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Der Verführer

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14.08.2012
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Der Verführer

„… der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen und ...“
„Bla bla bla … Lou, bitte. Verschone mich. Das Gelaber ist ja nicht zum Aushalten, das ist ja voll öd.“
„Das ist kein Gelaber, Blödmann. Das ist von Camus.“
„Camus, na und? Wen juckt’s … gib mir lieber noch ein Stück Schokolade.“
„Hab keine mehr.“
„Was heißt, du hast keine mehr?“
„Hab nur die fünf mitgehabt.“
„Fünf Schokoriegel für die Abandon? Alter, wir brauchen noch mindestens einen Tag bis rauf.“
„Zwei, bei deinem Tempo. Na ja, wollte halt Gewicht sparen … ahnte ja nicht, dass wir so langsam sind.“
Max streckt den Kopf aus dem Biwaksack und starrt in die schwarze Leere unter sich. Herrgott, er weiß, dass er langsam ist. Jeder, der mit Lou klettert, ist für den zu langsam, aber trotzdem …
„Du lässt Schokolade unten und schleppst stattdessen ein verdammtes Scheißbuch mit? Soll das ein Witz sein?“
Er haucht ein paarmal auf seine klammen Finger, fummelt den Tabak aus dem Anorak und beginnt, sich eine zu drehen.
„Scheiße, ist mir kalt … mach endlich das blöde Licht aus, man sieht ja gar nichts vom Himmel.“
Lou stopft das Buch in den Rucksack und als er die Stirnlampe ausschaltet, flammt über Max der Nachthimmel auf, das Firmament scheint förmlich zu explodieren. Ihm ist, als stürze er nach oben, als reiße es ihn aus der Wand geradewegs hinauf ins All, hinein in diese funkelnde Unendlichkeit, immer tiefer und tiefer hinein. Für einen Augenblick weiß er nicht recht, wo oben und unten ist, es dreht ihm schier den Magen um. Er atmet tief durch.
„Heilige Scheiße, Lou, schau dir das an!“
„Was?“
„Na den Himmel. Die Sterne.“
„Na ja, Sterne halt. Toll.“
„Lou, verdammt!“
„Sind nur Lichtpunkte, Mäx … oben die Sterne, unten der Gletscher. Und wir zwei irgendwo dazwischen, so what? Scheiß auf die Sterne. Scheiß doch drauf.“
„Sag mal, was ist denn mit dir los?“
Der Typ ist wirklich verrückt. Ist der aus Stein? Max will ihm am liebsten an die Gurgel, will ihn an den Schultern packen und ihn schütteln. Er hat schön langsam die Schnauze voll von ihm. Obendrein spürt er noch immer leichte Kopfschmerzen und die Wunde an der Augenbraue pocht unangenehm mit jedem Schlag seines Herzens.


„Geh nicht mit diesem Spinner“, hatte Raffaele ihn vor ein paar Tagen noch gewarnt, „der ist total verrückt. Echt schnell und unheimlich stark, das schon, verteufelt schnell, aber er ist vollkommen meschugge. Ein durchgeknallter Ami halt. Lass den seinen Scheiß doch alleine machen.“
Es mache einfach keinen Spaß, mit Lou zu klettern, sagte Raffaele. Ihm selbst sei das im Juni am Grand Capucin schnell klar geworden, das Lachen sei ihm sehr bald vergangen. Schon nach wenigen Seillängen seien sie sich furchtbar in den Haaren gelegen, und die Gefahr, sich gegenseitig etwas anzutun, sei bald größer gewesen, als sich am Fels einen Fingerknöchel aufzuschürfen. Sie hätten dann kurzerhand - „schweigend“, betonte Raffaele, „vollkommen wortlos“ - das Material aufgeteilt, er, Raffaele, habe sich wieder zum Gletscher abgeseilt und Lou sei alleine weiter, habe dann nur hundert Meter unter dem Gipfel einen Wettersturz aussitzen müssen, dreißig Stunden lang, und als sie sich kurz darauf am Zeltplatz über den Weg liefen, - „ohne uns in die Augen zu schauen“ - habe Lou noch immer mehr tot als lebendig ausgesehen. Aber geschehen sei ihm nichts, diesem Helden. Vergönnt hätte ihm Raffaele sonst was, dem blöden Coglione.
Nie wieder würde er mit Lou klettern, nicht für viel Geld.
„Der ist einfach zu, zu …“, lange suchte Raffaele nach den deutschen Wörtern, „ … zu humorlos, zu besessen, zu plemplem eben und gleichzeitig so gefühllos. Ja, so verbittert irgendwie. Der machte mir richtig Angst, der Typ.“
Und dann schlug Raffaele Max vor, sie könnten gemeinsam die Aiguille Verte machen, sobald das Wetter stabil sei, oder die Blaitiere-Ostwand, tutto disteso, ganz entspannt.
„Irgend so einen Mädchenkram halt. Soll ja Spaß machen. In einem Tag rauf und am nächsten wieder runter und dann im Nash Bier saufen bis zum Umfallen.“ Und er grinste dabei von einem Ohr zum anderen.
Raffaele hatte leicht reden, der hing seit Mai in Chamonix herum, holte sich einmal im Monat einen Scheck seines Vaters vom Postamt und brauchte ansonsten nichts weiter zu tun, als auf gutes Wetter zu warten. Dem lief nichts davon. Im Gegenteil, seit Max ihn Ende Juli kennengelernt hatte, zog Raffaele mit dem mittlerweile dritten Mädchen herum, eines blonder und hübscher als das andere, deutsche oder australische Rucksack-Touristinnen, die seinem italienischen Charme einfach nichts entgegenzusetzen wussten.
Für ihn, Max, aber wäre in genau einer Woche der Spaß vorbei, endgültig, sein Urlaub wäre zu Ende, und das wär‘s für dieses Jahr gewesen mit Chamonix und mit seinem Traum, gerade mal zwanzigjährig die Jorasses-Nordwand zu machen. Das Geld war ihm schon vor Tagen ausgegangen.
Wie gemeingefährlich irre hätte ein Typ also sein müssen, überlegt sich Max, dass er abgelehnt hätte, wenn der ihn in an den Crozpfeiler mitnehmen wollte? Vermutlich wäre er einem buckligen, stotternden Schwachsinnigen hinterhergelaufen, hätte der nur auf die Jorasses gezeigt und ihm eine Hand gereicht.
Wie hätte er ablehnen können?


Das mit der Zigarette will nichts werden, pfeif drauf, er hat eiskalte Finger und lässt das Zeugs schließlich entnervt fallen, lässt Papier und Tabakkrümel davonsegeln in die Tiefe, hinaus in diese endlosen siebenhundert Meter bitterkalter Leere zwischen ihm und dem Leschaux-Gletscher. Verstreut für die Ewigkeit.
Irgendwann einmal hat er von nordamerikanischen Indianern gelesen, die Tabakopfer darbringen, bevor sie einen Baum fällen oder einem Karnickel oder einem Lachs ans Leben gehen, sich vorher gar noch entschuldigen bei ihnen für den Kummer und die Schmerzen, die sie ihnen nun bereiten müssten. Leistet er jetzt etwa Abbitte beim Berg, weil er ihm mit den Steigeisen den Fels zerschrammt, ihm die Eisbeile in die Flanken haut und ihm Haken zwischen die Rippen drischt? Will er sich gar den Berg gewogen machen?
Soll er Lou fragen, was der von dieser Schnapsidee hält?
Es ist noch nicht einmal Mitternacht, doch schon jetzt spürt Max, wie ihm sein Verstand entgleitet, ihm davontrudelt wie das Zigarettenpapier. Er kann sich kaum vorstellen, wie er die Nacht überstehen soll. Die Aussicht, noch gut fünf Stunden auf die ersten Sonnenstrahlen warten zu müssen, fünf endlose, eiskalte, frierende Stunden, fünfmal sechzig endlose Minuten, deren jede ihm länger und frostiger erschiene als die vorherige, ist schlicht haarsträubend. Und dazu dieser schweigsame Verrückte neben ihm. Herrgott im Himmel!
Warum Lou überhaupt in die Berge geht, ist Max in den letzten zwei Tagen mehr und mehr zu einem Rätsel geworden. Der scheint für keines dieser Wunder, die Max Gänsehaut machen, Augen zu haben. Ein zaghafter, dann immer gleißenderer Sonnenaufgang nach einer grausam kalten Biwaknacht? Endlich Wärme, das schon. Aber die Schönheit dieses Mysteriums? „Drauf geschissen“, sagt Lou höchstens. Die Farben des Granits, diese zahllosen Nuancen von Anthrazitgrau über Ocker bis golden? Dieser Farbkontrast der Felsen zum blauen Himmel und dem weißen Gletscher tief unter ihnen? „So what?“, murrt Lou. Das Heulen eines Sturmes oder das Vorbeischweben dicker Schneeflocken bei Windstille, das Sirren und Pfeifen von Steinschlag oder die Leere und Endlosigkeit einer mondlosen Wolkennacht, das eine so einschüchternd wie das andere, die ehrfurchtgebietenden Blicke in die Tiefe und diese Momente vollkommener Schönheit, Stille und Wahrhaftigkeit, das gleichzeitige Bangen vor Ungemach, diese jederzeitige Möglichkeit, dass entweder Schlimmes oder eben nichts Schlimmes geschähe, und man auf nichts davon Einfluss hätte, auf gar nichts, man es nur sehen, hören und erdulden könne, … das alles scheint nicht den geringsten Eindruck auf Lou zu machen. Der bewegt sich in dieser senkrechten Welt ebenso leidenschaftslos, als ginge er in irgendeiner Stadt auf dem Weg zu irgendeiner Arbeit über irgendeine Straße. Lustlos, freudlos und verbissen, als sei er auf einem Kreuzzug nicht nur gegen den Berg, sondern gegen das gesamte Wunder des Universums, und ja, auch gegen sich selbst.
Am Nachmittag hatte Max eine leidlich einfache Seillänge vermasselt. Als er sich streckte, um einen Klemmkeil zu legen, brach die winzige Schuppe aus, an die er sich mit zwei Fingern der Linken krallte, sofort rutschten ihm die Schuhspitzen weg und er sauste in die Tiefe. Die Zwischensicherungen flogen ihm eine nach der anderen um die Ohren, die fragilen Verbindungen, die er in der letzten halben Stunde so beherzt wie mühsam zwischen Seil und Fels geschaffen hatte, all die Keile, Messerhaken, Rurps und Copperheads hielten nicht, Stück für Stück löste sich der ganze Krempel aus der Wand, ging auf wie ein müder Reißverschluss. Einzig der letzte Klemmkeil sieben Meter über dem Standplatz blieb drin und nach einem endlosen, atemlosen Zwanzigmeterflug hing Max gute vier Meter unter Lou im Seil. Er leckte sich Blut, das ihm von der Stirne tröpfelte, von den Lippen, spuckte aus und fluchte wie ein Bierkutscher. Und dann? Was hörte er von Lou?
„Alter, auf die Art kommen wir nie rauf.“
Als er wieder oben am Stand war, das ganze rausgefetzte Zeug, die Keile, Schlingen, Haken und Karabiner vom Seil löste, sie sortierte und an seinen Gurt hängte und dabei kurz in Lous mürrische, unbeteiligte Miene sah, verstand er endlich, was ihm Raffaele hatte sagen wollen. Ja, Lou machte auch ihm Angst.
Wortlos begann er, neuerlich hochzusteigen. Seine Wut ließ ihn die aufgeschlagene Augenbraue vergessen, ließ ihn die Griffe so fest packen, als wolle er den Fels zerkrümeln, er verzichtete auf das Legen der fragwürdigen Sicherungen, hörte Lou lachen und brüllen - “Willst du dich umbringen, Mäx?“ - ignorierte ihn und erreichte dreißig Meter höher den nächsten Standplatz. Er überlegte ernsthaft, sich aus dem Seil zu binden und einfach weiter zu klettern, höher und immer höher zu steigen, bloß weg von diesem Arschloch.
Natürlich tat er es nicht. Allein der Gedanke daran sträubte ihm die Haare. Er war verärgert und ratlos. Schon als Junge hatte er von dieser Wand geträumt, und jetzt, da er endlich hier war, musste es mit einem Irren sein. Er hätte heulen können.
Schließlich hatte er sich in die zwei Standhaken eingehängt, sich eine Zigarette gedreht und Lou nachgesichert. Scheiß drauf.


