fing an, sich Straßenschuhe anzuziehen.
Die Tür schlug zu und Günther zitterte nun heftiger wie der Junge, der ihn nur sprachlos ansah.
"Nein. Diesmal nicht." flüsterte Günther in sich hinein, lies den verwirrten Jungen in der Wanne stehen und rannte hinkend aus dem Haus.

Nachdem etliche Minuten ereignislos vergingen, stieg der Junge aus der Wanne und wusste nicht was er tun sollte. Aus dem Augenwinkel sah er etwas Grünes blinken. Er ging, fest in sein Tuch gewickelt, zum Radio und betrachtete das plötzlich immer grüner werdende, magische Auge.
Er verstand deutsch zwar nicht so gut, hörte aber die heilenden Worte aus dem Radio: "...der Krieg ist vorbei...", welche eine Stimme mit amerikanischen Akzent verkündete.

Einige Zeit später kam Günther wieder zurück. Er war verstört und es lag blankes Entsetzen in seinem Blick.
Der Junge saß am Feuer, immer noch nackt eingewickelt, blickte allerdings ruhig ins Feuer.
Er sah Günther zu, wie er sich neben ihm zum Kamin setzte und sagte nach einer Weile:
"Der Krieg sein vorbei. Radio gesagt. Krieg vorbei."

Erst lächelte Günther, dann brach er in Tränen aus.
"Ja mein Junge. Für manche ist der Krieg zu Ende."
Mit diesen Worten streichelte er dem Jungen über die Wange und schmierte dabei Blut in sein Gesicht.
"...für manche, ist der Krieg zu Ende."

 

Salve Lhor,

hoffentlich bist du nicht zu frustriert, dass sich noch keiner Deiner KG angenommen hat.

Erst mal mein Allgemeineindruck:

Du schaffst es mit wenigen Details, die beklemmende Atmosphäre der letzten Kriegstage einzufangen. Dass Du dabei einige Frage unbeantwortet lässt (worüber trauert Günther? Welch absurder Zufall bringt immer wieder Judenkinder in sein Haus? Schließlich holt Anke nicht zum ersten Mal das Seil ...), stört mich ausnahmsweise kaum.

An ein paar Stellen hapert es mit der Logik.
Zum einen, wie gesagt, wie kommen all die von Anke gemeuchelten Judenkinder ins Haus?

Dann, warum ist der Krieg nicht für Günther vorbei? Für ihn erst Recht. Wenn Anke noch lebte, ginge der Krieg weiter, der Ehekrieg des Anschweigens, der Gesinnungskrieg (Mitleid gegen ideologische Gefühlskälte). aber des Feindes im Ehebett hat er sich entledigt, also ist sein Krieg, nach meinem Dafürhalten, ebenfalls vorbei.

Textliches:
nach meinem Dafürhalten kannst Du ein Großteil der Possesivpronomen streichen, da die Besitzverhältnisse sich aus dem Inhalt der Geschichte klar ergeben.

