Des Kaisers Wiedergutmachung
Des Kaisers Wiedergutmachung
2. Version
Der Kaiser schritt der menschenleeren Strasse entlang. Er war schon eine Weile unterwegs, aber die Gegend bot wenig Abwechslung. Es gab nichts weiter zu sehen als grosse, steinerne Quader, die grau in den Himmel ragten. Ab und zu sah der Kaiser einen Baum, den er als eine Thuja identifizierte. Alle 200 Meter gab es eine. Sie hatten alle die gleiche Grösse und die gleiche Form. Kleine Fahrzeuge flitzten an ihm vorbei, so schnell, dass er sie kaum erkennen konnte. Der Kaiser hatte sich die Zukunft anders vorgestellt gehabt, bunter, barocker und mit vielen Pferden. Der Kaiser hatte Pferde immer am meisten geliebt. Pferde gab es hier gar keine. Überhaupt hatte er keine richtigen Tiere gesehen. Nur fliegende Insekten gab es im Übermass.
Aber im Grunde war der Kaiser nicht frustriert. Schliesslich musste er hier nur schnell etwas erledigen und dann ging es für ihn schnurstracks in den Himmel.
Der Kaiser war auf der Suche nach Herrn Ludun, einem einflussreichen Ratgeber der Weltregierung und inzwischen hatte der Kaiser heraus bekommen wo er zu finden war. Dabei waren ihm die Möglichkeiten unsichtbar zu werden und durch Hindernisse zu gleiten, zu Hilfe gekommen. Zudem wusste der Kaiser von Hause aus wie man jemand Wichtiges zu suchen hatte. Nicht umsonst hatte man ihm, dem Kaiser diese Aufgabe zugeteilt. Er würde seine angeborene Autorität zur Geltung bringen. Er war der Richtige und seine Aufgabe erschien ihm lächerlich gering. Eine klitzekleine Wiedergutmachung für all seine Sünden am Universum, die angeblich beträchtlich gewesen sein sollen. Verglichen mit dem anderen Sünder aus dem Fegefeuer, einem Gewohnheitsdieb, der hier einen alten Kerl aus einem Gefängnis befreien sollte, damit dieser öffentlich eine Prophezeiung machen konnte, hatte er es doch viel leichter. Ein Kaiser blieb eben immer ein Kaiser, schmunzelte er in sich hinein.
Endlich war er bei der Behausung Luduns angekommen. Es war ein Bunker mit einer Glasfassade zum Meer hin. Genauso abstossend hässlich wie alle anderen Gebäude, fand der Kaiser. Er glitt durch die Mauern in das Haus hinein. Es war schon dunkel und er fand Herrn Ludun schlafend unter kleinen gelben Blitzen, die den Raum durchzuckten. Der Kaiser wusste nicht was das war. Er hatte schon Einiges gesehen womit er nichts anfangen konnte und im Grunde wollte er auch nicht. Er musste hier nichts und niemanden verstehen. Für ihn gab es nur seinen Auftrag.
Herr Ludun war ein kräftiger Mann Anfang Vierzig und meist in einen dunkel schimmernden Kaftan gekleidet. Er trieb körperliche Ertüchtigung an seltsamen Geräten, ging im Meer schwimmen und sass die meiste Zeit des Tages vor einer Bilderwand, die sich von allein bewegen konnte und Töne von sich gab. Herr Ludun sprach mit den flachen Personen, die sich dort zeigten und manchmal lief dort ein Geschehen ab und Herr Ludun blieb unbeteiligt. Grösstenteils konnte der Kaiser jedoch nichts erkennen. Es ging ihm alles viel zu schnell. Bisweilen war es um Landwirtschaft gegangen, um Produktion und um irgendwelche Unruhen. Das war alles was sich der Kaiser zusammen reimen konnte. Es war ihm auch gleichgültig. Er konzentrierte sich mehr auf Herrn Ludun, der ernergiegeladen dort sass und sich so souverän benahm wie man es von einem Staatsmann erwartete.
