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Der Wahrbaum

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16.03.2015
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Der Wahrbaum

Karl war sich nicht sicher, ob es das Zeichen einer kommenden Katastrophe war, aber er wusste, dass auf seiner Lieblingsbank, unter der alten Linde, normalerweise keine nackte, blaue Gestalt mit aufgeklapptem Koffer saß. Karl trat zurück und stützte sich an die Wand des Optikerladens, den er gerade erst verlassen hatte. Er atmete aus, nahm seine Sonnenbrille ab, rieb sich die Augen und setzte sich das Teil wieder auf. Grundgütiger! Es war kein Traum.
Geschäftsleute aus umliegenden Gebäuden, Schüler oder Rentner wie er – ja, solche Typen waren es, die ihm mittags seinen angestammten, schattigen Platz wegnahmen. Aber doch nicht Aliens.
Karl schaute genauer hin. Der Kopf der Gestalt war lang und schmal, hatte die Form einer umgedrehten Birne. Die Augen: groß wie Mandarinen, die Schultern: schmal wie die eines Kindes und die Brust war bloß flach. Alles in allem zwar hässlich und seltsam, aber mit Theaterutensilien wie Kostüm, Schminke oder Modelliermasse machbar. Nur die Füße nicht, erinnerten sie doch eher an Watschelfüße einer Ente.

Er überlegte, ob er heute Morgen seine Tabletten vergessen hatte, als ein Bus am Marktplatz vorbeirollte. Keiner der Insassen gaffte durch die Scheiben zum blauen Wesen. Über das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes schlenderten die Leute wie eh und je; eine Frau schob einen Kinderwagen an der Bank vorbei, schaute erst gar nicht hin. Und diese Gestalt hantierte unbekümmert weiter im silbernen Koffer herum. Ungefragt mitten auf seiner Bank. Ungestört unter seinem Baum.
Vor fünfhundert Jahren wurde unter der Linde unter freiem Himmel und in aller Öffentlichkeit Gericht gehalten, die Wahrheit gesprochen, wurden Schicksale besiegelt. Und jetzt saß unter dem Wahrbaum ein Außerirdischer. Sollte er jetzt das letzte Gericht halten? Über ihn?
Karl dachte nach. Schüttelte den Kopf. Er grübelte erneut und riss dann den Mund auf, nicht wissend, ob er schreien sollte, als ein Mann schnurstracks auf die Bank zueilte und dabei sein Pausenbrot aus der Aktentasche holte. In Gedanken malte sich Karl aus, wie das Alien nach seiner Neutronenkanone griff und den Mann in Schleim verwandelte oder einfach in Luft auflöste. Das Alien schaute kurz auf und nestelte dann weiter mit den langen, schlanken Fingern – hatten die Hände tatsächlich vier Glieder? – im Koffer herum. Der Mann blieb vor dem Alien stehen, griff nach seinem Handy und schaute aufs Display. Mit dem Telefon in der Hand drehte er sich um und zog im selben Tempo, in dem er gekommen war, von dannen.
Nachdem er das Brillengestell gerade geschoben hatte, schaute Karl in die andere Richtung. Schließlich stand er keine zwanzig Meter von dem Wesen entfernt. Es musste ihn bemerkt haben und wenn nicht, war es schlauer, gar nicht erst aufzufallen. So etwas hatte er in achtundsiebzig Jahren noch nicht erlebt. Er zwickte sich, zweifelte, ob er bei Verstand war.
Karl setzte die Brille ab, wischte sich erneut über die Stirn, lugte dabei aus dem Augenwinkel hinüber. Die Gestalt war verschwunden! Samt Koffer. Das konnte er auch ohne Brille erkennen. Karl ließ den Blick über den Marktplatz schweifen. Wie war es möglich, mir nichts dir nichts zu verschwinden?