„Schläfst du, Mäx?“
„Fast.“
In Wahrheit ist an Schlaf nicht zu denken. Max weiß kaum noch, wie er sitzen soll. Die Seile, auf denen sie wegen der Kälte hocken, drücken ihm unangenehm in den Hintern, bei jeder Bewegung schmerzt der Klettergurt an den Hüften und der Stundenzeiger seiner Uhr scheint festgefroren zu sein. Schrecklich gerne würde er jetzt Schokolade essen und hinterher eine rauchen.
„Wird ein harter Tag morgen, Mäx.“
„Ich weiß. Die sechsundzwanzigste Länge. Die verfluchte Schlüsselstelle.“
„Du wirst sie vorsteigen.“
„Spinnst du? Ist nicht dein Ernst.“
„Doch … Du musst.“
„Was heißt, ich muss?“
„Ganz einfach. Weil ich‘s nicht tun werde.“
„Lou, Alter, spinnst du jetzt vollkommen?“
„Das ist dein Trip, Mäx.“
„Hey, Mann, was redest du da? Wir machen die Abandon gemeinsam.“
„Nein, Mäx, das ist ganz allein dein Trip. Stell dir vor, du seist alleine hier.“
„Jessas, Lou, was soll der Scheiß?“ Max dreht sich zu Lou. Nicht eine Haarsträhne ist von dem zu sehen.
„Warum kletterst du, Mäx?“, hört er ihn aus dem Biwaksack murmeln.
„Äh, … weil die Berge so wunderbar sind?“
„Red doch keinen Quatsch. Die kannst du dir auch von der Terrasse einer Berghütte aus anschauen. Und dabei noch ein Bier trinken … Wie viele Schlangen klettern durch Schleichen und Kriechen bis zum Gipfel eines Baumes empor, der allein zum Aufenthalte für die Vögel der Luft gemacht zu seyn scheinet?
„Hä?“
„Warum kletterst du, Mäx? Was willst du dir beweisen?“
„Verdammt, gar nichts will ich mir beweisen. Ich find’s einfach saugeil.“
„Saugeil, ja, so was dachte ich mir schon … Hör mir zu Mäx, ich erzähl dir jetzt eine Geschichte: Vor vielen Jahren führte ich einmal einen Mann auf einen Berg, ich weiß nicht mehr, wie der Berg hieß. Als wir oben waren, deutete ich um mich und zeigte auf die Gipfel, die uns umgaben, und die Täler, die dazwischen lagen, und auf all das Land ringsum. In den Ebenen wuchsen Bäume, die reichlich Früchte trugen, und auf den Feldern gedieh das Korn. Die Menschen dort unten gingen ihrem Tagewerk nach und trachteten, ihre Goldstücke zu horten und zu mehren. Doch sie erkannten nicht das Wunder ihres Daseins, weil der eine dem anderen die Magd neidete und den Knecht, die Kuh und den Stier.
Warum zeigest du mir all dieses Blendwerk, fragte mich der Mann.
Siehest du den hohen Gipfel dort, der alle anderen überragt? Den will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest, sagte ich zu ihm.

„Sag mal, Lou, nimmst du Drogen?“
„Ach was, ich verarsch dich doch nur.“
Max verdreht die Augen. Was gäbe er dafür, jetzt Raffaele an seiner Seite zu haben statt dieses Geistesgestörten.
„Lou, zieh verdammt noch mal nicht so am Biwaksack. Der gehört dir nicht alleine.“
„Wie hast du mich gerade genannt?“
„Was?“
„Ach, vergiss es.“

Schließlich nickt Max doch ein und er träumt, wie Lou an ihm vorbeistürzt, immer und immer wieder, mit weitaufgerissenen Augen und einem irren Lachen. Lous blutverschmiertes Gesicht sieht aus wie sein eigenes.
Als er aufwacht, fühlt er sich wie zerschlagen, er spürt jeden Muskel und jeden Knochen, aber er ist froh, zumindest dem Alptraum entkommen zu sein. Hoch über ihm vergolden die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Fels und der Himmel dehnt sich endlos. Doch sofort erkennt er, dass irgendwas nicht stimmt. Der Alptraum ist Wirklichkeit geworden und geht weiter.
Lou ist weg! Mutterseelenalleine kauert Max auf dem schmalen Sims.
„Lou?“, flüstert er. „Lou!“, brüllt er.
Verzweifelt bemüht er sich, aufzuwachen, und gleichzeitig weiß er, dass er wach ist. Er ist eindeutig wach, aber vermutlich übergeschnappt. Halluziniert er? Lou kann nicht weg sein, hier kann man sich weit und breit nirgends verstecken. Ist Max gar gestorben? Hat ihn in der Nacht der Schlag getroffen oder ist er erfroren? Und ist dies nun das Leben nach dem Tod?
Langsam dämmert ihm die Wahrheit. In der Nacht muss Lous Sicherung versagt haben und er ist vom Felsband gerutscht und lautlos in der Tiefe verschwunden. Passieren nicht immer wieder die blödesten Unfälle am Berg?
Er beugt sich vor und blickt in den Abgrund.
„Lou!“, brüllt er, „Lou!“
Niemals zuvor in seinem Leben ist er sich so alleine vorgekommen, so vollkommen einsam und hilflos, so aus der Welt geworfen, so unbedeutend und klein. Er fühlt sich so verloren und nichtig wie ein Klecks Vogeldreck auf dem riesigen Deck eines Schlachtschiffes, ein winziger Fleck auf einem lotrecht stehenden, tausend Meter hohen Schlachtschiff.
„Lou!“, brüllt er noch einmal, dann steigen ihm Tränen in die Augen und er beginnt zu schluchzen wie ein Kind.
An Abseilen ist nicht zu denken, nicht nur Lou ist weg, sondern auch das zweite Seil, auch Lous Rucksack, der Kocher und sein restliches Zeug. Alles ist weg, als wäre Lou nie hier gewesen.
Ihm ist klar, dass er so gut wie tot ist, er würde hier sterben, hier, in der beeindruckendsten und schönsten Wand der Alpen. Mutterseelenalleine und gerade mal zwanzigjährig, das darf einfach nicht wahr sein. Nie mehr wieder würde er einen Sonnenaufgang sehen oder das Meer oder gar ein Mädchen, nie mehr eines küssen, nie mehr würde er klettern können. Nie mehr Schokolade essen, nie mehr Musik hören.
Er kramt den Walkman aus dem Rucksack, stöpselt die Ohrhörer an und schaltet ihn ein. Black Flag wüten los und er dreht die Lautstärke hoch. Dann schließt er die Augen und bemüht sich, an gar nichts zu denken. Nicht an Kathis wunderschönes Lächeln und ihre weiche Haut und nicht an sein Motorrad, nicht an seine Eltern und schon gar nicht an Lou. Schließlich legt er den Kopf in den Nacken und starrt die Wand hoch. Vielleicht noch hundert Meter senkrechter Fels liegen über ihm, bevor sich der Pfeiler langsam zurückzulehnen beginnt, das weiß er von dem Foto, das seit Jahren über seiner Werkbank hängt.
Kein Beinbruch in Wahrheit. Er kann hier sitzenbleiben und heulen wie ein Kind. Oder er kann klettern.
Kiss or kill … Er ist gut und stark, er ist in Bestform, das weiß er. Im Grunde müsste es zu schaffen sein. Die Abandon im Alleingang. Wahnsinn.
Mit zittrigen Fingern steckt er sich ein Stück Brot in den Mund, trinkt den Rest des lauwarmen Tees aus der Thermosflasche und fängt dann an, seinen Kram zusammenzupacken.
Sobald seine Hände am Fels liegen, fühlt er sich ruhiger. Es gelingt ihm, sein Denken vollständig auszuschalten und all sein Dasein einzig auf die Strukturen des Granits zu richten. Er beginnt zu klettern und kommt höher und höher. Er wird nicht sterben. Nicht heute. Nicht hier.
Er nicht.

Doch irgendwann kommt er nicht mehr weiter. Der Riss, dem er gut achtzig Meter gefolgt ist, hat sich mehr und mehr verengt und verliert sich nun zusehends vor seiner Nase. Er blickt hoch. Eine vertrauenerweckende Leiste, die er über sich erkennen kann, ist unerreichbar weit weg. Dazwischen gibt es nichts, nur glatten, gnadenlosen Stein, wie blankpoliert. Minutenlang tastet er den Fels ab, er streichelt, beschwört und beschimpft ihn. Nichts. Er verlagert das Gewicht, ändert die Fußstellung, sucht weiter. Nichts. Ganz schnell hat sich der Tod genähert. Max kann ihn nicht sehen, aber er ist da.
Immer wieder muss er die Hände am einzigen Griff abwechseln, um die verkrampften Unterarme auszuschütteln. Schweiß perlt ihm von der Stirn in die Augen, Milchsäure und Angst vergiften seine steinhart zusammengezogenen Muskeln. Er bittet und bettelt. Nur einen einzigen Griff noch, einen klitzekleinen, bitte! Er kämpft und leidet und flucht, bis er spürt, dass seine Unterschenkel zu zittern beginnen. In wenigen Augenblicken werden ihm die Zehenspitzen abrutschen, das weiß er. Jetzt ist der Tod ganz nahe. Hastig fummelt er seinen allerkleinsten Messerhaken vom Gurt, zwängt die Spitze in den winzigen Riss und drischt ihn mit dem Hammer hinein. Nicht einmal zu Hälfte verschwindet das lächerliche Stück Eisen. Pfeif drauf, man hat nicht immer die Wahl, denkt er, knotet einhändig eine Reepschnurschlinge um das herausragende Ende, so knapp wie möglich am Fels, und steigt mit dem rechten Fuß hinein. Der Haken knirscht erbärmlich, als er ihn vorsichtig belastet, und Max spürt das Rucken, als er sich einen Millimeter bewegt. Als hätte der ganze Berg gezittert. Aber der Haken hält. Max atmet tief durch, legt die Stirn an den Fels. Nein, er wird heute nicht sterben, er kommt aus dem Schlamassel raus. Er weiß ganz genau, was er nun zu tun hat. Und er ist gut, er ist stark. Er ist in Bestform. Der blöde Tod kann ihn mal.
Er wird sich mit der rechten Hand am Haken festhalten, die Linke den Fels hochgleiten lassen, um seinen Körper zu stabilisieren, und dann ganz behutsam beginnen, das rechte Bein durchzudrücken, ganz langsam. Und dann, genau in dem Augenblick, wenn er nach hinten zu kippen droht, das Bein vollends strecken und gleichzeitig mit der Rechten emporschnellen und die Leiste packen. So wird das gehen. Ein ums andere Mal stellt er sich die Bewegungen vor, bis er sicher ist, dass er es schaffen wird. Mit einem Stück Schokolade im Mund wäre es noch einfacher, denkt er, beinahe ein Kinderspiel. Lächerliche zwei Meter noch, und er hätte die Schlüsselstelle hinter sich. Zum ersten Mal an diesem Morgen hat er ein Grinsen im Gesicht. Herr im Himmel, ist es schön hier.
Er wartet, bis sich sein Herzschlag beruhigt hat, atmet ein paarmal tief durch und schaltet den Verstand aus. Jetzt muss er sich einfach auf die Muskeln und Sehnen seiner Arme und Beine verlassen. Die wissen, was zu tun ist.
Als hätte sein Körper es dutzende Male geübt, führt er die Bewegungen aus, so vollkommen präzise und millimetergenau, so kraftvoll und sicher, als hätte ein Choreograf sie ersonnen. Doch eben, als er mit den Fingerkuppen der rechten Hand den Rand der Leiste berührt, schießt der Haken aus dem Riss.
Und Max fällt ins Leere.
Unbeeindruckt davon röhrt ihm Henry Rollins in die Ohren - Gimme, gimme, gimme - und Max fällt und fällt und fällt, bis der schmale Sims, auf dem er die Nacht verbracht hat, kurz seine Flugbahn stört. Mit zertrümmertem Rückgrat und kaum langsamer stürzt er weiter in die Tiefe. Er hofft, dass ihm auf seinem Weg nach unten nun nichts mehr in die Quere kommt.
Aus den Ohrhörern dröhnt noch immer Henry Rollins und seine Stimme klingt wie die von Lou.
Sie verhallt schließlich ungehört auf dem Gletscher.


