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Die letzte Barriere

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03.01.2007
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Die letzte Barriere

Ich hatte nie etwas derart schönes gesehen. Um mich herum funkelte die ewige Nacht, und Milliarden Sterne wiesen mir durch die mich umgebende Kälte des Alls den Weg. Ich fühlte mich eins mit dem Universum und war gleichzeitig erfüllt von Ehrfurcht vor der unvorstellbaren Weite des Raums. Schon seit Stunden befand ich mich hier draußen, doch noch immer konnte ich die Augen nicht vom dem lassen was ich sah, wahrend meine Zeit verrann, und in meinem Inneren ein Kampf der Hormone tobte, im dem das Adrenalin mehr und mehr die Oberhand gegen die Endorphine gewann. Es wurde Zeit.

Der Frachter an dessen Außenhaut ich die letzten 14 Stunden verbracht hatte würde bald mit dem Andockmanöver an Alamgir beginnen, der Zentrale des indischen Ashoka Konzerns, wo der Plan in die entscheidene Phase eintreten würde. Die "Ravi" war auf dem Rückweg von den lunaren Helium3 Feldern als ich das getarnte Kleinstraumschiff verlies dessen einzige Aufgabe es gewesen war, mich unbemerkt nahe genug an den Frachter des Ashoka Konzerns zu bringen. Helium3 war nur unter schwierigen Bedingungen und hohen Kosten abzubauen, aber die Profite waren astronomisch. All die Jahre in denen die arabischen Staaten mit ihren mittelalterlichen Rohstoffen Milliarden gescheffelt hatten waren nichts im Vergleich zu dem Stoff, dessen Nennung jedem Buchhalter des Planeten Tränen der Ergriffenheit in die Augen trieben. Öl war quasi bedeutungslos geworden in den vergangenen 30 Jahren, und die arabischen Staaten waren heute wieder der verarmte und fest im Mittelalter verwurzelte Haufen von Turbanträgern die sie waren, bevor das Öl sie temporär an die Spitze der Weltwirtschaft katapultiert hatte. Selbst das zweite Exportgut mit dem sie einst die Welt beeinflußten, der Terrorismus, war heute nicht mehr als eine Anekdote der Weltgeschichte. Nicht einmal dafür hatten sie noch genug Geld.

Eine weitere halbe Stunde war vergangen. Die Ravi hatte ihre letzte Drehung beendet und auch wenn Alamgir noch hunderte Kilometer entfernt vor mir lag, so war die Orbitalstation doch bereits deutlich vor dem Blau des Planeten auszumachen. Alamgir war mit mehr als einem Kilometer Länge eine der größten Stationen, was für den Machtanspruch des Ashoka Konzerns im Weltmarkt stand. Einige tausend Menschen beherbergte dieses kalte Herz der Firma; Neben der Konzernspitze mit ihrem legendären Vorstand Abhay Singh waren es vor allem einige der besten Köpfe des Konzerns, die hier oben, weit außerhalb der Jurisdiktion jedes Staates Projekte verfolgen konnten, deren Umsetzung aus dem einen oder anderen Grund auf festem Boden unmöglich gewesen wäre. Für eines dieser Projekte war ich angeheuert worden.

Ich wurde 2023 in Russland mitten in die Wirren nach dem chinesischen Bürgerkrieg und der folgenden Aufspaltung des Staates in 4 Territorien geboren. Einige wenige hatten es vorausgesehen, daß das ungebremste Wirtschaftswachstum welches in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt hatte zu sozialen Spannungen führen würde, die selbst die starke Pekinger Zentralmacht nicht mehr kontrollieren konnte. Zu groß wurde die Kluft zwischen arm und reich. Nur einige hundert Millionen Chinesen profitierten vom neuen Wohlstand, während der Großteil des 1.5 Milliarden Volkes ausgebeutet wurde und zusehen musste, wie eine Oberschicht in Saus und Braus lebte. Der 2020 ausgebrochene Bürgerkrieg forderte weit mehr als 20 Millionen Opfer, hinterlies ein in 4 Gebiete zerbrochenes Riesenreich, und stürzte die Weltwirtschaft ins Chaos. Der Dollar verlor quasi über Nacht massiv an Wert als die chinesische Deckung der amerikanischen Währung nicht mehr bestand, die amerikanischen und europäischen Konzerne verloren große Teile ihrer Fertigungskapazitäten, und in der gesamten westlichen Hemisphäre standen innerhalb weniger Jahre 100 Millionen Menschen ohne Einkommen und ohne Zukunft vor den Trümmern ihrer Existenz. Meine Eltern zogen mich auf während die Welt einen Ausweg aus der Krise suchte, und mit den Gesetzen von 2025 auch fand.

Eine leichte Erschütterung durchlief den massigen Rumpf des Raumschiffs. Die Bremstriebwerke verbrannten einen Teil der kostbaren Ladung um den Transporter fast zum Stehen zu bringen, damit die kleinen Steuerdüsen das Andockmanöver einleiten konnten. Alamgir nahm den mit fremdländischen Schätzen beladenen Sohn mit offenen Armen auf. Wenn auch nur für kurze Zeit, so war die Ravi doch ein weiteres mal sicher heimgekehrt von ihrer Reise durch das unendliche Nichts in den sicheren Hafen der Station. Doch diesmal hatte das Schiff einen ungebetenen Gast eingeschleppt: mich.

Ein russischer Konkurrent von Ashoka hatte mich vor einigen Monaten angeheuert für eine heikle Mission. Scheinbar hatten die Inder etwas entwickelt was die Russen gerne haben wollten, und ich sollte es besorgen. Worum es letzlich genau ging wurde mir nie verraten, aber es spielte auch keine Rolle. Mein Auftrag war es in den Konzernsitz der Ashoka einzudringen, eine Pille zu klauen und mich dann schnellstmöglich zu meinen Auftraggebern abzusetzen. Dafür wurde ich bezahlt, und das nicht zu knapp. Für ein 27jähriges Mädchen das unter ärmlichen Bedingungen aufgewachsen war und keine ordentliche Ausbildung erhalten hatte verdiente ich ausgesprochen gut. Das wichtigste aber für mich war der Adrenalinrausch den mir der Job selbst verschaffte. Das Eindringen in aufwendig gesicherte Räumlichkeiten um Informationen und Objekte zu stehlen die niemals hätten entwendet werden dürfen, dafür lebte ich. Es war besser als alles was ich kannte, und selbst guter Sex konnte mir nicht dieses Glücksgefühl geben, diesen Höhepunkt den jeder erfüllte Auftrag mir verschaffte.

Langsam löste ich mich aus der Starre und begann an der Ravi entlang zur Station zu schweben. In die Datenspeicher meines Anzugs hatten die Russen alles eingespeist was ihre Aufklärungsabteilung in den letzten 2 Jahren über die Station in Erfahrung bringen konnte. Diese Informationen wurden mir nun in die Maske meines Tarnanzugs projeziert, und überlagerten mein Sichtfeld mit ergänzenden Hinweisen. Deutlich sah ich vor mir eine rote Linie die über den Frachter und seine Andockbucht auf die Station zuführte, zu einem Punkt der meinem Auge bisher noch verborgen war.

