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Die Chance auf ein neues Leben

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30.06.2014
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Die Chance auf ein neues Leben

In den Slums von Thargatta waren das Lachen fröhlicher Kinder und das geschäftige Treiben ihrer Eltern einem nervtötenden und andauernden Quietschen und Fiepen gewichen. Unterhaltungen auf der Straße waren durch ersticktes Keuchen, Husten und unterdrückte Schmerzensschreie verdrängt worden. Überall wuselten kleine behaarte Körper durch die verdeckten Straßen des Viertels, das nur noch Myassmah genannt wurde. Sie hatten sich wie ein Lauffeuer verbreitet und fanden in den unübersichtlichen und zugemüllten Gassen überall Verstecke. Das sich das Aussehen des Armenviertels täglich änderte, indem Mauern eingerissen und neue Wände aufgebaut wurden oder überall aus allen möglichen Materialien neue Häuser entstanden, half nicht dabei, diese Plage einzudämmen.
Dabei waren die Ratten zu mehr als nur einer einfachen Plage geworden. Sie fraßen nicht nur die wenigen Lebensmittel auf, die die Bewohner Myassmahs ihr Eigen nennen konnten, sondern machten seit einigen Wochen auch vor Kranken und Toten nicht halt. Allein ihr Anblick ließ die Bewohner des Armenviertels verzweifeln und mit aller Kraft ein Versteck suchen. Aus einfachen Krankheitsüberträgern und Schädlingen, waren blutrünstige, beißende Bestien geworden. Wenn man es schaffte eine Welle dieser Pelzkörper zu vertreiben, konnte man sich sicher sein, das sie schon bald wieder kommen würden.

Die Regierung der Stadt hatte schon lange aufgegeben, etwas dagegen zu unternehmen. Anfangs hatte man noch versucht mit Gift und Chemie gegen die Plage vorzugehen aber nachdem das gescheitert war und die Ratten sich trotz dessen vermehrt hatten, hatte man entschieden, das Viertel komplett abzuriegeln und es einfach zu vergessen. Man hatte alle Zugänge geschlossen und jedes noch so kleine Loch mit Zement verschlossen. Myassmah war vom Rest der Stadt getrennt und niemand durfte den Stadtteil betreten oder verlassen. Wachen wurden aufgestellt, die die wenigen übrig gebliebenen Bewohner des Slums an dem Verlassen hindern sollten. Das schien den Menschen aber keine Angst zu machen. Immer wieder versuchten die verzweifelten Bewohner auf verschiedenste Weise aus dem Viertel zu entkommen.
Doch jedes Mal wurden sie durch gezielte Schüsse der Wachen niedergestreckt, bevor sie einen Fuß in eines der beiden anderen Viertel setzen konnten. Manchmal kam es sogar vor, das Menschen, leblosen Hüllen gleich - ihr Körper und Geist regelrecht von Krankheit und Ratten zerfressen - auf die Wachen zu torkelten und mit letzter Kraft - vergeblich - um Hilfe und Freiheit bettelten oder sie angriffen. Hoffnung war ein Wort, welches in Myassmah kaum mehr gebraucht wurde und all seine Kraft verloren hatte.

In all diesem Schmutz und Elend lebte ein junges Mädchen, zusammen mit ihrem Vater, in einer kleinen Hütte und versuchte das Beste aus ihrem jämmerlichen, alltäglichen Überlebenskampf zu machen.

Wie an jedem anderen Tag der Woche auch, wachten Vater und Tochter in einer kleinen Hütte auf, die sie ihr Zuhause nannten. Es war nicht viel mehr als ein paar Steine, die aufeinander gestapelt waren, halb verfaulte Holzbretter und verschiedenster Müll und Abfall, die dieses Gebäude - falls man es überhaupt so nennen konnte und durfte - zusammenhielten. Trotzdem war es ein Ort, an dem die Beiden Zuflucht suchen und schlafen konnten - solange es in ihrer Abwesenheit nicht jemand anderes für sich beansprucht hatte.
Denn Eigentum gab es in dem Viertel nicht und Gesetzeshüter die auf so etwas Acht gaben, schon lange nicht mehr. Hier überlebten nur ein paar Sorten von Menschen: Die Schlauen, die Verstohlenen, die Starken und die Reichen und Mächtigen - wobei Letzteres in Myassmah relativ und meist nur von kurzer Dauer war. Nichts hielt hier für die Ewigkeit und man musste sich ständig auf Veränderungen einstellen. Egoistisch zu sein war eine Grundeinstellung um zu Überleben - Nächstenliebe gab es nur unter Familienmitgliedern und wahre Freunde waren selten.
Es war also kein Wunder das Vater und Tochter ihre Zeit zusammen verbrachten und darauf achteten, nicht zu viel und vor allem keinen engen Kontakt zu anderen Menschen zu entwickeln. In einem Moment waren sie deine Freunde und teilten ihr letztes Stück Brot mir dir und im nächsten Moment schlitzten sie dir mit einer Glasscherbe den Hals auf, um an deine wenigen Habseligkeiten heran zu kommen. Die beiden waren also auf sich selbst gestellt.

Dies ist die Geschichte von Sally und ihrem Vater Andrew. Es war Dienstagmorgen, als die beiden erwachten und damit die Geschichte ihren Lauf nahm. Eigentlich ein Tag wie jeder andere: Trostlos, ohne Hoffnung und ein Kampf ums Überleben. Und doch war dieser Tag einer der wenigen, die etwas Freude in ihr Leben brachten und sie davon abhielt, einfach aufzugeben.