Zitate aus:
Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos
Stjepan Zanović, Stephan Hannibals, eines alten Schäfers von Albanien, philosophische Gedanken an Friedrich Wilhelm, Kronprinzen von Preußen
Black Flag, Gimme, gimme, gimme
Weitere Inspirationen aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 4

 

zigga, hast du das eh gelesen?
:D Ich behalte mein ziemlich, ich bin da ein Fan von. Da wo ich herkomme versteht man das fast als Synonym zu sehr (also ich zumindest)

Vielleicht sollte ich dir ein paar grundsätzliche Sachen zu meinem Schreiben sagen, zigga: (...)
Ja, hey, wenn dir das gefällt, warum nicht. Was ich an dieser Seite schätze, ist, dass die Leute hier genau das sagen, was sie über den Text denken. Und mir ist eben aufgefallen, dass ich mir mal einen mit deinen sprachlichen Fertigkeiten geschriebenen offshore-unmäßigen un-surrealen Text wünschen würde, und genau so wollte ich es dir dann auch schreiben. Aber musste natürlich nicht machen.

Keine Bange, zigga, mein (vermutlich nächster) Text hat mit Klettern überhaupt nichts zu tun.
War nicht so gemeint, dass ich das Thema nicht mochte! Im Gegenteil. Ich schrieb:
zum einen fand ich dieses Bergsteigerding echt richtig interessant zu lesen
, und das meine ich auch so, ich finde das Sujet sehr interessant, und das bietet bestimmt auch massiv Stoff für Storys. Also ich würde mir auch noch eine durchlesen.

Guten Rest-Erste-Mai.

 

Hi offshore,

ich gehe recht unbedarft, was andere Kritiken darunter betrifft, an den Text, weil ich nur ein paar, und das schon vor Tagen, gelesen habe. Ich hoffe, ich wiederhole mich nicht.

Jeder, der mit Lou kletterte, war zu langsam für den, aber trotzdem …

Bei jedem Lesen stolpere ich über das den. Ich finde keine bessere Alternative zum Tausch, aber mir täte es ohne "für den" besser gefallen.

„Du lässt Schokolade unten und schleppst stattdessen ein verdammtes Scheißbuch mit? Soll das ein Witz sein?

Warum kann Max Lou überhaupt anmachen deswegen? Ist Lou der Packesel? Soll Max doch selber Schokolade schleppen, wenn er welche will, anstatt andere anzumaulen.

Wenn du den Part mit dem Scheck vom Postamt abholen draußen lässt und nur schreibst, dass er monatlich von den Eltern versorgt wird, wäre es etwas zeitloser. Bis in zehn Jahren versteht kein Mensch der jüngeren Generation mehr, wieso man aufs Postamt muss, um einen Scheck zu holen.

„n Wahrheit war an Schlaf nicht zu denken. Max wusste kaum noch, wie er sitzen sollte. Die Seile, auf denen sie wegen der Kälte hockten, drückten ihm unangenehm in den Hintern, bei jeder Bewegung schmerzte der Klettergurt an den Hüften und die Dauer der Minuten hatte sich längst verdreifacht.
Bis vor dieser Stelle fand ich es genial, wie du in den richtigen Worten mir als Nichtbergsteigerin die Dinge nahebringst, so dass ich tatsächlich ein Bild davon hatte, wie er die Sicherungen reinhaut, wie der Krempel beim Sturz rausfloppt usw. Aber bei der Situation, WIE sie schlafen, bin ich mit meiner Vorstellung teilweise am Ende. Wie habe ich mir ein Biwaksack vorzustellen? Gut, habe ich jetzt gegoogelt, aber das sollte man ja nicht müssen. Die Situation ist ja wohl auch die, dass sie sitzend schlafen müssen, richtig? Gibt es da halt nur so einen kleinen Felsvorsprung, dass es nur sitzend geht? Da hätte ich gerne noch ein, zwei erklärende Sätze.

Hoch über ihnen vergoldeten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Fels und der Himmel dehnte sich endlos.
Stimmt hier die Perspektive? Das ist ja aus Sicht von Max geschrieben, wenn es beschreibend wäre, dürfte es nicht ihnen heißen, sondern ihm.

Lou konnte nicht weg sein, hier konnte man sich weit und breit nirgends verstecken.
Der ist aus dem gemeinsamen Biwaksack herausgeklettert mit Schlafsack und allem, auf dem schmalen Sims, hat alles ordnen und sortieren können und ist dann losgeklettert, ohne dass es Max gemerkt hat?
Also ich weiß nicht ...

In der Nacht musste Lous Sicherung versagt haben und er war vom Felsband gerutscht und lautlos in der Tiefe verschwunden.
Waren die jetzt in einem Sack oder nicht?

Das war es ja schon an Textstellen, die mir auffielen. Also als schräg auffielen.
Was mir sehr gefällt, ist die Stringenz in deiner Geschichte. Sie ist kompakt und gönnt sich doch in der einzelnen Szene ausholende Momente, die aber genau so getaktet sind, dass ich als Leser eintauchen kann, mich aber nie langweile, weil ich denke, dass es genug sein könnte. Auch die Bergsteigerwelt bringst du mir in sehr klaren Worten näher.

Besonders beeindruckend fand ich auch die Szene, die zum Absturz geführt hat, weil Max davor von dir sehr souverän geschildert worden ist, weil er so an sich geglaubt hat, so sicher war - da war der Absturz für den Leser genauso abrupt, ich hätte das aufgrund der positiven Stimmung von Max (Herr im Himmel, war es schön hier) nie vermutet, dass es den gleich nimmt. Aber wahrscheinlich war er auch schon völlig durch den Wind und hatte keine realistische Einschätzung mehr. Aber mit Zweifel wäre er natürlich noch weniger gut hochgekommen, von daher war seine Euphorie auch Selbstschutz.

Nun aber kommt inhaltlich die große Frage auf mich zu, was denn Max geritten hat, sich trotz eindringlicher Warnung von Raffaele mit Lou einzulassen. Beim Klettern, wo man sich 100% aufeinander verlassen muss, wo man quasi eins werden sollte, hat Max keine Skrupel, sich mit einem Quertreiber auf den Weg zu machen. Nur aus Zeitnot? Ich fand es nicht einfach, den Lou so als Kotzbrocken erleben zu müssen. Man hätte ja schon auch gerne als Leser gewusst, was den Kerl so umgetrieben hat. So schräg und naturverachtend.

Wer verführt hier eigentlich wen? Die Sehnsucht, der Traum, die Natur den Max?
Lou den Max im wortwörtlichen Sinn? Die Fragen bleiben für mich etwas zu offen.
Was aber nicht mein Lob über den Text schmälern soll, den ich als in einem Guss geschrieben empfinde. Manchmal ist mir der Dialog nicht ganz stimmig, er wirkt leicht albern, aber vielleicht reden Männer ja auch so, wenn sie alleine sind? Da habe ich ja keine Erfahrung.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Chefin,

bernadette schrieb:
Jeder, der mit Lou kletterte, war zu langsam für den, aber trotzdem …
Bei jedem Lesen stolpere ich über das den.
Verdammt, bernadette, ich auch, echt.

Ich finde keine bessere Alternative zum Tausch,

Jeder, der mit Lou kletterte, war für den zu langsam, aber trotzdem …
Ist es so vielleicht besser? Zumindest liest es sich rhythmischer, kommt mir vor.

Wenn du den Part mit dem Scheck vom Postamt abholen draußen lässt und nur schreibst, dass er monatlich von den Eltern versorgt wird, wäre es etwas zeitloser. Bis in zehn Jahren versteht kein Mensch der jüngeren Generation mehr, wieso man aufs Postamt muss, um einen Scheck zu holen.
Na ja, aber die Geschichte spielt nun mal in den 1980ern. Musik kam damals aus dem Walkman, es gab keine Handys, mit denen man die Bergrettung anrufen konnte, usw. Obendrein war alpines Klettern in jener Zeit noch keine Trendsportart, sondern eher ein Minderheitenprogramm für ein paar Verrückte. Und dazu passt einfach Max‘ Obsession. Und irgendwie war mir auch wichtig, dass Max während des Kletterns Punkrock hört. Und wer tut das denn heutzutage noch?
Aber mal abgesehen davon, in fünfzig Jahren z.B. wird kein junger Mensch mehr wissen was zum Teufel ein MP3-Player war. So what?

Hoch über ihnen vergoldeten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Fels und der Himmel dehnte sich endlos.
Stimmt hier die Perspektive? Das ist ja aus Sicht von Max geschrieben, wenn es beschreibend wäre, dürfte es nicht ihnen heißen, sondern ihm.
Ich habe hier bewusst den Plural gewählt. Damit wollte ich ausdrücken, dass Max in diesem Augenblick natürlich damit rechnet, Lou noch neben sich zu haben. Er denkt und empfindet sozusagen noch als Teil einer Zweierseilschaft.

Der ist aus dem gemeinsamen Biwaksack herausgeklettert mit Schlafsack und allem, auf dem schmalen Sims, hat alles ordnen und sortieren können und ist dann losgeklettert, ohne dass es Max gemerkt hat?
Nein, ist er eben nicht.
Das ist eigentlich der Moment in der Geschichte, in der sich die Wahrheit offenbaren sollte: Lou ist kein gewöhnlicher Kletterpartner, sondern Luzifer himself. Der dematerialisierte sich in der Nacht einfach und fuhr zur Hölle.
Aber Max kann sich natürlich nur einen Unfall vorstellen, was sonst?

Na ja, und dann kommt so ein richtig fettes Kompliment von dir:

Das war es ja schon an Textstellen, die mir auffielen. Also als schräg auffielen.
Was mir sehr gefällt, ist die Stringenz in deiner Geschichte. Sie ist kompakt und gönnt sich doch in der einzelnen Szene ausholende Momente, die aber genau so getaktet sind, dass ich als Leser eintauchen kann, mich aber nie langweile, weil ich denke, dass es genug sein könnte. Auch die Bergsteigerwelt bringst du mir in sehr klaren Worten näher.
Besonders beeindruckend fand ich auch die Szene, die zum Absturz geführt hat,...
Sowas höre ich gerne, bernadette, danke.

Wer verführt hier eigentlich wen? Die Sehnsucht, der Traum, die Natur den Max?
Lou den Max im wortwörtlichen Sinn? Die Fragen bleiben für mich etwas zu offen.

Was du hier sagst (und auch Wilhelm und vor allem Novak in ihren Kommentaren) hat mich noch einmal über die Schüsselszene, wie sie Novak nennt, nachdenken lassen. Also den Moment während des Biwaks, als Lou sich sozusagen als der Leibhaftige outet. Mittlerweile glaube ich selbst, dass ich diese Szene vielleicht noch etwas mehr ausbauen und Lou noch diabolischer darstellen sollte, den Akt der Verführung, bzw. der Versuchung näher beleuchten und eindeutiger beschreiben müsste. Ich glaube, dazu sollten ein paar zusätzliche Dialogzeilen reichen.
Ich mein, der Leser könnte sich dann ja immer noch aussuchen, ob er Lou als den echten Teufel sehen will oder nur als Wahnvorstellung von Max.
Mir als dem Autor - no na - war von Anfang an klar, dass Lou der leibhaftige Teufel ist und ich glaubte, das mit nur ganz wenig Hinweisen auch den Lesern vermitteln zu können. Ich dachte, sobald die Leser in Lou den Teufel erkennen, lösen sich auch die scheinbaren Unerklärlichkeiten auf. Wie z.B. kann Lou in der Nacht aus dem gemeinsamen Biwaksack rausrutschen, ohne dass Max es merkt? Wieso ist sein ganzes Zeug weg?

