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Die letzte Reise
„Ihr habt noch maximal 12 Stunden zu leben. Also macht das Beste daraus.“
Die Vorzeichen waren die ganze Zeit da gewesen. Wie konnten wir sie bloß übersehen? Na ja, es bringt nichts, jetzt noch darüber zu jammern, was wir damals hätten besser machen können. Nun, in den letzten sieben Stunden vor dem Ablauf der Frist, zählt es nur noch, unser Ziel zu erreichen, um zu überleben. Aber nicht nur die Zeit sitzt uns mit der gezückten Klinge am Nacken.
„Was machst du denn da? Wenn du nicht konzentriert bleibst, kannst du mir auch einfach deine Energie schenken.“
Der Typ hat Recht. Wenn ich mich nicht auf den Kampf gegen ihn konzentriere, wird er mich umbringen. Er lässt ständig neue scharfe Felsen aus dem Boden unter mir wachsen, sodass ich ständig ausweichen muss. Wenn er weiter so angreift, verschwendet er all seine Energie. Ich muss ihn erledigen, bevor das passiert. Ich sehe mich während des Ausweichens um. Ich bemerke dann etwas in seiner Nähe, dass ich zum Angriff benutzen kann. Ich weiß zwar nicht, ob das klappt, aber ich muss es versuchen. Die Rose in seiner Nähe sieht zwar bewegungslos aus, aber ich schaffe es, sie dazu zu bringen, unter der Erde weiter zu wachsen. Dann lasse ich aus den Wurzeln, die sich nun in einem Umkreis von 5 Metern um den Typen erstrecken, weitere Rosen wachsen. Die Rosen wachsen explosionsartig und sind schnell fünf Meter hoch gewachsen. Der Typ ist jetzt definitiv von deren Dornen zerstochen. Der Typ schreit noch kurz auf, dann bleibt es bei ihm still. Das von mir modifizierte Gift der Dornen hat ihn nun umgebracht. Dass ich nun seine restliche Energie erhalte, ist Beweis genug. Es ist zwar leider nicht viel, aber ich habe dennoch einen leichten Gewinn gemacht. Nun muss ich weiter gehen. Ich habe schließlich nicht viel Zeit...
Vor etwa 5 Stunden...
Es ist ein sehr friedlicher Sonntag. Wenn man von den üblichen Meldungen über Katastrophen mal hinweg sieht, dann geht es sehr friedlich zu. Ich sitze ruhig zu Hause und beschäftige mich mit meiner Lektüre. Nebenbei lausche ich dem Radio. Ich bin allein zu Hause. Wenn das Radio nicht liefe, wäre ich quasi komplett von der Welt abgeschnitten. Dieser Gedanke ist irgendwie verlockend und ich gehe zum Radio. Die Musik wird plötzlich unterbrochen, obwohl ich noch gar nichts gemacht habe.
„Eilmeldung! Bleiben Sie zuhause! Wir kriegen Berichte rein, nach dem es überall auf dem Planeten zu verheerenden Katastrophen kommt. Es wird von allen Seiten zu Ruhe geraten. Wenn wir etwas...“
Ich schalte das Radio aus. Noch mehr Katastrophen? Das muss ein Scherz sein. Schließlich passiert hier nichts. Da hat sich jemand also vermutlich einen Scherz erlaubt.
„Hört mich an, Menschen. Ich verkünde nun das Ende der Menschheit in seiner jetzigen Form.“
Was ist das? Woher kommt diese Stimme? Das Radio ist definitiv aus. Es gibt hier auch sonst nichts, woher diese Stimme kommen könnte. Und doch hört es sich so an, als wäre der Besitzer der Stimme direkt neben mir. Ist diese Stimme etwa in meinem Kopf?
„Wenn ihr überleben wollt, dann sucht einen der Orte auf, deren Postionen ich euch gleich in eure Köpfe senden werde. Jedoch sollen nur die Besten überleben können. Daher werde ich euch den Weg zu den Orten deutlich erschweren. Im Austausch dafür bekommt ihr die Möglichkeit, euren Weg zu vereinfachen. Ich gebe euch die „Energie“, mit der ihr eure Umgebung manipulieren könnt. Es gibt jedoch einige Dinge zu beachten.
Die Energie ist beschränkt. Jeder Mensch, im Folgenden als Teilnehmer bezeichnet, erhält die selbe Menge an Energie. Jede Manipulation kostet euch Energie. Je größer, umfangreicher, komplexer, usw. die Manipulation ist, desto mehr Energie kostet sie euch.
Die eigenen Manipulationen können zwar rückgängig gemacht werden, aber die gezahlte Energie kommt dadurch nicht wieder. Dafür ist die Rückmanipulation umsonst.