"Wach auf Papa! Du weißt doch welcher Tag heute ist!" war das erste, was Andrew an diesem neuen Tag hörte. "Jaja…" murmelte er und drehte sich auf dem Steinboden um, auf dem es leider auch nicht durch den Fetzen Stoff unter ihm weicher wurde und angenehmer zu schlafen war. Im Hintergrund konnte er Sally ihren kleinen Rucksack durchsuchen hören, in dem ihr einziger Besitz war und den sie wie ihr eigenes Leben hütete. Ein morgendliches Ritual um herauszufinden, ob man während des Schlafes beklaut worden war oder nicht. Denn das konnte trotz aller Vorsicht passieren. Man war nie wirklich sicher und es gab viele Menschen, die keine Skrupel hatten, ein Kind zu bestehlen. Ermorden würden sie das Kind zum Glück nicht - soweit war es nur bei den Wenigsten gekommen. Irgendwo musste schließlich eine Grenze gezogen werden – auch in Myassmah.
"Komm schon, wir müssen uns beeilen!" drängte Sally ein weiteres Mal. Andrew war noch immer im Halbschlaf aber da seine Tochter normalerweise nicht so drängelte, musste es wichtig sein und so setzte er sich langsam auf. Seine dunkelbraunen Haare standen in alle Richtungen ab. Er war unrasiert und der Dreitagebart ließ ihn älter als die tatsächlichen 34 Jahre aussehen. Der Mann kratzte sich am Bart, richtete seine verdreckte graue Kleidung und überprüfte, wie seine Tochter es zuvor selbst schon getan hatte, seinen Rucksack. Er hatte ihn als Kopfkissen genutzt, auch wenn das nicht besonders gemütlich gewesen war. Zumindest war es so fast ausgeschlossen, das etwas während der Nacht geklaut wurde.
"Was ist denn los?" Er konnte sich während der Frage ein Gähnen nicht verkneifen.
"Wie kannst du das nur vergessen? Heute ist der dritte Dienstag des Monats. Komm endlich oder wir kriegen nichts mehr ab!" drängte Sally wütend und etwas enttäuscht. Zu Recht, denn Andrew hatte tatsächlich den wichtigsten Tag des Monats vergessen. "Verdammt!" entfuhr es ihm. Er sah Sally an, die ihrerseits kritisch zu ihm aufblickte. Sie war gerade einmal 9 Jahre alt aber das Leben in Myassmah hatte sie abgehärtet und stärker gemacht als die Kinder, mit denen Andrew in ihrem Alter gespielt hatte. Sie trug ein altes braunes T-Shirt, das voller kleiner Löcher und viel zu groß für sie war. Zusammen mit der einfachen Stoffhose und den festen Schuhen war es allerdings die einzigen Kleidungsstücke, die sie besaß. Vater und Tochter hatten schon bessere Tage gesehen und waren ausgemergelt - nicht viel mehr als Haut und Knochen. Andrew beeilte sich, seine Sachen zusammenzusuchen und ging schnellen Schrittes aus der Bruchbude heraus, wobei in der Eile fast eine Holzlatte des Eingangs abfiel.

Die Stadt hatte zwar aufgehört, die Menschen in Myassmah zu unterstützen aber es gab noch immer einige wenige selbstlose Personen, die diese Entscheidung missachteten. Zu den reichsten dieser Menschen gehörte Sir Warrus. An jedem dritten Dienstag eines Monats, kam er zusammen mit seinen Reitern und einem großen Wagen in diesen elendigen Stadtteil und verteilte Lebensmittel an die Bewohner. Wieso er das tat, war nicht bekannt aber man munkelte, dass er in einem ähnlichen Umfeld aufgewachsen war und dieses Elend nicht mit ansehen konnte. Die Wachen ließen ihn und seine Reiter passieren und die Stadtleitung unternahm nichts gegen seine selbstlosen Spenden. Es löste zwar nicht das Problem aber zumindest erleichterte Sir Warrus mit seinen großzügigen Geschenken das Leben in Myassmah. Manche sagen, dass er allein das Leben überhaupt möglich machte. Alle Waren und Lebensmittel, die es in dem Viertel gab, wurden entweder durch Sir Warrus oder durch Schmuggler hierher gebracht. Nur wenige Menschen hatten Kontakte nach Außen und noch weniger die Möglichkeit, überhaupt Waren hierher zu schaffen. Was hatte dieses Viertel denn schon zu bieten? Es gab hier nur Müll, Dreck, Krankheiten und Ratten.
Doch es gab eine Sache die gesucht wurde und die es hier trotz allem gab: Menschen. Das Thema wurde totgeschwiegen aber der Sklavenhandel boomte. Kriminalität war in Myassmah an der Tagesordnung und wenn man Pech hatte, wurde man nicht nur bestohlen, sondern gefangen genommen und an irgendeine Person verkauft, die damit ihre kranken Fantasien befriedigte - im Tausch für etwas zu Essen.

Deshalb war der dritte Dienstag des Monats so wichtig. Um an Nahrungsmittel zu kommen, ohne zu stehlen oder noch schlimmeres zu tun, musste man so früh wie möglich am großen Platz sein - am besten noch bevor die Reiter eintrafen, die für Ruhe und Ordnung sorgten. Es war erstaunlich, wie gesittet es an einem solchen Tag am großen Platz zugehen konnte. Der Grund dafür waren die Waffen, die die Reiter bei sich trugen. Sir Warrus war zwar überaus gütig aber nicht dumm. Jedes Mal wurde der Wagen, der die Lebensmittel transportierte, von insgesamt 20 Reitern eskortiert, die alle mit Revolvern und elektrischen Schlagstöcken bewaffnet waren. Außerdem trugen sie eine feste Lederrüstung, die mit Eisenplatten verstärkt worden waren. Die verzweifelten Menschen in Myassmah überlegten es sich zweimal, ob sie es mit ihren selbstgebauten Messern wirklich versuchen sollten, diese Männer abzustechen. Die Reiter waren diszipliniert und hatten eindeutig einen militärischen Hintergrund. Jeder einzelne konnte es mit mehreren Bewohnern gleichzeitig aufnehmen.

Andrew blickte in den Himmel und fluchte ein weiteres mal.
"Scheiße! Es ist wirklich schon viel zu spät. Hoffentlich kriegen wir noch was ab..." Zusammen mit Sally lief er die verdreckte Pflasterstraße entlang, die in das Zentrum Myassmahs führte. Er versuchte das Quietschen der Ratten zu verdrängen und legte noch einen Schritt zu. Wenn sie es nicht rechtzeitig schaffen würden, wären sie gezwungen zu stehlen. Sowohl er, als auch Sally hatten kein Problem damit aber es war immer mit einem Risiko behaftet, deshalb versuchte er es, so gut es ging, zu vermeiden. Auf dem Weg zum großen Platz kamen sie an verrottenden Bruchbuden und zerfallenen Steingebäuden vorbei. Sie kreuzten eine lange Schlange Menschen, die sich vor einem breiten Steingebäude gebildet hatten, dessen Fenster mit Holzbrettern verriegelt worden waren.
"Oh Nein!" entfuhr es Andrew. Sally seufzte.
"Das ist nicht gut Papa. Glaubst du wir kriegen noch was ab?" Er verwuschelte ihre braunen, schulterlangen Haare und antwortete mit einer Gegenfrage
"Bereit für ein Wettrennen? Wer zuerst am großen Platz ist!" Sally lächelte ihn an, nickte und rannte sofort los. Andrew lief ihr mit großen Schritten in dichtem Abstand hinterher und dachte währenddessen über die Schlange vor Zeds Palast nach.
Zed war einer der Händler im Viertel und leitete den Palast - ein Ort, an dem man Nahrungsmittel gegen so gut wie alles tauschen konnte. Der fette Mann hatte überall im Viertel seine Kontakte - sogar außerhalb - und hatte es geschafft ein Netz aufzubauen, das es ihm ermöglichte, eine gewisse Art von Reichtum anzusammeln. In seinem Geschäft konnte man alles kaufen. Egal was man benötigte, Zed konnte es auftreiben. Es war nur eine Frage des Preises... Da jeder etwas zu Essen brauchte und es davon immer nur eine begrenzte Menge in Myassmah gab, war es das einzige Zahlungsmittel. Viele Menschen zog es am dritten Dienstag des Monats direkt zu Zeds Palast. Dass dort so eine große Schlange wartete, konnte nur bedeuten, dass die Verteilung schon angefangen hatte.