… als wäre Lou nie hier gewesen.
Aber ich fürchte, es sind wirklich zu wenig eindeutige Hinweise auf Lous wahre Identität und die Rolle, die er spielt, im Text.
Einerseits wollte ich viel Interpretationsspielraum lassen, Lou sollte allerdings nicht als ausschließliche Fantasiegestalt von Max erscheinen.

Mal sehen, vielleicht küsst mich in den nächsten Wochen in San Zorz noch einmal die Muse und ich setze mich noch einmal an den Text.

Vielen Dank für deinen schönen kommentar, bernadette.

offshore

 
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Hallo Offshore,

ich hatte schon vor längerer Zeit vor, Dir zu diesem Text ein paar Gedanken aufzuschreiben. Keine Ahnung, ob Du noch daran arbeitest, aber vielleicht findest Du den einen oder anderen Hinweis hilfreich.

Du hast ja, wie Du schreibst, in dieser Geschichte einen (Alb-) Traum verarbeitet. Meiner Erfahrung nach ist das eine schwierige Sache, denn Träume funktionieren ganz anders als literarische Geschichten, sie beziehen ihre Überzeugungskraft aus anderen Quellen. Manchmal fragt man sich beim Aufwachen, weshalb eine so triviale Geschichte im Traumerleben so intensiv war. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich habe diesen Text sehr gern gelesen, fand es spannend, auch gerade wegen der authentischen Schilderung von bergsteigerischen Problemen und Herausforderungen. Mir gefiel die Dynamik des Textes, es geht ja zum Teil sehr actionreich zur Sache, und dann ist da aber auch wieder Ruhe und Reflexion und Betrachtung der Natur. Das alles ist wunderbar.

Die Charaktere bleiben mir ein bisschen fremd, aber das finde ich kein großes Manko. Ich konnte z.B. nicht nachvollziehen, weshalb sich Max auf eine gefährliche Klettertour mit jemandem einlässt, den nicht nur kaum kennt, sondern vor dem er sogar gewarnt wird. Wenn ich jetzt mal von u.U. heiklen Aktivitäten ausgehe wie beispielsweise Geräte-Tauchen, kommt es mir merkwürdig vor, das mit einem Buddy zu machen, dem man nicht vertraut. Aber vielleicht ist das beim Klettern anders.

Lou übernimmt den Part des Grimmigen und Raffael stellt die helle Seite dar. Viel erfährt man nicht von denen, eben mit der Ausnahme, dass Lou ein irgendwie Besessener sein muss, der keine Freude bei dem empfindet, was er tut. Wie gesagt, das ist auf der Charakterebene nicht sehr tiefschürfend, aber für den Plot ausreichend.

Jetzt kommen ein paar kritische Gedanken:

Die Sprache gefällt mir in großen Teilen gut, aber es gibt Schwächen, jedenfalls für mein Empfinden. Es sind nur ein paar Stellen, aber die sind mir förmlich ins Gesicht gesprungen.

- das Firmament schien förmlich zu explodieren

Förmlich ist als Wort genau das: förmlich. Weg damit.

- es drehte ihm schier den Magen um

Schier ist ein kraftloser Versuch der Bedeutungsverstärkung. Ab in die Giftkiste.

- fünfmal sechzig endlose Minuten, deren jede ihm länger und frostiger erschiene als die vorherige, war schlicht entmutigend

Ich weiß nicht, ob das in Österreich geht. Aber in Deutschland geht es nicht. Ein schlimmer Satz.

- Ein zaghafter, dann immer gleißenderer Sonnenaufgang

Immer gleißenderer? Nee.

- das gleichzeitige Bangen vor Ungemach, diese jederzeitige Möglichkeit, dass

Bangen vor Ungemach. Wir schreiben das Jahr 1850.

- zog Raffaele mit dem mittlerweile dritten Mädchen herum, eines blonder und hübscher als das andere, deutsche oder australische Rucksack-Touristinnen, die seinem italienischen Charme einfach
nichts entgegenzusetzen wussten

Mittlerweile dritten
und wussten seinem Charme nichts entgegenzusetzen ist nicht gut.

- Mutterseelenalleine

Ein Wort, eine ausgeblutete Phrase.

- so kraftvoll und elegant, als hätte ein Choreograf sie ersonnen.

Ein Satz mit Ballettschuhen und einem Röckchen.

Fasst man die sprachlichen Schwächen (nur nach meinem Empfinden) in einem Wort zusammen, dann ist das Problem Inkonsistenz. Wenn Du einen hart-herzlichen Text wie diesen schreibst, dann fallen süßliche oder altväterliche Wendungen sofort auf. Mach es herber, wäre meine Empfehlung.

Zum Plot: Ich hatte ja schon was zum Umsetzen von Träumen gesagt. Was mich am meisten umtreibt in Deinem Plot ist der Subtext des Ganzen. Nehme ich an, dass es sich bei Lou um den Teufel handelt, wirft das natürlich die Frage auf, was er da an diesem Berg treibt. Sollte die Antwort lauten, er lockt Max an die Wand, um ihn dann im Stich und sterben zu lassen, dann wäre mir das zu platt. Hat der Teufel so etwas nötig? Ist das überhaupt mit dem Konzept des Teufels vereinbar?

Die Sünde, für die Max dann in der Hölle schmoren würde, wäre Mangel an Vorsicht und Vernunft. Doch für diese Sünden interessiert sich der (traditionelle) Teufel nicht. Lou müsste es doch eigentlich um die Seele von Max gehen, das heißt um ein Verderben ihrer Reinheit. Und davon kann ich hier nichts sehen.

Falls Du das in den Kommentaren schon geschrieben hast, bitte ich um Entschuldigung. Ich schaue da gleich mal durch.

Das Grundproblem mit Geschichten in denen Gott und Teufel vorkommen, ist meiner Ansicht nach, dass es schwierig wird, all dem in Jahrtausenden angereicherten Bedeutungswust noch etwas Originelles abzugewinnen. Deshalb frage ich mich, ob die Geschichte ohne diesen Bezug nicht vielleicht eine bessere wäre. Was meinst Du? Was würde der Text verlieren, wenn Lou nicht der Teufel wäre?

Trotz der Kritik sehr gern gelesen. Hoffe auf mehr in dieser Art.

Beste Grüße
Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Achillus,

du hast dich sehr ausführlich und konstruktiv mit meiner Geschichte auseinandergesetzt, und dafür will ich mich ehrlich bedanken. Überhaupt wollte ich dir schon lange einmal sagen, wie sehr ich die Kompetenz und Seriosität in deinen Kommentaren schätze.
(edit: aktuelles Beispiel, eben gelesen: dein Kommentar zu Perditas Purgatorium. Respekt, Achillus!)

Achillus schrieb:
Fasst man die sprachlichen Schwächen (nur nach meinem Empfinden) in einem Wort zusammen, dann ist das Problem Inkonsistenz. Wenn Du einen hart-herzlichen Text wie diesen schreibst, dann fallen süßliche oder altväterliche Wendungen sofort auf. Mach es herber, wäre meine Empfehlung.
Dass ich deine Kritik nicht in allen Punkten annehmen kann, vor allem was das Stilistische betrifft, liegt möglicherweise daran, dass wir verschiedenen Generationen angehören, bzw. an meinem zeitweiligen Hang zu sprachlichen Manierismen. Aber das ist halt wirklich eine Sache des individuellen Sprachempfindens, wie weit man sich auf so was einlassen will und kann.
Den einen Satz z.B., den du so pointiert auf die Schaufel genommen hast:

Ein Satz mit Ballettschuhen und einem Röckchen.
zitierte auch – der mit dir gleichalte - markus in seinem Kommentar, allerdings mit den Worten:

M. Glass schrieb:
Ich wollte den Satz einfach mal tippen, weil er so schön ist!
Nicht das ich über deine Anmerkungen nicht nachgedacht hätte, aber wie gesagt ist das wohl großteils Geschmackssache. Auf jeden Fall aber nehme ich den Vorwurf der Inkonsistenz ernst, weil ich die bisweilen selbst in meinen Texten spüre, sie aber noch nicht wirklich in den Griff bekomme.

Das Grundproblem mit Geschichten in denen Gott und Teufel vorkommen, ist meiner Ansicht nach, dass es schwierig wird, all dem in Jahrtausenden angereicherten Bedeutungswust noch etwas Originelles abzugewinnen. Deshalb frage ich mich, ob die Geschichte ohne diesen Bezug nicht vielleicht eine bessere wäre. Was meinst Du? Was würde der Text verlieren, wenn Lou nicht der Teufel wäre?
Das ist eine berechtigte Frage und ich habe mir jetzt auch noch einmal den Kopf darüber zerbrochen.
Aber wenn man ehrlich ist, wird Lou ja kein einziges Mal in der Geschichte explizit als „der Teufel“ bezeichnet. Einzig sein eigenartiges Geschwafel, welches aber ohnehin sofort wieder relativiert wird („Ach was, ich verarsch dich doch nur.“), und diese Stelle:

Lou, zieh verdammt noch mal nicht so am Biwaksack. Der gehört dir nicht alleine.“
„Wie hast du mich gerade genannt?“
„Was?“
„Ach, vergiss es.“
können als winziges Indiz gesehen werden. Ja, und eventuell der Titel. Aber darüber hinaus ist es doch einzig Sache des Lesers, wie er die Figur des Lou und dessen Verhalten interpretiert, ob er ihn als leibhaftigen Herrseibeiuns sieht oder als Verrückten oder nur als Wahnvorstellung von Max. Insofern sehe ich das einfach als wesentliches, weil leicht irritierendes Element der Geschichte.
Ob ich mir den Text noch einmal vornehme, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber alle deine Anmerkungen, Achillus, betrachte ich als äußerst hilfreich, ähnlich denen von Fliege und Andrea H. unter meiner Pepe-Geschichte. Ihr bringt mich dazu, mein Schreiben zu reflektieren und zu hinterfragen, und das ist doch das beste, was mir passieren kann.

Vielen Dank, Achillus, für deine Gedanken.

offshore

 

Hallo ernst,

tolle Geschichte, hat mir sehr gefallen. Wieder einmal wird der Empfehlungsbutton schmerzlich vermisst.

Ich hab selbst überhaupt keine Affinität zum Bergsteigen, aber wenn Leute darüber schreiben, kommen oft superspannende Geschichten heraus. "In eisige Höhen" ist eines meiner liebsten nicht belletristischen Bücher.

Außerdem fand ich die Figur von Lou hier sehr interessant, weil du etwas neues, originelles aus ihm rausgeholt hast. Der hat ja überhaupt keinen Charme, den man von dieser Sorte Verführer eigentlich erwartet. Der ist von Anfang an unsympathisch. Lässt einfach die Berge seine Arbeit machen. :)

Ein paar Textkleinigkeiten:

Jeder, der mit Lou kletterte, war zu langsam für den, aber trotzdem …
war für den zu langsam klingt tatsächlich besser für meine Ohren

Schon nach wenigen Seillängen seien sie sich furchtbar in den Haaren gelegen,
hätten sie sich in den Haaren gelegen ... zumindest nach meinem Gefühl

„Lou, zieh verdammt noch mal nicht so am Biwaksack. Der gehört dir nicht alleine.“
„Wie hast du mich gerade genannt?“
:thumbsup:
Meine Lieblingsstelle.