Die wiederaufbereitete Luft schmeckte schlechter und schlechter, doch der Anzug würde sie noch tagelang umwälzen können bevor mein Körper daraus nicht mehr genug Sauerstoff ziehen könnte. Bis dahin hatte ich vor längst wieder auf der Erde zu sein, mit einem hübschen Batzen Geld auf meinem Konto und der Gewissheit auch in Zukunft ein mehr als bequemes Leben führen zu können. Langsam wurden meine verspannten Muskeln locker und die mich auszeichnende Geschmeidigkeit kam zum Vorschein. Immer geschickter nutzte ich die Oberflächenstruktur der Ravi um mich Alamgir zu nähern. Meine Auftraggeber hatten gute Arbeit geleistet. Die Route die sie ausgesucht hatten bot exzellente Deckung und erlaubte mir trotzdem gut voranzukommen. Meine Anreise war aufwendig gewesen und hatte eine Menge Geld verschlungen, doch gleichzeitig war es die Richtung aus der die Inder einen Eindringling am wenigsten erwarteten. Jedes Schiff, jeder Satellit und selbst jedes Stück Weltraumschrott aus Richtung Erde wurde von den Indern argwöhnisch beobachtet sobald es näher als 30 Kilometer an die Station kam. Doch vom Mond kam nichts und niemand, nur die Mulis des 21. Jahrhunderts, die riesigen, unbemannten Raumfrachter, deren Hilfe ich mich als High-tech Tramper bedient hatte.


Der chinesische Bürgerkrieg verdeutlichte die Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit der modernen Staaten voneinander, und zeigte dadurch den Unterschied zu den lokalen Konflikten früherer Jahrhunderte. Kriege auf der anderen Seite des Planeten hatten das Leben in den westlichen Industrienationen in anderen Zeiten nicht beeinflusst. Doch zu wichtig war China für die Weltwirtschaft geworden, als dass man plötzlich ohne das Reich der Mitte auskommen könnte als wäre es nie dagewesen. Die finanzielle Last von 100 Millionen Arbeitslosen liesen in der westlichen Welt Staaten zusammenbrechen, während andere nur mit Mühe eine gewisse Ordnung aufrechterhalten konnten. Doch selbst diese Länder wussten, dass sie einen Ausweg aus der Misere brauchten, und das sehr schnell. Irgendwie musste man es schaffen den Leuten wieder Arbeit zu verschaffen und die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Man brauchte neue Ideen, kühne Visionen und revolutionäre Produkte. Zu diesem Zweck wurden 2025 weltweit die "Midas"-Gesetze verabschiedet. Konzerne bekamen Rechte nie gekannten Ausmaßes um ihnen Freiräume zur Entwicklung zu geben. Kartellämter wurden aufgelöst und der Zusammenschluss von Konzernen erleichtert, was zu einer Flut von Firmenhochzeiten und schliesslich zu Konglomeraten führte, die Investitionen in Billionenhöhe tätigen konnten. Faktisch übernahmen diese Firmen damit auch viele Staaten, gaben sie doch großen Teilen der Bevölkerung Arbeit und erwirtschafteten sie bedeutende Teile des Staatshaushalts. Die entstandenen Superkonzerne bekamen einen alten Namen mit einer neuen Bedeutung. Man nannte sie Staatskonzerne.

Alamgir lag nun direkt vor mir. Die Ravi hatte ihren Kopf in eine der großen Andockbuchten der Station gerammt, ähnlich einer Zecke deren Körper aus dem Wirt heraussteht, während der Kopf teil des Organismus seines Opfers geworden ist. Ich war die Infektion die der Parasit mit sich schleppte, und die nun auf den Wirt überging. Ich hatte mich von der Ravi abgedrückt und ueberwand die Distanz zwischen den zwei künstlichen Himmelskörpern ohne Anstrengung. Mein Training und meine Erfahrung halfen mir die Richtung und die nötige Kraft meines Sprungs richtig zu berechnen. Hätte ich mich verschätzt wäre ich ins All abgetrieben ohne eine Chance auf Rettung. Selbst wenn mich die Inder bemerkt hätten wie ich von der Station abtrieb, wenn sie überhaupt versucht hätten mich zu retten, so wäre ich sicher nicht mit offenen Armen empfangen worden.
Nach wenigen Sekunden hatte ich Kontakt mit Alamgir. Ich hatte die Station erreicht. Noch immer folgte ich der roten Linie durch die Nacht, an der Außenhülle der Station entlang. Zwei oder drei mal musste ich aufpassen nicht direkt ein Fenster zu überqueren, doch abgesehen davon bestand für mich hier außen keine Gefahr. Niemand erwartete dass ein Angreifer unbemerkt derart weit würde vordringen können. Aber ich war schließlich eine der besten meiner Profession.

Wenige dutzend Meter vorraus erblickte ich endlich das vorläufige Ziel meines Ausflugs: Eine von außen bedienbare Einstiegsluke die mir Zutritt in die Station gewähren würde. Einem Hacker den die Russen angeheuert hatten war es gelungen, unbemerkt einige niedere Diagnose und Kontrollroutinen der Station zu übernehmen. Er hatte den Zugangscode für den Notausstieg in Erfahrung gebracht und die Luke außerdem vom restlichen System getrennt, damit kein Alarm ausgelöst werden würde. In wenigen Sekunden würde ich erfahren, ob der Mann sein Geld wert gewesen war.
Ein kurzes gesprochenes Kommando von mir, und der Anzug begann über Kurzstreckenfunk Kontakt mit der Luke aufzunehmen. Eine Laufschrift die in das Sichtfenster meines Helmes projeziert wurde lies mich den Ablauf der Kommunkation verfolgen. Nun kam der kritische Moment: Der Steuercomputer der Luke verlangte nach meiner Authorisation. Bereitwillig übermittelte der Anzug die Ziffernfolgen die der Russe in Erfahrung gebracht hatte. Wäre der Code falsch würde es sicher nicht lange dauern bis schwer bewaffnete Sicherungstrupps des Konzerns hier auftauchen würden um mir beim Eintritt in die Station behilflich zu sein. Drinnen würden Verhörspezialisten auf mich warten, denen es eine Freude wäre an mir ihre Techniken zu verfeinern. Zwei Sekunden vergingen, dann drei, fünf.. Der Adrenalinspiegel in meinem Blut stieg, und wäre um mich nicht Vakuum gewesen, die gesamte Station hätte meinen Herzschlag ohne Zweifel gehört. Plötzlich sprang eine kleine LED neben der Luke auf grün, und der Zugang wurde entriegelt. Ich hatte es geschafft in die Zentrale von Ashoka vorzudringen.

