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Die heilige Nutte

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27.12.2005
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Die heilige Nutte

Seine Faust landete in ihrem Gesicht. Synchron entfernten sich die beiden zusammengestoßenen Objekte, jeweils Spuren am anderen hinterlassend. Ihre viel zu dick aufgetragene Schminke klebte, blau-schwarz schimmernd, auf seinen Fingerknöcheln. Diese Rückstände ihres zweiten Gesichtes konnte er leicht beseitigen. Sie aber würde dauerhaft gezeichnet bleiben. Das konnte man anhand des sich schon ankündigenden Hämatoms unter ihrem linken Auge ohne Zweifel behaupten.
Noch immer vor Aufregung, vielleicht sogar Erregung, zitternd, wischte er das Make-up demonstrativ in seine Weste.
Er spuckte ihr vor die Füße, drehte sich um und ging. Im Hintergrund hörte er die Leute reden, die sich um die Frau versammelt hatten. Einige wollten gleich die Polizei rufen, andere wollten ihm sofort an den Kragen.
Auf jeden Fall war es nicht der erhebendste Moment in seinem Leben, als er sich ins Auto wuchtete, die Schlüssel im Schloss umdrehte und unter Aufjaulen des überraschten und überforderten Motors davonzog.
Bei einer Kreuzung fuhr er über Rot, doch wie egal das nun war. In ein paar Stunden würden die Bullen sowieso vor seiner Wohnung stehen. Einmal über Rot fahren, was war das schon?
Er würde für seine Tat büßen müssen. Obwohl sie schuld war. Sie hatte ihn vor allen Leuten bloß gestellt, obwohl er sie so sehr verehrte.
Sie war eine Kellnerin in seinem Lieblingspub. Eigentlich ging er ja nur wegen ihr hin. Es gab dutzende solcher Orte in der Gegend, verraucht, leicht vermieft und vielleicht eben deswegen sehr menschlich.
Seit einem Jahr hielt er sich nun, so oft es ging, in diesem Lokal auf. Als freischaffender Künstler hatte er viel Freizeit, also definierte sich dieses „oft“ mit „immer“ außer sonntags. Da ließ er sich nachmittags von seiner Lieblingsnutte inspirieren, die er sich auf’s Zimmer bestellte. Doch das spielt hier keine Rolle.
Als Mann hatte er Bedürfnisse, die nun mal gedeckt werden mussten. Außer dem allgemeinen männlichen Trieb, wahllos auf einer Frau rumzuspritzen, hatte er als Künstler ein ganz anderes Problem: Seine Gefühle waren zu intensiv, viel ausgeprägter als bei anderen Menschen. Egal, welche Gemütslage ihn befiel, er musste sie ausleben. Wenn er wütend war, musste er etwas zerschlagen. Wenn er jemanden mochte, tat er alles für ihn. Und, wenn er wen anbetete, wie in diesem Fall, dann auch dies ohne Rücksicht auf eigene Verluste.
Und die Kleine betete er an. Sie war wie eine Heilige für ihn, alleine schon ihr Blick ließ ihn erstarren. Wenn sie ihn höflich ansprach, um die Bestellung auf zu nehmen, nahm er immer das Gleiche. Nicht weil er so sehr auf Scotch stand, sondern, weil er sich ja nicht versprechen, oder sie unnötig aufhalten wollte. Ihre Zeit fand er unheimlich kostbar, so wie alles an ihr von unschätzbarem Wert war.
Für ihn war sie unantastbar. Die anderen Gäste jedoch grapschten sie ungeniert an, warfen ihr Bierdeckel hinterher und pfiffen laut, wenn sie vorbei lief. Jedes Mal machte es ihn rasend, oft war er mit hochrotem Kopf nach draußen gerannt, um Luft zu holen und sich zu beruhigen.
Wann würde sie es bemerken, dass er nicht so war wie alle anderen? Wann würde sie ihn für sein nobles Benehmen loben, so wie die Frau Lehrerin, die ihn damals auch ganz lieb gestreichelt hatte?
Dann, durch nichts und wieder nichts provoziert, stand einer der besoffenen Kerle vom Tisch in der Ecke des Pubs auf und setzte seiner Kellnerin nach. Der verschwitzte, vom Dreck schon schwarz gewordene Penner im karierten Baumfällerhemd begrapschte sie. Dieser Abschaum zerrte an ihrem Rock, sie musste kämpfen, um denselben und das Tablett festhalten zu können.
Nun war Schluss mit Lustig. Er stand auf, und mit einem Tritt hatte er den Wichser auf den harten Boden der Realität geholt. Drei Mal trat er noch auf den in Staub liegenden Abschaum ein, bis dieser endlich Ruhe gab.
Was dann geschah, sollte er nie vergessen.
Sie warf sich ihm dankbar um den Hals. Während sie ihn so innig und dankbar umarmte, spürte er, wie seine Männlichkeit zu Fleisch wurde, und sich in seiner Hose aufbäumte. Natürlich hatte sie es auch gespürt, und ließ sogleich von ihm ab.
Aber nun ging es nicht so weiter, wie man nun vermuten würde.
Weder konnte es sich jemand erklären, noch hatte irgendwer von den Anwesenden so etwas schon mal gesehen.
Ob sie betrunken war oder unter Drogen stand? Egal.
Sie kniete sich vor ihn hin, öffnete seine Hose und empfing sein Gemächt mit beiden Händen. Vorsichtig bearbeitete sie es, zuerst mit der einen, dann mit der anderen Hand, und dann beidhändig und mit dem Mund. Alle Gäste, fast ausschließlich Männer, starrten wie gebannt auf diese Szene. Alles stand still, nur ihre Hände und ihr Mund bewegten sich.
In diesem Moment fühlte er, wie etwas in ihm zerbrach. Gerade indem er den Traum aller Männer schlechthin lebte, vernichtete er ihn.
Denn was ist ein Traum, den man nicht mehr träumen kann? Und was ist eine Frau, die vor einem in die Knie geht? Beides das gleiche. Beides nicht begehrenswert.
Es ging alles sehr schnell vor sich, so das er kaum reagieren konnte. In seinem Kopf brachen sich die Gedanken aneinander. Das Wechselbad der Gefühle setzte ihn vollkommen außer Gefecht. Gedanklich.
Nach weniger als zwei Minuten, als er in ihren Mund gekommen war, war das Schauspiel zu Ende. Frenetisch applaudierten alle Spinner, die sich um die beiden herum versammelt hatten. Sie grölten und jaulten, als ob gerade einer die Meile unter drei Minuten gerannt wäre.
Er jedoch weinte. Aus beiden Augen ergossen sich Rinnsale, die sich an seinem Kinn trafen und von dort aus auf den staubigen Boden fielen.
In den selben Staub, in dem dieser Mistkäfer lag.
Auf den selben Grund, auf dem diese Frau kniete.
Mehr als das war sie nicht mehr für ihn.
Indem sie sich ihm hingegeben hatte, noch dazu vor all diesen so oft gesehenen, doch unbekannten Dreckskerlen, hatte sie ihn verärgert. Nein, verletzt. Solche Momente hatte er sich immer als den Höhepunkt der Intimität zwischen zwei Menschen ausgemalt, den sie alleine und abgeschottet vom Rest der Welt genießen sollten, ja mussten. Diese Illusion hatte sie zerstört. Auch konnte er sie nicht mehr anbeten, Huren betet man nicht an. Und was anderes war sie in dem Moment nicht.
Wie er sie hasste.
Nachdem das Gegröle und das geile Gelaber ausgeklungen war, bemerkten die Leute erst, dass er tatsächlich weinte. Für sie war er ein Held, von dem, was er gerade erlebt hatte, träumt jeder echte Mann.
Zuerst lachte einer, dann fingen sie alle an zu lachen.
Noch bevor sie sich sein Sperma vom Mundwinkel wischen konnte, hatte er sie beim Arm gepackt und hochgehoben, so dass sie nun gerade vor ihm stand. Diese Nutte, er hatte sie geliebt, verehrt, vergöttert. Diese heilige Schlampe.
Seine Faust landete in ihrem Gesicht. Synchron entfernten sich die beiden zusammengestoßenen Objekte, jeweils Spuren am anderen hinterlassend...