Herr Ludun ass fünfmal am Tag, ganz streng immer zur gleichen Zeit. Das ausgiebigste Mahl war das Frühstück. Die Speisen lagen stets fertig zubereitet in einem Wandschrank, wiewohl der Kaiser kein Personal entdecken konnte, ausser zwei Leibwächtern, die sich meist im Gelände um das Haus herum aufhielten.
Nach einer Woche Beobachtung wagte es der Kaiser sich zu zeigen. Er setzte sich Herrn Ludun beim Frühstück gegenüber. Herr Ludun sah ihn nur kurz an, warf daraufhin das Besteck auf den Tisch, drückte auf blinkenden Knöpfen an der Wand herum und schrie in den Raum hinein. Obwohl der Kaiser niemanden sah, hätte er schwören können, Herr Ludun massregelte Untergebene. Bei ihm hatte es damals durchaus so geklungen.
Der Kaiser zeigte sich nun immer beim Frühstück. Schon beim dritten Mal war die Reaktion von Herrn Ludun weit gemässigter und beim fünften Mal räumte er ruhig das Geschirr beiseite und sprach den Kaiser direkt an:“ Die Geräte sind laut den Ingenieuren in Ordnung. Meine Obdubiodaten könnten besser nicht sein. Die flüssigen Uleogele sind frisch eingestimmt und Feinde sind in diesen Räumen extrahiert. Demnach kann es Sie nicht geben. Aber Sie sitzen hier. Also: Wer sind Sie?“
Der Kaiser freute sich, dass seine Taktik aufgegangen war. Er erklärte Herrn Ludun geduldig, dass er ein Kaiser sei und direkt aus dem Fegefeuer käme und bei Herrn Ludun wäre wegen einer Wiedergutmachung, einer Bagatelle eigentlich, damit er endlich in den Himmel käme, wo er schliesslich hin gehöre. Herr Ludun schaute gelangweilt. „Sehen Sie, ich habe keine freie Kapazität für derlei Dinge, die mich nichts angehen. In Omsk ist ein Gefangener entflohen, der vorgibt der neue Heiland zu sein. Er bringt mit seinen Reden die Leute in Aufruhr und zerstört unser fragiles gesellschaftliches Gleichgewicht. Sie verstehen, dass das dringender ist.“
„Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen,“ fuhr der Kaiser unbeirrt fort „und muss dafür sorgen, dass Sie den Vorschlag annehmen und umsetzen. Aber ich kann Ihnen versichern, es ist ein ganz und gar angenehmer Vorschlag und nicht nur für mich von Vorteil.“ Der Kaiser sprach lebhaft und war überzeugt alles bald zu einem Ende zu bringen, jetzt da Herr Ludun ihm endlich zuhörte. „Es ist ganz einfach,“ sprach der Kaiser“ auch wenn ich sehe, Sie leben hier ganz allein und völlig zurück gezogen. Das war schon bei vielen Anderen der Fall, aber Sie werden sehen, es ist ganz leicht, wenn Sie erst einmal den ersten Schritt getan haben...“ Aber Herr Ludun hatte keine Geduld für die weitschweifende Art des Kaisers und rief schroff dazwischen: „Hören Sie, dieser freigekommene Kerl, dieser Heilige will Nord- und Südhälfte der Erde vereinigen und er hat viele Leute damit verrückt gemacht. Unsere ganze Struktur wird zusammen brechen, wenn wir ihn nicht stoppen. Sie wissen offensichtlich nicht wie fragil hier alles ist. Ich muss mich dringend darum kümmern.“
