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Die Botschaft
Als man mich weckte, wurde mir nicht viel gesagt, ausser dass es wichtig sei und schnell erledigt werden müsse. Eine neue Lieferungsanfrage sei hereingekommen, hiess es.
Ich blinzle in das fahle Licht des Morgenrots, welche sich über dem Meer breit macht und steige von meiner Hängematte. Aus einem kleinen Regal nehme ich eine Petrollampe hervor, die zwischen alten Büchern und Gerümpel stand. Nach dem Anzünden wirft sie flackerndes Licht auf das, was ich mein Zuhause nenne. Nicht mehr als ein schiefes Dach aus Blechplatten mit zwei Wänden. Ich ziehe mir eine verfranzte Jacke über, trete hinaus und gehe los. Ein frischer, salziger Morgenwind zieht durch das Dorf. Manche Gebäude wurden aus den Ruinen der alten Welt gebaut. Andere bestehen aus grob zusammengezimmerten Brettern, Wellblech und dem, was man so finden konnte. Einige Fackeln, die uns in dunklen Nächten den Weg weisen, glimmen noch schwach und werfen warmes Licht auf die von Kletterpflanzen überwucherten Strassenlaternen. Ich laufe auf den Eingang einer alten Ruine zu. Hinter den Fenstern schimmert oranges Licht. Anscheinend ist der Verwalter bereits wach, denke ich und betrete das Gebäude.
Die Tür zur Funkstation öffnet sich mit einem leisen Knarren und gibt den vom Kerzenlicht gefüllten Raum frei. Überall liegt Gerümpel, und die Regale sind mit sorgfältig, aber unordentlich eingeräumten Gegenständen vollgestopft. Am anderen Ende des Raumes hängt eine grosse Landkarte an der Wand. Ich kenne sie gut, eigentlich fast auswendig. Die Küstenlinie zieht sich wie eine gezackte Narbe über das vergilbte Papier. Blaue Punkte reihen sich entlang der Küste auf und sind von eins bis sechzehn durchnummeriert. Sie stellen die verbündeten Dörfer dar, mit denen wir per Funk in Kontakt stehen. Das Landesinnere ist rot schraffiert. Dort lebt niemand mehr, ausser ein paar versprengte Wahnsinnige und Plünderer, vor denen ich mich unterwegs in Acht nehmen muss. Über dem Meer sind schwarze Punkte eingezeichnet, grossräumig und symmetrisch verteilt. Diese markieren die Positionen der Harvester, welche sich lange vor meiner Zeit den Ozean unter den Nagel gerissen haben.
Der Verwalter ist ein alter Mann, steht an einem Tisch in der Mitte des Raumes und ist gerade dabei, meine Lieferung bereit zu machen. Vorsichtig nimmt er ein altes, zylinderförmiges Objekt aus Messing in die Hand, welches im Kerzenlicht golden glänzt. Eingebaut sind breite, drehbare Scheiben, was an ein Zahlenschloss erinnert. Wie jedes Mal frage ich ihn, was das ist. Geduldig beginnt er es mir zu erklären und zeigt auf die Scheiben und wild verschlungene Drähte. Aber das meiste verstehe ich nicht, ausser dass es eine Art Stoppuhr sein soll. Am Ende sagt er, es sei ein Hoffnungsschimmer für die Menschen und wünscht mir dann eine gute Reise.
Danach verlasse ich das Häuschen und steige mit ein wenig Proviant und dem mysteriösen Objekt im Beutel auf mein Motorrad.
Als ich losfahre, hat sich die Sonne bereits in den wolkenlosen Himmel geschoben und Sonnenstrahlen erwärmen nun mein Gesicht. Es wird wahrscheinlich wieder ein heisser Tag werden. Die Tage werden Jahr für Jahr immer heisser und die Luft trockener. Das Landesinnere ist inzwischen unbewohnbares Ödland. Nur zerfallene Gebäude erinnern an eine einst florierende Zivilisation.
Der Wind bläst mir entgegen, während ich der Küste entlangfahre. Aber der letzte Satz vom Verwalter will mir nicht aus dem Kopf gehen. War nicht jede Lieferung ein Hoffnungsschimmer? Immer bringt es uns ein Stück weiter. Jedes Bauteil, das wir in Funkgeräte, Fahrzeuge, Überwachungseinheiten oder sogar in Waffen einbauen konnten, ist Hoffnung. Manchmal frage ich mich, ob das genügt, oder ob wir uns selbst was vormachen. Hoffnung allein wird uns auf dieser sterbenden Welt nicht ewig tragen.
