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Die Köchin

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08.10.2014
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Die Köchin

Ihr Erbrochendes vermischte sich mit der aufspritzenden Gischt. Innerhalb einer Sekunde hatte das Meer es verschluckt. Eine besonders große Welle erfasste das Schiff und Judith überkam kurz das Gefühl, vom Boden abzuheben. „Aufhören“, dachte sie. „Bitte Aufhören. Bitte.“ Wieder stülpte sich ihr Magen um. Doch dieses Mal gab es nichts außer Flüssigkeit, die sie in das salzige Nass spucken konnte. Erschöpft richtete sie sich auf und hangelte sich an der Reling entlang. Sie musste weiter. Noch eine Verspätung und sie würde ihren Job verlieren.

Der Boden der Kombüse war mit Gummimatten ausgelegt. Wie sie wusste, wuselten unter ihnen viele kleine Kakerlaken. Vorsichtig, um keinen neuen Übelkeitsanfall zu riskieren, hob sie die Sitzflächen der Bänke hoch. Dort befanden sich die Essens-Vorräte. Die eigentliche Küche war durch eine Art Tresen vom Rest des Raumes getrennt. Als sie Spiegeleier und Speck briet, brannte der Geruch von heißem Fett wie ätzende Säure in ihrer Nase.

„Na, mal wieder die Fische gefüttert heute Morgen?“ Peter kam langsam die kleine Treppe hinunter. Er lachte dreckig und entblößte seine braunen Zähne. Braun vom Kau-Tabak, den er großzügig über das Schiff verteilte. Eine Unart, die sie zwang, jeden Abend den Boden und die Tische zu schrubben. „Kaffee?“, murmelte sie. „Klar.“ Sein Blick durchbohrte sie. „Weiß nicht, warum du noch immer hier bist. Ist ziemlich offensichtlich, dass du nicht die Eier für den Job hast.“ Sie antwortete nicht, sondern stellte nur die Tasse auf den Tresen. Peter murmelte etwas von „blöder Ziege“ und setzte sich auf die Bank. Nach und nach trafen die anderen vier Männer ein.

Nach dem Frühstück hatte sie einige Minuten, bevor sie anfangen musste, das Mittagessen vorzubereiten. Erleichtert stieg sie in ihre Koje. Im Liegen war die Seekrankheit besser zu ertragen. Neben ihr auf dem Tisch lag eine Packung Tabletten, die angeblich gegen die Übelkeit helfen sollten. Heute Morgen hatte sie zwei genommen – und sie ein paar Minuten später erbrochen.

Sie schloss die Augen. Tränen der Verzweiflung rannten ihre Wangen hinab. Sie musste hier ausharren, sie brauchte das Geld und dass sie keine Miete zahlen musste, solange sie auf diesem Kahn der Verdammten arbeitete, war für sie ein Segen. Verdammte Schulden, dachte sie. Und zu allem Übel zog ein richtiger Sturm herauf. Der Tag versprach noch schlimmer zu werden.

Mit letzter Kraft schleppte sich Judith zurück in die Kombüse. Das Schiff wurde von den Wellen so heftig hin und her geschüttelt wie Würfel während eines Kniffelspiels. Judith musste sich immer wieder mit den Händen abfangen, um nicht gegen die Wand geworfen zu werden. Ihr Magen begann wild in ihrem Körper herumzuhüpfen und sie schmeckte bereits Magensäure. Sie gab auf. Niemand konnte bei diesem Wetter von ihr erwarten, etwas zu kochen. Selbst, wenn sie ein Seebär gewesen wäre: Wie sollte sie kochen, wenn alles, was nicht befestigt war umherflog? Sie drückte ihre freie Hand gegen den Mund und schaute zu Boden.

Sie hörte, wie die Tür aufgestoßen wurde. Ein Schwall Wasser ergoss sich über die Treppe. Ein Mann in gelben Regemantel und schwarzen Gummistiefeln schleifte etwas herein. Die Szene hätte aus einem Gruselfilm sein können, in dem der Mörder sein Opfer entsorgte. Erst als er Judith fast erreicht hatte, erkannte sie, dass es Rudi war, der den bewusstlosen Peter hereinzog. „Was ist passiert?“, schrie sie gegen den Lärm des Sturms an. Rudi drehte kurz den Kopf nach ihr um. „Der Mast hat ihn getroffen“, schrie er zurück. „Geh aus dem Weg!“ Sie presste sich gegen die Wand und ließ die beiden vorbei.

