Dialog ohne Thema, aber mit Charakteren.
R: Hallo, wartest du schon lange?
H: Nein, bin gerade erst gekommen. Wie geht's?
R: Ach, ganz gut, kann nicht klagen. Und selbst?
H: Auch gut. Hab' nicht viel erlebt in letzter Zeit, gibt also nicht viel Neues.
R: Bei mir auch nicht. Man lebt so vor sich hin.
H: Aber du wolltest mir doch irgendetwas erzählen, oder nicht?
R: Nein.
H: Aber?
R: Nichts aber. Im Gegenteil. Ich dachte Du hättest mir etwas zu erzählen?
H: Und über was?
R: weiß ich eben auch nicht. Aber er hat von mir verlangt, dass wir uns hier unterhalten sollen.
H: Das hat er auch von mir verlangt.
R: Merkwürdig! Er hat dir kein Thema vorgegeben?
H: Nein, kein Thema...
R: Sonst hat er doch immer ein Thema für uns, oder nicht?
H: Ja, aber kein Problem, dann erzähle ich dir eben kurz über ...
R: Oder doch, warte, eine Neuigkeit habe ich: ich habe gehört, dass eine Wörterbörse eröffnet wurde.
H: eine Wörterbörse?
R: Eine Wörterbörse! Dort werden Wörter vermittelt, immer gleich 5 Stück an der Zahl.
H: Unglaublich. Und was ist mit uns? Gründen wir jetzt die Gesellschaft für schwer vermittelbare Charaktere?
R: Keine Ahnung. Am einfachsten haben es ja immer noch die Themen. Die werden ja ständig irgendwo vermittelt, ganz im Gegensatz zu uns!
H: Das nervt mich echt, dieses Gesocks! Die sind doch eh schon so erfolgreich, oder nicht?
R: Ja. Aber es gibt auch bei uns durchaus Erfolgreiche. So jemand wie Johannes Elias Alder, der zuerst äußerst schwer zu verkaufen war.
H: Äußerst schwer, stimmt, habe ich auch gehört.
R: Dreiundzwanzigmal haben sie ihn abgelehnt. Sogar sein Autor hat dann und wann an ihm gezweifelt. Und was für einen Erfolg Elias auf einmal hatte!
H: Aber, sag mal, die Themen werden echt irgendwo vermittelt? Per Kontaktanzeige oder so etwas?
R: Sehr witzig. Nein, das natürlich nicht. Ich habe neulich von einer Website gehört, die sogar Wettbewerbe auf Basis von bestimmten Themen organisiert! Dieselbe, die auch diese Wörterbörse hat.
H: Wie bitte?
R: Ja! Da müssen alle Autoren zu einem ausgewählten Thema schreiben, einfach alle. Was für ein glückliches Thema!
H: Und die Charaktere? Wer gibt die Charaktere vor? Kümmert sich dort auch jemand um uns?
R: Nein, natürlich nicht. Es geht immer nur um die Themen. Deshalb gibt der Autor den Charakteren noch nicht mal mehr Namen.
H: Aber sogar jedes kleinste Thema hat einen Titel!
R: Eben. Kein Wunder, dass die Themen mittlerweile immer so arrogant daherkommen. Die meinen mittlerweile sogar, man müsste sich ihnen unterordnen.
H: Genau, nach dem Motto: Handlung ist alles!
R: Als ob ein ausgereifter, lang durchdachter Charakter nicht auch eine Geschichte dominieren könnte!
H: Stimmt, aber sag mal, wie weit sind wir eigentlich?
R: Äh, bis hierhin ca. 459 Worte.
H: So weit schon? Ich darf eigentlich nur bis 500.
R: Schade eigentlich, ich kann vor 100.000 nicht mit der Unterhaltung aufhören.
H: Bist du nicht mehr Kurzgeschichtencharakter?
R: Nein, bin neulich befördert worden. Bin jetzt Romancharakter. Habe eine Persönlichkeitszulage bekommen.
H: Ach was! Und was ist darin alles enthalten?
R: Na ja, so Dinge, wie zum Beispiel ein zeitraubendes Hobby, oder irgendwelche dummen Angewohnheiten. Dinge eben, die für eine Handlung nicht unbedingt wichtig sind - was mich besonders freut.
H: Das ist ja Wahnsinn! So was will ich auch haben!
R: H! Erschein erst mal in mehr als 5 Kurzgeschichten! Soviel braucht man nämlich meistens, bevor man vom Autor entdeckt wird. Vorher ist man einfach zu austauschbar. Ich sag Dir: es geht hier um langfristige Bindung. Langfristig! Bei 20.000 fängt es erst so richtig an!
H: Hhm. Langfristige Bindung? Da erlebt man aber nicht gerade sehr viele unterschiedliche Dinge, oder?
R: Doch, auch. Sogar viel intensiver.
H: keine Ahnung, was Du meinst. Muss jetzt aber dringend los. Es sind schon 635, weit nach meiner Länge.
[...]
R: Einfältiger Charakter, mal hier mal da erwähnt, aber wirklich tiefgründig ist er nicht. Eher oberflächlich. Er sollte vielleicht mal anfangen, sich etwas tiefer in seinen Job einzuarbeiten. Was mach ich denn jetzt? Hhm - sagen Sie, werter Leser, würde es Ihnen vielleicht etwas ausmachen, für die verbleibenden 99.306 Worte weiterzulesen? Ich verspreche, ich fasse mich kurz ...
[ 22.04.2002, 14:42: Beitrag editiert von: philipp ]