 

hej antti.
Genau dieser Wechsel zwischen Verehrung und Ablehnung ist der springende Punkt der Geschichte. Sie findet besonders bei Menschen statt, die niemals eine klare Position beziehen konnten. Sie sind gefangen zwischen "komm her", und "geh weg", so sie vor diese Wahl gestellt werden, können sie nur verlieren. Stellen sie andere vor diese Wahl, sind sie plötzlich die Gewinner, wenn auch nur in ihrer Imaginierten Welt... Falls dich die typisierung interessiert: man nennt das "Emotional instabil, oder auch "Borderline"... falls du also die Person ausbauen möchtest, google mal ein bisschen rum, dann findest du ne Menge Futter dafür.
Gruß Lord

 

hey Lord... genial. Auf Borderline wäre ich nie gekommen. Lässt sich wahrscheinlich was einbauen, denke ich mal. Danke, lg ;-)

 

@aleciaones: hy, Danke für die Kritik. Also, er verpasst ihr eine, weil sie ihm die Möglichkeit nimmt, sie weiter zu verehren. Denn, durch ihre Handlung verliert sie die ganze Würde, und ist in Folge dessen ja nicht mehr begehrenswert (ich hoffe, so weit nachvollziehbar von meinem standpunkt aus...;-) und warum sie das tut? Das wird nicht erklärt. Das weiß ja keiner. Ich habe ja einen Satz eingebaut, in dem er sich fragt, ob sie auf Drogen ist oder so...? Also, sie kennt ihn ja sicher schon vom sehen, und wird sicher was mit bekommen haben von seiner Zuneigung. Nur, warum sie es tut?? Keine Ahnung. Glaubst du, ich sollte das ändern? LG ;-)