Aus den Ohrhörern dröhnte noch immer Henry Rollins und seine Stimme klang wie die von Lou.
Ich weiß, Ohrhörer gibt es, aber ich finde das Wort so doof. Könnten es nicht Kopfhörer sein? :)

Grüße von Perdita

 

„Alter, auf die Art kommen wir nie rauf.“

Im 23. Jahr seines Lebens schreibt Camus am Sisyphos und dem Fremden, doch gegen die Absurdität (menschlichen) Lebens hilft nur der Mensch in der Revolte. Es geht, wie so oft – oder doch immer? - in Deinem Werk,

lieber ernst -
da hätt ich vor lauter Hügeln dieses Kleinod übersehn -,

ums einfache Glück [wie hier unterm (möglichst) blauen Himmelszelt, symbolisiert im Biwak.] Wenn wir 40 Tage und Nächte fasten (Matth. 4,2) und kein Schoko-Riegel dem vorgeschoben werden kann, dann werden wir nicht nur hungern, sondern auch halluzinieren, dass der Verführer an uns tritt und weiß der Teufel was alles verspricht. „Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ (Matth. 4, 8 f.) Satan [hebr.: Widersacher, in summa Verführer, Verderber, aber auch: Ankläger] heißt hier Lou [hlut (ahd. = laut; wic/wig = Ringen, Kampf, Krieg, die Spur des ersten Namensträgers war blutig, bis er sich buchstäblich von seiner Chlothilde bekehren ließ] und stellt seinen „Mäx“ auf die Probe – nicht ohne in seiner großen Rede einige Schnitzer zu hinterlassen:

„Saugeil, ja, so[…]was dachte ich mir schon …: Vor vielen Jahren führte ich einmal einen Mann auf einen Berg, ich weiß nicht […] mehr, wie der Berg hieß. Als wir oben waren, deutete ich um mich und zeigte auf die Gipfel, die uns umgaben[,] und die Täler, die dazwischen lagen[,] und auf all das Land ringsum. In den Ebenen wuchsen Bäume, die reichlich Früchte trugen[,] und auf den Feldern gedieh das Korn. Die Menschen dort unten gingen ihrem Tagewerk nach und trachteten, ihre Goldstücke zu horten und zu mehren. Doch sie erkannten nicht das Wunder ihres Daseins, weil der eine dem anderen die Magd neidete und den Knecht, die Kuh und den Stier.

However,

gern gelesen vom

Freatle,
der jetzt gleich Velvet Underground im Olymp auflegt mit dem lebendigen Lu(dwig) Ried

 
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Servus Max,

Max erzaehlt schrieb:
Schließlich ging mir auch das Ende zu schnell: Zweifel, Überzeugung, Scheitern, das hätte für mich eigentlich den Kern der ganzen Geschichte bilden müssen. Vielleicht hätten die eingängigen Naturbeschreibungen dort sogar besser gepasst. Dann hätten sie nicht die Kälte von Lou, sondern eher die Lebenslust von Max, der Hauptfigur, unterstrichen. Das hätte dann einen starken Kontrast zu seinem Tod gebildet. Der Leser hätte noch einmal tief in die Haut der Figur schlüpfen, die Welt durch ihre Augen sehen können, mit ihr gehofft und wäre dann mit ihr gestorben. Dieser Effekt ist durch den chronologischeren, ausgewogenen Rahmen von Dir nicht so stark, finde ich.

da steckt viel Kluges und Bedenkenswertes in deiner Kritik und ich werde mir das in aller Ruhe noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Vermutlich werde ich an dieser Geschichte aber nicht so bald noch etwas ändern, glaube ich. Ich ruhe mich jetzt einfach mal auf den Lorbeeren aus, die mir die Vorkommies so eifrig … äh, gestreut(?) aufgesetzt(?) haben. Egal.

Vielen Dank jedenfalls für deine intensive Auseinandersetzung mit dem Text.

Perdita schrieb:
tolle Geschichte, hat mir sehr gefallen. Wieder einmal wird der Empfehlungsbutton schmerzlich vermisst.
Perfektes Timing, Perdita. Nach Max‘ Kommentar kam mir der deine gerade recht. Vielen Dank für dein vorbehaltloses Lob.

Schon nach wenigen Seillängen seien sie sich furchtbar in den Haaren gelegen,
hätten sie sich in den Haaren gelegen ... zumindest nach meinem Gefühl
Na ja, ich bin Österreicher, Perdita. Wir sagen: „Wir sind auf dem Sessel gesessen, wir sind im Bett gelegen.“ usw.
Im Bett (bzw. Sich in den Haaren) gelegen haben klingt für mich einfach nicht richtig.

Ich weiß, Ohrhörer gibt es, aber ich finde das Wort so doof. Könnten es nicht Kopfhörer sein?
Ich finde das Wort auch bescheuert, aber Kopfhörer sind nun mal definitiv was anderes. Vor allem passen sie nicht unter einen Kletterhelm.

Vielen Dank, Perdita.

PS (Quasi Bonustrack):

Perdita schrieb:
Ich hab selbst überhaupt keine Affinität zum Bergsteigen, aber wenn Leute darüber schreiben, kommen oft superspannende Geschichten heraus. "In eisige Höhen" ist eines meiner liebsten nicht belletristischen Bücher.

Dir, Perdita, und allen anderen, die nicht nur spannende, sondern auch literarisch hochklassige (Bergsteiger-)Lektüre schätzen, möchte ich eines meiner Lieblingsbücher ans Herz legen:

In der Wand von James Salter (engl. Originaltitel: Solo Faces)

Ein wunderbar komponiertes Buch, das die Leser an Camus erinnern wird. Der Roman selbst ist ein Beispiel für die Reinheit, die er schildert.
(Michael Dirda, Washington Post)

Ein phantastischer Roman – unwiderstehlich, traurig, weise und human. James Salters Prosa ist von seltener Schönheit.
(John Irving)

Dies ist ein schöner, trauriger, ja tragischer Roman über die Art, wie Männer sich selbst erproben. Und über die Gründe, warum sie es tun.“
(Margaret Manning, Boston Globe)

Friedel, du treue Seele!
Seit meinem Debüttext vor zwei Jahren kämpfst du unermüdlich gegen meine hartnäckige Anfälligkeit für die immer selben Fehler. (sowas, nochmal, et al) Du musst ja schon denken, ich mache das dir zu Fleiß. Tu ich aber nicht, ehrlich, mir scheint, ich bin wirklich so dämlich.
Dass du die Geschichte mochtest und sie dich obendrein dazu verführte, dir wieder einmal die grandiosen Velvet Underground anzuhören, freut mich umso mehr.

Vielen Dank, Friedel.

 

Hallo ernst,

sag mal:

„Camus, na und? Wen juckt’s. … Gib mir lieber noch ein Stück Schokolade.“

„Du lässt Schokolade unten und schleppst stattdessen ein verdammtes Scheißbuch mit? Soll das ein Witz sein?“

Dein Einstieg war mir ja gleich unheimlich, obwohl ich da noch gar nichts von Luzifer ahnte, denn diese Zitate könnten direkt aus meinem Mund kommen. Dein Max gefiel mir also schon nach den ersten paar Sätzen.

Vieles, dass ich dir zur Geschichte gerne sagen möchte, wurde hier sicher schon kommentiert, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du für derartige Wiederholungen ganz locker ein Auge zudrücken kannst.
Schöne Geschichte, wie immer spricht daraus wieder viel Leidenschaft und Erfahrung. Deine detaillierten und bildhaften Beschreibungen sind ein Indiz dafür, dass in dir ein ebenso erfahrener Kletterer steckt. Ein Laie auf dem Gebiet könnte das trotz gewissenhafter Recherche so nicht hinbringen, denn diesem fehlt die Leidenschaft hierfür, die persönliche Nähe zu dem, was du uns in deinen Geschichten rüberbringst. Für mich wird das zum Beispiel hier ganz deutlich:

Wie gemeingefährlich irre hätte ein Typ also sein müssen, überlegte sich Max, dass er abgelehnt hätte, wenn der ihn in an den Crozpfeiler mitnehmen wollte? Vermutlich wäre er einem buckligen, stotternden Schwachsinnigen hinterhergelaufen, hätte der nur auf die Jorasses gezeigt und ihm eine Hand gereicht.
Wie hätte er ablehnen können?

Du schaffst es, uns zu überzeugen, warum Max unbedingt raufklettern möchte, obwohl du doch ein paar Zeilen zuvor in der Person von Raffaele noch genauso glaubhaft rüberbringst, warum man denn absolut nicht mit Lou klettern sollte.

Oder hier:

Leistete er jetzt etwa Abbitte beim Berg, weil er ihm mit den Steigeisen den Fels zerschrammte, ihm die Eisbeile in die Flanken hieb und ihm Haken zwischen die Rippen drosch? Wollte er sich gar den Berg gewogen machen?

Ich habe es dir in einer deiner früheren Geschichten schon gesagt, aber du hast eine besondere Gabe dafür, Dinge zu vermenschlichen. Da ist ein Berg nicht einfach mehr nur ein riesiges Stück lebloser Fels, sondern der hat auf einmal menschliche Züge und Gefühle und ich als Leser möchte beinahe schreien: "Halt, tu ihm doch nicht weh!" bevor ich wieder realisiere, dass du einfach nur von einem Berg sprichst.

Lou war weg! Mutterseelenalleine kauerte Max auf dem schmalen Sims.

Lou ist schon weg? Das ist der einzige Kritikpunkt, den ich habe. Mir ist das etwas zu schnell gegangen, ich hätte mir da noch ein bisschen mehr Lou gewünscht. Oder einen etwas lauteren (teuflischeren) Abgang. Nicht einfach ohne jegliches Wort zu verschwinden.

Max fiel ins Leere.

Leider wieder ein tragisches Ende. Aber es hat sich zumindest abgezeichnet, denn egal ob noch weiter rauf oder runter, du hast uns vorgewarnt, dass es eigentlich keinen Ausweg mehr gibt. Und das trotz allem Überlebenswillen.

Wieder einmal ein besonderes Lesevergnügen für mich. Aber du weißt ja bereits, dass du mit Berggeschichten meinen Geschmack triffst. Und jetzt werde ich mich rasch an der Milka-Tafel vergehen.

Gruß,
rehla

PS: Und wovon steckt eigentlich mehr in dir: Lou oder Max?

 
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rehla schrieb:
Aber du weißt ja bereits, dass du mit Berggeschichten meinen Geschmack triffst.
Klar weiß ich das, rehla, und in Wahrheit habe ich diese Geschichte ja nur für dich geschrieben. Ich wollte dich einfach wieder aus deinem abgelegenen Gebirgstal hervorlocken, in dem du jetzt beinahe ein halbes Jahr lang verschwunden warst. Und ich finde es toll, dass mir das gelungen ist. Ich habe dich nämlich vermisst hier im Forum, ehrlich.
Und weil mir das, was mir bei dieser Geschichte ursprünglich eigentlich vorgeschwebt ist, nämlich einen radikalen Gegenentwurf zur herkömmlichen Bergsteigerliteratur zu schreiben, für mein Gefühl noch nicht wirklich gelungen ist, darfst du dir ernsthafte Hoffnungen machen, dass ich mich (irgendwann) dieses Themas wieder annehme.

Leider wieder ein tragisches Ende.
Und zur Abwechslung könnte ich ja den Protagonisten einmal mit dem Leben davonkommen lassen. Dir zuliebe.

Und wovon steckt eigentlich mehr in dir: Lou oder Max?
Ich glaube, du ahnst es ohnehin, rehla.

Vielen Dank fürs Lesen und das Lob.

offshore

 
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Nabend. Ich muss zugeben, dass ich eigentlich nicht so der Fan der Natur und Naturgeschichten bin ... eher so der Großstädte, aber das ist eine andere Geschichte. Bergsteigergeschichten bilden da jedoch eine kleine Ausnahme. Ich mag dieses romantische Bild von großem Berg und kleinem Menschen etc. Ob das Kriterium genug gewesen wäre, deine Geschichte auch bis zum Ende zu lesen, weiß ich nicht.
Was mich jedoch ziemlich überzeugt hat, war deine Sprache. Die Art, wie die Geschichte geschrieben ist, finde ich großartig. In meinen Augen strotzt deine Sprache vor Intelligenz. Und damit meine ich keine philosophie-kauderwelsch-mäßige Intelligenz, die nur diejenigen verstehen, die als Kinder in einen Literaturtopf gefallen sind, sondern eine wahnsinnig natürliche, klare Intelligenz. Es hat mich irgendwie zum weiterlesen animiert, weil Satz für Satz in meinem Kopf ziemlich ästhetisch klang.

Vollständig hattest du mich dann bei BlackFlag...