Vorsichtig glitt ich durch die Öffnung in den dahinterliegenden Raum. Ich befand mich in der nur 2x2 Meter großen äußeren Kammer einer von dutzenden über die Station verteilten Luftschleusen, die für Wartungs- und Notfälle vorgesehen waren. Die Wände waren im schmucklosem weiß von billigem Industrieplastik gehalten, deren einzige Verzierung die mehrsprachige Bedienungsanleitung der Schleuse darstellte. Ein Touchscreen dessen Interface selbst für dicke Weltraumhandschuhe groß genug war, befand sich an einer der Wände. Durch einen kurzen Druck auf das Symbol veranlasste ich die Schliessung der äußeren Luke, während ein weiterer Knopfdruck die Kammer mit Luft füllte und den Weg nach innen frei gab.
Noch immer war kein Sicherheitsteam aufgetaucht, eindeutig ein gutes Zeichen. Der Hacker schien ganze Arbeit geleistet zu haben. Wie üblich in dieser Phase einer Operation ging mein Puls schnell während Adrenalin meinen Korper durchflutete, doch lagen beide Levels noch deutlich unter dem kritischen Niveau. Ich hatte alles unter Kontrolle.

Ich ging auf die Tür zu welche die Schleuse mit einem Seitenarm des Gangsystems verband, welches die gesamte Station durchzog. Ein Blick durch ein kleines Sichtfenster welches in erster Linie dazu gedacht war Beobachtern von außen zu gestatten das Innere zu betrachten stellte sicher, daß mich niemand beim Verlassen des Schleusenraums bemerken würde. Auch wenn mein Anzug über Tarntechniken verfügte die dem letzten Stand der Technik entsprachen konnte ein zufällig vorbeikommender Konzernangestellter der sich über eine sich öffnende Tür wunderte den ganzen Plan ruinieren.
Der Anzug stammte direkt aus den Labors von "Defense Works", einem der größten Rüstungskonzernen der Welt. Mein Auftraggeber hatte dieses Vorserienmodell welches allein schon der Preis ausschliesslich für den Einsatz von Spezialeinheiten prädestinierte, für viel Geld erworben. Schon im ersten Test hatten mich seine Fähigkeiten sehr beeindruckt, weshalb ich als Teil meiner Bezahlung vereinbart hatte den Anzug nach Abschluss des Auftrags behalten zu können. Obwohl mich das viel Geld gekostet hatte war es die Investition zweifellos Wert. Als Privatperson wäre ich nie an ein derartiges Modell gekommen. Auch machte ich mir wenig Gedanken was den return of investment anbelangte. Mit diesem Baby konnte ich wenn mir danach war in die meisten Museen der Welt eindringen, dort ein Nickerchen halten und anschliessend einige Andenken mitnehmen ohne Alarm auszulösen. Abgesehen von einem Head Up Display und einer Rechenleistung die vor 10 Jahren noch als Supercomputer bezeichnet worden wäre, verfügte das Produkt aus dem Hause "Defense Works" über einen geschlossenen Sauerstoffkreislauf der einen Menschen fast eine Woche in anaeroben Umgebungen am Leben erhalten konnte.

Das Material war aus industriell gefertigten Spinnenfäden gewoben und somit für Kugeln undurchdringbar, während ein feines Exoskelett den Impuls eines Einschlags ableiten und zu nicht mehr als einem leichten Zwicken machen würde. Das gleiche Exoskelett gab mir enorme Kräfte, wie ich schon beim ersten Testlauf festgestellt hatte, als ich einem Angestellten meiner Auftraggeber bei einem simulierten Angriff einen komplizierten Bruch des rechten Oberarms zugefügt hatte. Der Anzug war offensichtlich weltraumtauglich, was einen weiteren Vorteil mit sich brachte. Er war ausserordentlich gut isoliert und hatte ein ausgeklügeltes System zur Temperatursteuerung, was es ihm erlaubte, die Wärmeabstrahlung exakt zu regulieren. Derzeit hatte ich ihn auf der Standardeinstellung, wodurch er die Temperatur der ihn umgebenden Luft annahm. Für die Sensoren der Alamgir war ich unsichtbar.

Ein Druck auf den Schalter neben der Tür öffnete diese auf einen verwaisten Korridor. Auch wenn die Station viel zu teuer war um sie nicht rund um die Uhr zu nutzen, so wurde doch ein grober Tag/Nacht Rhythmus eingehalten um den Organismus der Forscher nicht vollkommen aus dem Tritt geraten zu lassen. Die Menschheit war seit tausenden von Jahren gewohnt, sich periodische Erholungsphasen zu gönnen, um danach wieder ihr volles Potential entfalten zu können. Es war nicht im Interesse der Firma ihre Mitarbeiter länger als nötig wach zu halten, da dies unweigerlich zu schlechteren Leistungen und vielleicht sogar Unfällen geführt hätte. Nicht gerade zufällig war ich in der Ruhephase in die Station eingedrungen. Weniger wache Leute bedeutete weniger Probleme mich auf der Station zu bewegen. Auch wenn mich der Chamäleotarnfleck davor bewahren würde dass ein zufälliger Blick in meine Richtung mich entdeckte, so versuchte ich doch das Risiko meinen Auftrag nicht ausführen zu können zu minimieren.

Vorsichtig schlich ich durch die Gänge des gigantischen Bauwerks. Nur ab und an begegnete mir ein Serviceroboter der sich nicht für mich interessierte, und ein einziges Mal duckte ich mich für einige Minuten in eine nur schlecht beleuchtete Ecke als ich in der Ferne Schritte vernahm. Bisher war es ein Spaziergang. Der rote Faden der mich schon über die Außenhaut der Station geleitet hatte zeigte mir auch hier im inneren den Weg, über abseits gelegene Tunnel und sterile Gänge langsam auf ein Labor des medizinischen Forschungszentrums zu. Nach fast 20 Minuten stand ich endlich vor meinem Ziel. Ein Schild neben der Tür gab es als Forschungsstätte eines Dr. Sarabhai aus, dessen Aufgabengebiet als "Zelluläre Regeneration" angegeben wurde. Was auch immer es war was Dr. Sarabhai entdeckt hatte, meine Auftraggeber hatten weder Kosten noch Mühen gescheut um es zu stehlen.

Abgesehen von einem violetten Rechteck das sich neben der Tür befand und vom schmutziggrau der Wände farblich abhob gab es kein erkennbares Schloss um die Tür zu öffnen. Ich bewegte meine Hand über das Rechteck und wurde von den Sensoren in meinem Anzug von meinem Verdacht bestätigt. Innerhalb der Wand fand sich ein RFID Leser der meinem Anzug eine kryptographische Challenge entgegengespiehen hatte. Ein in Dr. Sarabhais Handrücken wahrscheinlich subkutan implantierter Chip hätte an seiner Stelle die entsprechende Antwort berechnet und zurückgesendet, was ihm den Eintritt erlauben würde. Weder ich noch die Daten in meinem Anzug hatten jedoch darauf eine Antwort. Sicherlich konnte ich versuchen durch systematisches Probieren den richtigen Code zu knacken, aber Ashoka würde sicherlich kein System einsetzen das nicht mindestens über mehrere Milliarden mögliche Kombinationen verfügte, was diesen Ansatz aussichtslos gestaltete. Selbst bei einem kurzen Code mit nur mehreren tausend Möglichkeiten den mein Anzug mit Leichtigkeit knacken könnte würde nach 3, 5 oder vielleicht 10 erfolglosen Versuchen innerhalb einer kurzen Zeitspanne die Tür in der Sicherheitszentrale Alarm schlagen.
Ich würde einen anderen Weg in das Labor finden müssen, notfalls in dem ich Dr. Sarabhais Quartier aufsuchen und ihn zur Mitarbeit "überreden" müsste.