 
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Nur mal vom "Psychologischen Standpunkt aus betrachtet.
Wenn der Prot "emotional instabil" ist, dann schwankt er in seiner Gefühlswelt ständig zwischen den Extremen; Höchste Verehrung und tiefster Verachtung hin- und her.
Er neigt zum gedanklichen Idealisieren, und wird durch die Realität quasi "gezwungen" sie vom ideologischen Sockel "herunter zu stoßen" und zu entwerten. Damit vermeidet er die Auseinandersetzung mit seinen inneren Konflikten, da ja nicht er, sondern sie daran "schuld" ist, bzw. nach seiner "Inneren Logik" schuld sein Muss!.
das (Therapeutische) Problem bei dieser Art Persönlichkeitsstörung ist:
der Betroffene hat eine stak verminderte Einsichtsfähigkeit. das heißt, er fühlt sich weder "krank" noch "anormal", sondern er bewertet nur die Außenwelt nach seinen "ver-rückten" Maßstäben.
In der Fachsprache nennt man dies auch ein "Ich-dystones" Krankheitserleben.
Borderline - patienten spalten stark, und nehmen die "realität" anders, bzw teils gar nicht wahr. Nur neblig - ungreifbares. Die Emotionalität schwankt zwischen nicht vorhanden zu eruptiver, agressiver Handlung sich selbst, und anderen gegenüber.
Alles klar? Gruß:Lord

 

@Lord: hey. klar, ich hab die Kenntnisse in Psychologie nicht, das war alles eher intuitiv... er bestellt sich Nutten? Na und. Nichts außergewöhnliches für ihn. Er verbringt ganze Tage, ein Jahr lang und sauft nur ein und dasselbe Getränk? Und, total normal. Er kriegt einen geblasen und "wehrt" sich nicht, obwohl er es nicht will? Oder will er es doch? Nur, gut war es am Ende nicht, dass sie das getan hat. Genau das wollte ich ja dar stellen... der Kerl ist eben nicht normal. Ob das jetzt Borderline oder Exzentrismus ist... tut kaum was zur Sache. Ich finds aber cool, wenn man darüber bescheid weiß, danke für die Lektion ;`-)

 

Hmmmm.
Verbessert, aber m.E noch nicht wirklich besser. Es ist kürzer geworden, aber so Sachen wie der "vor Dreck schon fast schwarz gewordene penner" stören mich, wie auch die Tatsache, dass die Geschichte durch die verwendeten Klischees alleine nicht lebt. dass ihm jemand mitten im Pub einen aus Dankbarkeit, vor allen anderen bläst, ist nach wie vor unglaubwürdig.Gut hingegen sind so Sätze wie der über die "lieb streichelnde Lehrerin", welche seine gedankenwelt plastischer machen. Davon in passender Form mehr, aber weniger Schwarz/Weiß Malerei, dann wird es langsam was.
Lord

 

So, danke für dir Kritik. Ich versuche eh, mehr in den Graubereich zu kommen mit meinen Geschichten, wobei viele vor lauter Schwarz/Weiß das Grau ja nicht mehr erfassen können, weil es ja nicht eindeutig ist. Ich werde mich bemühen, Danke nochmal, Jo

 

Hallo Antti,

Ich hab deine Geschichte heute in der überarbeiteten Fassung das 1. Mal gelesen und will erstmal deinen (jetzt?) flüssigen Schreibstil loben, er gefällt mir sehr, weil er einen im Lesefluss hält und mit fortzieht.

Zum Inhaltlichen: Ich persönlich finde es gar nicht schlecht, dass das Innere des Protagonisten ein wenig im Schattenbereich gelassen wird. Wenn nicht alles schwarz auf weiß dasteht, dann lässt das mehr Raum für eigene Überlegungen, ja, ich finde gerade dann wird ein Charakter spannender, weil man sich eben erst hineindenken MUSS. Und bei einer solch drastischen Geschichte wie deiner kommt man ja gar nicht umhin, nicht darüber sich Gedanken zu machen. Auch wenn ich jetzt vielleicht als Neuling hier Alteingesessenen widerspreche... Insgesamt behaupte ich mal, viel Literatur gelesen zu haben und dementsprechend mir dennoch Ahnung angeeignet zu haben.

Den Einwand, dass die Handlung mit dem "Blase-Akt" (ich nenn's mal so) etwas seltsam ausschaut, kann ich zustimmen. Überleg doch, ob ein Zungenkuss nicht auch dieselbe Wirkung haben kann. Ein Zungenkuss, der eben eigentlich nicht mehr nur Dank und schon gar nicht der 1. Kuss zwischen zwei Menschen wäre. Vielleicht reicht auch dieser, in aller Öffentlichkeit, schon aus, bei deinem Protagonisten, der ja zur Extreme neigt, eine selbige Reaktion auszulösen. Nur als Anregung! Damit z. Bsp. könntest du dann das ganze zu Bizarre umgehen.

 

hey Katharina. Ja, der Blowjob gibt dem ganzen schon einen krassen Anstrich, weiß ich. Würde in Wirklichkeit kaum passieren. Aber ein Zungenkuss würde ihn nicht so fertigmachen, und keine solche Reaktion hervorrufen, mutmaße ich mal. danke für die Kritik, sehr nett und konstruktiv. freue mich schon von dir was zu lesen, lg Jo

 

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