Die Umgebung während der Fahrt stellt sich der Hoffnung quer. Wie auf einem Karussell ziehen zerfallene Gebäude an mir vorbei, welche an eine verschwundene Zivilisation erinnern. Fahrzeuge, die der immer härter werdenden Natur zum Opfer gefallen sind, stauen sich reihenweise auf überwucherten Strassen und zeichnen ein Bild eines vergangenen Notstandes.
Irgendwann macht sich Hunger bemerkbar, der Durst gleich mit. Der grasige Vorsprung dort drüben eignet sich gut für eine kurze Verschnaufpause, denke ich. Ich nehme das Tempo raus und ziehe vorsichtig am Bremshebel, wobei das Brummen meines Motorrades, während des Bremsens tiefer wird. Langsam nähere ich mich der Stelle und komme schliesslich zum Stillstand. Salzige Meeresluft streift mein Gesicht, während aus der Tiefe das Tosen der Brandung zu mir herauf dringt. Ich steige vom Motorrad ab und setze mich auf trockenes Gras. In sicherer Entfernung zur Klippe, die bedrohlich über den Abgrund ragt, blicke ich auf die weite Ferne des Meeres, das in der Nachmittagssonne glitzert.
Jedoch empfinde ich keinen inneren Frieden bei diesem Ausblick. Denn ein gewaltiges, nachtschwarzes Raumschiff hängt wie eine Zecke über dem Meer. Ein nahezu perfekter Ellipsoid, ohne sichtbaren Triebwerke, oder mechanischen Elemente, schwebt in der Ferne wie eine gigantische, schwebende Festung. Ihre Oberfläche schimmert im Licht wie poliertes Vulkanglas. In einer breiten Fontäne, die im Sonnenlicht glitzert, saugt es unermüdlich das Wasser in seinen Bauch.
Woher die Harvester kommen, wissen wir nicht. Vor vielen Jahren sind sie in unser Sonnensystem eingedrungen und haben eine Zeit lang in der Umlaufbahn des Jupitermondes Europa verweilt. Nachdem sie Europa ausgeplündert hatten, wandten sie sich der Erde zu. Seen und Flüsse waren innert kürzester Zeit ausgetrocknet. Einst gedeihende Wälder wurden zu unfruchtbarem Land und saftige Weiden zu Wüsten. Hungersnöte und Krankheiten überrollten die Menschen. Wir wurden dezimiert und das war nicht einmal ihre Absicht. Sie sind nur wegen unseres Wassers hier, wofür auch immer sie es benötigen. Und sie werden nicht aufhören, bis sie uns den letzten Tropfen geraubt haben.
Die letzte Etappe meiner Reise wirkt wie eine Slideshow verzweifelter Gegenmassnahmen der Menschheit. Verrostete Panzer und militärische Fahrzeuge reihen sich entlang der Küste auf, die nach dem Versuch, das Unaufhaltsame zu stoppen, ihr Ende gefunden haben. Aber jede Patrone und jede Rakete, die sie vor langer Zeit abgefeuert hatten, zerschellte an einem undurchdringlichen Schild. Erst als die letzte Atomrakete abgefeuert wurde, erkannten die Menschen ihre völlige Hilflosigkeit. Die Raumschiffe setzten ihren Pfad fort, gleichgültig und ohne jede Reaktion. Als wären wir nichts weiter als Staub in der Luft.
Mittlerweile steht die Sonne tief und das Küstendorf liegt bereits vor mir, getaucht im warmen Orange der späten Nachmittagssonne.