Ein weiterer Test des Schliessmechanismus machte dies jedoch überflüssig. Dieser Typ Schloss wurde in großen Stückzahlen gefertigt, und erst der Kunde programmierte über eine Managementkonsole sowohl das Schloss als auch die Zugangsdaten der verschiedenen RFID Chips die es akzeptieren sollte. Um das Schloss gegen nachträgliche Manipulation zu sichern war es unerlässlich ein Passwort zu vergeben was die Managementkonsole gegen unbefugten Zugriff schützte. Zu meiner Freude entdeckte ich, daß das Sicherheitsteam der Station hier geschlampt hatte. Das Standardpasswort war unverändert, und ich konnte mich in das Schloss einloggen, wo ich mich in die Liste der authorisierten Nutzer hinzufügte. Als ich meine Hand ein weiteres Mal über das Rechteck bewegte wurde die Tür entriegelt und schwang auf. Ein eleganter kleiner Hack und ich hatte die Barriere überwunden. Ich war drin.

Gefüllt mit medizinischen Gerätschaften, einem Schrank, einem langgezogenen Arbeitstisch und dem dazugehörigen Stuhl wirkte der Raum abweisend und steril. Nichts deutete darauf hin dass hier ein Mensch einen Grossteil seiner Zeit verbrachte. Es gab keine persönlichen Gegenstände, keine Bilder an den Wänden, und auch kein Fenster. Nichts sollte Dr. Sarabhai von seiner Arbeit ablenken. Zu wertvoll war seine Zeit um sie zu vergeuden. Meine Auftraggeber hatten mir gesagt dass es irgendwo in diesem Raum eine Pille geben sollte, die neueste Entwicklung des Doktors. Ich begann Schubladen zu öffnen und den Schrank zu durchwühlen auf der Suche nach einer Pille die aussah als ob sie mit besonderer Bedacht an ihrem Platz abgelegt worden wäre. Was auch immer die Wirkung dieser Pille war, der Schöpfer des Wirkstoffes war sicherlich stolz auf sein Werk, was sich in der Aufbewahrung seiner Entwicklung wiederspiegeln würde.

Ich hatte erst wenige Minuten damit verbracht vorsichtig und leise den Raum zu durchsuchen als etwas unerwartetes geschah. Bisher hatte der Plan perfekt funktioniert, und auch wenn ich es gewohnt war hin und wieder zu improvisieren, auf manche Dinge kann man sich nicht vorbereiten. Hinter mir öffnete sich die Labortür. Mangels einer Möglichkeit mich in diesem kahlen Raum zu verstecken drehte ich mich erschreckt zur Tür, durch die bereits ein Ashoka Sicherheitsteam in den Raum stürmte. Ich war starr vor Schreck. Erst im zweiten Moment realisierte ich, daß dies nicht nur meiner Überraschung zuzuschreiben war. Ich war bewegungsunfähig. Das Exoskelett des Anzugs hatte sich versteift und hielt mich fest wo ich war. Ich konnte mich keinen Milimeter bewegen. Im nu war ich von Bewaffneten umzingelt die offensichtlich genau wussten, daß ich so keine Gefahr für sie darstellte. Einer der Männer setzte eine Spritze mit einer Nanoinjektiosnadel an meinen rechten Oberarm und aktivierte den Mechanismus. Ein feiner Stich bestätigte meine Befürchtung. Die Nadel war fein genug um den Anzug zu durchdringen. Ich konnte nichts weiter tun als hilflos mitanzusehen wie man mir etwas injiziierte was ich sicher nicht in meinem Kreislauf haben wollte. Drogen? Nanomaschinen? Ein Wahrheitsserum? Ein schneller Tod? Was auch immer es war, es wirkte schnell. Mir...wurde....kalt........


***

Ich kann nicht sagen wie lange ich geschlafen hatte, doch als ich erwachte hatte ich fürchterliche Kopfschmerzen und fühlte mich hundeelend. Mich überkam die Erinnerung an den letzten Tequilakater und nur mit Mühe konnte ich meinen Magen davon abhalten seinen Inhalt vor mir auszubreiten.
"Miss Jenya, ich freue mich Sie wieder wach zu sehen. Ich hoffe meine Mitarbeiter waren nicht allzu grob zu Ihnen". Ich befand mich in einem großen, repräsentativ eingerichteten Raum. Ein Luxus wenn man bedachte, daß all dies von der Erde heraufgebracht werden musste. Die Wände waren teils holzgetäfelt, der Boden mit kostbaren Teppichen bedeckt, und ein großes Panoramafenster hinter einem massiven Holzschreibtisch zeigte die Erde in ihrer ganzen blauen Pracht. Ein Inder unbestimmbaren Alters nahm den Platz mir gegenüber hinter dem Schreibtisch ein. Obwohl seine Augen und seine Haltung von der Selbstsicherheit und der Erfahrung eines ganze Lebens zu erzählen schienen, war seine Haut straff, sein Körper in Form und sein Haar tiefschwarz. Wer war dieser Mann? Konnte er es sein? Der gesichtlose Mann im Hintergrund des Konzerns den die Welt seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hatte? Der große alte Mann?
"Wie Sie sich sicher schon gedacht haben bin ich Abhay Singh. Mein Vater hat diese Firma in der Mitte des 20. Jahrhunderts gegründet, als Schrotthandel in Bombay. Ich habe begonnen sein Werk fortzuführen, und es gelang mir nach und nach die Firma auszubauen und mit ihr zu wachsen. Der große chinesische Krieg hat mir einen rasanten Aufstieg erlaubt, und auch die Nachkriegszeit verstand ich geschickt zu meinem Vorteil zu nutzen. Konkurrenz kam und ging, wurde gekauft oder vernichtet. Nur Ashoka ging nicht, sondern blieb und wuchs, wurde mächtiger und mächtiger, und ist heute einer der stärksten Konzerne auf dem weltweiten Markt. Der Aufbau meiner Firma hat mich viel Zeit gekostet, unendliche Mühen, und ein ganzes Arbeitsleben. Wissen Sie wie man aufsteigt und oben bleibt? Wie man es schafft auf den Wogen des mörderischen Marktes zu treiben ohne unterzugehen?"