Vater und Tochter ließen den Palast und die streitende Meute davor schnell hinter sich und erreichten nach wenigen Minuten, völlig außer Atem, den großen Platz. Natürlich hatte Andrew Sally gewinnen lassen, war aber immer dicht hinter ihr geblieben. Sie lachte und jubelte, als sie als erste den Platz erreichte, der kreisrund war und das Zentrum des Viertels darstellte. Vier ehemalige Hauptstraßen gingen auf diesen Platz zu und aus allen Ecken Myassmahs kamen die Menschen hierher. Eine riesige Menschenmenge hatte sich um den Wagen verteilt, der von den Reitern umkreist wurde. Bedrohlich hielten sie ihre Revolver und Gewehre in der Hand und schossen in die Luft, wenn irgendwo Streit um einen besseren Platz oder bereits verteilte Lebensmittel ausbrach. Der Wagen selbst, war ein riesiger Kasten auf Rädern, der aufgrund der Masse an Lebensmitteln im inneren, von sechs Pferden gezogen werden musste. Ein paar Männer standen vor den Türen des Kastens und verteilten Brote, getrocknetes Obst und sogar etwas frisches Gemüse oder gepökeltes Fleisch. Auf dem Platz herrschte reges Treiben aber es lief sehr gesittet ab. Abseits sah das natürlich anders aus. Den Platz mit etwas zu Essen im Rucksack zu verlassen, konnte tödlich sein. Die Menschen hier töteten für weniger als einen Laib Brot. Trotzdem war es das Risiko wert, denn nur sehr wenige hatten die Möglichkeit zu Überleben ohne jeden Monat hierher zu kommen. Zed war einer dieser Menschen und er genoss ganz offensichtlich den Schutz, den ihm der Handel und seine Machtstellung boten.

Obwohl hier so viele Menschen versammelt waren, war es - bis auf die seltenen Gespräche und Streitereien - erstaunlich still. Die Bewohner Myassmahs waren ein misstrauisches Volk und redeten nicht. Jeder lebte nur für sich selbst. So warteten Vater und Tochter geduldig in der Menschenmenge, bis etwas passierte, das es noch nie gegeben hatte.

Wie aus dem Nichts ertönte plötzlich ein lauter Schuss. Eigentlich nichts ungewöhnliches, wenn er nicht aus der Menschenmenge gekommen wäre. Dieses Mal hatten nicht die Reiter geschossen, sondern ein Bewohner des Viertels. Einer der Reiter Sir Warrus' fiel wie vom Blitz getroffen von seinem Pferd. Seine Lederrüstung färbte sich Rot - genauso wie der dreckige Stein unter dem nun auf dem Boden liegenden Reiter. Weitere Schüsse folgten - sowohl irgendwo aus der großen Menschenmenge auf dem Platz, als auch von den Reitern selbst, die die Angreifer entdeckt hatten. Sally schrie vor Angst, genauso wie ein Teil der Menschen. Andrew duckte sich schützend über seine Tochter und zog sie dann zu einem der Gebäude am Rande des Platzes. Er wandte den Schüssen den Rücken zu, um so seine Tochter zu schützen. Chaos brach aus, als die besonders gerissenen Männer und Frauen die Situation ausnutzen, eine Waffe zogen und die wenigen Menschen, die noch etwas zu Essen abbekommen hatten, erdolchten. Glasscherben wurden in Rücken gerammt und mit scharfgeschliffenen Steinen wurden Kehlen durchgeschnitten, um so den größten Vorteil aus der Situation zu ziehen. Überall waren Schreie zu hören und Menschen starben im Sekundentakt.
Die Gedanken Andrews rasten. Irgendjemand musste an richtige Schusswaffen gekommen sein und versuchte nun, die gesamte Wagenladung von Lebensmitteln an sich zu reißen. Wenn Sir Warrus von diesem Vorfall erfuhr, würde es unwahrscheinlich sein, das er weiterhin das Viertel unterstützte. Die Lieferungen würden eingestellt werden und die Menschen Myassmahs wären abhängig von den wenigen Menschen, die Kontakte nach Außen hatten. Andrew riskierte einen Blick, während er sich geduckt von dem Gefecht fortbewegte und dabei versuchte die weinende Sally zu schützen. vorsichtshalber zog er sein altes Rasiermesser und sah sich um.

Nach und nach wurden die Reiter dezimiert. Sie versuchten sich zu wehren aber durch das Chaos und die vielen Menschen, war es nicht einfach, herauszufinden, wo die Schüsse herkamen. Die Angreifer versteckten sich und nutzten die wogende Masse und umliegenden Gebäude als Deckung. Ein Reiter fiel nach dem anderen und schließlich fingen auch die trainierten Pferde an zu fliehen. Einige Menschen versuchten ihr Glück und rannten auf den Wagen voller Lebensmittel zu, wurden aber erschossen, bevor sie ihr Ziel erreichten. Andrew und Sally hatten schließlich eines der Gebäude am Rande des Platzes erreicht und betreten. Sie versteckten sich hinter den glaslosen Fenstern und den sicherheitsspendenden Wänden. Er versuchte seine Tochter zu beruhigen, die sich an die Wand gelehnt hatte und zusammengekauert davor saß. Vorsichtig streichelte er ihren Kopf und sagte immer wieder, dass es bald vorbei sein würde und er bei ihr war.
Nach einigen Minuten des verkrampften Wartens, waren keine Schüsse mehr zu hören und langsam kehrte eine seltsame Stille ein, die nur von dem unaufhörlichen Quieken der Ratten durchbrochen wurde. Auf dem Platz waren nur noch wenige Menschen zu sehen, die die Schützen sein mussten. Doch überall am Rande des Platzes musste es Menschen geben, die sich versteckt hatten - so wie Sally und Andrew. Niemand traute sich etwas zu sagen, doch dann stellte sich ein Mann vor den Wagen und trat einem der Reiter ins Gesicht, was man selbst aus der Entfernung noch sehen konnte. Er erhob seine Stimme. Sie war laut, voller Kraft und strotzte vor Sicherheit. Die umliegenden Gebäude warfen seine Stimme zurück und so war er vermutlich auf dem gesamten Platz zu hören.
"Das war nur ein kleiner Vorgeschmack unserer Macht. Jahrelang haben wir hier in Armut gelebt - vergessen von den Bewohnern dieser wunderbaren Stadt. Für nicht würdig befunden weiterzuleben, als Dreck und Abschaum behandelt. Aber damit ist jetzt Schluss! Meine Brüder und Schwestern! Schließt Euch mir und meiner Bande an und zerschlagt eure Ketten, die euch an diesen Müllhaufen binden! Vergesst euer bisheriges Leben und folgt mir! Folgt mir in die Freiheit! Noch heute werden wir von sauberen Tellern essen und in warmen, gemütlichen Betten schlafen. Noch heute werdet ihr Eure Rache bekommen. Noch heute werden wir unser bisheriges Leben hinter uns lassen! Es wird Blut fließen und es werden Köpfe rollen! LASST EUCH DAS NICHT LÄNGER BIETEN! WIR SIND GENAUSO VIEL WERT WIE JEDER ANDERE MENSCH! ERHEBT EUCH UND KÄMPFT MIT MIR FÜR EIN BESSERES LEBEN!!"