Erleichtert atmete Karl aus, blinzelte. Die Sonne blendete zu stark, und er setzte die Brille auf. Er spürte das Pochen seines Herzschlags in den Schläfen, seine Fingerkuppen waren kalt. Die blaue Gestalt saß auf der Bank! Wieder oder immer noch, das vermochte er nicht zu sagen. Karl hob die Brille an. Eine Sonderanfertigung mit maßgeschneiderter Glasoptimierung und Spezialbeschichtung für seine mannigfachen Sehschwächen, wofür man ihm gerade die halbe Monatsrente abgeknöpft hatte, wenn er also unter eben dieser Brille hinweg in Richtung Bank schaute, sah er: Nichts, außer Baum und Bank. Verschwommen. Er schaute durchs Glas – sah die Gestalt. Er wiederholte es mehrmals. Nein, ja. Nein, ja. Nein, ja. Hastig drehte sich Karl zum Optikerladen, machte einen großen Satz und stand vor verschlossener Tür. Mittagspause. Wild klopfte er gegen die Scheibe. Nichts rührte sich im Inneren.
Es war sinnlos, Hilfe zu holen. Keiner würde ihm glauben.

Aus dem Restaurant nebenan, wo er sich an heißen Tagen gelegentlich einen Eimer Wasser für den Baum geben ließ, trat eine Frau heraus. „Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie!“, rief Karl.
Die Frau blieb stehen. „Ja, bitte?“
„Ich muss heute wohl die Brille meiner Frau eingesteckt haben“, meinte er lächelnd und nahm die Brille in die Hand. „Ich habe mich unter der alten Linde mit einem Freund verabredet. Sehen Sie, ob er schon auf der Bank sitzt? Ich möchte lieber hier stehen bleiben, ihn nicht verpassen, wenn er aus dem Bus steigen sollte“, sagte er und deutete auf die Haltestelle.
Die Frau machte einen langen Hals, hielt sich schützend die Hand über die Augen. „Nein, da sitzt niemand.“
„Keiner? Sind Sie sicher? Die Sonne … die Sonne …“, stotterte er. „Blendet Sie die Sonne? Hier nehmen Sie die Sonnenbrille!“
„Ist schon gut. Tut mir leid, ihr Freund ist nicht da“, sagte sie und ging weiter.
Mit rotem Kopf folgte er der Frau, fasste sie an die Schulter. „Nehmen Sie bitte die Brille!“
„Lassen Sie mich los!“ Sie löste sich aus der Umklammerung und ging mit schnelleren Schritten weiter.
Karl holte sie ein, blieb vor ihr stehen und hielt ihr die Brille hin. „Nehmen Sie die Brille! Los! Die Brille!“
„Hilfe!“, schrie die Frau, machte kehrt und rannte fort.
Karl setzte sich die Brille auf und lief ihr über das Kopfsteinpflaster hinterher. „Vielleicht kommen noch mehr von ihnen!“
Ein paarmal stieß er gegen die Kanten der Pflastersteine, kam ins Straucheln und rief weiter: „Wer weiß, was sie vorhaben!“

Langsam trottete er zurück zum Marktplatz und sah das Alien noch immer auf der Bank sitzen, den Koffer auf dem Schoß. Plötzlich wurde ihm kalt. Am Himmel blitzte etwas auf. Die Erde vibrierte unter Karls Füßen und die alte Gerichtslinde schwebte vom Nebel umgeben einige Meter über den Boden. Wie in Zeitlupe wedelten die am Baum hängenden, meterlangen Wurzeln.
Dann ein lauter Knall, und der Baum schoss in Sekundenschnelle in den Himmel, wie eine hinaufkatapultierte Rakete. Augenblicklich war alles wieder wie zuvor. Nur, dass der alte Wahrbaum samt Alien verschwunden war. Mit ihm all die Wahrheiten. All die Gedanken, die er sich unter dem Baum gemacht hatte. Die Vorwürfe, die Ausreden, die Entschuldigungen; die Geheimnisse, die er ihm anvertraut hatte. Niemand sonst wusste von dem Mädchen. Kein Mensch wusste, wo er es hingebracht hatte.
Karl ging näher, sah ein tiefes Loch, als hätten Arbeiter einen alten Baum samt Wurzel ausgebuddelt und vergessen, die Stelle mit Erde aufzufüllen.
Auf und rund um den Marktplatz herrschte das typische Mittwochmittag-Treiben. Keiner der Leute schien etwas realisiert zu haben, noch zu merken, dass der Baum fehlte. Und mit ihm die ganze Wahrheit. Die Bank aber war geblieben. Karl drehte sich mehrmals um, ging dann auf die Bank zu. Erst langsam, dann immer schneller. Der Koffer lag aufgeklappt auf der Sitzfläche. Karl beugte sich darüber. Sein Herz klopfte wie wild, als er vorsichtig hineinlinste. Ein Zucken durchflutete seinen Körper. Die Wahrheiten. Karl schaute genauer hin, begriff. Der Wahrbaum hatte sie zurückgelassen.
Karl richtete sich auf, senkte den Blick und versuchte, die Tränen wegzublinzeln, dagegen anzukämpfen. Schnell schlug er den Koffer zu, riss sich die Brille herunter, warf sie auf die Erde und stellte den Fuß darauf. Trat nochmal drauf und nochmal, verlagerte sein ganzes Gewicht auf das Bein und stampfte und drehte den Fuß, bis die Bügel verbogen und die Gläser zersplittert waren. Dann schob er die kleinen Scherben mit dem Fuß in das Loch, das der Baum hinterlassen hatte. Karl packte am Griff des Koffers, konnte ihn nicht anheben. Mit beiden Armen umklammerte er schließlich den Koffer und drückte ihn an seine Brust. Ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, ging er fort.