Noch immer hatte ich den Eindruck mein Kopf befände sich fest eingespannt in einem großen Schraubstock. Jeder Gedanke schmerzte, und nur langsam bekam ich meine Sinne wieder zusammen, während Singh persönlich mir die Leviten las. Aber konnte er es wirklich sein? Der große Mann der indischen Wirtschaft? Selbst in Anbetracht der besten Langlebigkeitstherapien die man für Geld kaufen konnte, der Mann mir gegenüber sah einfach zu jung aus um Singh sein zu können. Aber wer war er dann? Ein Klon?
Erst jetzt realisierte ich zu meinem Entsetzen, daß man mir den Anzug ausgezogen und mich in eine Hose und einen Pullover gesteckt hatte. Trotz dieser Kleidungsstücke kam ich mir nackt und schutzlos vor, Singh auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

"Nun was meinen Sie meine Liebe? Wie bleibt man oben während andere untergehen?" Mühsam formte ich eine Antwort, wohlwissend dass der Ausgang dieses Gesprächs sehr wohl über mein Leben entscheiden könnte. "Glück?" Meine Antwort schien ihm nicht zu gefallen. "Glück? Jetzt enttäuschen Sie mich. Nach allem was mir über sie berichtet wurde sind Sie eine intelligente Frau. Glauben Sie wirklich all das schafft man durch Glück? Meinen Sie wirklich einen Staatskonzern von der Größe Ashokas bekommt man hin indem man darauf wartet dass einem die richtigen Entscheidungen in den Schoss fallen?" Seine großen dunklen Augen funkelten mich unter den dichten Augenbrauen heraus an. "Nein, nicht Glück ist die richtige Antwort, sondern Information"

Meine Kopfschmerzen gingen langsam in ein periodisches Pochen über und die Übelkeit lies etwas nach. Auch wenn außer Singh und mir niemand im Raum war so konnte ich mir sicher sein, daß Vorkehrungen getroffen worden waren mich daran zu hindern einfach über den Schreibtisch zu springen und mir mit meinem Arm um seinen Hals eine bessere Verhandlungsbasis zu verschaffen. Abgesehen davon hätte in meiner derzeitigen körperlichen Verfassung wahrscheinlich selbst Singh alleine ausgereicht um mit mir fertig zu werden. Sein auf mich gerichteter Blick strotzte vor Selbstbewusstsein.

Erneut wandte er Singh an mich. "Information ist das wichtigste Gut auf dem Planeten, teurer noch als das kostbare Helium3 welches ich auf dem Mond abbaue, und unendlich viel wertvoller. Ich wusste von ihrem bevorstehenden Besuch noch bevor sie selbst davon wussten. Ich kannte ihre Reiseroute, ihre Ausrüstung, ihre Fähigkeiten und ihr Ziel. Ich habe ihnen zugesehen wie sie sich langsam der Station näherten und in sie eindrangen, und allein die Tatsache dass sie es geschafft haben so weit zu kommen bestätigte was meine Sicherheitsabteilung mir über sie berichtet hatte. Sie sind eine aussergewöhnliche Frau. Aber auch sie haben keine Chance gegen mich, schon gar nicht wenn das Unternehmen von Anfang an verraten war. Der Hacker hat zwar die Zugangscodes beschafft, gleichzeitig aber für eine kleine Provision auch uns davon in Kenntnis gesetzt. Für derartige Hinweise zahlen wir viel zu gut als dass sich jemand diesen Bonus entgehen lässt. Von da an haben wir sie beobachtet, und es hat mich überrascht wie elegant sie es geschafft haben bis hierher vorzudringen. Alles was wir am Ende tun mussten um sie unschädlich zu machen war Ihrem Anzug ein Signal zu senden welches ihn immobilisiert. Defense Works hat uns den Code freundlicherweise verraten dafür dass wir einige brisante Informationen für uns behalten haben."

"Verraten!" schoss es mir durch den Kopf. "Für wieviel hatte der Bastard mich verkauft? Wie viel hatte er für mein Leben bekommen?" Inständig hoffte ich die Chance zu bekommen ihn dies selber Fragen zu können, so unwahrscheinlich dies momentan auch war. Die Wut brachte meine Lebensgeister zurück. "Wieso haben sie mich so weit kommen lassen? Wieso haben sie mich nicht schon früher erledigt?" Singh schien amüsiert. Ein Lächeln umspielte seine Lippen während seine kalten Augen mich weiter überlegen fixierten. "Es bereitete mir Vergnügen". Als ich nichts erwiderte fuhr er fort. "Sehen Sie, das Objekt auf das man sie angesetzt hat wurde von meinem Konzern bereits vor 10 Jahren entwickelt. Im Laufe dieser Zeit haben Ihre Auftraggeber bereits zweimal versucht die Pille zu stehlen. Der erste Angreifer trieb in einer als Weltraumschrott getarnten Kapsel wochenlang langsam auf die Station zu. Als er das Ziel vor Augen hatte lies ich ein unbemanntes Raumschiff seinem Habitat einen kleinen Stoss geben. Er verglühte in der Atmosphäre. Den zweiten Versuch beging ein gekaufter Mitarbeiter meiner Firma. Auch er rieselte als kosmischer Staub auf die Oberfläche des Planeten. Haben Ihre Auftraggeber vergessen Ihnen das mitzuteilen? Woher dachten Sie stammten die detailierten Informationen über die Station?"

Ich wusste dass die Russen skrupellos waren, aber dieses eiskalte Vorgehen überraschte selbst mich. Sie hatten wahrscheinlich nie mit dem Erfolg meines Auftrags gerechnet, schickten mich jedoch trotzdem auf dieses Himmelfahrtskommando in der Hoffnung ich würde es irgendwie schaffen, entgegen aller Prognosen. Offensichtlich hatten die Simulationen Recht behalten. Wenn ich schon draufging, dann wollte ich wenigstens erfahren wofür. "Was ist das besondere an dieser Pille? Wie kommt es dass meine Auftraggeber wieder und wieder Millionen in Himmelfahrtskommandos investieren in der vagen Hoffnung einer würde es schaffen?" Singh schien verblüfft. Seine Mimik schien einige Sekunden zwischen Ungläubigkeit, Misstrauen und Wut zu wechseln. Die Wut gewann. "Man hat es Ihnen nicht einmal gesagt? Man schickt sie auf eine derartige Mission und sagt Ihnen nicht einmal wofür sie Ihren Kopf riskieren??" Meine ausbleibende Antwort bestätigte seine Vermutung.