Es tobte in Andrew und er war sich sicher, dass er damit nicht alleine war. Ob Sally die Tragweite dieser Worte verstand, war fraglich aber er selbst tat es. Dieser Mann sprach von einem Aufstand, einer Revolution, die das Leben aller Menschen Myassmahs verändern würde. Er versprach Hoffnung auf ein neues, besseres Leben - das natürlich mit Blut und Tod erkauft werden müsste. Es war etwas, das sich jeder Mensch in Myassmah wünschte. Eine Möglichkeit Rache zu üben. Einige Menschen die hier lebten, erinnerten sich noch an die Zeiten vor der Abschottung. Als dieses Viertel noch nicht den Namen Myassmah getragen hatte und als man noch ein normales Leben geführt hatte. Jeder hier hatte den Wunsch wieder so ein Leben leben zu dürfen und viele würden bereit sein, dafür zu töten. Dieses Viertel hatte die Menschen verändert. Es war selbst wie eine Krankheit, die sich verbreitete und den Geist der Menschen vergiftete. Aber würde diese Demonstration und die feurige Rede des Mannes genug sein, um die egoistischen Menschen zusammenzuführen?
Andrew bekam seine Antwort fast augenblicklich, als die ersten Menschen auf den Platz gingen und ihre Fäuste erhoben. Sie wiederholten die Worte des Mannes. "Für ein besseres Leben!" oder "Für die Freiheit!" war von verschiedenen Orten des Platzes zu hören und immer mehr Menschen strömten auf den Platz, während der Mann weiter seine Rede hielt. Das Ereignis verbreitete sich schnell in dem Viertel und schon bald war selbst der riesige Platz nicht genug, um die tobende Menschenmenge zu halten.

Die Revolution begann noch am selben Abend. Andrew und Sally waren mittendrin.

Die wütende Menschenmenge war nur ein großer, dreckiger Mob. Ohne Ausbildung, ohne richtige Bewaffnung und ohne Taktik. Doch sie hatten das Überraschungsmoment für sich und eine Wut im Bauch, die all diese Nachteile ausgleichen würde. Die Wachen an den Toren, die Myassmah von der restlichen Stadt trennten, rechneten nicht mit Schusswaffen und der riesigen Menschenmenge. Sie versuchten sich verzweifelt zu verteidigen, doch jeder getötete Rebell, wurde durch zwei weitere ersetzt. Alles wurde zum Kampf genutzt: Steine, Messer, die wenigen geschmuggelten Schusswaffen - die der Revolutionär Radek an seine Gefolgsleute verteilt hatte - und bloße Fäuste wurden mit voller Wucht eingesetzt. Es war viel mehr die wilde Kraft und die Überraschung, die für die Rebellen gewannen.
Nachdem das Nordtor gefallen war, gab es kein Halten mehr. Die Bewohner stürmten die Straßen entlang, töteten die Menschen die sie so verachteten, zerstörten alles was sich ihnen in den Weg stellte und brachen in Häuser ein. Schreie hallten durch die Nacht und dreckiges Gelächter war zu hören.
Von all dem bekamen Andrew und Sally allerdings nur den Anfang mit. Sobald das Tor offen und die Menge in die Stadt gestürmt war, hatte er sich mit seiner Tochter in die Nebengassen abgesetzt. Die wütende Meute würde die volle Kraft der Miliz und des Militärs zu spüren bekommen und dieser Gefahr wollte er Sally nicht aussetzen. Er selbst spürte die Wut und das Verlangen in sich, an der Rebellion teilzunehmen aber er hatte eine Verantwortung. Er musste an Sally denken. Er konnte ihr jetzt ein besseres Leben bieten - außerhalb dieser Stadt. Vielleicht würden sie in die nahegelegenen Wälder gehen und von dem leben, was die Natur ihnen gab. Vielleicht würden sie sogar in eine andere Stadt laufen und sich dort ein neues Leben aufbauen. Ihnen stand jetzt endlich alles offen. Sie hatten die freie Wahl.

Einige wenige Rebellen schienen die gleiche Idee und Sorge gehabt zu haben und verschwanden ebenfalls in die dunklen Gassen der Stadt. Andrew lächelte Sally zu und flüsterte:
"Wir werden ein neues Leben anfangen! Nur wir beide, ohne Betrug und Diebstahl. Ohne Hunger." Sie grinste ihn an, auch wenn in ihren Augen noch immer Angst und Verwirrung geschrieben stand. Alles war zu schnell gegangen und sie wusste nicht so Recht, was eigentlich passiert war. Die Gewalt und Härte der Revolution hatte sie außerdem stark verunsichert. Andrew nahm sie an die Hand und zusammen liefen sie durch die Gassen - einem neuen Schicksal entgegen.
Jetzt hieß es Ruhe bewahren und die letzten Meter zum Stadttor hinter sich zu lassen. Sie waren so kurz davor endlich aus diesem Chaos zu entkommen aber noch war die Gefahr nicht vorüber. Hand in Hand liefen Andrew und Sally durch die Straßen und Gassen der Stadt, immer darauf bedacht die Dunkelheit und die Schatten zu ihrem Vorteil zu nutzen. Mehr als einmal sahen sie schwer bewaffnete Truppen, die den Aufstand niederschlagen sollten. Es wurde schnell gehandelt und mit einer Kraft zurückgeschlagen, der die Rebellen nichts entgegen zu setzen hatten. Wohlbehalten kamen Vater und Tochter schließlich bei dem Stadttor an. Normalerweise wurde es bewacht aber dank der Rebellion waren wohl alle Wachen abgezogen worden.
"Auf drei laufen wir los. Bleib nicht stehen, auch wenn mir etwas passiert. Verstehst du mich? Bleib. Nicht. Stehen." Andrew sah seine Tochter ernst an und wartete auf ein Nicken. Es war zwar unwahrscheinlich, dass jetzt noch etwas schief lief aber man konnte nie wissen. Wenn er schon nicht gerettet werden konnte, sollte zumindest Sally eine Chance bekommen.

Sie schluckte schwer und nickte ihrem Vater zu. Tränen bildeten sich in ihren Augen, die aber bestimmt von ihrem Vater weggewischt wurden. Er lächelte sie zuversichtlich an.
"Uns wird schon nichts passieren. Eins. Zwei. Drei." Die beiden liefen los. Das Versteckspiel war vorbei. Wenn noch irgendwer zurückgeblieben war, würde er sie auf der offenen Straße erkennen. Nur noch wenige Meter trennten die beiden von dem Tor, als plötzlich eine Stimme ertönte.
"Keinen Schritt weiter, Gesocks. Hände hoch und umdrehen. Sofort! Und denkt nicht mal dran wegzurennen, denn sonst verpass ich euch sofort ne Kugel." Andrew seufzte. Er konnte das Klicken und Laden der Waffe hören, die auf sie gerichtet war.
"Hör auf ihn." riet er Sally. Die konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken.
"Papa?"
"Es ist alles Ok, mein Schatz."
Natürlich war es das nicht und das wusste Sally auch. Trotzdem lächelte Andrew ihr zu, denn was hätte er sonst tun sollen? Er musste ihr als Vater Zuversicht und Mut schenken. Die beiden drehten sich mit erhobenen Händen um und sahen in einigen Metern Entfernung einen Mann mit Gewehr vor sich, welches auf sie gerichtet war. Er war augenscheinlich Teil der Miliz und trug das Stadtwappen auf seiner gepanzerten Weste.
"Was haben wir denn da... Zwei Ratten, die das sinkende Schiff verlassen wollen. Ihr kommt schön hierher und stellt euch da vorne an die Wand!" Der Mann zeigte auf ein Haus ganz in der Nähe des Stadttors. Der Lauf der Waffe folgte den unsicheren Bewegungen Andrews und Sallys.

Sollte ihre Flucht auf diese Weise enden? Würden sie jetzt sterben? Was hatten sie denn verbrochen, das sie dieses Ende verdient hatten? Gehasst, vergessen und eingesperrt in einem riesigen Müllhaufen, wollten sie diesem Leben doch nur entkommen. Man musste doch verstehen, dass sie niemandem etwas Böses, sondern einfach nur Überleben wollten.

Andrew fand keine Antwort auf seine Fragen. Sie hatten nichts Falsches getan und würden doch sterben. Er wollte Sally doch nur eine bessere Zukunft und ein Leben außerhalb dieses Dreckslochs bieten. Es musste Schicksal sein. Alles war von Anfang an vorbestimmt gewesen. Jeder Schritt. Eine andere Antwort auf seine Fragen fand er nicht. Es war einfach nur unfair.
"Darf ich meine Tochter ein letztes Mal umarmen?" brachte er mit einem unterdrückten Schluchzen hervor. Der Waffenträger seufzte genervt.
"Mach hin, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Ihr seid nicht die einzigen Ratten, die versuchen zu fliehen." Andrew beugte sich zu Sally herunter und sammelte seine gesamten Kräfte, um ihr ein Lächeln zu schenken. Sie musste sich anstrengen das Lächeln zu erwidern, immer wieder wurde es von Schluchzen und Weinen unterbrochen. Er umarmte seine Tochter so fest er konnte und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
"Es wird alles gut. Wenn ich „Jetzt“ sage, dann renn auf das Tor zu." Sally schüttelte verzweifelt ihren Kopf. Tränen tropften von ihrem Gesicht auf den Boden.
"Ich will dich nicht alleine lassen. Bitte, lass mich nicht alleine!" Sie umarmte ihn und so hielten sich Vater und Tochter fest und warteten auf den Schuss, der ihr Ende besiegeln würde.
"Ach ist das rührend. Ich fang gleich an zu kotzen." rief der Militär hinter ihnen. Er lachte dreckig und schulterte dann sein Gewehr. Das Klicken der Waffe ertönte. Andrew und Sally konnten den Luftzug fast spüren, als die Waffe gehoben und auf einen ihrer Köpfe gerichtet wurde. Sie kniffen die Augen zu. Blitzschnell wandte sich Andrew um und schubste seine Tochter zur Seite. Als sie in Richtung Tor fiel, duckte er sich und versuchte es so dem Schützen schwerer zu machen.

Doch kein Schuss ertönte. Kein Klicken, das den Abzug des Gewehrs bedeutete. Nur ein ersticktes Gurgeln und Keuchen war zu hören.

Andrew drehte sich zu der Stelle um, an der gerade noch ihr Henker gestanden hatte. Doch der lag jetzt auf dem Boden und hielt sich an seinen Hals, aus dem unaufhörlich Blut auf den Pflasterstein der Straße tropfte. Über den sterbenden Mann gebeugt, stand eine Frau. Sie war in Lumpen gekleidet und ihre schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht, sodass Andrew nichts Genaueres erkennen konnte. Sie hielt eine Glasscherbe in der Hand, mit der sie den Schützen von hinten ermordet hatte. Ein wohl nicht ganz sauberer und vermutlich sehr schmerzhafter Schnitt durch die Kehle, hatte Andrew und Sally das Leben gerettet.
"Danke… vielen, vielen Dank." Andrew konnte es kaum fassen, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Er wandte sich von der Frau ab und ging auf seine Tochter zu. Er half Sally auf und umarmte sie.
"Wir sind jetzt sicher. Guck nur auf das Tor und nicht zurück. Ich komme sofort." Damit drehte er sich um und sah zum ersten Mal das Gesicht seiner Retterin. Sie musste etwas älter als er sein aber das war durch den Dreck und das eingefallene Gesicht schwer zu sagen. Eins war aber klar: Sie kam ebenfalls aus Myassmah und war recht hübsch. Sie warf ihre schwarzen, langen Haare nach hinten und ging dann auf Andrew zu. Der konnte seinen Dank kaum in Worte fassen.
"Danke. Du hast unser Leben gerettet. Ich weiß nicht, wie ich das jemals gut machen kann. Ich bin Andrew und das da vorne ist Sally." Jetzt lächelte die Frau.
"Ich bin Anna. Wenn du dich revanchieren willst, dann lass uns zusammen aus diesem Drecksloch verschwinden. Spätestens morgen wird es kein Myassmah mehr geben und dann sollten wir so weit weg sein wie nur möglich. Zu dritt reist es sich besser als zu zweit oder?" Andrew nickte und lächelte zurück.
"Ja, da hast du Recht. Natürlich kannst du mitkommen. Was sagst du dazu, Sally?" Sie nickte nur etwas schüchtern und blieb ansonsten still. Der nahe Tod hatte sie noch mehr verschreckt und verstört, als sie sowieso durch den Verlauf des Tages war. Doch das würde sich mit der Zeit geben. Zeit heilte schließlich alle Wunden. Andrew lächelte ihr aufmuntert zu, wuschelte durch ihre Haare und nahm sie an die Hand. Eigentlich war es für die beiden ungewöhnlich einer Fremden zu vertrauen. Aber die Rebellion hatte einiges geändert und sie hatte ihr Leben gerettet. Er war sich sicher, das niemand jemanden retten würde, nur um ihn daraufhin zu bestehlen oder selbst zu ermorden. Er konnte Anna vertrauen. Zusammen verließen sie die Stadt und dieses Mal gab es niemanden, der sie aufhielt.

Eine weite Ebene erstreckte sich vor der Stadt. Das Gras raschelte und wog sich im Wind. In der Ferne, im Norden, war ein Bergmassiv zu sehen und sowohl im Osten und Westen ein Mischwald, soweit sich das Auge erstreckte. Hinter ihnen lag die Stadt. Sie entschieden sich dazu durch den Wald im Osten zu gehen, denn es war nicht ausgeschlossen, dass sie weiter verfolgt werden würden. Sie wussten nicht, wohin sie gingen aber zumindest gab es einen sichtbaren Weg und wo es einen Weg gab, gab es auch ein Ziel. Eine Stadt oder ein Dorf, in dem sie vielleicht endlich in einem richtigen Bett schlafen und die Ereignisse der letzten Stunden hinter sich lassen konnten. Andrew dachte über den Verlauf des Tages nach und kratzte sich am Kopf. Er wandte sich an Anna.
"Was meintest du damit, dass es Myassmah morgen nicht mehr geben wird? Gehst du davon aus, dass die Rebellion niedergeschlagen wird?" Anna nickte ernst.
"Diese ganze Rebellion ist ein Fluch für die Stadt. Sie bringt nichts als Tod und Leid. Ich kann nicht verstehen wieso man ernsthaft davon ausgeht, dass diese ganze Sache von Erfolg und Freiheit gekrönt sein wird. Das Militär und die Miliz der Stadt sind viel zu gut ausgerüstet und außerdem in der Überzahl. Heute Nacht wird die Rebellion niedergeschlagen und man wird sich beraten. Man wird Myassmah als Gefahr sehen. Damit sich das nicht wiederholt, wird man den Stadtteil dem Erdboden gleichmachen. Wie gesagt: Es ist ein Fluch." Andrew nickte und schwieg. Anna hatte zum Teil Recht aber was hätten die Menschen denn tun sollen? Bis an ihr Lebensende hungern, nur um am Ende ausgeraubt und von Ratten zerfressen zu werden? Nein. Es war eine letzte Chance gewesen, etwas zu verändern. Von einem Fluch würde er nicht reden. Ein verzweifelter Versuch war es gewesen. Ein Racheakt.
Sie liefen weiter durch den Wald, bis es anfing dunkel zu werden. Noch immer waren weder ein Dorf, noch eine Stadt in Sicht. Sie waren dem Weg gefolgt aber niemand konnte sagen, wie lange sie noch unterwegs sein würden. Es gab nur die Möglichkeit, die Nacht im Wald selbst zu verbringen. Nach einigen Minuten, fanden die drei endlich einen kleinen Bach, an dem sie sich satt tranken. Es war ein tolles Gefühl, endlich frisches, sauberes Wasser trinken zu können. Sie entschieden sich in der direkten Nähe des Flusses zu bleiben und ein Lager aufzuschlagen. Es wäre zwar ungemütlich, auf dem Boden zu schlafen aber es war besser als Stein. Das einzige Problem war der Hunger aber der war in Myassmah ein ständiger Begleiter gewesen und sie waren ihn gewohnt. So legten sich Andrew, Anna und Sally schlafen. Nach und nach erlagen die drei ihrer Erschöpfung. Doch der Schlaf hielt nicht für lange. Ein Donnern weckte die drei. Sie waren sofort hellwach, denn ihre Sinne waren durch ihr bisheriges Leben geschult. Man konnte diese Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht einfach ablegen, wenn sie einen ein Leben lang vor Mördern und Dieben geschützt hatte. Sie sahen sich fragend an und lauschten in die Dunkelheit. Einige Sekunden vergingen, ohne dass die drei etwas sagten. Schließlich wurde der Donner von einem Blitz beantwortet und es fing an zu regnen, als hätte er den Himmel entzwei gespalten. Erleichterung machte sich breit, denn es war nur ein einfaches Gewitter. Trotzdem war es ärgerlich und unangenehm. Da sie bei diesem Wetter nicht einfach weiterschlafen und auf nasser Erde liegen wollten, entschieden sie sich dazu, zurück zum Weg zu gehen und weiterzulaufen. Sally schaffte es nicht mehr, sich wachzuhalten und schlief in den Armen ihres Vaters ein, der sie weitertrug. Langsam machte sich schlechte Laune breit und die Müdigkeit tat ihr übriges, sodass sich kein weiteres Gespräch entwickelte und sie einfach stumm dem Weg folgten. Natürlich wollten sie auch Sally nicht wecken.
So liefen sie weiter, immer wieder an den Bäumen vorbei und begleitet von dem Gewitter.
"Ich kann bald keine Bäume mehr sehen. So schön wie es auch ist, endlich mal etwas Natur zu sehen, ich will endlich wieder ein Dach über dem Kopf haben." flüsterte er Anna zu. Sie nickte.
"Ja… es wird Zeit, dass wir endlich an einen Ort kommen. Eigentlich dürfte es nicht mehr lange dauern." Womit sie auch Recht hatte. Nach einigen langen Stunden, erreichten sie endlich ein Dorf. Es waren nur einige Hütten mitten im Wald – offensichtlich ein Holzfällerlager – aber es würde für ihre Bedürfnisse reichen. Hier gab es garantiert ein Gasthaus, in dem sie sich ausruhen und endlich schlafen konnten. Sie liefen an einigen rustikalen Häusern vorbei und näherten sich der Ortsmitte, den ein kleiner Brunnen einnahm, der von Moos überwachsen war. An einem großen, zweistöckigen Gebäude entdeckten sie endlich, was sie schon so lange gesucht hatten. Ein Schild mit der Aufschrift "Gasthaus". Andrew und Anna atmeten hörbar und erleichtert aus. Endlich hatten sie einen Ort gefunden, an dem sie sich ausruhen und von den Strapazen der Revolution erholen konnten. Sofort betraten sie das Haus und wurden von einem Schwall warmer Luft begrüßt. Es roch angenehm nach einem Kaminfeuer und Kerzen. Die Eingangshalle war für so einen Ort typisch eingerichtet: An den Wänden hingen Jagdtrophäen, den Boden schmückte ein großer, brauner Bärenpelz und die rustikalen Tische waren voller tropfender Kerzen, die den Raum zusammen mit dem Kamin beleuchteten.
"Sieht gemütlich aus." kommentierte Andrew. Hier würden sie bleiben und sich ausruhen. Das war der Start eines neuen Lebensabschnitts.

Bin mir nicht ganz sicher, ob die Stichworte so passen aber für etwas Spannung sollte gesorgt sein und Seltsam ist die Geschichte vermutlich auch etwas. Das Ganze spielt nicht in unserer Welt aber da es ansonsten keine klassischen Fantasy-Elemente gibt, habe ich mal auf das Stichwort verzichtet.

 
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Hallo KeksGolem,

„herzlich Willkommen bei den Wortkriegern!“ - Wollte ich gerade schreiben, da habe ich gesehen, dass du schon ein halbes Jahr angemeldet bist. Aber da du noch nicht so viel geschrieben hast, lasse ich es trotzdem einmal so stehen. :)

Ich will gleich einmal loslegen. Ich habe zuerst über deine Geschichte gescrollt und mir gedacht: „Puh – ist die lang, ein kleiner Roman und was sollen die ganzen fetten Passagen?“

Dann habe ich zu lesen angefangen und, es tut mir leid, ich habe es nicht geschafft, mich durchzukämpfen. Bei

Dies ist die Geschichte von Sally und ihrem Vater Andrew. Es war Dienstagmorgen, als die beiden erwachten und damit die Geschichte ihren Lauf nahm.
Bin ich dann endgültig ausgestiegen. Und ich möchte im Folgende versuchen, dir zu erklären, wieso das so war.