Dann schlug die Tür wieder auf. Sie sah die Szenerie draußen wie durch eine Kamera, bei der der Fokus falsch eingestellt war. Undeutlich war eine kleine Gestalt zu erkennen. Konnte das sein? Nein. Sie hatte ihm gesagt, er solle in seinem Versteck bleiben. Aber etwas in ihr hatte ihn sofort erkannt und ließ sich nun nicht mehr unterdrücken. Pascal! Der kleine blinde Passagier, den sie vor einer Woche entdeckt und seitdem mit Essen versorgt hatte. Sie sah verschwommen, wie sich die Gestalt die Reling entlang hangelte, den Körper gegen den Wind gedrückt wie gegen eine Mauer. „Nein!“, schrie sie, obwohl sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Sie drehte sich verzweifelt um und zerrte Rudi am gummiartigen Ärmel seiner Regenjacke. „Der Junge!“, schrie sie. „Der Junge ist da draußen!“ „Was für ein Junge?“, Rudi stieß ihre Hand weg und wandte sich sofort wieder Peter zu. „Da ist keiner. Die Mannschaft ist unter Deck, beruhige dich.“

Judith verlor jetzt keine Sekunde mehr, Blut pochte in ihren Ohren. Sie rannte die Treppe hinauf. „Oh Gott, bitte nicht“, dachte sie. Sie winkte mit beiden Armen und versuchte so, Pascal auf sich aufmerksam zu machen. Das Meer nutzte diesen Moment der Unaufmerksamkeit. Im nächsten Moment knallte sie mit dem Gesicht auf den harten Boden. Sie versuchte, sich aufzurichten, glitt aber mit den Händen aus. Schließlich kroch sie auf allen Vieren gegen den Wind an. Es war, als würden Fingernägel über ihr Gesicht kratzen. Sie atmete Salzwasser ein. Nur verschwommen nahm sie die Umrisse des Jungen wahr.

Judith fühlte sich wie in einem Alptraum, in dem sie trotz aller Bemühungen nicht vom Fleck kam. „Noch ein bisschen weiter“, dachte sie. Sie erinnerte sich, wie Moni, ihre beste Freundin, sie beim 800 Meter-Lauf angefeuert hatte, als sie kaum noch atmen konnte und aufgeben wollte. „Du schaffst es“, hörte sie Moni rufen. „Gleich bist du da. Noch ein bisschen weiter.“ Der Schmerz in ihren Lungen von damals war nichts im Vergleich zu den Qualen, die sie jetzt litt. Schließlich – nach schier endloser Zeit – konnte sie die Umrisse der Reling erkennen. „Noch ein bisschen weiter.“ Beim dritten Versuch umfasste ihre Hand endlich den kühlen Stahl. Sie zog sich hoch.

Doch da war nichts. Die Gestalt war verschwunden. „Nein“, sagte sie, doch der Wind, der unbarmherzig in ihrem Rücken stieß, verschluckte jeden Laut. „Neeeeeeinnn du verficktes Scheißmeer.“ Tränen der Verzweiflung schossen in ihre Augen. Sie stand da, ließ den Wind sie langsam vorwärts schieben. Dann war da für eine kleine Ewigkeit gar nichts mehr. Schließlich fühlte sie eine Wärme in sich aufsteigen. Als wäre nach einem Stromausfall das Notaggregat angesprungen. Die Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, wurde immer intensiver, bis eine Explosion ungeheure Energien freisetzte. „Mehr hast du nicht drauf?“ schrie sie überheblich. Jeder Windstoß, jede Ladung Meerwasser, die in ihr Gesicht schlug fachte ihren Trotz noch mehr an. „Du machst mich nicht fertig, du nicht.“ Der Wind schien ihr die ketzerischen Worte aus dem Hals fegen zu wollen, sie konnte sich noch nicht einmal selbst hören. Sie bekam einen Hustenanfall. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie es. An der Reling. Da war etwas. Ohne zu überlegen lockerte sie ihren Griff, ließ sich ein Stück vom Wind tragen und packte zu. Sie zog den Jungen, der an einer Hand über der Reling hing, soweit hoch, dass er Halt fand. Nach einem verzweifelten Kampf hatte er seinen Körper über die Stahlrohre gehievt und beide fielen auf den Boden.