Singh öffnete die rechte obere Schublade seines Schreibtisches und entnahm ihr eine kleine, kunstvoll gestaltete Box. Die Wände des Schächtelchens bestanden aus aufwendig bearbeitetem schwarzem Marmor, in den ein Deckel aus Elfenbein perfekt eingepasst war. Das Emblem welches den Deckel zierte war eine Schlange die sich selbst in den Schwanz biss. Singh öffnete das Gefäss und entnahm ihr eine gelbe Pille die er mir zwischen Daumen und Zeigefinger eingespannt präsentierte. "Das ist es was sie stehlen sollten, das geniale Erzeugnis Dr. Sarabhais: WRL-8 - Unsterblichkeit"

Der alte Traum der Menschheit sollte wahr geworden sein? Über 100 Jahre nach dem Fliegen sollte wirklich eine weitere scheinbar unüberwindbare Barriere gefallen sein? Hätten die Russen nicht fest genug daran geglaubt um Millionen in Unternehmungen zu stecken um diese Pille zu stehlen, ich hätte Singh ausgelacht.
Er schien dies zu bemerken. "Sie glauben mir nicht? Der lebende Beweis dass es funktioniert sitzt vor Ihnen!" In der Tat war sein Anblick ein gutes Argument, doch noch hatte er mich nicht überzeugt. "Sie behaupten allen Ernstes Ihre Firma wäre seit über 10 Jahren im Besitz einer Pille die Unsterblichkeit ermöglicht? Wieso habe ich davon nie etwas gehört? Der Wert einer derartigen Erfindung wäre astronomisch. Wieso sollten Sie auf diese Reichtümer verzichten?" Singh stand auf und ging zum Fenster, von wo er auf die Erde heruntersah. "Auf unserem Planeten leben über 8 Milliarden Menschen. Bereits 2050 soll diese Zahl um eine weitere Milliarde gewachsen sein. Können Sie sich vorstellen was passiert wenn ich die Pillen günstig auf den Massenmarkt werfe? Stellen Sie sich vor niemand muss mehr sterben! Wo heute noch weltweit täglich Millionen zu Grunde gehen könnten bald Parks statt Friedhöfe stehen! Wenn die Sterberate gegen Null geht steigt die Bevölkerung der Erde ins Unermessliche. Die Unsterblichkeit der Massen wäre der Todesstoss für den Planeten"
"Wenn Sie die finanzielle Umsetzung der Pille nicht interessiert, wieso haben Sie sie dann entwickeln lassen? Um Ihr Ego zu befriedigen? Unsterblichkeit für sich und eine von Ihnen bestimmte Elite? Wer hat das Recht ewig zu leben und wer nicht?"
"Sie missverstehen den Zweck dieser Entwicklung. Die Erzeugung des Wirkstoffs kostet mich quasi nichts. Ich könnte innerhalb kürzester Zeit Fabriken mit der Produktion von WRL-8 beginnen lassen. Körper würden nicht mehr im Laufe von etwa 80 Jahren langsam verwelken, sondern die Blüte ihrer Jugend auf ewig behalten: jung, stark, schön. Jeder Mensch auf dem Planeten würde mir mit Freuden sein Vermögen übertragen um die Chance zu erhalten auf ewig zu leben. Das Ergebnis wäre die Selbstzerstörung der menschlichen Kultur, die auf dem Lebenszyklus aufbaut. Darauf ist die Menschheit noch nicht vorbereitet."
"Noch nicht? Wann ist sie es? wollen Sie das bestimmen? Sie besiegen den Tod, stoppen die Evolution und sehen sich als Altruist? Evolution fußt auf dem Konzept dass Generation auf Generation folgt, jede ein wenig anders als die vorherige, jedes Individuum einzigartig, ein neuer Versuch der erfolgreicher verlaufen soll als der letzte Ansatz. Ihre Pille stoppt die Entwicklung in dem sie den momentanen Stand auf alle Zeiten einfriert. Die Natur hat nicht umsonst den Mensch zu einem sterblichen Wesen gemacht. Neues, fortschrittlicheres Leben verdrängt überflüssig gewordene Konzepte. Doch Sie setzen sich darüber hinweg und sehen es als positiv für die Menschheit an? In 10.000 Jahren sind sie so rückständig wie Menschen die vor dieser Zeit in Lehmhütten gehaust, das Feuer als Hochtechnologie betrachtet und sich gegenseitig die Köpfe abgeschlagen haben. Das wollen sie erreichen?"
"Ich werde die Evolution nicht anhalten indem ich mir und ausgewählten Individuen den Gang in eine Zukunft ermögliche die uns erwartet. Unsere unermessliche Erfahrung wird uns zu Hütern der Vergangenheit, und Führern in die Zukunft machen. Soll die Menschheit weiter leben und sterben um uns herum, wir werden dafür sorgen dass die Entwicklung in die richtige Richtung verläuft."
"Wir? Wer ist noch Teil ihres verrückten Planes?"
"Einige wenige, sorgfältig ausgewählte Individuen. Während die Führer der Welt nach und nach alt werden und die Macht die sie im Laufe ihres Lebens aufgebaut haben verlieren, werden wir unsterblich und unaufhaltsam deren Positionen besetzen bis wir es an die Spitze geschafft haben. Vielleicht dauert es 100 Jahre, oder 500, das ist egal. Wir haben Zeit."
"Selbst bei den grössten Diktatoren konnte man sich bisher sicher sein, daß auch diese nicht die Macht hatten den Tod zu besiegen, und falls es niemand anders schaffte, so zumindest die Zeit die sichere Verbündete der Unterdrückten war. Das Ableben der alten brachte neue Führer an die Spitze, neue Ideen und neue Möglichkeiten um die Völker voranzubringen. Nun wollen Sie sich an die Spitze setzen um diesen Platz nie wieder aufzugeben? Eine Diktatur mentaler Greise als Führer der Jugend! Wenn ich mir den Entwurf ihrer Zukunft vorstelle wird mir schlecht! Sie sollten die Pille vernichten und alle Aufzeichnungen über ihre Wirkungsweise!"
"Was wäre das Ergebnis? Sie stoppen die Entwicklung nicht indem sie sie an einer Stelle blockieren. Der technologische Fortschritt ist nicht aufzuhalten, ob es ihnen gefällt oder nicht. Früher oder später wird jemand anders die selbe Entdeckung machen wie Dr. Sarabhai, genauso wie Leibniz und Newton unabhängig voneinander die Differentialrechnung entdeckten. Die Frage ist nicht ob es passiert, sondern wann und wie, und das ist genau das was ich lieber steuern möchte, als von der Entwicklung überrollt zu werden."
"Wie lange glauben Sie können Sie die Existenz ihres Wundermittels noch geheimhalten? Die Russen wissen bereits davon, und irgendwann wird es die ganze Welt sein. Das Wissen dass Gott besiegt ist wird den Planeten verändern, wenn Religionen die darauf bauen dass das jetzige Dasein nur eine Prüfung vor dem unausweichlichen Gericht Gottes ist zusammenbrechen, weil die Gläubigen sehen dass es möglich ist sich des Zugriff des scheinbar Allmächtigen zu entziehen. Milliarden Unterpriviligierter werden Sie verfluchen und versuchen Sie zur Herausgabe der Pille zu zwingen. Ihre Entdeckung wird mehr Krieg, Leid und Tod bringen als Leben retten."
"Sie wollen mir das ewige Leben verbieten um die Menschheit vor sich selbst zu retten? Seit Jahrhunderten heuchelt man jedes Leben wäre gleichviel wert, doch ich behaupte das Gegenteil! Meine Entwicklung ist ein Glücksfall für die menschliche Zivilisation! Sie erlaubt es die Genies die uns am meisten voranbringen zu erhalten, statt ihre Fähigkeiten nach einer viel zu kurz bemessenen Lebensspanne für immer zu verlieren! Was wir brauchen ist Unsterblichkeit für unsere besten Köpfe, während die Masse der Völker weiter zum Wohle aller den Tod in Kauf nehmen muss! Die Gesellschaft muss umdenken! Der egozentrische Arroganz jedes menschliche Leben erhalten zu müssen nur weil die Mittel zur Verfügung stehen ist falsch! Das ist es, was die menschliche Rasse nun lernen muss!"
"Ebenso wie die Nazis in ihrem Euthanasieprogramm unwertes Leben beendeten, wollen Sie es also einfach nicht verlängern? Sie schwingen sich auf als Hüter der Zivilisation und bestimmen wer in ihre schöne neue Welt darf und wer nicht? Wie viele Menschen musste bereits sterben aufgrund der Pille? Noch weiss fast niemand von ihrer Existenz, und doch gibt es bereits die ersten Toten, die sie zu verantworten haben. Ihr 'gesellschaftlicher Umbau' wird in einem Massenmord enden dem Sie unberührt zuschauen wollen, während Ihre Propaganda Sie als den guten Hirten und Ersatz für verlorene Götterbilder preist? Ihr Körper mag jung geblieben sein, doch innerlich sind Sie ein unendlich böser alter Mann."
"Ich bin mir darüber bewusst, daß die meisten Menschen für das Geheimnis von WRL-8 alles geben und über Leichen gehen würden. Ihre Auftraggeber haben dies wieder bestätigt. Trotzdem werde ich Sie am Leben lassen, und es Ihnen ermöglichen sicher zu den Russen zurückzukehren. Sehen Sie es als Beweis meines guten Willens."
Ich war mir sicher gewesen dieses Gespräch nicht lange zu überleben, aber nun schöpfte ich neue Hoffnung. Würde der alte Mann mich wirklich gehen lassen? Hatte er mir den Einbruch in seine Station verziehen? Ich war sprachlos und verwirrt, und blieb stumm auch als sich die Türen öffneten und ein Sicherheitsteam hereinkam. Meine Unruhe stieg als ich meiner Eskorte durch die Gänge der Station folgte, doch Singh schien sein Wort zu halten. Man brachte mich zu einem autonomen kleinen Shuttle dass sich kurz darauf von der Station löste und die Orbitalplattform meiner Auftraggeber ansteuerte. Still sass ich im Bauch der Maschine und sortierte meine Gedanken. Was sollte ich den Russen sagen? Die Mission war ein Fehlschlag gewesen, aber aufgrund von Faktoren die außerhalb meines Einflussbereichs lagen. Wie würden sie reagieren?