Als erstes nimmt mich die Struktur überhaupt nicht mit. Du schiebst in der Einleitung die Absätze ineinander, die zum einen das Szenario, zum anderen die Charaktere einführen sollen. Das erzeugt bei mir jedoch keine Spannung, sondern eher ein Gefühl des „Ausgeladen-werdens“ aus dem Text, da mir alles irgendwie präsentiert wird und ich mir selbst gar keine Gedanken mehr machen soll. Das evozierst du als Autor durch solche faktischen Aussagen wie:
„In all diesem Schmutz und Elend lebte ein junges Mädchen, zusammen mit ihrem Vater“
„Wie an jedem anderen Tag der Woche auch, wachten Vater und Tochter in einer kleinen Hütte auf“
„Eigentum gab es in dem Viertel nicht“ und zuletzt: „Dies ist die Geschichte von … “.
Da denke ich mir: alles klar, ich bin weg.

Dann sind eine ganze Menge Details im Text, die zumindest meinen Lesefluss stark beeinträchtigt haben. Ich möchte das mal exemplarisch am ersten Absatz erklären:

In den Slums von Thargatta waren das Lachen fröhlicher Kinder und das geschäftige Treiben ihrer Eltern einem nervtötenden und andauernden Quietschen und Fiepen gewichen.
Ganz ehrlich: Dieser Satz hat mich fast schon wieder rausgehauen. Nach den ersten fünf Worten dachte ich: „Gut eine Geschichte in den Slums, mal schauen“ - und dann bringst du das mit „dem Lachen fröhlicher Kinder und dem geschäftige Treiben der Eltern“ zusammen? Das liest sich eher von einem Vorort von einer amerikanischen Kleinstadt oder am Starnberger See oder so. Aber nicht wie Slums, so behagt mir das überhaupt nicht. Ich glaube, eine Ahnung zu haben, worauf du hinaus willst und würde eher vorschlagen: „das Spielen der Kinder und dem Lärmen der Eltern“ oder so ähnlich. Auch das „ nervtötende und andauernde Quietschen und Fiepen“ zieht mich nicht rein. Lass vielleicht den ersten Satz ganz weg, denn der zweite schafft das viel besser!

Überall wuselten kleine behaarte Körper durch die verdeckten Straßen des Viertels, das nur noch Myassmah genannt wurde.
Was für kleine Körper? Hunde? Ist etwas im Trinkwasser, das das Haarwachstum bei Babys anregt? Und „nur noch Myassmah“: woher soll ich wissen, was das bedeutet? Wenn es dir wichtig ist gibst du dem Leser diese Info mit oder, wenn es unwichtig ist, beharrst du nicht darauf.

Sie hatten sich wie ein Lauffeuer verbreitet und fanden in den unübersichtlichen und zugemüllten Gassen überall Verstecke.
Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer aber „ kleine behaarte Körper“ nicht. Und sie haben sich also überall versteckt? Wie können sie dann gleichzeitig herumwuseln?

Das sich das Aussehen des Armenviertels täglich änderte, indem Mauern eingerissen und neue Wände aufgebaut wurden oder überall aus allen möglichen Materialien neue Häuser entstanden, half nicht dabei, diese Plage einzudämmen.
Ein sehr anstrengender Satz, finde ich. Zunächst „Dass sich das Aussehen änderte“. Wenn das geklärt ist, also, dass sich das Aussehen täglich ändert, ist dieser ganze Teil „indem Mauern eingerissen und neue Wände aufgebaut wurden oder überall aus allen möglichen Materialien neue Häuser entstanden“ vollkommen überflüssig. Langsam dämmert es mir, weshalb der Text eventuell so lang ist … Aber es gibt an diesem Satz auch etwas Positives: ich erfahre als Leser nun, dass ich es mit einer Plage zu tun habe. Gut! - Aber auch überflüssig, denn der nächste Satz bringt es endlich auf den Punkt:
Dabei waren die Ratten zu mehr als nur einer einfachen Plage geworden.
gut, präzise, knackig. Der beste Satz in diesem Absatz, finde ich! :thumbsup:

Allein ihr Anblick ließ die Bewohner des Armenviertels verzweifeln und mit aller Kraft ein Versteck suchen.
„Mit aller Kraft ein Versteck suchen“, finde ich sehr unglücklich formuliert. Und dass es in einem vermüllten Armenviertel spielt habe ich nun auch schon zur Genüge verstanden.

Aus einfachen Krankheitsüberträgern und Schädlingen, waren blutrünstige, beißende Bestien geworden.
Warum? Ist Vollmond? Haben sie sich in Werratten verwandelt? Wenn es keine Rolle spielt wäre so ein Zusatz hilfreich wie: „Keiner wusste wieso.“

Wenn man es schaffte eine Welle dieser Pelzkörper zu vertreiben, konnte man sich sicher sein, das sie schon bald wieder kommen würden
„ eine Welle dieser Pelzkörper“: das klingt sehr gezwungen. Und würden diese dann wieder kommen? Oder kommen neue nach?

Du siehst, leider konnte mich deine Geschichte überhaupt nicht überzeugen. Das tut mir sehr leid, ich hoffe, du kannst anhand meiner Anmerkungen verstehen, warum das so ist.

Meine Tipp für eine Schreibübung: Nimm dir die Geschichte vor und lösche radikal, Satz für Satz jedes Wort, das nicht absolut notwendig für die Handlung ist! Und kommentiere bei anderen, dabei lernt man auch unheimlich viel!

Dir weiterhin viel Spaß und Erfolg beim Schreiben.
Wünscht
heiterbiswolkig

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo heiterbiswolkig!

Man kann es natürlich nicht jedem Recht machen - ich kenne einige Personen außerhalb dieses Forums, denen die Geschichte besser gefallen hat - aber gerade weil du dir trotzdem die Mühe gemacht hast, etwas dazu zu schreiben, bin ich dir dankbar.

Es kann natürlich durchaus sein, dass die Geschichte zu lang ist, um als "Kurzgeschichte" durchzugehen aber ich habe hier auch schon längere Werke gesehen.
Fett geschrieben ist die wörtliche Rede. Das habe ich mir mit aus einem bestimmten Grund angewöhnt aber es macht auch kein Problem, das einfach wegzulassen. Jetzt aber zu den Punkten, die du angesprochen hast. Ich versuche zu erklären, was ich mir dabei gedacht habe:


Als erstes nimmt mich die Struktur überhaupt nicht mit. Du schiebst in der Einleitung die Absätze ineinander, die zum einen das Szenario, zum anderen die Charaktere einführen sollen. Das erzeugt bei mir jedoch keine Spannung, sondern eher ein Gefühl des „Ausgeladen-werdens“ aus dem Text, da mir alles irgendwie präsentiert wird und ich mir selbst gar keine Gedanken mehr machen soll. Das evozierst du als Autor durch solche faktischen Aussagen wie:
„In all diesem Schmutz und Elend lebte ein junges Mädchen, zusammen mit ihrem Vater“
„Wie an jedem anderen Tag der Woche auch, wachten Vater und Tochter in einer kleinen Hütte auf“
„Eigentum gab es in dem Viertel nicht“ und zuletzt: „Dies ist die Geschichte von … “.
Da denke ich mir: alles klar, ich bin weg.