Es war rau hier draußen Komma aber er fühlte sich eben nur wohl
ihn halb mit einem Blick begrüßte und schließlich ihr Haus ging.
ins Haus
Darauf fiel ihm nur noch ein müdes Lächeln ein Komma und er humpelte nach kurzem Innehalten gemächlich seiner Frau hinterher.
Der Wind war lästig geworden die letzten Tage, wirbelte Blätter über den ganzen Garten und warf ständig Eimer und Scheite um.
die letzten Tage: umgangssprachlich
Die Scheite werden kaum aufgestellt sein. Der Wind wirft sie also höchstens vom Stapel herunter.
Die Tür wurde mit einem lauten Knall zugeworfen.
Geschockt fasste Anke sich an den Hals. Wie sie es immer tat, wenn sie erschreckt wurde oder nur so tun wollte.
lieber aktivisch formulieren
Es setzte Stille ein. Das einzige Geräusch verursachten Ankes Hände, als sie anfingen Komma Kartoffeln zu schälen.
"Anfingen" ist redundant, allzumal das Geräusch während des ganzen Kartoffelschälens anhält.
Er schaltete das Radio ein, um sich noch mal zu vergewissern Komma und sah dass im magischen Auge nach einer Minute immer noch kein Licht aufglomm.
So in etwa verlief auch der restliche Abend. Während dem Abendessen wurde nur zum Tischgebet gesprochen, ansonsten wurde geschwiegen.
Wieder das Problem mit dem Passiv - aktivisch wirkt stärker. "So in etwa" - klingt unbeholfen.
Er lauschte dem gleichmäßigen Atem seiner Frau und dem Pochen des immer heftiger werdenden Nachtwindes
Wind heult, jault, singt, aber er pocht nicht. Das tun höchstens vom Wind bewegte Gegenstände.
Sich vergewissernd, dass Anke sicher schlief Komma gönnte er sich eine Minute der Trauer und schluchzte schwer in sein Kissen hinein
Wie gesagt: worüber trauert er? Über die Beziehung, die keine mehr ist? Sein Bein? Einen im Krieg verschollenen Sohn?
Gleichmäßig und schwach klopfe etwas gegen die Haustür.
Der Junge klopft eben noch an die Haustür, und ist wenige Minuten später fest eingeschlafen? Unwahrscheinlich.
aber er nahm den Schuhlöffel in die Hand Komma um sich gegebenenfalls verteidigen zu können.
Es gab zwar nie Probleme hier draußen, aber es war Krieg und Deserteure waren immer gefährlich.
Unwahrscheinlich. Deserteure sind heilfroh, wenn sie nicht gefunden werden, und werden sich deshalb so unauffällig wie möglich verhalten.
Gebeutelt von Nacht und Wetter grub dieser sich in seine eigenen Arme und zitterte wie Espenlaub.
Mann, muss der lange Arme haben, dass der ganze Junge reinpasst :D - er vergräbt höchstens das Gesicht in den Armen.
aber als er auch auf einen leichten Schubser nicht reagierte Komma trug er ihn schließlich ins Haus.
Nach etlichen Fragen, woher der Junge wohl kam und warum er des Nachts durch die Gegend streifte, akzeptierte Günther irgendwann, dass dieser Junge nicht sprechen konnte oder es einfach nicht wollte.
Fände ich konkret ausformuliert schöner, als es durch den Erzähler zusammenfassen zu lassen. Du könntest dadurch die Charaktere deutlicher zeigen: die angst und das mangelnde Sprachverständnis des Jungen, und Günthers Mitleid.
Still betrachtete das Paar den zitternden Jungen Komma bis Günther diesem endlich ein Tuch reichte.
Die Tür schlug zu und Günther zitterte nun heftiger als der Junge,
Süddeutscher Standardfehler ;).
"Nein. Diesmal nicht." Komma flüsterte Günther in sich hinein,
Nachdem etliche Minuten ereignislos vergingen, stieg der Junge aus der Wanne Komma und wusste nicht was er tun sollte
"...der Krieg ist vorbei...",
auslassungspunkte werden wie Wörter behandelt. das heißt: davor und danach Leerzeichen.
Er war verstört Komma und es lag blankes Entsetzen in seinem Blick.
[Der Junge saß am Feuer, immer noch nackt eingewickelt, blickte allerdings ruhig ins Feuer. /QUOTE]
Einmal "Feuer" würde ich ersetzen. Und so, wie "nackt" im Satz steht, ist es ein Adverb zu "eingewickelt". Er kann warm eingewickelt, fest eingewickelt, aber nicht nackt eingewickelt sein - es ergibt keinen Sinn.
Er sah Günther zu, wie er sich neben ihm zum Kamin setzte Komma
"...für manche Kein Komma ist der Krieg zu Ende."

Mir gefällt das grüne magische Auge - ich weiß nicht, warum, aber es hat was von personifizierter Weltgeschichte ...

LG, Pardus

 

Hallo Lhor,
Pardus hat Recht, deine gesellschafskritische Geschichte verdient einen Kommentar.
Lange duldet der <Krüppel> die privat vorgenommene Rassenvernichtung seiner ideologisch verblendeten Ehefrau, bis er die Kraft findet, diesem sinnlosen Morden Einhalt zu gebieten und als einzigen Ausweg dazu die <Beseitigung> seiner Ehefrau sieht.

Angesichts des grausamen Vorgehens der Frau fühle ich mich, selbst als Leserin, die jegliche Gewalt, ergo auch Todesstrafe ablehnt, auf eigentümliche Weise durch den grausamen <Rettungsakt> des Mannes befriedigt.
Innerlich macht sich ein Gefühl breit, wie: <Recht so!>

Pardus fragt, wieso der Krieg für den Ehemann nach der >Ausschaltung> seiner Ehefrau nicht zu Ende sei.
Ich interpretiere die Aussage des Mannes „für manche ist der Krieg vorbei“ anders:
Für mich weist dieser Satz darauf hin, dass es auch außerhalb des Lebensumfeldes dieses Mannes nach Kriegsende weitere Nazis gab (und wieder gibt??) , die ideologisch fehlgeleitet und verbohrt einer Judenvernichtung aktiv oder passiv zustimmten.