***

Das Shuttle glitt still durch den Weltraum während ich in Gedanken die letzten Stunden noch einmal durchlebte. Nur knapp hatte ich die Begegnung mit der Unsterblichkeit überlebt. Die Stunde die das Raumschiff unterwegs war verging scheinbar in wenigen Minuten. Viel zu sehr hatte mich die Begegnung mit Singh aufgewühlt. Er war ein egozentrischer, böser alter Mann, trotzdem hatte er hatte mich am Leben gelassen. Oder hatte er das? Erst als das Shuttle sicher und unbeschadet bei meinen Auftraggebern landete hatte ich darauf eine Antwort.
Als die Schleuse sich öffnete stand vor mir ein Team bestehend aus Mitgliedern der Sicherheitsabteilung angeführt von Viktor, Medizinern und Iwan, der mich angeworben und auf den Auftrag vorbereitet hatte. Er war das Dreckschwein das mich wissentlich in den fast sicheren Tod geschickt hatte ohne mit der Wimper zu zucken. Ich merkte wie der Puls an meinen Schläfen zu pochen begann und wollte mich eben auf ihn stürzen als er zu sprechen begann.
"LOS! LOS! LOS! Ihr habt die Nachricht von Singh gehört! Sie trägt die Pille in sich! Stoppt Ihren Organismus bevor sie sie vollständig verdaut hat!" Singh hatte sein Wort gehalten. Er hatte mich sicher zurückkehren lassen. Doch wie naiv war es von mir gewesen anzunehmen ich würde ungestraft davonkommen. Er wusste dass Leute selbst für die vage Hoffnung Unsterblichkeit erlangen zu können töten würden. Alles was er für seine Rache benötigte war eine falsche Information an meine Auftraggeber. Das letzte was mir in diesem Leben durch den Kopf schoss war ein Klumpen Blei aus Viktors Pistole.

 

Hallo Resitz

Kümmert sich keiner um dich? Dann müssen wir da wohl mal Abhilfe schaffen;) .

Mach dir nicht so viel daraus, dass die Antworten bisher eher spärlich bis nichtexistent ausgefallen sind, längere Erstlingswerke, die dann einen nicht ganz so mitreißenden Einstieg haben, haben es generell erstmal schwer (ich hab das auch durch) und außerdem war ja ne Menge los im Forum...

Naja, zum geschäftlichen Teil: (räusper)

Fangen wir mal mit den Tiefschlägen an:

Die Geschichte ist für den Storyumfang viel zu lang. Besonders am Anfang braucht sie ewig, bis sie etwas in Schwung kommt. Unbedingt abkürzen.
Der Hintergrund mag zwar ganz interessant sein, aber es ist wirklich vieles drin, was nix als Dekowirkung hat. Die gesamte verlängerte Weltgeschichte, von der du ja einige Unterrichtsstunden gibst, kann man straffen und besser in die Geschichte einbauen, sonst unterbricht sie jeglichen Lesefluss.

Ansonsten:hmm: :

- HeliumIII auf dem Mond? Ich hab mal Wikipedia bemüht, da steht, es gibt da ein bisschen im Gestein, aber richtige Quellen? Hmm...

-

Für ein 27jähriges Mädchen das unter ärmlichen Bedingungen aufgewachsen war und keine ordentliche Ausbildung erhalten hatte verdiente ich ausgesprochen gut. Das wichtigste aber für mich war der Adrenalinrausch den mir der Job selbst verschaffte. Das Eindringen in aufwendig gesicherte Räumlichkeiten um Informationen und Objekte zu stehlen die niemals hätten entwendet werden dürfen, dafür lebte ich.
Wie kommt es dazu? Ein paar Andeutungen in diese Richtung wären wesentlich interessanter gewesen, als zu wissen, dass China nun in ausgerechnet 4 Teile zerbrochen ist.

- Wieso schwafelt der Oberbösewicht in bester Dr. Evil-Manier immer noch ellenlang über seine Pläne? James Bond lässt grüßen...

- Für ein Mädchen, mit dessen Moralvorstellungen es anscheinend selbst nicht ganz so weit her ist, philosophiert... äh wiehießsienoch (Ich glaube du hast den Namen einmal erwähnt... Ach ja da.) Jenya doch erstaunlich humanistisch mit Singh ("Der Zorn des Khan":D ). Sorry, aber dieser Dialog ist, obwohl er viele Punkte enthält, über die es sich lohnt nachzudenken, von Vorn bis Hinten unglaubwürdig.

- Dann lass den Mist mit "Erster, zweiter, dritter Teil" weg, so etwas braucht eine Kurzgeschichte nicht wirklich und ich sehe hier wirlich nicht so starke inhaltliche Abgrenzungen... Wenn du unbedingt willst, mach doch drei Sternchen zwischen die Absätze (***), damit bin ich ganz gut gefahren.