 
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Lieber linktofink,

danke für deinen Besuch und den tollen Kommentar.
Habe von deinen Text-Vorschlagen vieles übernommen.

Ich mag dieses "Wahrbaum" nicht. Klingt so nach Kindermund. "Baum der Wahrheit" würde mir persönlich viel besser gefallen.
Na ja, es ist ja auch der Wahrbaum. Warum sollte ich ihn anders nennen? :)

Hört sich so an als wäre er zur Wache eingeteilt. Warum nicht kehrte zurück zum selben Ort?
Guter Hinweis. Ist ganz raus, er steht jetzt halt da, wo er steht.

Könntest die Aufzählung einfach fortführen und einen Satz draus machen.
Habe Semikolon genommen, da der letzte Satzteil nur zu dem nach dem Semikolon gehört.

Wat fürn Mädchen? Das wirkt wie ein nachträglich eingefügter Bezug zur Gerichtslinde, der ein wenig in der Luft hängt.
Ja, eine Andeutung seiner dunklen Seite. Sein Geheimnis, das nur der Baum kennt.

Das "zertrat sie" ist zu stark, das beinhaltet schon all das, was du im nächsten Satz dazu ausführst. Nimm doch was Schwächeres: warf sie auf die Erde und stellte den Fuß darauf.
Hast Recht. Er kann die Brille nicht erst zertreten, dann wieder zertreten. Vielen Dank!

An der Stelle ist mir der Zusammenhang von "Alien-fliegt-weg-Koffer-schlimmer-Inhalt" nicht ganz klar. Wo ist der Bezug? Der Gerichtsbaum? Warum flieht das Schlumpf-Alien mit dem Baum, statt Karl zu konfrontieren oder zu bestrafen?
Wahrscheinlich ist dem Alien Karls Einzelschicksal egal. Ihm geht es um das große Ganze, um den Wahrbaum, den die Alien nicht haben und wahrscheinlich brauchen.

Die Story finde ich klasse, GoMusic, die Idee mit der Sonnenbrille ist 1a,
Freut mich sehr.

Da müsste in Punkto Schlüssigkeit noch was kommen, das die Runzeln auf meiner Stirn verschwinden lässt.
Kommt Zeit, kommt Rat. Bin noch am grübeln. Viele Leser sehen es wie du.

Dennoch gerne gelesen, herrlich schräg, die Szene mit der Frau ins Absurde ausbaufähig
Ja, ausbaufähig. Oder etwas Ähnliches in einer anderen Geschichte. Mal sehen.

Vielen Dank für deine Gedanken. Hast mir sehr weitergeholfen.

Schönes Wochenende und liebe Grüße,
GoMusic

 

Ihr Lieben,

ich habe nun endlich das viel zu offene und schlußendlich für viele unzufriedenstellende Ende angepasst, so dass es "Sinn ergibt" (hoffentlich :hmm:)
(Kommt Zeit, kommt Rat. Kommen Kommentare, kommen Räte ... oder so ähnlich.)

