- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Der Schreck im Stadion
Vier Wochen nach der Geburt der Babys war Oskar das einzige Mäusekind, das einen Namen hatte, und er durfte ihn auch behalten, weil er tatsächlich ein Junge war. Längst hatte auch er ein eigenes Bettchen. Gerard, das rote Eichhörnchen, hatte es genau so bemalt, wie er es gesagt hatte: Es sah aus, wie die Kommode, in der Oskar die ersten Nächte schlafen musste.
Einen Tag, nachdem das Bett neben den anderen stand, hatte Fine einen riesigen Schreck bekommen: Die Kleinen schliefen noch friedlich. Doch als Fine zu Oskars Bettchen blickte, war er nicht da. Aufgeregt rief sie Cäsar und gemeinsam machten sie sich auf die Suche. Fine lief nach draußen und rief nach Oskar. Ihr gingen die wildesten Gedanken durch den Kopf. Hatten sie nicht am Tag zuvor eine Katze im Stadion gesehen? Sie hatte den Kindern von der Gefährlichkeit der Katzen erzählt und ihnen eingeschärft, sofort im sicheren Mauseloch zu verschwinden und sich in Sicherheit zu bringen, wenn sie eine Katze sehen.
Cäsar war im Bau geblieben, und er musste nicht lange suchen, bis er den Jungen fand. Er lief Fine nach. Sie hörte ihn nicht kommen und drehte sich erschrocken um, als er ihr auf die Schulter tippte. Er winkte nur stumm, sie solle ihm folgen. Cäsar ging geradewegs zur Kommode, und da lag der Mäusejunge zusammengerollt und friedlich schlummernd in der Schublade.
Fine war zu Tränen gerührt.
Nun war es Zeit, den Mäusekindern ihre Namen zu geben. Die Hebamme Mathilde, die den Babys auf die Welt geholfen hatte, war nun auch hierbei behilflich.
Cäsar wünschte sich, dass der kräftigste Junge so heißen sollte, wie er selbst. Aber der einzige Junge hatte bereits seinen Namen: Oskar. Die anderen vier waren Mädchen. Cäsar wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, als Mathilde ihnen das sagte. An manchen Tagen hatte er sich ausgemalt, wie er mit seinen Söhnen die aufregendsten Abenteuer bestehen würde. Oder im Stadion mit ihnen beim Fußball zusähe. Sollte er nun mit den Mädchen und deren Puppen spielen müssen?
Fine beobachtete ihn, und sie glaubte, seine Gedanken zu wissen. Auch sie hätte nicht gedacht, dass sie so viele Mädchen haben würden.
Sie stupste ihn an. "Bist du nicht auch glücklich, dass wir fünf gesunde Kinder haben?"
"Du hast ja recht. Ich war nur für einen Moment verwirrt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass wir so viel mehr süße Mädchen als Jungs haben würden." Cäsar sah sich die kleinen Mäuse an, die schon längst keine Babys mehr waren. Dabei sagte er: "Ich hatte mich nur gerade gefragt, mit wem ich nun zum Fußball gehen werde."
"Na, mit Oskar", sagte Mathilde. "Und mit den Mädchen, die noch immer keine Namen haben." Sie nickte ihnen zu, was so viel heißen sollte, wie: Aber nun müsst ihr euch welche aussuchen.
Fine hatte einen Zettel, auf den sie schon mehrere Namen geschrieben hatte.
"Es gibt eine weibliche Form von Cäsar“, sagte sie. Eines der Mädchen war kräftig und auch größer als die anderen. „Warum nennen wir sie nicht Cäsaria?"
"Das ist eine gute Idee", sagte Mathilde.
"Aber wird Oskar dann nicht eifersüchtig sein, weil sie ihm mit diesem Namen Konkurrenz macht?" Cäsar war nicht wohl bei dem Gedanken, aber Fine beruhigte ihn.
"Bis Oskar begreift, dass sie Cäsar geheißen hätte, wäre sie ein Junge gewesen, hat er sich daran gewöhnt und kommt gar nicht auf den Gedanken."
„Und wenn wir ...“
Weiter kam Cäsar nicht, denn Fine wusste, was er sagen wollte und kam ihm zuvor: „Oskar bleibt Oskar!“
Also hatte das erste Mädchen seinen Namen. Nun fehlten nur noch drei. Cäsar hatte sich überhaupt keine Gedanken über Mädchennamen gemacht, das würde Fine schon übernehmen. Und so war es auch. Fine zeigte mit dem Finger auf die drei und sagte: „Jenny, Maria, Griselda.“
Cäsar verzog das Gesicht. „Bist du sicher? Griselda?“
„Da bin ich ganz sicher“, sagte Fine. „Die graue Kämpferin.“
Die graue Kämpferin, dachte Cäsar und - gab sich geschlagen.