Deine Geschichte, in der der Protagonist den Mut hat, zum Mörder zu werden, um unschuldiges Leben zu retten, hat mich – trotz meiner Antigewalteinstellung - berührt.
Sie erzeugt eine innerliche Zustimmung, ähnlich zu den Attentatsversuchen auf Hitler. Endlich Einhalt gebieten!

Die logischen Ungereimtheiten in deiner Geschichte, dass sich gerade in diesem Mörderhaus so viele rassistisch Verfolgte einfinden sollen, ist sicherlich ein inhaltlicher Schwachpunkt deines Textes.
Vielleicht hätte es genügt, dem Leser nicht zu vermitteln, dass es sich bereits um Vielfachmorde Ankes handelte, sondern lediglich um den zweiten Mordversuch, den der Ehemann verhindern wollte.

Gruß
Kathso

 

@Pardus
Danke für deine kompetenten Tipps, ich werde mich dem auch bald widmen. Vieles leuchtet sofort ein.

@Kathso
Danke sehr. Es war tatsächlich auch so gedacht, dass Anke diese Tat ein zweites Mal begehen will und nicht zum x-ten Mal. Das muss ich wohl noch rausarbeiten.

Bin froh dass ich doch noch was lese von euch. War ein bisschen unsicher, da dies meine erste Kurzgeschichte ist :)

 

Hallo Lhor,

Die Wolken liefen groß und schwer die Winde entlang
Das ist mal ein echt innovatives Bild - gefällt mir! :thumbsup:

Ansonsten wundert es mich, wie schludrig du teilweise im Detail gearbeitet hast (Pardus hat da ja eine sehr hilfreiche Liste erstellt) - vor allem, weil du mit Sprache umzugehen weißt. Die Atmosphäre, die du erzeugst gefällt mir - besonders, wie du den Wind als Leitmotiv immer wieder rein bringst.
Inhaltlich hat es mir auch gut gefallen, mit einer, ebenfalls von Pardus angesprochenen, Ausnahme allerdings: Auch ich denke, dass für Günther der Krieg nun ebenfalls vorbei ist, verstehe seine letzte Aussage aber gegenteilig. Da er ja gewissermaßen "reinen Tisch" gemacht hat, würde ich die Passage ändern.

Gute Geschichte, aber du solltest noch mal drüber gehen.


Gruß,
Abdul

 

@Existence
Danke für deine feurige Kritik. Ja, geradezu ein Vulkan :)
Habe mich schon gefragt, wann jemand meine Recherche anprangern würde. Denn tatsächlich habe ich kaum bis gar nicht recherchiert. Deine Kritik hat durchaus Hand und Fuß.
Der Grund ist in diesem Fall, dass mich die Epoche einfach nicht interessiert. Wenn ich Geschichten schreibe, folgen sie eigenen Regeln und historische Fakten sind mir egal. Das sollen Dokumentare machen.
Allerdings finde ich es frech, anderen ihre Kritikfähigkeit abzusprechen. Wenn mir jemand Beifall klatschen will (was hier ohnehin nicht der Fall war. Die meisten fanden es im Endeffekt eher "ok"), dann sollen sie das doch tun dürfen.
Jeder hat andere Kritikschwerpunkte, deine (in diesem Fall historische Korrektheit) sind nicht das Maß aller Dinge.
Nur aufgrund guter Fachkenntnisse sich im Ton vergreifen zu dürfen, halte ich für vermessen.
Ausserdem ist meine Geschichte sicher nicht sehr "wahrscheinlich" aber sicherlich möglich. Ich wette mit dir, ich finde ein deutsches Dörfchen, vielleicht in der Nähe einer Landesgrenze oder sonstwo, in der dieses Szenario damals passiert sein KÖNNTE. Aber ist mir eh egal, schliesslich ist das hier Fiktion und ich halte das auch so.

Trotzalledem danke ich dir für deine obsessive Kritik. Hat mir einiges aufgezeigt.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom