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Die Gitterbox

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21.10.2004
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Die Gitterbox

Ruhig muss ich bleiben und nicht vorher auffallen, denkt der Mann in der schwarzen Lederjacke, die leere, etwa hüfthohe Gitterbox hinter sich herziehend. Sechs oder sieben Einkaufswagen sind vor ihm und es ist noch ein weiter Weg bis zur Kasse und er hofft, dass ihn bis dahin niemand anspricht. Meter um Meter geht es vorwärts und an den zwei geöffneten Kassen herrscht reges Treiben - Aufladen, Abladen, Einpacken, Bezahlen, nette Worte. Er blickt kurz nach hinten und sieht, dass ihm eine lange Schlange von Kunden mit zum Bersten gefüllten Einkaufswagen folgt und jetzt hat der Mann sein Ziel erreicht; er steht direkt vor der blonden Kassiererin.

Die schaut suchend auf das leere, laufende Band und weil da keine Waren liegen, hebt sie den Blick und ein breites Lächeln strahlt sie an. „Guten Morgen. Ich möchte diese Gitterbox kaufen.“ Die Frau streckt ihren Oberkörper und begutachtet die Box. Grußlos antwortet sie,
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Diese Box können Sie nicht kaufen.“
„Wieso? Warum kann ich die Box nicht kaufen?“
Er spricht laut und rüttelt an der Box, das sie klappert. Durch das Klappern hat er die Aufmerksamkeit der halben Käuferschlange und an der Nachbarkasse wird das Piepsen beim Scannen der Preise unregelmäßiger bis es völlig verstummt; auch von dort wird ihm zunehmend Aufmerksamkeit zuteil.

Der Mann wendet sich zur zweiten Kasse und sagt, auf seine Kasse zeigend, „Sie will mir keine Gitterbox verkaufen, aber Sie haben doch gestern eine Box verkauft. Genau so eine blaue wie die hier! Ich habe es beobachtet. Ich stand da am Käsestand gestern Nachmittag halb vier!“
Die jüngere, rothaarige Kassiererin ist verdutzt. Sie schiebt die Hände in die Schürzentaschen und sagt entrüstet, „Ich….äh…ich war gestern gar nicht da, ich hatte frei!!“
„Aha“, er wendet sich schnell der älteren Kassiererin zu, „dann waren es doch Sie; gestern haben Sie die Box verkauft.“
Die blonde Kassiererin behält die Ruhe. „Junger Mann, das sind unsere Kartoffelboxen. Wenn Sie unbedingt so eine wollen, gehen Sie zum Praktikermarkt, der ist doch gleich hier um die Ecke.“
„Ja, weiß ich, aber dort kosten die nicht 2,50 Euro wie hier, sehen Sie, 2,50 Euro.“
Er zeigt auf das kleine Preisschild oben links. Die Kollegin meldet sich zu Wort.
„Doch nicht die Box für 2,50 Euro! Das ist der Preis für Kartoffeln. Können Sie nicht lesen?“
Das Gesicht des Kunden nähert sich in Zeitlupe dem Preisschild. Er sieht wie die Blonde den Zeigefinger an die Stirn tippt. Er gibt aber nicht auf.
„Ach ja, und wo sind die Kartoffeln?“ er reißt die Hände auffordernd hoch, „Sieht hier irgendeiner Kartoffeln in der Box, ich nicht?“

Vom Anfang der Schlangen ertönen die ersten Fragen: Was ist denn los? Kann es mal weiter gehen? Was soll dieser Zirkus?

Die mit dem Zeigefinger getippt hat, winkt einen rundlichen Mann herbei, dessen offener, weißer Kittel beim Galopp durch den Markt wie eine Fahne weht. Es ist der Marktleiter und er bahnt sich seinen Weg zu einem freien Kassengang. Er umkurvt die Kasse, bleibt vor dem Mann mit der Box stehen, atmet tief durch und fragt streng, was hier los sei.
Der sture Kunde wiederholt sein Anliegen, aber auch der Marktleiter will die Box nicht verkaufen.
„Hören sie mein Herr, diese Box ist unverkäuflich. Sie gehört zum Inventar unseres Marktes.
Jetzt beenden Sie bitte diese Aufführung!“

Bruchstücke des Gespräches werden von Wagen zu Wagen nach hinten weitergereicht und die meisten Menschen im Markt drängen aus Neugierde in Richtung der Kassen. Von hinten ruft eine Oma: Hier hinten gibt es noch genügend Pantoffeln; jede Menge. Welche Größe wird denn gebraucht da vorne?
Und ein paar Menschen lösen sich aus dem Gemenge und beginnen die angeblich so günstigen Lautsprecherboxen zu suchen. Keiner weiß genau, was an den Kassen eigentlich los ist.

Der Mann blickt noch einmal in die Box, er entdeckt eine kümmerliche, kleine Kartoffel, die aus einem Netz gerutscht sein muss. Er hebt sie hoch, triumphierend. Sie hat die Dimension einer Walnuss. Er hält sie dem Marktleiter unter die Nase, dann reckt er die Hand in die Höhe.
„Sehen Sie, diese kleine Kartoffel soll 2,50 Euro kosten. Sie sehen die teuerste Kartoffel der Welt. Aber ich nehme sie; ich kaufe diese kleine lächerliche Kartoffel zusammen mit der Box.“ Er wirft sie zurück in die Box.

Dem Marktleiter wird das Treiben zu bunt und er fasst den Mann beim Ärmel und beginnt zu ziehen, „Kommen Sie mit; raus aus dem Kassenbereich. Sie blockieren ja den ganzen Verkehr.“ und sie gehen fünf Schritte mit rollender Box in Richtung Ausgang.

„Jetzt hören Sie schon auf mit diesem Theater. Sie lassen jetzt diese Box los und verlassen den Supermarkt oder ich hole die Polizei.“
Die Drohung scheint zu wirken. „Ist ja gut“, sagt friedlich der Mann und zeigt dem Marktleiter achselzuckend die zwei Päckchen Zigaretten in seiner Hand, „aber die….“
„In Gottes Namen, stecken Sie die Zigaretten ein und verschwinden sie, ja!?“

Kopfschüttelnd schiebt der Marktleiter die Box durch den freien Kassengang zurück und denkt noch eine Weile an den sonderbaren Wunsch des Herrn von eben.

Der Mann in der schwarzen Lederjacke verlässt den Laden und geht drei Straßen links, 2 Straßen rechts und da sieht er das Auto am vereinbarten Platz unter der Linde stehen und steigt ein. Vorher klopft er den Schnee von seinen Schultern.
„Na, wie war es?“
„Pierre, Du warst großartig“, sagt seine Freundin Michelle, „ ich konnte in aller Seelenruhe aussuchen und einpacken. Du, ich glaube, ich hätte mit einer Schubkarre rein- und rausfahren können. Dein Auftritt hat alle fasziniert; keiner sah nach mir.“
Er wischt sich etwas Schweiß von der Stirn und wird neugierig.
„Zeig mal die Beute.“
Er wühlt im Plastikbeutel auf der Rückbank und erst plumpst eine tiefgefrorene Gans heraus und ihr folgen rollend 2 Flaschen Rotwein.
„Nicht schlecht, Chianti und eine polnische Mastgans, aber ist das alles?“ fragt er.
Sie rückt näher, umarmt und küsst ihn und flüstert ihm ins Ohr,
„Ach, mein Held, hab` ein bisschen Geduld. Ich will Dich noch bescheren - heute ist doch Heiligabend!!!“

 

Irgendwie ist das Ende enttaeuschend...
Der Anfang ist sehr schoen, baut Spannung auf, aber das Ende ist zu trivial.

Gruss Julian

 

die Gitterox

hi dicker,

ist ja interessant. ich war mir sicher, mensch, mit dem schluss überrasche ich, aber du findest ihn enttäuschend. meine frau übrigens auch, die die geschichte gestern las....die drückte sich zwar etwas devoter aus (hm, da erwartet man einen anderen schluss, sagte sie), aber es läuft auf dasselbe hinaus.

danke für das lesen und kommentieren.

gruss kardinal

 

Hallo Kardinal,

der Schluß kommt eher zu rasch, aber ich wüsste jetzt auch keinen besseren Vorschlag zu machen. Überraschend fand ich ihn allemal und obendrein wars ne nette kleine Weihnachtsstory zum Schmunzeln.
Mir hat sie gefallen! :)

Was mich allerdings dann später hat stutzen lassen, war folgender Satzteil, mit dem du mich auf die völlig falsche Fährte gesetzt hast:

Der Box folgen mindestens zehn zum Bersten gefüllte Einkaufswagen

Ich dachte, der zieht die leere Box und drangehängt zehn weitere Einkaufswagen, weil er z.B. die Box damit beladen will oder irgendwie halt ein schräger Vogel ist. Dass du damit aber nur meintest, zehn weitere Kunden hätten bereits hinter ihm aufgerück mit ihren vollbeladenen Wagen, das hab ich nicht daraus gelesen.

Aus meiner Sicht müsste daher dieser Satz anders da stehen.

Lieben Gruß
lakita

 

die gitterbox

hallo lakita,

du hast vollkommen recht; dem satz:

Der Box folgen mindestens zehn zum Bersten gefüllte Einkaufswagen...


fehlen die kunden. jetzt steht da:


Er blickt kurz nach hinten und sieht, dass ihm eine lange Schlange von Kunden mit zum Bersten gefüllten Einkaufswagen folgt....

danke für den netten hinweis, das lesen und den kommentar.

ich wünsche dir einen schönen dritten advent.

viele grüße kardinal

 

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