Der Nazi, der Jude und der Krüppel
Es war ein kühler, grauer Tag. Die Wolken liefen groß und schwer die Winde entlang, während Günther auf seinem Klappstuhl im Garten saß.
Es war rau hier draußen aber er fühlte sich eben nur wohl, wenn er seine Pfeife genüsslich unter seinem Apfelbäumchen paffen konnte.
Anke kam den Weg herauf geradelt. Günther beobachtete sie stumm, als sie ihr Fahrrad am Schuppen abstellte, ihn halb mit einem Blick begrüßte und schließlich ihr Haus ging.
Darauf fiel ihm nur noch ein müdes Lächeln ein und humpelte nach kurzem inne halten gemächlich seiner Frau hinterher.
Der Wind war lästig geworden die letzten Tage, wirbelte Blätter über den ganzen Garten und warf ständig Eimer und Scheite um.
Die Tür wurde mit einem lauten Knall zugeworfen.
Geschockt fasste Anke sich an den Hals. Wie sie es immer tat, wenn sie erschreckt wurde oder nur so tun wollte.
„Mach doch nicht so einen Krach“, fuhr sie ihn an.
„Wie war es bei deiner Tante? Hat sie sich über die Äpfel gefreut?“
Günther setzte sich auf den Schemel neben dem Herd, während er seiner Frau dabei zusah, wie sie Wasser aufsetzte.
„Na ja, die wurmstichigen Dinger haben sie sicher nicht beeindruckt. Aber ich soll dir einen schönen Gruß sagen.“
„Na dann. Danke“
Es setzte Stille ein. Das einzige Geräusch verursachten Ankes Hände, als sie anfingen Kartoffeln zu schälen.
Unruhig setzte sich Günther wieder auf, nahm seinen Gehstock und humpelte zum Radiokasten.
Fast liebevoll streichelte er über das feine Holz und klopfte sachte auf die vordere Armatur.
„Geht das Radio immer noch nicht?“, meinte Günther zögerlich.
Anke bedachte ihn nur mit einem Blick, welcher sagen wollte:
„Weißt du doch. Warum redest du so unwichtiges Zeug daher?“, und schälte weiter die schrumpligen Kartoffeln.
Er schaltete das Radio ein, um sich noch mal zu vergewissern und sah dass im magischen Auge nach einer Minute immer noch kein Licht aufglimmte.
So in etwa verlief auch der restliche Abend. Während dem Abendessen wurde nur zum Tischgebet gesprochen, ansonsten wurde geschwiegen.
Als die beiden in Ihrem Ehebett lagen, blieb Günther noch wach. Er lauschte dem gleichmäßigen Atem seiner Frau und dem Pochen des immer heftiger werdenden Nachtwindes. Sich vergewissernd, dass Anke sicher schlief gönnte er sich eine Minute der Trauer und schluchzte schwer in sein Kissen hinein.
Nachdem sein Klos im Hals gelindert war, fiel im auf, dass der Wind ganz seltsam gegen die Tür zu schlagen schien. Vielleicht war es ein Ast, dachte er sich kurz.
Aber dann setzte er sich doch auf und hörte aufmerksam hin. Gleichmäßig und schwach klopfe etwas gegen die Haustür.
Neugierig und ängstlich zugleich raffte sich Günther aus dem Bett. Sein schlechtes Bein pochte vor Schmerz, aber er riss sich zusammen. Schwerfällig schleppte er sich den Gang entlang und stellte sich neben die Eingangstür. Das Klopfen war nicht mehr zu hören, aber er nahm den Schuhlöffel in die Hand um sich gegebenenfalls verteidigen zu können.
Es gab zwar nie Probleme hier draußen, aber es war Krieg und Deserteure waren immer gefährlich. Er öffnete vorsichtig die Tür
Vor der Schwelle saß ein kleiner Junge. Gebeutelt von Nacht und Wetter grub dieser sich in seine eigenen Arme und zitterte wie Espenlaub. Man konnte sein Gesicht kaum erkennen, weil er von Kopf bis Fuß verdreckt war.
Günther sprach ihn ein paar Mal an, aber als er auch auf einen leichten Schubser nicht reagierte trug er ihn schließlich ins Haus.
Er setzte den Jungen auf einem Schemel und fing sofort an, den Kamin zu heizen. Das Feuer knisterte laut, als die Flammen größer wurden.
Von der Wärme geweckt, blickte der Junge auf und sah Günther ängstlich mit seinen dunklen Augen an. Günther lächelte nur sanft und winkte ihn ans Feuer heran.
„Wie heißt du?“
Keine Antwort.
Nach etlichen Fragen, woher der Junge wohl kam und warum er des Nachts durch die Gegend streifte, akzeptierte Günther irgendwann, dass dieser Junge nicht sprechen konnte oder es einfach nicht wollte.
„Komm mein Junge. Wir müssen dir den Meter Dreck vom Leib schrubben, sonst machst du das ganze Haus noch voll.“
Günther brachte ihn zur Wanne, welche am Rand der Küche stand, zog ihn aus und spritzte seine Dreckkruste mit einem Schlauch ab.
Mit Entsetzen stellte er dabei fest, dass der Junge blutige Striemen über den ganzen Körper hatte... und noch viel schlimmer… beschnitten war.
Plötzlich stand Anke wie ein Geist neben ihm. Mit versteinertem Gesicht betrachtete sie den Burschen.
Still betrachtete das Paar den zitternden Jungen bis Günther diesem endlich ein Tuch reichte.
"Ich hole ein Seil", meinte Anke mit kalter Miene und fing an, sich Straßenschuhe anzuziehen.
Die Tür schlug zu und Günther zitterte nun heftiger wie der Junge, der ihn nur sprachlos ansah.
"Nein. Diesmal nicht." flüsterte Günther in sich hinein, lies den verwirrten Jungen in der Wanne stehen und rannte hinkend aus dem Haus.
Nachdem etliche Minuten ereignislos vergingen, stieg der Junge aus der Wanne und wusste nicht was er tun sollte. Aus dem Augenwinkel sah er etwas Grünes blinken. Er ging, fest in sein Tuch gewickelt, zum Radio und betrachtete das plötzlich immer grüner werdende, magische Auge.
Er verstand deutsch zwar nicht so gut, hörte aber die heilenden Worte aus dem Radio: "...der Krieg ist vorbei...", welche eine Stimme mit amerikanischen Akzent verkündete.
Einige Zeit später kam Günther wieder zurück. Er war verstört und es lag blankes Entsetzen in seinem Blick.
Der Junge saß am Feuer, immer noch nackt eingewickelt, blickte allerdings ruhig ins Feuer.
Er sah Günther zu, wie er sich neben ihm zum Kamin setzte und sagte nach einer Weile:
"Der Krieg sein vorbei. Radio gesagt. Krieg vorbei."
Erst lächelte Günther, dann brach er in Tränen aus.
"Ja mein Junge. Für manche ist der Krieg zu Ende."
Mit diesen Worten streichelte er dem Jungen über die Wange und schmierte dabei Blut in sein Gesicht.
"...für manche, ist der Krieg zu Ende."