Um mehr Energie zu erhalten, muss man die Energie eines anderen Teilnehmers bekommen. Der Donator kann eine beliebige Menge seiner Energie freiwillig an einen oder mehrere bestimmte Akzeptoren abgeben. Man kann auch die gesamte Energie abgeben. Der Weg zum Ziel wird dadurch zwar wieder schwerer, aber es ist trotzdem möglich. Des Weiteren ist man dann kein Teilnehmer mehr. Eine andere Möglichkeit, an die Energie eines anderen Teilnehmers zu kommen, ist die Tötung des anderen Teilnehmers. In dem Fall erhält man die gesamte restliche Energie des Getöteten.
Das bewusste Verletzen oder Töten von Nicht-Teilnehmern ist verboten und wird mit dem eigenen Tod sofort bestraft. Die einzige Ausnahme ist die Selbstverteidigung.
Ihr habt noch maximal 12 Stunden zu leben. Also macht das Beste daraus.“
Ich spüre tatsächlich, wie eine unbeschreibliche Macht mich erfüllt. Und ich weiß nun auch, wohin ich gehen muss. Ich stelle diese Situation also nicht in Frage. Das ist real.
Wieder in der Gegenwart...
Es ist erstaunlich, wie sehr sich das Aussehen der Welt in den letzten Stunden verändert hat. Die Großstadt besteht nun zum großen Teil aus Ruinen. Die Läden sind vollkommen leer. Auf dem, was vorhin noch eine Straße gewesen ist, liegen unzählige Leichen, die alle möglichen Kategorien von Verletzungen tragen. Ich höre, wie sich eine Hochhausruine bewegt und auf die Straße stürzt. Glücklicherweise kann ich ihr rechtzeitig ausweichen. Es ist zwar Schade um die Gebäude, aber sie sind jetzt ja nicht mehr brauchbar. Schließlich ist die Menschheit bald nicht mehr. Ich höre einen Kampf. Ich gehe zu dem Ort, an dem der Kampf stattfindet. Ein etwa vierzehnjähriges Mädchen flüchtet dort vor einigen Kämpfern, die sie verfolgen. Ich weiß nicht, was mich dazu leitet, aber ich renne zu ihr. Sie sieht mich und kommt ebenfalls auf mich zu. Sie scheint mir zu vertrauen.
„Hä? Was willst du hier?! Bist du etwa ihr großer Bruder oder so? Na ja, du bist jetzt so oder so unsere Beute.“
„Keine Sorge, ich erledige sie.“, sage ich
„Danke.“
Das ist zwar einfach gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin. Vor mir sind etwa dreißig Männer und Frauen, die sich wohl zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, um einsame Teilnehmer zu jagen. Dass sie alle selbst Teilnehmer sind, ist Fluch und Segen zugleich. Wenn ich sie töte, gehört ihre Energie mir. Und sie scheinen viel Energie zu haben. Sie verschwenden keine Energie, indem sie hauptsächlich mit Waffen kämpfen.
Die Kämpfer kommen auf mich zu und als sie sich nur noch drei bis fünf Meter von mir weg befinden, greife ich an. Ich schmelze den Asphalt unter ihnen und sie versinken darin. Sie können sich nicht mehr bewegen. Ich forme mir selbst eine Waffe und töte einen von ihnen nach dem anderen. Ich fühle, wie ich ihre angesammelte Energie erhalte. Dann wende ich mich wieder dem Mädchen zu.
„Geht es dir gut?“
„Ja. Nochmals vielen Dank für meine Rettung.“
„Kein Problem. Ich habe schließlich auch davon profitiert. Also...“
„Darf ich Sie um eine weitere Sache bitten?“
„Nenne mich einfach Zyrus. Und du kannst ruhig „du“ zu mir sagen, ich bin schließlich erst siebzehn Jahre alt.“
„In Ordnung, Zyrus. Also, kann ich auf deine Hilfe zählen?“
„Worum geht es?“
„Meine Partnerin kämpft jetzt wahrscheinlich immer noch gegen andere. Sie hat die Aufmerksamkeit dieser Leute auf sich gezogen, um mich zu retten. Bitte hilf ihr!“
„Okay, bring mich dorthin. Aber flieh, wenn wir entdeckt werden sollten.“
Wir laufen zu dem Ort, den das Mädchen gemeint hat. Ich kann die Kampfgeräusche schon ein ganzes Stück entfernt davon hören. Das müssen um die tausend Leute sein, die gegen diese Partnerin kämpfen. Es würde mich sehr wundern, wenn sie jetzt noch leben sollte. Wir kommen nun an dem Ort an. Ich kann leider nicht sehen, gegen wen die Leute kämpfen, aber das muss mich auch nicht interessieren. Die ersten Kämpfer bemerken mich und greifen mich an. Ich schalte sie ähnlich wie die Leute vorher aus. Da ich nicht weiß, ob unter ihnen welche sind, die Nicht-Teilnehmer sind, muss ich warten, bis sie mich angreifen, damit ich nicht getötet werde, falls ich einen Nicht-Teilnehmer töte. Bisher bringt mir jeder tote Kämpfer weitere Energie ein. Nach und nach lichtet sich die Menge an Menschen und nach einigen Minuten sind kaum noch Kämpfer vorhanden. Ich sehe nun die Partnerin des Mädchens. Es handelt sich um eine Katze, die etwa so groß ist wie ich. Nachdem sie die letzten Kämpfer tötet, bewegt sie sich auf mich zu, aber dann hält sie plötzlich inne.