Eigentlich wollte ich nicht alle Kommentatoren markieren, die das Ende angemakelt haben, sind es doch so viele :shy:
Aber anderseits möchte ich jedem einzelnen meinen Dank aussprechen für eure Meinung; ohne euch hätte ich nicht so viel am Ende herumgeschraubt, das ich euch nicht vorenthalten möchte, liebe/r @barnhelm , @wegen , @Geschichtenwerker , @lorenzf. ,@peregrina , @Nichtgeburtstagskind , @wörtherr , @Vulkangestein , @wander , @Novak , @zigga , @Chutney , @Fliege , @Isegrims , @lakita , @linktofink

Vielleicht hat der oder die andere die Gelegenheit, den letzten Absatz erneut zu lesen. Würde mich sehr freuen. :)

Schönen Abend und liebe Grüße,
GoMusic

 

@GoMusic
Ja, ok, mit der Lösung, dass sich die Wahrheiten in dem Koffer befinden, kann ich gut leben.
Aber ich habe immer noch eine krause Stirn wegen des Bekenntnisses über das Mädchen, von dem nur er weiß, wo es sich befindet. Da wären noch so ein paar Fragen offen.
Aber letztendlich kann ich damit leben, dass ich diese Fragen nicht beantwortet bekomme, mir ist nur so als eröffnetest du damit einen neuen Strang innerhalb der Geschichte, den du am Ende offen lässt. Naja, eigentlich dann wiederum auch nicht offen lässt, weil die Wahrheit ist ja im Koffer enthalten und somit bleibt am Ende alles bei ihm.
Eigentlich müsste er jedoch die schöne teure Brille nicht zertrampeln, jetzt wo alles in seiner Hand ist oder?

Lieben Gruß
lakita

 

Hi @lakita,

Schön, dass du erneut gelesen hast. Boah, so schnell.
Du hast es schön gesagt, dass die Wahrheit im Koffer und somit am Ende alles bei ihm (hängen) bleibt. So wollte ich es auch rüberbringen. Er hat wortwörtlich ein schweres Gewicht zu tragen.

Die Brille hat er zertrampelt, sie könnte in falsche Hände gelangen. Sein Geheimnis würde/könnte gesehen werden, meint er.

Vielen Dank und schönen Abend.
Liebe Grüße, GoMusic

 

Die Brille hat er zertrampelt, sie könnte in falsche Hände gelangen. Sein Geheimnis würde/könnte gesehen werden, meint er.

Weiß nicht, mit der Brille hat er bishe das »Blaue Wunder« :D gesehen, nicht die Wahrheiten. Und ich weiß auch nicht, ob ich gut finde, dass jetzt alle Wahrheiten in Karls Händen sind, nicht nur seine eigene. Sinniger wäre für mich, dass K. mit Brille in einen vollen Koffer, ohne Brille in einen leeren Koffer schauen würde, versucht den Koffer an sich zu nehmen, der ist aber zu schwer und dann eben die Brille zertrampelt, die seine Geheimnisse »durchschaut«. Somit bleibt der Koffer samt seiner Schuld vor Ort und K. muss weiter bangen, ob da nicht noch wer so eine »feine« Brille bekommt. Vielleicht steht ja schon der/die nächste verwirrt vor dem Laden und wackelt an der neuen Brille :D. Ob nun einfach wegen der Passform und eigener sonderbarer Bilder.

Deine Geschichte, dein Ende! Du wirst Dir sicher viele Gedanken gemacht haben und worauf es hinauslaufen soll. Aber, Du wolltest ja die Wahrheit hören :p
Und andere Leser, andere Lesarten. So läuft das ja nun mal.

Liebe Grüße!
Fliege

 

Liebe Fliege,

danke, dass du erneut vorbeigeflogen bist :)

Weiß nicht, mit der Brille hat er bishe das »Blaue Wunder« :D gesehen, nicht die Wahrheiten. Und ich weiß auch nicht, ob ich gut finde, dass jetzt alle Wahrheiten in Karls Händen sind, nicht nur seine eigene.
"Blaues Wunder gesehen" gefällt mir sehr gut :lol:
Er hat nun quasi "die Macht" über sie.

