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Die Dinge liegen so nah
Manchmal genügt eine Kleinigkeit, damit alles wieder aufreißt.
Die Verkäuferin in dem Laden neben dem Friedhof meinte es gut mit ihrem Rat. "Jasmin duftet so wundervoll", sagte sie.
Ja, das tut er. Er duftete schon damals wundervoll, als Friedrich ihn vor über fünfzig Jahren zu unserer ersten Verabredung mitbrachte. Und er duftet noch heute wundervoll, als ich ihn auf seinem Grab pflanze.
Während ich durch die Blätter streiche, sehe ich Friedrich vor mir. Ich sehe ihn, wie er bei unserer ersten Verabredung mit dem Strauß in seinen feuchten Händen auf mich wartet. Ich sehe uns beide, wie wir auf dem Ball miteinander tanzen. Meine Tränen tropfen auf die Erde, als ich mich an unseren ersten Kuss erinnere.
Ein Geräusch lässt mich aufschrecken. Ein junges Mädchen steht am benachbarten Grab.
In ihrem Alter habe ich Friedrich getroffen, geht es mir durch den Kopf. Sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich.
Das Mädchen tritt an den Stein.
"Ich habe dir Rosen mitgebracht", höre ich sie flüstern. In ihren Haaren schimmert das Sonnenlicht. Die Finger gleiten über den Marmor. Ich will mich peinlich berührt abwenden, als mir das eingemeißelte Datum in die Augen springt.
Sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich. Ein ganzes Leben ohne ihn.
Ich blicke zurück zu Friedrichs Namen.
Manchmal genügt eine Kleinigkeit, damit alles wieder aufreißt.
Und manchmal genügt eine Kleinigkeit, damit ich dankbar bin für alles, was wir hatten.