Mathilde hatte alles aufgeschrieben und damit gab es kein Mäusekind mehr, das noch keinen Namen hatte.
Oskar war zwar der einzige Junge, er war aber bei weitem nicht das wildeste der fünf Kinder.
Es war Sonntag Morgen. Viele Menschen waren ins Stadion gekommen. Auf dem Sportplatz sollte Fußball gespielt werden. Cäsar ging mit Oskar und den vier Mädchen hinaus. Sie hatten einen Platz ausfindig gemacht, von wo aus sie das Spiel gut beobachten konnten, und wo sie ungestört saßen. Auch Gerard und Lucia waren mitgekommen. Gerard hatte eine Leinwand, Pinsel und Farben dabei. Er hatte sich schon lange vorgenommen, ein Bild von einem Fußballspiel zu malen. Lucia setzte sich zu den Mäusemädchen und Oskar saß neben seinem Vater. Er hatte Mühe, etwas sehen zu können, denn Gerard hatte sich den besten Platz gesucht, und der war genau vor den Mäusen.
„Gerard, ich kann nichts sehen“, beschwerte Oskar sich bei dem Eichhörnchen.
„Ei, schau da, ein Schlaumeier. Willst du mir die Sicht nehmen und mir dann erzählen, was auf dem Rasen passiert? Wer ist ier der Maler?“ Gerard wedelte wild mit einem Pinsel, während er sprach.
Lucia schüttelte den Kopf. „Du großer Meister, du wirst doch über so einen kleinen Mäusejungen hinwegsehen können.“
„Und wenn er andauernd die Ände in die Luft ebt? Wie soll iesch dann malen?“
"Du Angeber, du!", tadelte Lucia ihn erbost.
Daraufhin einigten Gerard und Oskar sich, dass der Junge neben ihm sitzen durfte. Und nun konnte er das Spiel und das Bild sehen.
Die Fußballspieler flitzten bald zum linken und bald zum rechten Tor, und dann brach ein Jubel aus. Die gelb-schwarze Mannschaft hatte ein Tor geschossen. Und weil das die Lieblingsmannschaft von Gerard war, hielt er genau diesen Moment auf seinem Bild fest. Oskar und Cäsar schauten gebannt auf die Leinwand, als plötzlich Lucia rief: „Die Mädchen sind fort!“
"Ach, denen wird langweilig gewesen sein und sie sind nach Hause gegangen", vermutete Cäsar. Und weil Lucia noch bei ihnen saß, sagte er nur in Gedanken: "Fußball ist eben doch Männersache." Damit waren alle zufrieden.
Doch den Mädchen war ganz und gar nicht langweilig. Cäsaria und ihre drei Schwestern hatten die Gelegenheit genutzt, und verschwanden unbemerkt, als Cäsar und Oskar durch das Bild abgelenkt waren.
Die Idee stammte von Griselda. Die interessierte sich, seit sie das erste Mal beim Fußball zugesehen hatte, was sich hinter der Tür befand, in der die Spieler immer verschwanden. Ihre drei Mäuseschwestern fanden die Idee aufregend.
Nachdem die Halbzeit vorbei war, schlichen die Vier durch das dichte Gras. Jeder, der sie sah, hätte Verdacht geschöpft, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Griselda war unerschrocken und mutig. Für sie gab es keine Probleme oder Hindernisse. Cäsaria war stark und fühlte sich als die Beschützerin des Quartetts. Maria war eine kleine, süße Maus, die es aber faustdick hinter den Ohren hatte und Jenny war ein kleiner Angsthase. Sie ging nur mit, weil sie sich neben den Schwestern sicher fühlte.
Dann waren sie an der Tür angelangt, und sie war - verschlossen. Kein Spalt war zu sehen, durch den sie hätten hindurchschlüpfen können.
„Riecht ihr das?“ Griselda hob ihre Nase so hoch in die Luft, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
„Ich rieche zurzeit nur stinkige Socken“, sagte Cäsaria. „Was du riechst, werden wir erst sehen, wenn wir durch diese Tür gekommen sind.“
„Wir fressen uns durch.“ Maria begann, an der Tür zu nagen. Aber ihnen war sofort klar geworden, dass die Zeit nicht reichen würde, bis die Fußballjungs zurückkämen.
Cäsaria stellte fest, dass sie nur noch zu dritt waren und fragte besorgt: „Hat jemand Jenny gesehen?“ Die Mädchen blickten um sich, konnten sie aber nicht entdecken. Schließlich riefen sie laut nach ihr.