Somit bleibt der Koffer samt seiner Schuld vor Ort und K. muss weiter bangen, ob da nicht noch wer so eine »feine« Brille bekommt.
Nun hat Karl halt den Koffer mitgenommen. Er muss nicht bangen.
Könnte ja sogar sein, dass er "seine Wahrheiten" herausfischt und mit dem Rest zur Presse geht :lol:

Vielleicht steht ja schon der/die nächste verwirrt vor dem Laden und wackelt an der neuen Brille :D. Ob nun einfach wegen der Passform und eigener sonderbarer Bilder.
Das kann natürlich sein. Aber das wäre dann eine andere Geschichte. :)

Aber, Du wolltest ja die Wahrheit hören :p
Und andere Leser, andere Lesarten. So läuft das ja nun mal.
Ja, genau. Vielen Dank für deine Rückmeldung.
Ich bin auf jeden Fall erleichtert, ein Ende gefunden zu haben, das mir gefällt. Es hat zudem auch gestern den Test beim Vortragen in meiner Hobbyautorengruppe überstanden :shy:


Und dann war ich dir noch eine Antwort schuldig, liebe peregrina,

Und gerne würde ich wissen, ob du die KG deiner Lesegruppe vorgetragen hast.
Gestern war es soweit. Habe die aktuelle, hier stehende Version vorgetragen (ich weiß nicht, ob du sie schon kennst).
Auf jeden Fall wurde noch nie so lange/viel über eine Geschichte diskutiert. Natürlich war nur Positives zu hören :lol:
Es wurde viel über die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten zu den Wahrheiten allgemein gesprochen.
Die Schreibkollegen hatten auch diverse Vorstellungen, wie es nach dem Ende weitergeht, Konsequenzen, nächste Schritte, evtl. Fortsetzung usw. Auf jeden Fall hatte niemand Fragezeichen auf der Stirn, als die Story zu Ende war. Vielmehr sprudelte es aus jedem heraus - ich hatte zuvor nämlich gesagt, dass ich gerne etwas über das Ende hören würde, mit dem ich mich vorher so lange beschäftigt habe.

Wünsche euch beiden einen tollen Tag.
Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo @GoMusic,

auf meine Anfrage:
Und gerne würde ich wissen, ob du die KG deiner Lesegruppe vorgetragen hast.
Lässt du mich wissen:

Gestern war es soweit. Habe die aktuelle, hier stehende Version vorgetragen (ich weiß nicht, ob du sie schon kennst).
Nein, die Endfassung kannte ich bisher nicht.
Zwischendurch hatte ich immer mal reingelinst – natürlich die Brille mit Spezialbeschichtung auf der Nase. Habe mir eingebildet, deine Not zu erkennen, den Balanceakt zwischen deiner Vorstellung vom offenen Ende und dem Aufschrei von uns Kriegern nach … (nach was eigentlich?) mit Bravour zu meistern.
Auf jeden Fall wurde noch nie so lange/viel über eine Geschichte diskutiert. Natürlich war nur Positives zu hören :lol:
Ich sag ja. Es geht nichts über eine Schreib- und Lesegruppe, in der man die Ansichten der anderen direkt und unverblümt um die Ohren gehauen bekommt.

Nachdem ich die neue Fassung gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass die verkleideten Verrückten und vor allem die Schwulenparade verschwunden sind. Fast ein bisschen schade! Diese abwertenden Gedanken haben deinen Karl in die moralisch wertende Ecke gestellt und gerade jetzt, wo du das Mädchen eingeführt hast, wäre er als Heuchler/Scheinheiliger entlarvt. Aber ich will dich nicht verunsichern. :confused: Du hast schon so viele Veränderungen vorgenommen.