Nachdem ich mein Motorrad abgestellt habe, erkundige ich mich im Dorf, dessen Häuschen wie überall aus grob zusammengezimmerten Holzbrettern bestehen, nach dem Besteller der Lieferung. Ich war schon oft hier, aber diesmal liegt eine spürbare Unruhe über dem Ort. Schliesslich bringt man mich an einen improvisierten Unterstand am Strand. Ein grobes Netz mit eingeflochtenen Palmenblättern spannt sich auf vier Pfeilern und schützt eine Werkbank vor den Strahlen der nun harmlosen Abendsonne. Zwischen dem Gerümpel rund um die Werkbank beugt sich eine Person über ein breites, walzenförmiges Objekt und arbeitet daran. Als ich dann in den Unterstand trete, blickt die Person auf und fragt, ob ich der Bote sei. Nach einem Griff in meine Tasche nehme ich den Messingzylinder heraus und reiche es ihm. Er nimmt es vorsichtig ins Licht der Abendsonne und mustert es mit einem kurzen Grinsen, das jedoch schnell zu ernster Miene wird. Ein wenig verwundert frage ich ihn, wofür das ist. Er blickt auf, der ernste Ausdruck bleibt. Dann geht er zum Objekt auf der Werkbank und sagt, dass es das letzte Bauteil einer Bombe sei. „Jetzt werden wir sehen, ob diese Dinger wirklich unzerstörbar sind“, sagt er und blickt auf das Meer hinaus. Erst jetzt erkenne ich die Umrisse eines Harvesters am Horizont, der wie ein Schatten vor der untergehenden Sonne schwebt. „Wenn wir es schaffen, die Bombe in den Sog des Harvesters zu werfen, wird dein Zeitzünder sie im Inneren des Raumschiffes zum Explodieren bringen. Ob das ausreicht, um sie zu zerstören, können wir nur hoffen. Aber es ist unsere beste Chance.“
Kurz nach Sonnenuntergang, als sich die Abendröte über den Himmel legt, wurde die Bombe fertiggestellt. Ich setze mich in den gemütlich warmen Sand und blicke auf den weit entfernten Harvester hinaus. Erklären wir ihnen jetzt den Krieg, frage ich mich, während vier Männer die Bombe auf ein Boot hieven. Mit einem kräftigen Ruck am Anlasserseil wirft einer den Motor des Bootes an. Dann tuckern sie schweigend auf die in Abendrot gehüllte Silhouette des Harvesters zu.
Wenn sie Erfolg haben, könnte das eine Zukunft bedeuten, in der aus einem Hoffnungsschimmer Wirklichkeit wird. Trotzdem überkommt mich ein Hauch von Zweifel. Wenn es ein Fehlschlag wird, bedeutet das wohl den Untergang der Menschheit. Was für ein Leben würde das sein, in einer Welt, die sich unweigerlich in eine staubige Wüste verwandelt? Das Bild, das sich in meinem Kopf zeichnet, lässt es mir kalt den Rücken herunterlaufen. Kilometertiefe Gräben durchfurchen das Land bis zum Horizont. Wo sich einst die Sonne auf dem Meer spiegelte, herrscht nun eine erdrückende Leere. Reglose Fische und bleiche Korallen bedecken den trockenen Meeresboden. Es ist ein Bild der Zerstörung, ein Bild, in dem sich kein Leben wiederfindet, ein Bild, das sich hoffentlich nicht verwirklichen wird.
Das Abendrot erlischt und langsam bricht die Dunkelheit an. Eine salzige Brise zieht vorbei, während Wellen friedlich an den Strand rollen.
Plötzlich wird der Himmel mit einem grellen Weiss erfüllt, als würde im Zeitraffer ein neuer Tag anbrechen. An der Stelle, wo eben noch ein Harvester über dem Meer schwebte, breitet sich ein Inferno aus. Ein Feuerball, so gross wie ein Berg, steigt mühselig in die Höhe, umringt von glühenden Trümmern, die wie Sterne zurück ins Meer fallen. In der Ferne hallt ein dumpfes Grollen nach, während sich der immer grösser werdende Feuerball langsam mit der Nacht vermischt. Das Feuer erlischt und die Ruhe der Nacht kehrt wieder zurück.
Spätestens jetzt wissen die Harvester, dass wir hier sind.
Am nächsten Morgen sahen wir, wie sich unter der Morgensonne ein anderer Harvester langsam über den Horizont schob. Als hätten sie gemerkt, dass dort was passiert ist. Das erste Mal sah ich, wie sie sich bewegten. Falls sie einen Vergeltungsschlag planten, dann hätten wir womöglich keine Chance gehabt, aber er schob sich gleichgültig immer weiter über den Horizont, bis er dahinter verschwand. Ich stieg auf mein Motorrad und fuhr schnell wieder nach Hause.