„Hier bin ich!“ Das war Jennys Stimme, die leise zu vernehmen war. „Ich bin hinter der Tür!“
„Wie bist du denn da rein gekommen?“
In dem Moment sahen sie eine Wackelnase unter der Tür. Die drei Mäusemädchen duckten sich und sahen einen kleinen Gang, den vor ihnen schon einmal eine Maus freigenagt haben musste. Schnell schlüpften sie hindurch.
„Stinkige Socken. Sagte ich doch. Igitt!“ Cäsaria hielt sich die Nase zu. Aber Griselda roch noch immer etwas anderes, etwas leckeres. Und bald entdeckten sie, was es war: ein Gugelhupf! Er stand auf dem Tisch, auf einem Teller. Mit Schokolade überzogen.
„Mädels, habt ihr schon gefrühstückt?“, fragte Maria und machte sich daran, sich in den Kuchen zu fressen. Die drei anderen ließen sich nicht lange bitten.
War das ein Schmaus!
„Psst!“, machte Jenny. „Habt ihr das gehört?“ Ihre Barthaare zitterten plötzlich vor Angst. Sie hörten die Fußballer, die zurückgekommen waren. Das Spiel war aus. Was würde jetzt passieren?
Darauf brauchten sie nicht lange zu warten. Ein Messer durchschnitt den Kuchen. Die Mäuse waren starr vor Schreck. Als das Messer den zweiten Schnitt machte und das Stück aus dem Kuchen herausgenommen wurde, rief jemand: „Mäuse!“
„Bringt euch in Sicherheit!“, rief Griselda und die vier Mäusemädchen stoben auseinander, jede in eine andere Richtung. Außer Jenny, die ging lieber mit Cäsaria.
Fäuste schlugen nach ihnen und dann hörten sie in dem Tumult das schlimme Wort: Katze. Also hatte ihre Mutter doch recht gehabt, als sie die Kinder gewarnt hatte. Was jetzt? Die Mäuse versteckten sich hinter einem Schrank. Cäsaria entdeckte, dass die Tür offen stand, wahrscheinlich, um die Katze hereinzulassen. Die war aber noch nicht zu sehen. Diese Zeit mussten sie nutzen, um durch die offene Tür nach draußen zu gelangen. An der Wand standen Schuhe und jetzt war es egal, ob die Socken stinkig waren, sie boten ihnen Schutz, wenn sie zur Tür liefen.
Dann waren sie im Freien, aber nicht in Sicherheit. Große Schuhe traten nach ihnen und Maria stieß einen schrillen Pfeifton aus, als ihr jemand auf den Schwanz trat.
Griselda machte kehrt und sah ihre Schwester in ihrer Not.
„Lass sie los!“, schrie sie. Sie rannte zu dem Schuh, kletterte hinten an ihm empor und biss dem Menschenjungen ins Bein. Der hob den Fuß, als er den Schmerz spürte und die Mäuse ergriffen die Flucht, so schnell sie konnten.
Oskar beobachtete den Tumult von weitem, und ahnte instinktiv, dass seine Schwestern in Schwierigkeiten sein mussten. Schnell, aber vorsichtig, lief er in die Richtung. Die Grashalme versperrten ihm die Sicht und so orientierte er sich nur am Lärm. Als er auf den Kiesweg traf, sah er gerade, wie eine rote Katze sich zum Sprung bereit machte.
„Attacke!“, rief er und rannte direkt auf die Katze zu. Die war so perplex, als die Maus auf sie zugelaufen kam, dass sie nur große Augen machte. Oskar sprang ihr ins Gesicht und biss ihr beherzt in die empfindliche Nase. Die Katze schrie vor Schmerz und Wut und ergriff völlig überrascht die Flucht. Oskar suchte seine Schwestern zusammen und gemeinsam verschwanden sie im nächstbesten Mauseloch.
Am Abend, als die Kinder in ihren Betten lagen, setzte Fine sich zu ihnen und sagte: „Ich bin froh, dass wir hier bei den zwei Linden wohnen. Habt ihr ihnen schon einmal gelauscht, wenn sie ihre Geschichten erzählen? Seid ganz leise und hört ihnen zu.“
„Ach, Mama, erzähl du uns lieber eine Geschichte. Bei den Linden bin ich mir da nicht so sicher.“
Fine blickte Oskar verwundert an. „Wieso hast du denn Bedenken? Hast du denn schon eine Geschichte von ihnen gehört?“
„Nein, Mama. Aber ich denke, die sehen nicht nur lustige Sachen. Und für aufregende Geschichten habe ich heute keine Lust.“
Von den Mädchen war kein Mucks zu hören. ...