Noch etwas:

Langsam trottete er zurück zum Marktplatz und sah das Alien noch immer auf der Bank sitzen, den Koffer auf dem Schoß. ... Die Erde vibrierte unter Karls Füßen und die alte Gerichtslinde schwebte vom Nebel umgeben einige Meter über den Boden. Wie in Zeitlupe wedelten die am Baum hängenden, meterlangen Wurzeln.
Dann ein lauter Knall, und der Baum schoss in Sekundenschnelle in den Himmel, wie eine hinaufkatapultierte Rakete. Augenblicklich war alles wieder wie zuvor. Nur, dass der alte Wahrbaum samt Alien verschwunden war.
Schafft der kleine blaue Kerl es wirklich so schnell, noch auf die Gerichtslinde aufzuspringen?

Zum neuen offenen Ende kann ich noch nichts sagen, da muss ich erst mal drüber schlafen.
Da komm ich später noch mal reingeschneit.

Liebe Grüße von peregrina

 

Hi peregrina,

schön, dass du erneut reingeschaut hast.

Habe mir eingebildet, deine Not zu erkennen, den Balanceakt zwischen deiner Vorstellung vom offenen Ende und dem Aufschrei von uns Kriegern nach … (nach was eigentlich?) mit Bravour zu meistern.
Es war keine Einbildung :lol:

Ich sag ja. Es geht nichts über eine Schreib- und Lesegruppe, in der man die Ansichten der anderen direkt und unverblümt um die Ohren gehauen bekommt.
Ja, das stimmt. Nur sind wir bei dem Treffen ja nicht alle maskiert oder sprechen mit einem Stimmenverzerrer, sondern müssen uns auch anschließend noch in die Augen schauen können.
Dennoch gab es einige, die nach einem ersten Besuch nie wieder gesehen wurden ... :shy:

Nachdem ich die neue Fassung gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass die verkleideten Verrückten und vor allem die Schwulenparade verschwunden sind. Fast ein bisschen schade! Diese abwertenden Gedanken haben deinen Karl in die moralisch wertende Ecke gestellt und gerade jetzt, wo du das Mädchen eingeführt hast, wäre er als Heuchler/Scheinheiliger entlarvt.
Freut mich, dass du dich an diese beiden Figuren bzw. Gruppen noch erinnerst.
Deine Begründung von wegen Scheinheiliger passt hervorragend. Ich notiere mir das mal auf einen Zettel, den ich in ein paar Wochen wieder hervorkrame, wenn Gras über alles gewachsen ist :)

Aber ich will dich nicht verunsichern. :confused: Du hast schon so viele Veränderungen vorgenommen.
Verunsichert nicht, vielmehr angestoßen. Danke.

Schafft der kleine blaue Kerl es wirklich so schnell, noch auf die Gerichtslinde aufzuspringen?
"Beam me up!"

Zum neuen offenen Ende kann ich noch nichts sagen, da muss ich erst mal drüber schlafen.
Mach dir keinen Stress.

Habe mich sehr gefreut. Lieben Dank und schöne Grüße,
GoMusic

 

Hallo @GoMusic,
Ich hatte deine Geschichte über den Rentner Karl und sein bizarres Erlebnis ziemlich kurz nach dem Reinstellen gelesen. Bin mir jetzt nicht mehr sicher, hast du das Ende leicht verändert?
Na, macht nichts. An der grundsätzlichen Richtung meines Kommentars, den ich mir schon seit vielen Tagen vornehme zu schreiben, ändert sich daran nichts.

Ich mag die Geschichte. Was ich besonders reizvoll finde, ist die letzte Sequenz, die für mich in ihrer Tiefe im Kontrast steht zum eher "Schwankhaften" zuvor.
Karl blickt also in diesen Koffer, und findet, ja was? Die Wahrheiten. Ich meine, das hättest du in der Version, die ich gelesen habe, noch nicht so genannt, also die Wahrheiten. Was auch immer das ist, da lässt du uns im Unklaren. Aber es muss etwas so Dramatisches sein, dass Karl nicht anders kann, als die Brille, die ihm ja die Möglichkeit gegeben hat, in diese "Parallelwelt" zu blicken, zu zerstören. Und schließlich den Koffer an sich zu nehmen, wahrscheinlich, um zu verhindern, dass irgendjemand anderes hineinblicken kann. Das finde ich schon mal einen hervorragenden Punkt für eigene Gedanken. Und dann habe ich überlegt, wie hätte jemand anderes reagiert, sagen wir ein Jugendl icherAnfang zwanzig, der das Leben noch vor sich hat. Hätte er auch die Verantwortung von sich gestoßen und die Brille zerstört? Oder hätte er vielleicht eher versucht, die Fähigkeiten, die ihm die Brille bietet, zu nutzen, um das, was ihm im Koffer gezeigt wird, zu ändern? Hätte er sich möglicherwiese auf die Suche nach den Aliens gemacht, die Welt mit Hilfe der Brille nach ihnen abgesucht, um das Schicksal abzuwenden. Aber der Rentner Karl steckt lieber den Kopf in den Sand. Not my job. So lese ich das jedenfalls. Das fande ich einen wirklich spannenden Aspekt an dieser Geschichte.