Rudi saß neben Peter in der Kajüte, als Judith den Jungen hereintrug. „Was zum Teufel …?“, fragte er. Aber Judith beachtete ihn nicht. Sie legte Pascal in die zweite Koje, befreite ihn von seinem durchnässten T-Shirt und der Jeans und wickelte ihn in so viele Decken wie sie nur finden konnte. Zitternd sank sie neben der Koje zu Boden. Peter stöhnte und wandte sich zur Seite. „Was macht die denn hier?“ krächzte er. „Dachte, die ist auf dem Klo und verursacht ihre eigene Überschwemmung.“ Ein krächzendes Lachen ertönte. Erst jetzt bemerkte Judith, dass sie ganz vergessen hatte, seekrank zu sein. „Das ist vorbei“, sagte sie leise. Sie schwiegen.

 

Hallo Steffi!


Zu Beginn die Fehler und Verbesserungsvorschläge:


Innerhalb einer Sekunde hatte das Meer es verschluckt.

"hatte es das Meer verschluckt" klingt schöner.


Neben ihr auf dem Tisch lag eine Packung Tabletten, die angeblich gegen die Übelkeit helfen sollten. Heute Morgen hatte sie zwei genommen – und sie ein paar Minuten später erbrochen.

Wenn das Schiff wirklich so schaukelt, liegen die Tabletten nicht lange auf dem Tisch. - und sie hatte sich ein paar Minuten später erbrochen.


Ein Mann in gelben Regemantel und schwarzen Gummistiefeln schleifte etwas herein.

"RegeNmantel"


Tränen der Verzweiflung schossen in ihre Augen.

Diese Art von Tränen hatten wir schon mal weiter oben.


Jetzt zum Fazit:
Als ich angefangen habe zu lesen, dachte ich noch: "Toll, eine Story übers Kotzen" und wollte schon aufhören. Als dann aber der kleine Junge ins Spiel kam, wurde es endlich spannend. Nichtsdestotrotz habe ich hier und da ein paar Fehler gefunden (s. o.).
Die Geschichte ist, wenn die Fehler behoben sind, gut gelungen. Was aus dem verletzten Peter geworden ist, würde mich doch noch interessieren. Und was aus den beiden anderen Männern geworden ist, wäre auch interessant.
Alles in allem: Mir hats gefallen. Danke für dieses kleine Abenteuer!


LG

Betze

 

Hallo Steffi,

deine Geschichte hat mir ganz gut gefallen, vor allem, dass du eine Charakter-Entwicklung hinein gepackt hast. Aber ich finde, gerade deswegen, könntest du noch etwas weiter ausholen und den Weg von der ängstlichen, seekranken Judith, zur mutigen, nicht-mehr-seekranken Judith etwas ausführlicher beschreiben. Das Verhältnis ist im Moment etwas unausgeglichen. Der Hauptteil beschreibt die ängstliche Judith und ist recht lang. Die Veränderung geschieht sehr schnell in zwei Absätzen. Der Schluss kann meiner Meinung nach so kurz bleiben.

Auch fände ich es gut, wenn du Pascal früher in der Geschichte andeuten würdest. Er kommt zu plötzlich in die Geschichte. Du könntest das auch als Spannungselement nutzen und dem Leser darauf hinweisen, dass hinter ihren Leiden noch mehr steckt, als nur Geld, das sie braucht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola Steffi,

klasse Geschichte, gut gemacht!
Der Text packt, stimmt, alles passt (bzw. das meiste:)). Ich bin lange Jahre zur See gefahren und weiß auch, wie sich das anfühlt, wenn einem die See in die Schnauze haut. Kriegte auch noch rechtzeitig die Reling zu fassen.
Gut geschrieben, Kompliment.

Paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:

Ihr Erbrochendes
Erbrochenes

Braun vom Kau-Tabak, den er großzügig über das Schiff verteilte.
Bisschen unpräzis, denn er spuckt ja diesen wundervollen braunen Saft überall hin, und verteilt nicht den Kautabak übers Schiff.

Eine Unart, die sie zwang, jeden Abend den Boden und die Tische zu schrubben.
Hat er wirklich auf die Tische gespuckt? So ein Ferkel!

Sie antwortete nicht, sondern stellte nur die Tasse auf den Tresen.
Bei diesem Seegang wird sie da nicht lange stehen. Vielleicht wäre besser, dass sie ihm die Tasse in die Hand gibt.

Peter murmelte etwas von „blöder Ziege“ ...
Kommt unverhofft. Warum sollte er das an dieser Stelle sagen?

alles, was nicht befestigt K war umherflog?

„Neeeeeeinnn du verficktes Scheißmeer.“
Dieses langgezogene Nein sieht nicht wirklich gut aus.
Das ‚verfickt’ ist eine modische Marotte, die eher putzig als dramatisch rüberkommt.
Vielleicht kompakter: „Scheißmeer, verdammtes!“

Judith fühlte sich wie in einem Alptraum, in dem sie trotz aller Bemühungen nicht vom Fleck kam.
Das finde ich fabelhaft.

Sie stand da, ließ den Wind sie langsam vorwärts schieben.
Hier gerate ich aus dem Takt, denn die aktuelle Situation ist:
Schließlich kroch sie auf allen Vieren gegen den Wind an.

Schließlich fühlte sie eine Wärme in sich aufsteigen. Als wäre nach einem Stromausfall das Notaggregat angesprungen. Die Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, wurde immer intensiver, bis eine Explosion ungeheure Energien freisetzte. „Mehr hast du nicht drauf?“ schrie sie überheblich. Jeder Windstoß, jede Ladung Meerwasser, die in ihr Gesicht schlug K fachte ihren Trotz noch mehr an. „Du machst mich nicht fertig, du nicht.“
Großartig!
Diese ganze Szene finde ich sehr gelungen. Da ist mit dem tag ‚Spannung’ nicht zu viel versprochen!

... in so viele Decken K wie sie nur finden konnte.

„Was macht die denn hier?“K krächzte er.

Jou, Steffi – da kann ich nur sagen: Das habe ich sehr gern gelesen.
Weiterhin viel Erfolg!
José

 

Hallo, vielen, vielen Dank für die Antworten! :) Entschuldigt meine eigene späte Antwort. Ich habe mich sehr gefreut, dass ihr die Geschichte gerne gelesen habt.
betzebub und Henrik: Ja, ich hatte auch schon gedacht, dass die Geschichte wahrscheinlich länger sein sollte, ein wenig mehr über die Charaktere vielleicht. Dass Pascal etwas plötzlich in die Geschichte kommt, stimmt. Ich wollte halt die Geschichte auf den Kern zusammenschmelzen. Könnte aber durchaus die Story noch besser machen, vielleicht probiere ich es mal.
josé: danke für die Mühe, den Text so gründlich zu analysieren und die Verbesserungsvorschläge.

Viele Grüße
Steffi

 

Hej Steffi,

eine tolle Location für eine Geschichte, kompakt und intensiv. Wirklich super nachzuempfinden. Echt mal was anderes.
Was mich allerdings unbefriedigt zurück lässt: warum ist Steffi dort? Ich wünsche mir immer mehr Persönlichkeit. Ich weiß nicht viel über sie. Richtig, für die wilde Fahrt ist das nicht vonnöten, aber schön wäre es schon, denn gewöhnlich ist es nicht, dass eine emphatische Frau sich unter "Wilden" auf Hohe See begibt.

Aber vielleicht hast du recht: spielt keine Rolle.

Lieben Gruß, Kanji

 

Entschuldige, im Eifer des Gefechts habe ich der Protagonistin deinen Namen gegeben; ich meine natürlich Judith :D

Gruß, Kanji

 

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