„Das muss sich gar nicht stören“, meinte der Kaiser beruhigend und tätschelte den Arm von Herrn Ludun, was diesen nur noch mehr aufbrachte. „Verschwinden Sie einfach“, zischte er den Kaiser an. „Das werde ich nicht,“ sagte dieser, nun sehr viel förmlicher. „Wenn Sie nicht kooperieren, werde ich mit Hilfe des Universums alle Hebel in Bewegung setzen, damit das Ereignis stattfindet.“ „Und was soll das für ein Ereignis sein?“, fragte Herr Ludun widerwillig. „Es ist nichts Kompliziertes,“ sprach der Kaiser nun wieder aufgeräumter „und lässt sich völlig nebenher erledigen. Sie sollen heiraten und Kinder bekommen. Ist das nicht ein netter Vorschlag?“
„Sie auch noch!“, presste Herr Ludun zwischen seinen perlweissen Zähnen hervor „Reicht nicht ein Verrückter? Müssen es gleich zwei sein? Ich sage Ihnen: es ist unmöglich!“ „Aber nicht doch“, beschwichtigte der Kaiser „so schwer ist es nun auch wieder nicht. Sie gehen an Orte von Ihresgleichen, geben Bälle oder wie das bei Ihnen heisst, streuen das Gerücht aus, dass Sie eine Braut suchen und so schnell wie Sie mit den Fingern schnipsen können, haben Sie tausend Kandidatinnen. Sie suchen sich eine aus, heiraten, fertig. Ich werde Ihnen schon dabei helfen.“
„Es ist unmöglich! Es ist unmöglich! Es ist unmöglich!“, schrie Herr Ludun immer lauter werdend, sprang dabei von seiner Sitzgelegenheit auf und rannte wütend in dem karg eingerichteten Zimmer herum. „Im Fegefeuer versicherte man mir, dass Ihre Heirat zum Besten sei, nicht nur für mich und Sie, sondern für die ganze Menschheit. Sie verstehen...“ Der inzwischen doch irritierte Kaiser sprach nicht mehr weiter. Er sah befremdet auf Herr Ludun. Es war nicht angemessen zu einem Kaiser zu sagen, dass etwas unmöglich sei, schon gar nicht wegen einer läppischen Heirat. Dabei hatte Herr Ludun doch völlige Wahlfreiheit. Der Kaiser sah da keinerlei Schwierigkeiten. Wieso dieser Ludun sich so querstellte, war ihm ein Rätsel. Der Kaiser fing noch einmal an:“ Sie sind ein Mann in den besten Jahren. Sie sind ein wichtiger Ratgeber der Weltregierung. Sie haben genügend Macht und Einkommen...“ Entnervt unterbrach ihn Herr Ludun: „Ich sage Ihnen, es ist gänzlich unmöglich! Offensichtlich hat das Universum oder von was immer Sie reden, vergessen Ihnen einige nicht ganz unwichtige Details mitzuteilen. Hören Sie jetzt einmal gut zu, egal wer Sie sind: Die Ehe wurde vom Weltwirtschaftsrat schon lange als hinderlich abgeschafft. Nach dem grossen Geschlechterkrieg haben sich Männer und Frauen endgültig getrennt. Die Frauen leben seither auf der Südhalbkugel der Erde, die Männer auf der Nordhalbkugel. Kinder werden auf Farmen nach Bedarf gezüchtet. Ich bin auch gezüchtet. In meinem Leben habe ich noch nie eine reale Frau gesehen. NIE, hören Sie: NIE!“
Der Kaiser war daraufhin ungeheuer bleich geworden, während die grosse Wand hinter ihm sich plötzlich einfärbte und dort ein grosses Gesicht erschien:“ Herr Ludun klinken Sie sich unverzüglich beim Regierungssprecher ein. Er spricht im Moment für die Öffentlichkeit. Der Entflohene von Omsk konnte in Petersburg über das Netz sprechen und prophezeite, dass Sie sich mit einer Frau von der Südhalbkugel vereinigen werden. Dementieren Sie das sofort! Ich wiederhole: Dementieren Sie das sofort!“ Während Herr Ludun wie erstarrt vor der flimmernden Wand stand, wusste der Kaiser nicht, ob diese Nachricht ihm die Sache leichter oder noch viel schwerer machen würde. Der Gewohnheitsdieb jedenfalls war bereits im Himmel.