Ansonsten schreibst du das sehr gut lesbar, die Sprache ist dem humorigen Ansatz angemessen. Ich habe auch nichts an Fehlern o.ä. gefunden, außer vielleicht: ist es wirklich das Alien? Klingt für mich ungewohnt.

Also, eine nette Geschichte, angenehm geschrieben, die für mich ihren Reiz vor allem aus dem Ende zieht, das eine gedankliche Tiefe hat, die sich so vorher nicht unbedingt andeutet.

Gern gelesen.

Beste Grüße und Merry Christmas,
Fraser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fraser,

danke für deinen Besuch und den tollen Kommentar.

Bin mir jetzt nicht mehr sicher, hast du das Ende leicht verändert?
Yepp, ist geändert. Waren einige Schritte nötig, bis ich zum jetzigen Ende kam.

Ich mag die Geschichte. Was ich besonders reizvoll finde, ist die letzte Sequenz, die für mich in ihrer Tiefe im Kontrast steht zum eher "Schwankhaften" zuvor.
Danke dir. So einen Kontrast wollte ich haben. Etwas witzig, schwankhaft, wie du so schön sagst, dann die Tiefe. War schon fast eine Tortur für mich, den Bogen hinzukriegen. Habe bei/mit diesem Text hier viel gelernt.

Karl blickt also in diesen Koffer, und findet, ja was? Die Wahrheiten. Ich meine, das hättest du in der Version, die ich gelesen habe, noch nicht so genannt, also die Wahrheiten. Was auch immer das ist, da lässt du uns im Unklaren. Aber es muss etwas so Dramatisches sein, dass Karl nicht anders kann, als die Brille, die ihm ja die Möglichkeit gegeben hat, in diese "Parallelwelt" zu blicken, zu zerstören. Und schließlich den Koffer an sich zu nehmen, wahrscheinlich, um zu verhindern, dass irgendjemand anderes hineinblicken kann.
Ja, die Wahrheiten sind neu. Fiel mir erst viel später ein. Dabei sind sie das Naheliegenste, wo die Geschichte doch von einem Wahrbaum handelt.
Und etwas Unklarheit wollte ich am Ende dann doch noch lassen. Jeder Leser stellt sich ja etwas anderes unter den Wahrheiten vor. Was der eine als Wahrheit sieht (oder glaubt, zu wissen), hat der andere vielleicht ganz anders wahrgenommen.
Deine Annahmen stimmt mit meiner Intention überein.
Etwas Dramatisches ist im Koffer, Brille zerstören, um den Blick auf die Wahrheiten für andere verhindern. Genau so.

Das finde ich schon mal einen hervorragenden Punkt für eigene Gedanken. Und dann habe ich überlegt, wie hätte jemand anderes reagiert, sagen wir ein Jugendl icherAnfang zwanzig, der das Leben noch vor sich hat. Hätte er auch die Verantwortung von sich gestoßen und die Brille zerstört?
Schön, dass ich zu Gedanken anregen konnte. Und mit einem Jugendlichen wäre es womöglich anders ausgegangen.

Ansonsten schreibst du das sehr gut lesbar, die Sprache ist dem humorigen Ansatz angemessen. Ich habe auch nichts an Fehlern o.ä. gefunden...
Danke für das Lob.

ist es wirklich das Alien?
Habe wegen Alien vorher extra nachgeschaut. Maskulin und Neutrum sind beide möglich.