Meine Intention im ersten Absatz, war es nicht, Spannung aufzubauen, sondern die Umgebung zu beschreiben, Atmosphäre aufzubauen und das Interesse zu wecken.
Ich finde, vor allem durch die faktischen Aussagen, kann man sich direkt ein Bild von der Situation und der Umgebung machen, um die es geht. Es sollte eher eine Hilfe sein, um sich zurechtfinden zu können, denn später beschreibe ich jeden einzelnen Punkt, den du angesprochen hast, noch einmal genauer und gehe immer wieder Mal darauf ein.


Ganz ehrlich: Dieser Satz hat mich fast schon wieder rausgehauen. Nach den ersten fünf Worten dachte ich: „Gut eine Geschichte in den Slums, mal schauen“ - und dann bringst du das mit „dem Lachen fröhlicher Kinder und dem geschäftige Treiben der Eltern“ zusammen? Das liest sich eher von einem Vorort von einer amerikanischen Kleinstadt oder am Starnberger See oder so. Aber nicht wie Slums, so behagt mir das überhaupt nicht. Ich glaube, eine Ahnung zu haben, worauf du hinaus willst und würde eher vorschlagen: „das Spielen der Kinder und dem Lärmen der Eltern“ oder so ähnlich. Auch das „ nervtötende und andauernde Quietschen und Fiepen“ zieht mich nicht rein. Lass vielleicht den ersten Satz ganz weg, denn der zweite schafft das viel besser!

Durch die beiden Sätze wollte ich vor allem begrifflich machen, dass es sich eben nicht um irgendeinen Vorort handelt und habe deshalb diese Extreme gegenübergestellt. Fröhlichkeit und Lachen waren einer Rattenplage gewichen.


Was für kleine Körper? Hunde? Ist etwas im Trinkwasser, das das Haarwachstum bei Babys anregt? Und „nur noch Myassmah“: woher soll ich wissen, was das bedeutet? Wenn es dir wichtig ist gibst du dem Leser diese Info mit oder, wenn es unwichtig ist, beharrst du nicht darauf.

Vorher habe ich ja bereits Quietschen und Fiepen erwähnt, weshalb man in Verbindung mit kleinen behaarten Körpern eigentlich an Nager denken könnte. So hatte ich mir das zumindest gedacht.

Myassmah ist ein Verweis auf das Wort Miasma. Ich hatte angenommen, dass man dieses Wort kennt und deshalb die Bedeutung direkt mit der Situation des Viertels in Verbindung bringt. Ich habe diesen Namen ganz bewusst ausgewählt, weil Miasma sich nicht nur auf den biologischen Bereich, sondern auch auf den Geist bezieht. Es war mir wichtig zu beschreiben, dass die Menschen nicht nur physisch krank sind, sondern sich auch geistig verändert haben. Das diese Situation im Viertel die Menschen verändert hat.
Später im Text wird durchaus erwähnt, das Myassmah (also das Viertel) vor der Seuche bzw. Plage auch einen anderen Namen hatte.
Der Text entwickelt sich eben langsam und dadurch, dass du aufgehört hast zu lesen, sind dir einige Informationen entgangen.


Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer aber „ kleine behaarte Körper“ nicht. Und sie haben sich also überall versteckt? Wie können sie dann gleichzeitig herumwuseln?

Das Lauffeuer war eine Metapher bzw. eine meiner Meinung nach bekannte Redensart und Ratten können sich ja sowohl verstecken, als auch herumwuseln. Das schließt einander nicht aus.


Ein sehr anstrengender Satz, finde ich. Zunächst „Dass sich das Aussehen änderte“. Wenn das geklärt ist, also, dass sich das Aussehen täglich ändert, ist dieser ganze Teil „indem Mauern eingerissen und neue Wände aufgebaut wurden oder überall aus allen möglichen Materialien neue Häuser entstanden“ vollkommen überflüssig. Langsam dämmert es mir, weshalb der Text eventuell so lang ist … Aber es gibt an diesem Satz auch etwas Positives: ich erfahre als Leser nun, dass ich es mit einer Plage zu tun habe. Gut! - Aber auch überflüssig, denn der nächste Satz bringt es endlich auf den Punkt:

gut, präzise, knackig. Der beste Satz in diesem Absatz, finde ich!


Als überflüssig empfinde ich den Satz nicht. Anstrengend ist er aber vermutlich doch. Das ist ein Kritikpunkt, den ich schon öfter gehört habe. Einigen gefallen die verschachtelten Sätze und andere finden sie zu kompliziert.
Es kann auch durchaus sein, dass der ganze Absatz etwas schwer zu verstehen ist, weil ich (zu) viele Informationen hereinpacke. Eventuell wird man deshalb etwas überladen.

Ich möchte etwas erzählen und beschreiben. Die Menschen in einer gewissen Weise eintauchen lassen und ich finde man kann sich durch die Beschreibung durchaus vorstellen, wie so etwas aussieht. Wenn ich den ganzen Teil nach "Dass sich das Aussehen änderte" weg lasse, kann das alles mögliche bedeuten. Natürlich könnte ich das offen lassen aber meiner Meinung nach kommt es hier sehr auf den eigenen Geschmack an, ob man das genauer beschreibt oder dem Leser überlässt, sich dort selbst ein Bild zu machen.


„Mit aller Kraft ein Versteck suchen“, finde ich sehr unglücklich formuliert. Und dass es in einem vermüllten Armenviertel spielt habe ich nun auch schon zur Genüge verstanden.

Mit der Formulierung hast du durchaus Recht.


Warum? Ist Vollmond? Haben sie sich in Werratten verwandelt? Wenn es keine Rolle spielt wäre so ein Zusatz hilfreich wie: „Keiner wusste wieso.“

„ eine Welle dieser Pelzkörper“: das klingt sehr gezwungen. Und würden diese dann wieder kommen? Oder kommen neue nach?


Das habe ich bewusst offen gelassen. Ratten können durchaus sehr aggressiv werden. Es ist ja auch nicht normal, dass eine Rattenplage solche riesigen Ausmaße annimmt. Nicht umsonst habe ich der Geschichte das Stichwort "Seltsam" verpasst. Es sollte schon jeder selbst über dieses Thema nachdenken und sich ein Bild machen.

Ich werde mir die Schreibübung mal vornehmen. Ich muss zugeben, dass ich nach der Kritik zu meiner ersten Geschichte sehr demotiviert war aber das hat sich gelegt. Ich habe ja bereits zwei Kritiken erhalten und ich sehe das sehr ernst, dass ich nicht nur nehmen, sondern auch geben will. Ich werde mal schauen, ob ich anderen Geschichten sinnvoll und hilfreiche Kritik geben kann.


Schönes Wochenende noch
CookieGolem

 

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