Eigentlich, finde ich, wurde von meinen Vorrednern schon alles gesagt, was hätte gesagt werden sollen. Eine Sache gäbe es da nur noch ... Ich bin irgendwie wahnsinnig schlecht darin, irgendwelche Symbole, Vergleiche, Interpretationen etc. zu 'entdecken'. Für mich war Lou nicht der Teufel, darauf wäre ich nie gekommen. Ikarus und Raffael lass ich hier deswegen auch erst recht weg.
Nicht einmal

Weitere Inspirationen aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 4
hat mich in irgendeiner Weise an irgendetwas denken lassen und ich hätte Lou lediglich für ein Arschloch gehalten, das sich in der Nacht eben aus dem Staub gemacht hat. Gut, die Stelle, wie er MÄx (das habe ich verstanden) fragte, wie er ihn gerade nannte, fand ich etwas verwirrend, aber da kaum weiter darauf eingegangen wurde, dachte ich mir auch nichts mehr weiter dabei...
Was mich wiederum sofort stutzig gemacht hat - und aus irgendeinem Grund finde ich es komisch, dass darüber noch niemand was gesagt hat (evtl. habe ich was überlesen) - war die Schokolade. Wieso Schokolade? Gehört sowas dazu, wenn man Bergsteigen geht? Mir würden spontan 10 Sachen einfallen, die ich Schokolade vorziehen würde. Am Anfang dachte ich, dass das eine Umschreibung fürs Kiffen wäre. Beziehungsweise als deren Wort für Haschisch eben. Dass die beiden eventuell einen rauchen wollten, um den grandiosen Himmel besser genießen zu können und dann noch die Erwähnung der selbst gedrehten Zigarette.... hätte für mich alles zusammengepasst. Als die Schokolade dann nochmal erwähnt wurde, war dieses Bild jedoch dahin, weil wer denkt schon ans Kiffen, wenn er an einer Bergwand hängt?! Beziehungsweise, wer denkt an Schokolade, wenn er an einer Bergwand hängt? Ist das einfach so ein Ding, das du da so zum Spaß reingepackt hast, oder denken Bergsteiger wirklich regelmäßig an Schokolade?
zash

 
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zash schrieb:
Eigentlich, finde ich, wurde von meinen Vorrednern schon alles gesagt, was hätte gesagt werden sollen. Eine Sache gäbe es da nur noch ... Ich bin irgendwie wahnsinnig schlecht darin, irgendwelche Symbole, Vergleiche, Interpretationen etc. zu 'entdecken'. Für mich war Lou nicht der Teufel

Na ja, zash, Lou wird ja auch an keiner Stelle der Geschichte explizit als der Teufel bezeichnet, einzig sein etwas seltsames Verhalten, bzw. ein paar versteckte Hinweise erlauben diesen Schluss. Raffaele z.B. sagt von ihm, er klettere "teuflisch" schnell, „Scheiß auf die Sterne" (den Himmel?), sagt Lou selbst, usw., und "Lou, zieh ver..." ist vielleicht nur ein Missverständnis, wer weiß ...
Also ich hab das ganz bewusst bei diesen wenigen, rätselhaften Andeutungen belassen und mehrere Kommentatoren mochten gerade diesen Interpretationsspielraum, den ich ihnen damit ließ. Ist Lou nun tatsächlich der leibhaftige Herrseibeiuns oder schlicht ein verrückter Exzentriker? Dematerialisiert er sich wirklich oder stürzt er einfach ab? Oder ist er gar nur eine Wahnvorstellung von Max? Vermutlich ist mir das selbst nicht ganz klar …

Wieso Schokolade?
Ich fand’s witzig, dass du dir den Kopf über einen eventuellen Hintersinn der Schokolade zerbrochen hast. Da steckt nämlich wirklich kein Geheimnis dahinter. Gar keines. Es handelt sich schlicht um ganz gewöhnliche Schokolade. Wunderbare, süße, bittere, zartschmelzende, kleinste Mengen von Endorphinen enthaltende, glücklichmachende Schokolade …

Was mich jedoch ziemlich überzeugt hat, war deine Sprache. Die Art, wie die Geschichte geschrieben ist, finde ich großartig. In meinen Augen strotzt deine Sprache vor Intelligenz. Und damit meine ich keine philosophie-kauderwelsch-mäßige Intelligenz, die nur diejenigen verstehen, die als Kinder in einen Literaturtopf gefallen sind, sondern eine wahnsinnig natürliche, klare Intelligenz. Es hat mich irgendwie zum weiterlesen animiert, weil Satz für Satz in meinem Kopf ziemlich ästhetisch klang.
Und wie Schokolade ist dieses Lob für mich.
Vielen Dank, zash.

offshore

 
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Hallo Ernst Offshore!

Nach der Nordwand nun der zweite Bergsteiger- nein, eher Klettertext, den ich von dir gelesen habe. Ich schließe mich der Mehrheit der Vorkommentatoren an: Das ist eine spannende, mitreißende Geschichte, die inhaltlich und sprachlich überzeugt. Im Grunde genommen gibt es da nix zu meckern und man könnte sie lassen wie sie (jetzt) ist. Dennoch hätte sie mir noch besser gefallen, wäre sie im Präsens verfasst. Probier mal die ersten paar Absätze, ich habe das vorhin probeweise gemacht.

Und dann gibt es noch ein paar Kleinigkeiten, die ich unterhalb herauszitiert habe:

... ging auf wie ein zahnloser Reißverschluss

Ein zahnloser Reißverschluss ist kein Reißverschluss und kann daher nicht aufgehen, weil er sich nie schließen ließe. Zutreffender fände ich: ein kaputter Reißverschluss.

Im Gegenteil, seit Max ihn Ende Juli kennengelernt hatte, zog Raffaele mit dem mittlerweile dritten Mädchen herum, eines blonder und hübscher als das andere, deutsche oder australische Rucksack-Touristinnen, die seinem italienischen Charme einfach nichts entgegenzusetzen wussten.

Das klingt für mich so, als wäre es die vorherrschende Aufgabe eines Mädchens, dem Charme eines Burschen unbedingt etwas entgegensetzen zu müssen.
Warum nicht: ... die diesem Charme verfielen?

Er könnte hier sitzenbleiben und heulen wie ein Mädchen.

... sie könnten gemeinsam die Aiguille Verte machen, sobald das Wetter stabil sei, oder die Blaitiere-Ostwand, ganz entspannt.
Irgend so einen Mädchenkram halt. Soll ja Spaß machen“,

In Passagen wie oberhalb zitiert, bricht wohl der kleine Macho bei dir durch, Ernst, was?
Merke: Es soll Mädchen geben, noch dazu hübsche, die diese berühmte Wand, um die es in deiner Geschichte geht im Alleingang und zudem im Winter gemacht haben. Ich nenne hier Catherine Destivelle, 1993. ;)

Der tendenziöse Mädchenkram ebenso wie das Mädchengeheule könnten entfallen, mAn. Lass ihn doch männlich heulen, deinen Helden, wenn es schon sein muss.

... schoss der Haken aus dem Riss.
Und nichts mehr war wie vorher.

Hier erlaube ich mir, den Vorschlag zu machen, den zweiten Satz wegzulassen. Er ist schlicht überflüssig.

Jeder, der mit Lou kletterte, war zu langsam für den, aber trotzdem …

Und zu guter Letzt noch ein Vorschlag, zumal ich las, dass dir dieser Satz ohnehin nicht gefällt. Mir übrigens auch nicht.

Vorschlag: Jeder, der mit Lou kletterte, war ihm zu langsam, aber trotzdem ...

Lieben Gruß,
Manuela :)

 
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Manuela K. schrieb:
Das ist eine spannende, mitreißende Geschichte, die inhaltlich und sprachlich überzeugt. Im Grunde genommen gibt es da nix zu meckern …
Baam, Oida, würde maria vermutlich sagen.

… und man könnte sie lassen wie sie (jetzt) ist. Dennoch hätte sie mir noch besser gefallen, wäre sie im Präsens verfasst. Probier mal die ersten paar Absätze, ich habe das vorhin probeweise gemacht.
Du wirst lachen, Manuela, ursprünglich wollte ich die Geschichte - wie ich’s ja auch schon bei Nordwand getan habe - im Präsens schreiben, weil für mein Gefühl das Geschehen viel unmittelbarer und dadurch eindringlicher wirkt.
Dann hab ich mich aber daran erinnert, dass ich schon bei der Nordwand-Geschichte Probleme mit den Rückblenden hatte.

Grammatikalisch korrekt - oder müsste es hier grammatisch heißen? Keine Ahnung - müsste in einer Präsens-Geschichte eine Rückblende im Perfekt stehen, oder? So hab ich‘s zumindest vor tausend Jahren in der Schule gelernt. Aber das Perfekt klingt aufgrund der vielen Hilfsverben, genauso wie das PQP bei im Präteritum erzählten Geschichten, auf Dauer halt ziemlich scheiße. Erzähltechnischen Konventionen entsprechend wechselt man bei im Präteritum verfassten Texten üblicherweise sehr schnell, sobald klar ist, dass es sich um eine Rückblende handelt, vom Plusquamp klammheimlich zurück ins Präteritum.
Aber wie ist das nun bei im Präsens erzählten Geschichten? Ich kann für eine Handlung, die zurückliegt, ja nicht gut das Präsens verwenden, oder? Müsste ich da durchgehend in der Perfektform bleiben?
Bei Nordwand stand ich vor demselben Problem und schrieb die Rückblenden dann einfach im Präteritum, ich habe aber nach wie vor das Gefühl, das sei nicht ganz korrekt und mein Deutschlehrer drehte sich im Grab um, wüsste er davon.
Vielleicht kann mir ja wer, der schlauer ist als ich, was Erhellendes dazu sagen.

Ein zahnloser Reißverschluss ist kein Reißverschluss und kann daher nicht aufgehen, weil er sich nie schließen ließe. Zutreffender fände ich: ein kaputter Reißverschluss.

Verdammt, da hast du natürlich recht, Manuela. Das hab ich echt nicht bedacht. (Aber eigentlich bräuchte es überhaupt kein zusätzliches Attribut, weil „Aufgehenkönnen“ ja sowieso eine einem Reißverschluss immanente Eigenschaft ist, Ich hab’s gestrichen.)

Und zu guter Letzt noch ein Vorschlag, zumal ich las, dass dir dieser Satz ohnehin nicht gefällt. Mir übrigens auch nicht.

Jeder, der mit Lou kletterte, war zu langsam für den, aber trotzdem …
Vorschlag: Jeder, der mit Lou kletterte, war ihm zu langsam, aber trotzdem ...
Du hattest offenbar eine ältere Version vor dir, die Syntax des Satzes hab ich nämlich schon vor einiger Zeit geringfügig verändert:

Herrgott, er wusste, dass er langsam war. Jeder, der mit Lou kletterte, war für den zu langsam,
Dein Vorschlag, „für den“ durch „ihm“ zu ersetzen gefällt mir nicht recht, weil es sich, vor allem im Kontext mit dem Satz davor, zu wenig eindeutig auf Lou bezieht.

Warum nicht: ... die diesem Charme unterlagen?
Hier erlaube ich mir, den Vorschlag zu machen, den zweiten Satz wegzulassen. Er ist schlicht überflüssig.

Beide Vorschläge kann ich im Grunde nachvollziehen. Ich brauche aber vermutlich noch ein paar Tage (Wochen?), um sie umzusetzen … Momentan habe ich einfach noch zu wenig Abstand zur Geschichte.

Vielen Dank, Manuela, für deinen schönen Kommentar.

offshore

PS

In Passagen wie oberhalb zitiert, bricht wohl ein wenig der kleine Macho bei dir durch, Ernst, was?
Würde ich so nicht sagen, Manuela. Die Geschichte ist ja aus der personalen Perspektive von Max erzählt und ich als Autor habe ja keinen Einfluss auf seine Empfindungen, und schon gar nicht auf die Ausdrucksweise seines Kumpels Raffaele.