So, vorerst genug gemeckert. Kommen wir zur Gegenseite:schiel: :

- Die Themen sind nicht wirklich neu, aber doch mit einiger Phantasie zusammengebracht (daran mangelt's dir nicht)

- Der Stil ist so übel nicht, an einigen Stellen noch etwas holprig und ausladend, aber viele Formulierungen haben mir trotzdem gefallen.

fest im Mittelalter verwurzelte Haufen von Turbanträgern...
politisch inkorrekt, aber ganz nett

Einige tausend Menschen beherbergte dieses kalte Herz der Firma
Dafür gibt's einen Kaffee aus der Poesiekasse...:)

Die Ravi hatte ihren Kopf in eine der großen Andockbuchten der Station gerammt, ähnlich einer Zecke deren Körper aus dem Wirt heraussteht, während der Kopf teil des Organismus seines Opfers geworden ist.
jamm-jamm

und noch ein paar mehr (hab ja auch nich ewig Zeit, weshalb ich mich jetzt auch nicht um die Rechtschreibung gekümmert hab, aber da meine Fußnägel noch runtergeklappt sind, kanns so schlimm nich gewesen sein.)

- Das Ende reißt einiges wieder raus, das ist angemessen zynisch und böse:baddevil: . Hat mir gefallen.

Alles in allem, kein schlechter Einstieg. Immer fleißig dran bleiben, dann wird das alles (ich geb mir auch Mühe:shy: ).

Ach Gott, wo bleiben meine Manieren... und ein Herzliches Willkommen auf Kg.de (Abteilung Wahn, Weltherrschaftspläne und Science Fiction)!

Es grüßt von der anderen Seite der Unendlichkeit

omnocrat

PS: Verrat mal bitte in deinem Profil wenigstens noch ob du XX oder XY bist, sonst weiß man immer nicht ob man "sie" oder "er" schreiben soll, wenn man dich mal erwähnen, oder lästern will;) .

 

Hallo omnocrat,

schön, daß zumindest eine Person meinen geistigen Erguss gelesen hat. Kritik tut natürlich auch immer etwas weh, vor allem die Punkte an denen man eventuell nicht ganz einer Meinung mit dem Kritik übenden ist, aber konstruktiv nehm ich sie allemal. Entsprechend Danke ich Dir für Deine Sichtweise, Hinweise und Kommentare.

Kurz zum Hintergrund der "letzten Barriere": Meine ersten Geschichten hab ich zu Grundschul- und frühen Gymnasialzeiten verfasst, allerdings habe ich es dann auch erstmal dabei belassen. Zwar habe ich immer viel gelesen, aber den Stift nicht mehr selber in die Hand genommen. Schon seit längerem hatte ich nun das Bedürfnis mich mal wieder an einer(Kurz-)geschichte zu versuchen, aber konkret damit begonnen hatte ich nicht. Das hat sich geändert als ich vom Telepolis Schreibwettbewerb "What if - Visionen der Zukunft" gelesen habe im vergangenen Jahr.
Ich habe mich entschlossen daran teilzunehmen, zum einen weil mir das Thema gefiel, zum anderen weil ich damit einen konkreten Termin vor Augen hatte. Parallel zu meiner Diplomarbeit (bin Techniker, kein Geisteswissenschaftler in dem Sinne) gings dann langsam voran mit dem Text, und nach 5 Monaten stand die erste Hälfte. Für die Zweite hatte ich leider nur noch 2 Wochen, weshalb sie auch nicht 100% so geworden ist wie ich sie haben wollte. Ich hatte keine Zeit mehr alles zumindest noch ein weiteres Mal zu überarbeiten, wobei z.B. die "Turbanträger" evtl rausgefallen oder geändert worden wären.
Der Wettbewerb erhielt 340 Einsendungen, ich nehme an auch von KG.de werden einige Autoren teilgenommen haben, und eine Jury wählte 10 Einsendungen aus. Meine war leider nicht dabei, aber es hat trotzdem großen Spass gemacht wieder zu schreiben, und ich hoffe ich schaffe es von Zeit zu Zeit hier etwas Neues zur Diskussion zu stellen.

Ich sage Dankeschön für Dein "Willkommen", werde Deine Kritik beherzigen, und versuchen mich zu steigern. Es freut mich, daß zumindest Du als der erste Kommentator die Geschichte nicht vollkommen verrissen hast. Mal sehen ob sich noch jemand dazu äußern möchte.
Gruß

Martin

P.s.: Den Kaffee nehm ich :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Resitz,

Erst mal: Willkommen.
Und nun zur Sache:
Die Story ist tatsächlich viel zu lang, umständlich und teilweise auch sehr konservativ.
Eigentlich ist es nur eine Moralpredigt, die sich als SF-Story tarnt (was ich grundsätzlich sogar begrüße) allerdings dafür zu oberflächlich.
Damit meine ich u.a.: die Annahme, dass 100 Mio.-Arbeitslose nichts dringender benötigen als Arbeit ist schlichtes Nachbeten von Zeitungs-Schlagzeilen.
Denn ARBEIT zu schaffen ist dermaßen einfach: 50 Millionen heben Gräben aus, weitere 50 Mio. schütten die wieder zu.
Sofern jedoch warenbasierte Fertigungsprozesse gemeint sind, funktioniert die Beschreibung im Text nicht. (Hier übrigens ein logischer Widerspruch: wenn China als Produzent wirklich ausfällt, sinkt die Arbeitslosigkeit in den westlichen Staaten, es sei denn, China konsumiert mehr, als es produziert).
Dies aber nur am Rande.

Problematisch ist der eigentliche Kern der Story, das Gespräch zw. Dem Inder und der “Industriespionin”. Denn hier sind die Argumente wirklich dermaßen konventionell, dass man fast Mitleid bekommt.
Denn es sind Scheinargumente!
Überbevölkerung: leicht zu lösen, indem man Unsterblichkeit mit dem Zwang zur Sterilität koppelt.
Evolutionärer Stillstand: auch einfach, denn natürlich wird die natürliche Evolution durch eine autoevolutionäre
Geningenieurskunst ersetzt. Kein vernünftiger Mensch glaubt doch ernsthaft, dass wir der Natur weiterhin ihr blindes trial and error-Spielchen gestatten dürfen. Ersetzt werden die “natürlichen” Ausfälle (Straßenverkehrstote, Krankheiten, etc.)

Tja, die wirklich interessanten Fragen bleiben (wie hier leider oft üblich) ungestellt:
Wie ist Unsterblichkeit mit den religiösen Dogmen vereinbar?
Wie kann ein speicherbegrenztes informationstechnisches System (das menschliche Hirn) einen Input über sehr große Zeiträume organisieren (wird z.B.jede Erinnerung wieder und wieder überschrieben und was geschieht dann mit der ICH-Identität, etc.)?
Schade!

So und nun, nachdem Du Deinen ersten Proxi-Veriss bekommen hast, gehörst Du ofiziell zu KG.de/Abteilung SF (*g*)

Proxi

 

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