Danach erhielten wir per Funk immer mehr Bestellungen, weil der Erbauer der Bombe seine Pläne geteilt hat. Nun wussten wir, wie man sie bekämpfen konnte. Die meisten Teile, die ich seither ausliefern durfte, waren für den Bau weiterer Bomben. Und zum ersten Mal gelang es uns, einige von ihnen zu zerstören. Doch in den kommenden Monaten wurden wir besser. Immer mehr durfte ich auf meinen Reisen, Zeuge von infernalischen Feuerwerken werden und jedes Mal wurde die Ernte der Harvester ein Stück mehr eingedämmt. Ihre Raumschiffe fielen, einer nach dem anderen. Und das, ohne dass sie sich in irgendeiner Weise zur Wehr setzten.
Eines Tages bemerkte ich während einer Lieferung was Eigenartiges. Von weitem sah es aus wie ein schwarzer Felsen, welcher vom Strand ins Meer ragte. Aber je mehr ich diesem Felsen näherte, desto auffälliger schimmerte er so, wie ich es nur von den Harvester kenne. Dieser Überrest musste hier angeschwemmt worden sein, dachte ich. Also beschloss ich, ihn näher zu untersuchen.
Ungefähr hundert Meter davor hielt ich mit meinem Motorrad an und stieg ab. Der Felsen erhob sich wie eine Mauer vor mir und war so gewaltig, dass er die Sonne verdeckte und mich ganz in seinen Schatten tauchte. Je mehr ich ihn näherte, desto klarer wurde die Beschaffenheit seiner Oberfläche. Nachdem ich bis auf einen Meter an die Wand getreten war, sah ich, dass der Rumpf aus unzähligen, winzigen schuppenartigen Plättchen bestand, wie bei einem monströsen Fisch.
Ich wanderte der Rissfläche entlang. Lange war nichts als massives Material zu sehen. Die Panzerung musste enorm dick gewesen sein, denn es war kein einziger Gang und kein Hohlraum zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich später kleine, runde Einkerbungen, die in kreisrunde Löcher führten. Anscheinend waren diese winzigen Tunnel Teil eines komplexen Netzwerkes, denn ihr Verlauf wirkte zufällig und organisch. Doch diese kleinen Tunnel wurden stetig grösser, bis sie breit genug waren, um sie betreten zu können. Schliesslich erreichte ich die andere Seite der Mauer. Dort fiel Sonnenlicht auf eine glatte, weiss-blaue Oberfläche. Es war wie ein sauberer Schnitt. Symmetrisch angeordnete, gleich grosse Eingänge reihten sich an der Innenwand wie ein riesiges Sieb auf, welche in das Tunnelsystem zu führen schien. Die Wand wölbte sich wie eine Kuppel über mich. Anscheinend bestanden die Harvester aus mehreren Schichten und die Tunnel dienten für den Transport von Wasser. Aber wer steuerte diese Raumschiffe, fragte ich mich. Keine Bedienelemente sind zu sehen, keine zerrissenen Kabel hängen vom Rumpf heraus und keine Spur von irgendwelchen Besatzern. Nur glattes, kaltes Material, durchzogen von diesen seltsamen Tunneln. Wenn es Wesen an Bord hatte, dann mussten sie so fremdartig gewesen sein, dass sie sich jegliches Verständnis irdischer Anatomie entziehen. Vielleicht war auch nie jemand an Bord. Vielleicht waren die Raumschiffe selbst das Leben. Wie ein Rudel gewaltiger instinktgetriebene Kolosse aus Metall, unfähig kleinere Lebensformen überhaupt wahrzunehmen. Furchteinflössende und doch majestätische Wesen, die ohne Ziel durch das All ziehen und keinen Ort kennen, ausser der nächsten Wasserquelle.
Wenige Wochen später erhoben sich die Harvester über dem Meer in die Höhe. Lautlos und schwerfällig stiegen sie wie ein zerstreuter Schwarm schwarzer Insekten in den Himmel und verliessen die Atmosphäre.
Die Wellen schlugen an den Strand, so wie sie es immer getan haben. Und doch war alles anders. Kein Fest wurde an diesem Abend gefeiert und keine Euphorie lag in der Luft. Nur die Ungewissheit der Zukunft legte sich wie eine schwere Decke über uns. Manche fragten sich, ob sie je zurückkehren werden, um uns den Gnadenstoss zu versetzen. Andere befürchteten, dass jetzt die Plünderer nun mutiger würden versuchen, uns endgültig zu unterwerfen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass etwas mit ihnen gegangen ist. Etwas, das uns trotz allem verbunden hatte.