Also, eine nette Geschichte, angenehm geschrieben, die für mich ihren Reiz vor allem aus dem Ende zieht, das eine gedankliche Tiefe hat, die sich so vorher nicht unbedingt andeutet.
Freut mich sehr. "Gedankliche Tiefe" höre ich natürlich sehr gerne. Was will man/ich mehr? ;)

Wünsche dir eine tolle Weihnachtszeit.
Liebe Grüße, GoMusic

 

Hallo Echo97,

schön, dich unter meiner Geschichte zu haben.

die Idee der Geschichte finde ich witzig, auch wenn es mich sofort an den Film "They live" erinnert hat. Da geht es auch darum, dass ein Mann die Aliens nur wegen einer speziell gefertigten Brille sehen kann. Also keine völlig neue Idee.
Schön, dass du die Idee witzig findest. Das mit dem Film hat mir ein anderer auch gesagt. Ich kannte/kenne den Film nicht.

Ich habe das Gefühl, dass die Geschichte deshalb einen grotesken Rahmen hat, aber diesen zu wenig auslebt:
Ja, einige Leser hätten sich mehr davon gewünscht.

Wegen der Thematik, weil das Alien so witzig aussieht und er sich fast hinlegt, kann Spannung aber nicht aufkommen
Hm, da bist du jetzt der erste, der das sagt, also dass es keine Spannung gibt.

Das oben beschriebene Problem zeigt sich am besten in diesen beiden Ideen die du in deiner KG eingebaut hast. Das Alien ist lustig, verrückt und grotesk, der Baum ist nachdenklich und spannend.
Die beiden Dinge sind gegensätzlich. Damit das gelingt, müsste die KG, denke ich, länger sein, so kann sie sich nie für eine der Richtungen entscheiden.
Ja, ich war da zu unentschlossen. Haben 1 oder 2 andere auch gesagt – und es stimmt. Habe dann mal in die, mal in die andere Richtung herumgebastelt, ohne aber das Problem so richtig lösen zu können. Wahrscheinlich müsste ich die Story neu schreiben, die Richtung vorher genauestens vorgeben.
Ich habe auch schon den Schuldigen gefunden. Mal eben schnell auf den letzten Drücker einen Text für eine Challenge zu schreiben ist wohl nicht mein Ding. Ich mag ja auch lieber Dry Aged Steak ;)

Am Ende blieb ich als Leser ratlos zurück und hatte auch keine große Motiviation mehr, zu verstehen, was jetzt das Ende bedeutete.
Das ist schade.

Der Kopf der Gestalt war lang und schmal, hatte die Form einer umgedrehten Birne. Die Augen: groß wie Mandarinen, die Schultern: schmal wie die eines Kindes und die Brust war bloß flach.
Das mit der Birne finde ich noch ganz witzig. Die Infos danach verändern das Aussehen des Aliens nur noch sporatisch. Ich hatte schon ein Bild, das durch deine Beschreibung nicht weltbewegend verändert wurde und folglich haben mich die Ausführungen eher gelangweilt.
Verstehe ich. Denke ich drüber nach; kürzen wäre sinnvoll, so wie du das sagst.

„Hilfe!“, schrie die Frau, machte kehrt und rannte fort.
Dass sie gleich nach Hilfe schreit finde ich etwas unrealistisch. Ich würde an ihrer Stelle ziemlich irritiert kehrt machen mit einer knappen Bemerkung oder gar nichts sagen.
"Hilfe" ist ihr letztes Mittel, wo alles andere nicht geholfen hat.

Ansonsten ist die Geschichte gut geschrieben und lässt sich flüssig lesen. Meine Kritik kommt ja auch ein bisschen spät und ist deshalb vielleicht nur noch so semi nützlich, aber vielleicht hilft sie ja trotzdem :)
Spät, dennoch sinnvoll. Aber was ist schon spät? Höre auch Jahre später noch gerne Kritiken.

Habe mich sehr über deine Gedanken gefreut. Spornen mich an, weiter am Text zu arbeiten.

Schönes Wochenende und liebe Grüße,
GoMusic

 

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