Es soll Mädchen geben, noch dazu hübsche, die diese berühmte Wand, um die es in deiner Geschichte geht im Alleingang und zudem im Winter gemacht haben. Ich nenne nur Catherine Destivelle, 1993.
… und z.B. Lynn Hills freie Begehung der legendären Nose 1993 konnte meines Wissens erst fünf Jahre später von einem Mann wiederholt werden. Solche Leistungen haben meine vorbehaltlose Hochachtung, egal ob von einer Frau oder einem Mann erbracht. Nein, Manuela, eines überheblichen, kleingeistigen Machotums halte ich mich für unverdächtig.
(Und zum Thema Geschlechterrollenklischees werde ich dir beim nächsten Stammtisch noch erzählen, wie Klein-offshore als Zehnjähriger(!) auf der Nähmaschine(!) seiner Mutter für den Teddybären seiner kleinen Schwester einen Anzug(!) nähte.)

 
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Hallo offshore,

Grammatikalisch korrekt - oder müsste es hier grammatisch heißen? Keine Ahnung - müsste in einer Präsens-Geschichte eine Rückblende im Perfekt stehen, oder? So hab ich‘s zumindest vor tausend Jahren in der Schule gelernt. Aber das Perfekt klingt aufgrund der vielen Hilfsverben, genauso wie das PQP bei im Präteritum erzählten Geschichten, auf Dauer halt ziemlich scheiße. Erzähltechnischen Konventionen entsprechend wechselt man bei im Präteritum verfassten Texten üblicherweise sehr schnell, sobald klar ist, dass es sich um eine Rückblende handelt, vom Plusquamp klammheimlich zurück ins Präteritum.
Aber wie ist das nun bei im Präsens erzählten Geschichten? Ich kann für eine Handlung, die zurückliegt, ja nicht gut das Präsens verwenden, oder? Müsste ich da durchgehend in der Perfektform bleiben?
Bei Nordwand stand ich vor demselben Problem und schrieb die Rückblenden dann einfach im Präteritum, ich habe aber nach wie vor das Gefühl, das sei nicht ganz korrekt und mein Deutschlehrer drehte sich im Grab um, wüsste er davon.
Vielleicht kann mir ja wer, der schlauer ist als ich, was Erhellendes dazu sagen.
weder schlauer noch erhellend, aber ich würde bei der Rückblende einer Präsens-Geschichte Perfekt-Präteritum-Perfekt verwenden. Das Präteritum gibt es ja im Süddeutschen überhaupt nicht und ist nur eine zusätzliche Form der Vergangenheit beim Schreiben. Hacke hat z. B. in seiner Geschichte "Unter Tage" bei der Rückblende nur das Präteritum verwendet und ich fand das ohne Perfekt auch perfekt gelungen. Auf keinen Fall Präsens in der Rückblende solcher Präsens-Geschichten. Man hätte noch den Vorteil eine Vorrückblende im Plusquamperfekt zu erzählen. Der andere Name des Präteritums "Imperfekt" deutet ja schon an, dass man es im Perfekt verwenden kann.
Viele Grüsse
Fugu

 
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Danke, Fugu, für deine Gedanken.
Ich habe jetzt noch ein wenig über das Problem des Tempusgebrauchs nachgedacht und glaube schön langsam, dass man sich über die verschiedenen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln gar nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen sollte, dass es allemal besser ist, auf Intuition und das eigene Sprachgefühl zu hören.
Übrigens habe ich die Geschichte - den Rat von Manuela beherzigend - nun kurzerhand ins Präsens transformiert und dabei in den Rückblenden jeweils die Zeitform gewählt, die mir gerade passend erschien (Sowohl Perfekt und Präteritum, als auch PQP)
So, jetzt werde ich mir die Geschichte noch einmal durchlesen und versuchen, die verdammten Bugs zu entdecken, die sich bei der Überarbeitung sicherlich wieder eingeschlichen haben.

 

Hi ernst -

ich mag deine Geschichte - echt absolut genial! Eigtl. bin ich ja eher einer der dunklen grauen Schwarzleser, die sich unregistriert durch Foren schleichen und in fremden Gedanken suhlen, aber hin und wieder kann man ja ne Ausnahme machen ;)
Einstieg fand ich prima, vor allem die Schokolade - aber ich mag auch Spinner, die ihre Gespräche mit Camus, Nietzsche, Schopenhauer und Goethe würzen. Dann macht das Reden doch gleich viel mehr Spaß!

Du hast ja das Tempus gedreht - und da sind mir zwei Sachen am Anfang aufgefallen:

Ihm ist, als stürzte er nach oben, als risse es ihn aus der Wand geradewegs hinauf ins All
Hier müsstest du auch im Präsens bleiben, kommt mir so vor; also: ... als stürze er nach oben, als reiße es ...

Hier musste ich aber stocken:

„Geh nicht mit diesem Spinner“, hat Raffaele ihn vor ein paar Tagen noch gewarnt, „der ist total verrückt. Echt schnell und unheimlich stark, das schon, verteufelt schnell, aber er ist vollkommen meschugge. Ein durchgeknallter Ami halt. Lass den seinen Scheiß doch alleine machen.“
Es mache einfach keinen Spaß, mit Lou zu klettern, Raffaele sei das im Juni am Grand Capucin schnell klar geworden, das Lachen sei ihm sehr bald vergangen. Schon nach wenigen Seillängen seien sie sich furchtbar in den Haaren gelegen, und die Gefahr, sich gegenseitig etwas anzutun, sei bald größer gewesen, als sich am Fels einen Fingerknöchel aufzuschürfen. Sie hätten dann kurzerhand - „schweigend“, hatte Raffaele betont, „vollkommen wortlos“ - das Material aufgeteilt, er, Raffaele, habe sich wieder zum Gletscher abgeseilt und Lou sei alleine weiter, habe dann nur hundert Meter unter dem Gipfel einen Wettersturz aussitzen müssen, dreißig Stunden lang, und als sie sich kurz darauf im Nash über den Weg liefen, - „ohne uns in die Augen zu schauen“ - habe Lou noch immer mehr tot als lebendig ausgesehen. Aber geschehen sei ihm nichts, diesem Helden. Vergönnt hätte ihm Raffaele sonst was, dem blöden Coglione.
Kann sein, dass es nur mir so vorkommt, aber ich finde, dass dieser förmliche Konjunktiv in der IR nicht so richtig reinpassen will. Du schreibst ja durchgehend mehr oder weniger aus der Sicht von Max/Mäx, der - wie jemand weiter oben schon meinte - mit dem Erzähler zeitweise beinah verschwimmt. Und dann dieses Förmliche, hmmm. Ich finde, das reißt einen fast ein bisschen raus; die Sprache in der Geschichte ist nämlich richtig, richtig gut, weil so natürlich - fast wie die Umgebungsbeschreibung ;) (die übrigens auch mich - wie alle anderen - verzaubert hat).
Ich würd dir gern raten, den Konjunktiv II oder so zu verwenden; damit sichs nicht mehr so überkorrekt wie in einem Schulaufsatz anhört. Bleibt aber dir überlassen - kann gut sein, dass ich da auch einfach nur empfindlich bin :)

Raffaele hat leicht reden, der hängt seit Mai in Chamonix herum, holt sich einmal im Monat einen Scheck seines Vaters vom Postamt und braucht ansonsten nichts weiter zu tun, als auf gutes Wetter zu warten.
Raffaele hatte leicht reden? So als letzten Teil vom vorherigen Absatz und dann halt im Präsens weiter; als Überleitung für den Tempuswechsel. Würde glaub ich besser rutschen - .

Irgendwann einmal hat er von nordamerikanischen Indianern gelesen, die Tabakopfer darbringen, bevor sie einen Baum fällten oder einem Karnickel oder einem Lachs ans Leben gehen, sich vorher gar noch entschuldigen bei ihnen für den Kummer und die Schmerzen, die sie ihnen nun bereiten müssten.
fällen? Weil der Rest ja auch Präsens ist.

Max wueiß kaum noch, wie er sitzen soll.
Langsam dämmertihm die Wahrheit.
Der Haken knirschteerbärmlich, als er ihn belastet
Aber der Haken hiält.
Kleine Vertippser.

Ich will jetzt mit den Vorschlägen jetzt keinen kleinen Schlaumeier mimen; aber vllt. gehts dir an manchen Stellen auch so -.

Zum Inhalt kann ich nur sagen, dass ich die Dialoge und die Naturbeschreibungen sowas von gelungen finde, weil so passend. Die zwei Menschen könnten echt miteinander reden (und ich bewundere es, dass das bei dir so klingt! Ich hab noch keinen einzigen Dialog hingekriegt, der sich gesprochen angehört hätte) und wenn man mal aus dem Fenster sieht, merkt man sofort, dass die Natur echt so schön sein kann.
Es gibt noch sooo viele Stellen, die ich einfach nur rausstellen und anstrahlen könnte, weil sie so schön glänzen, aber das haben schon fast alle vor mir gemacht :D

hörte Lou lachen und brüllen - “Willst du dich umbringen, Mäx?“ -
Aber das war definitiv eine von diesen Stellen! (hatte gleich brüllendes Lachen im Ohr - hätte irgendwie auch zu Lou gepasst)

Übrigens: Was für mich auch richtig gut funktioniert hat: Die Ausarbeitung von Lou - wie du ihn von Mäx beschreiben lässt:

Lustlos, freudlos und verbissen, als sei er auf einem Kreuzzug nicht nur gegen den Berg, sondern gegen das gesamte Wunder des Universums, und ja, auch gegen sich selbst.
Und dann natürlich, wie er spricht.

Fachbegriffe für mich auch richtig passend. Ich klettere nicht und kenn das Zeuchs nicht wirklich, aber das hat die Geschichte sicher ziemlich vorangebracht, weil eben authentisch.

Und den Handlungsverlauf mochte ich sehr; vor allem die Wandlung von Max, der ja - je höher er kommt - durchaus auch selbst ein wenig diffus im Kopf wird.
Die Geschichte war nicht nur packend, sondern auch richtig gut und schön erzählt.

Danke - hat mir sehr gut gefallen!

Liv.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liv schrieb:
Du hast ja das Tempus gedreht
Ja, Liv, vorgestern erst. Verdammt, hätte ich’s doch besser bleiben lassen. Oder mir zumindest mehr Zeit dafür genommen, anstatt spätnachts direkt im Editor rumzuhacken, wie ich’s tat. Also besoffen war ich nicht gerade, aber trotzdem haben sich dabei offenbar wieder jede Menge Bugs eingeschlichen. Ich hab dann gestern zu Mittag noch mal korrigiert, aber als ich die Ausbesserungen um 12.05 dann speicherte, hattest du die Geschichte schon gelesen und deinen Kommentar geschrieben (um 12.04). Tja, schlechtes Timing.
Überhaupt bin ich mir momentan eh schon wieder unsicher, ob die Umarbeitung eine kluge Entscheidung war. Irgendwie scheint es mir, als käme ich mit diesem Tempus-Kuddelmuddel in einer Präsens-Geschichte einfach nicht zurande, ich weiß echt nicht mehr, was da jetzt falsch oder richtig klingt. Von wegen Intuition.
Am besten wird‘s wohl sein, wenn ich den Text jetzt mal eine Weile liegenlasse und ihn mir irgendwann später in aller Ruhe noch einmal vornehme, mit der nötigen Distanz.

ich mag deine Geschichte - echt absolut genial!
Die Geschichte war nicht nur packend, sondern auch richtig gut und schön erzählt.
Aber dich konnte die Geschichte ja trotzdem begeistern, dir gefiel meine Sprache, die Beschreibungen, die Figuren, ja alles eigentlich, also das ist ja ein beinahe vorbehaltloses Lob von dir und das freut mich natürlich schon sehr. Das ist allemal Motivation, noch ein wenig Arbeit in den Text zu stecken.

Vielen lieben Dank, Liv.

offshore

PS @ Manuela

Manuela K. schrieb:
... schoss der Haken aus dem Riss.
Und nichts mehr war wie vorher.
Hier erlaube ich mir, den Vorschlag zu machen, den zweiten Satz wegzulassen. Er ist schlicht überflüssig.

Du hast recht, Manuela. Ich hab den Satz heute rausgeschmissen.
Hat gar nicht wehgetan.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ernst!