„Nein, du darfst ihn nicht angreifen! Er hat mich gerettet!“
Die Katze richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Mädchen, das nun aus ihrem Versteck herausgekommen ist.
„Nun, wenn du das sagst, Chi.“
„Zyrus, darf ich vorstellen? Das ist meine Partnerin, Athena. Athena, das ist Zyrus.“
Ich brauche einen Moment, um mich zu fassen. Dann fange ich mich wieder.
„Schön, dich kennenzulernen, Athena.“
„Ganz meinerseits. Danke, dass du Chi gerettet hast. Ich habe nicht gedacht, dass einige von denen sich an Chis Fersen heften würden.“
„Kein Problem. Nun, ich zieh dann mal weiter.“
„Warte bitte, Zyrus. Können wir uns nicht zusammentun? Ich meine, wir haben das selbe Ziel, oder? Wir können den sicheren Ort wahrscheinlich besser erreichen, wenn wir unsere Kräfte vereinen.“
Damit hat sie mich überzeugt, dass wir das selbe Ziel haben. Aber das ist nicht selbstverständlich. Es gibt viele Menschen, die ganz andere Ziele haben. Die einen wollen in Ruhe ihre letzten Stunden genießen. Andere vertrauen der Stimme nicht und suchen Schutz in selbst errichteten Bunkern. Wiederum andere töten einfach nur Teilnehmer und wollen mit der Energie Macht spüren. Es gibt sehr viele verschiedene Ziele. Es gibt auch Menschen, die gar keine Ziele haben. Aber wie dem auch sei, das bringt mich hier nicht weiter.
„In Ordnung. Machen wir uns nun auf den Weg. Zusammen.“
Chi lächelt sichtlich erleichtert. Dann setzt sie sich auf Athena.
„Athena, hast du etwas dagegen, wenn Zyrus auch auf dir reitet?“
„Nein, ich sollte ihn tragen können.“
„Ich danke euch für das Angebot, aber ich reise lieber zu Fuß.“
„Okay.“
„Ach übrigens, Chi, bist du noch eine Teilnehmerin?“
„Ich glaube schon. Bei der Gelegenheit kann ich dir erzählen, wie Athena zu der geworden ist, die sie jetzt ist. Erst habe ich ihr mehr Intelligenz und die Fähigkeit, mit uns kommunizieren zu können, gegeben. Danach habe ich sie körperlich deutlich robuster gemacht. Ihre Wunden heilen nun sehr schnell und sie kann monatelang ohne Nahrung oder Wasser auskommen. Dann fiel uns beiden keine weitere Verstärkung ein, die sinnvoll wäre, also habe ich sie so groß wie jetzt gemacht. Die jetzige Größe ist für uns beide gut gewesen, also habe ich sie dabei belassen. Ich weiß nicht, wie viel Energie ich noch übrig habe, aber es ist kaum noch etwas.“
„Und wenn Athena einen Teilnehmer tötet, bekommst du keine Energie?“
„Nein. Anscheinend muss ich selbst einen Teilnehmer töten, um Energie zu erhalten. Aber ich will niemanden töten. Ich werde deshalb wohl nie mehr Energie bekommen. Aber das ist auch nicht nötig. Schließlich bleibt Athena bei mir. Und du bist ja jetzt auch hier, Zyrus. Und wenn wir am sicheren Ort ankommen, möchte ich auch nicht wieder von euch getrennt werden. Dann bin ich glücklich.“
Ich weiß nicht, ob es einfach ihre Euphorie und ihr Optimismus sind, an denen ich mich kurzzeitig angesteckt habe, aber das spielt keine Rolle, denn ich kann die Antwort nun nicht mehr rückgängig machen.
„Wenn du es wirklich willst, dann werden wir uns nicht trennen.“
Nach dieser Unterhaltung laufen wir weiter dem Ort entgegen, den wir anstreben...