Mach dich nicht verrückt, das ist ein feiner und spannender Text. Die Umwandlung der Zeitform hat ihm gut getan und das Geschehen unmittelbarer und damit auch spannener gemacht. Natürlich ist es schwer vorstellbar, dass Lou so einfach im Biwaksack und mitsamt all seiner Ausrüstung völlig geräuschlos in die Tiefe rauscht, dabei mindestens zwei Standhaken ausreißt, ohne seinen Begleiter aufzuwecken, zumal der Schlaf in der Wand nicht vergleichbar ist mit dem im gewohnten Bett. Ebenso schwer vorstellbar, dass Lou alleine weitergestiegen wäre, weniger aus klettertechnischen Gründen, als wegen der damit ebenfalls verbundenen Geräuschkulisse. Nein, ich interpretiere den Text tatsächlich in die Richtung, dass Lou mit dem Leibhaftigen in Verbindung stand, wenn er es nicht sogar in persona war. Ein teuflischer Verführer, dem es Spaß machte, andere ins Verderben zu locken. Diesen Aspekt, so du beim Schreiben primär daran gedacht hast, hättest du eventuell noch verstärken können, mit der einen oder anderen Andeutung. Aber die Geschichte funktioniert für mich auch so und ich mag es, wenn Texte mehrfach interpretierbar sind.

Ich habe deine Geschichte jetzt erneut gelesen und einiges rauszitiert, das mir noch aufgefallen ist. Nimm, was du brauchen kannst!

Du hast recht, Manuela. Ich hab den Satz heute rausgeschmissen.
Hat gar nicht wehgetan.

Na siehst du. :D


Wen juckt’s. … Gib mir lieber noch ein Stück Schokolade.“

Wenn ich mich nicht irre, sollte der Punkt nach juckt's weg und klein weitergeschrieben werden. Und bitte für Auslassungen das Zeichen oberhalb der Raute-Taste verwenden.

„Scheiße, ist mir kalt … Mach endlich das blöde Licht aus, man sieht ja gar nichts vom Himmel.“

Dito. Klein weiter.

Ihm ist, als stürzte er nach oben, als risse es ihn aus der Wand geradewegs hinauf ins All, hinein in diese funkelnde Unendlichkeit, immer tiefer und tiefer hinein.

Wir sind im Präsens. Also: ... als stürze er nach oben ...

„Sind nur Lichtpunkte, Mäx. … Oben die Sterne, unten der Gletscher. Und wir zwei irgendwo dazwischen, so what? … Scheiß auf die Sterne. Scheiß doch drauf.“

Auch hier wieder. Punkt weg, nach Mäx. Klein weiter. Auslassungspunkte weg, nach "what?" oder klein weiter. Ähh ... wenn ich mich nicht irre. ;)

„Geh nicht mit diesem Spinner“, hat Raffaele ihn vor ein paar Tagen noch gewarnt, „der ist total verrückt. Echt schnell und unheimlich stark, das schon, verteufelt schnell, aber er ist vollkommen meschugge. Ein durchgeknallter Ami halt. Lass den seinen Scheiß doch alleine machen.“
Würde hier im Präteritum schreiben: ... mit diesem Spinner", hatte Raffaele ihn ... gewarnt,

Raffaele hat leicht reden, der hängt seit Mai in Chamonix herum, holt sich einmal im Monat einen Scheck seines Vaters vom Postamt und braucht ansonsten nichts weiter zu tun, als auf gutes Wetter zu warten. Dem läuft nichts davon. Im Gegenteil, seit Max ihn Ende Juli kennengelernt hat, zieht Raffaele mit dem mittlerweile dritten Mädchen herum, eines blonder und hübscher als das andere, deutsche oder australische Rucksack-Touristinnen, die seinem italienischen Charme einfach nichts entgegenzusetzen wissen.

Auch diese Passage besser im Präteritum:

hatte leicht reden, der hing seit Mai in ... holte sich einmal im Monat ... und brauchte ansonsten ...
dem lief nichts davon. ... kennengelernt hatte, zog Raffaele ... entgegezusetzen wussten.

Die Zwischensicherungen flogen ihm eine nach der anderen um die Ohren, die fragilen Verbindungen, die er in der letzten halben Stunde so beherzt wie mühsam zwischen Seil und Fels geschaffen hat, all diese Keile, Messerhaken, Rurps und Copperheads hielten nicht, Stück für Stück löste sich der ganze Krempel aus der Wand, ging auf wie ein müder Reißverschluss.

hatte

Seine Wut ließ ihn die aufgeschlagene Augenbraue vergessen, ließ ihn die Griffe packen, als wolle er den Fels zerkrümeln, er verzichtete auf das Legen der fragwürdigen Sicherungen, hörte Lou lachen und brüllen -

Da gefiele mir der Infinitiv besser, auch wäre der Satz um einen Artikel kürzer. Vielleicht weil ich mit substantivierten Verben ganz allgemein Probleme habe. Ich finde, ein Verb ist am stärksten, wenn es als Verb eingesetzt wird.

... verzichtete darauf, fragwürdige Sicherungen zu legen, hörte Lou ...

Alleine der Gedanke daran sträubte ihm die Haare.

Allein der Gedanke ...


Schon als Junge hatte er von dieser Wand geträumt, und jetzt, da er endlich hier war, musste es mit einem Irren sein. Es war zum Heulen.

Das ginge ohne doppeltem "es" und doppeltem "war".
Schon als Junge hatte er von dieser Wand geträumt, und jetzt, da er endlich hier war, musste es (gemeinsam) mit einem Irren sein. Einfach zum Heulen.

Die Seile, auf denen sie wegen der Kälte hocken, drücken ihm unangenehm in den Hintern, bei jeder Bewegung schmerzt der Klettergurt an den Hüften und die Dauer der Minuten hat sich längst verdreifacht.

Diese Formulierung ist ein wenig unsauber. Die Dauer von Minuten kann sich nicht verdreifachen. Höchstens gefühlsmäßig. Wie sich die Zeit für ihn ziiiieht, könntest du besser bildlich darstellen.


Lous blutverschmiertes Gesicht sieht dabei aus wie sein eigenes.

Das liest sich ein wenig plump. Da fällt dir sicher etwas Besseres, Bildhafteres ein.
"dabei", als Füllwort, ist jedenfalls entbehrlich. ;)


Als er aufwacht, fühlt er sich wie zerschlagen, er spürt jeden Muskel und jeden Knochen, aber er ist froh, zumindest dem Alptraum entkommen zu sein.

Da sind ein paar "er" überflüssig:
Als Max aufwacht, fühlt er sich wie zerschlagen, spürt jeden Muskel und jeden Knochen, ist aber froh, zumindest dem ...

Hoch über ihnen vergolden die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Fels und der Himmel dehnt sich endlos.

Da stimmt etwas nicht. Lou ist längst irgendwohin entschwunden, also ist Max alleine und nicht "ihnen". Würde den Satz überhaupt kürzen:
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergolden den Fels, der Himmel dehnt sich endlos.

Doch sofort erkennt er, dass irgendwas nicht stimmt, dass der Alptraum Wirklichkeit geworden ist und weitergeht.

Du leitest relativ häufig Nebensätze mit "dass" ein. Hier wäre es IMHO ein Leichtes, das zweite "dass" einzusparen, den Satz zu teilen und die Botschaft damit dynamischer zu machen:

Doch sofort erkennt er, dass irgendwas nicht stimmt. Der Alptraum ist Wirklichkeit geworden und geht weiter.

Ist Max gar gestorben, in der Nacht von einem Gehirnschlag hinweggerafft oder einem Herzinfarkt? Und ist dies nun das Leben nach dem Tod?
Dieser Satz stimmt im Tempus nicht. Auch wäre mAn Satzteilung besser.
Vorschlag: Ist Max gar gestorben? Hat ihn während der Nacht ein Gehirnschlag oder Herzinfarkt hinweggerafft? Ist dies nun das Leben nach dem Tod?

Niemals zuvor in seinem Leben ist er sich so alleine vorgekommen, so vollkommen einsam und hilflos, so aus der Welt geworfen, so unbedeutend und klein. Er fühlt sich so verloren und nichtig wie ein Klecks Möwendreck auf dem riesigen Deck eines Schlachtschiffes, ein winziger Fleck auf einem lotrecht stehenden, tausend Meter hohen Schlachtschiff.

"in seinem Leben" ist redundant und kann entfallen.
Das "so" im zweiten Satz ist ebenfalls überflüssig. Komma, nach ... nichtig, wie ein Klecks ...
Auch finde ich diesen Satz zu lang gestaltet. Würde ihn zusammenkürzen.
Vielleicht: ... wie ein Klecks Möwendreck auf dem riesigen Deck eines lotrecht stehenden, tausend Meter hohen Schlachtschiffes.


Kiss or kill … Er ist gut und stark, das weiß er.

Ich denke, hier solltest du klein weiterschreiben, nach den Auslassungspunkten.

Die Abandon im Alleingang, Wahnsinn.

Da sind zwei Gedanken in einem kurzen Satz. Stärke fände ich:
Die Abandon im Alleingang. Wahnsinn!

Mit zittrigen Fingern knabbert er ein Stück Käse, trinkt den Rest des lauwarmen Tees aus der Thermosflasche und fängt dann an, seinen Kram zusammenzupacken.

Mit den Fingern kann man nicht knabbern. Nur mit den Zähnen.

Er würde nicht sterben. Nicht heute. Nicht hier.
Er nicht.

Hier passt der Konjunktiv nicht. Denn er weiß, dass er nicht sterben wird.
Besser: Er wird nicht sterben. Nicht heute. Nicht hier. Er nicht.

Der Riss, dem er gut fünfzig Meter gefolgt ist, hat sich mehr und mehr verengt und verliert sich nun zusehends vor seiner Nase.

Das "vor seiner Nase" wäre überdenkenswert.

Er kämpft und leidet und flucht, bis er spürt, dass seine Unterschenkel zu zittern beginnen wollen.

Die berühmte "Nähmaschine", wie man unter Kletterern sagt. ;)

Aber ich glaube nicht, dass Unterschenkel etwas wollen.
Lass sie doch zittern und streiche das "wollen". Das macht den Satz aktiver.


In wenigen Augenblicken würden ihm die Schuhspitzen abrutschen, das weiß er.

Und auch hier bitte keinen Konjunktiv setzen.
... werden ihm die Schuhspitzen abrutschen, das weiß er.

Aber der Haken hiält.

hält

Nein, er würde heute nicht sterben, er käme aus dem Schlamassel heraus, denn er weiß ganz genau, was er nun zu tun hat.

Dito. Kein Konjunktiv. Du schenkst damit Dynamik und auch Spannung her.

Vorschlag: Nein, er wird heute nicht sterben, er kommt aus dem Schlamassel heraus, denn er weiß ganz genau, was er nun zu tun hat.

Ein ums andere Mal stellt er sich die Bewegungen vor, bis er sich sicher ist, dass er es schaffen wird.

Das ist immer so eine Sache mit dem "sich sicher sein". Würde in diesem Fall das "sich" streichen. Schon wegen der Doppelung.


Wie schon anfänglich erwähnt: Nimm von meinen Vorschlägen, was du brauchen kannst. :)

Lieben Gruß,
Manuela

 

Manuela schrieb:
… ich interpretiere den Text tatsächlich in die Richtung, dass Lou mit dem Leibhaftigen in Verbindung stand, wenn er es nicht sogar in persona war. Ein teuflischer Verführer, dem es Spaß machte, andere ins Verderben zu locken. Diesen Aspekt, so du beim Schreiben primär daran gedacht hast, hättest du eventuell noch verstärken können, mit der einen oder anderen Andeutung. Aber die Geschichte funktioniert für mich auch so und ich mag es, wenn Texte mehrfach interpretierbar sind.
Nun ja, ich gab der Geschichte nicht umsonst das Stichwort Seltsam. Und als was man diesen Lou letztlich sehen will, überlasse ich wirklich den Lesern.

Vielen Dank, Manuela, für dein unbestechliches Auge und deine vielen Verbesserungsvorschläge. Ich habe sie bis auf ganz wenige Ausnahmen alle übernommen. Du warst mir wirklich eine große Hilfe und so wie’s jetzt dasteht, gefällt’s mir besser als vorher.

offshore

 

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