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Die Letzten ihrer Art

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02.01.2002
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Die Letzten ihrer Art

Es dämmerte bereits, als Jenny den Fuchswallach Rufus zurück zum Stall führte. Der Reiterhof hatte sich in der letzten Stunde geleert. Jenny sattelte Rufus ab, striegelte sein rötliches Fell und verabschiedete sich von ihrem Lieblingspferd mit einem Apfel und einem Zuckerstück. Mehrmals strich sie ihm über den warmen Hals, ehe sie sich losreißen konnte. Als sie die Stalltür schloss, hörte sie Rufus noch ein leises Wiehern hinterherschicken.

Seit sie denken konnte, wünschte sich Jenny ein eigenes Pferd. Doch ihre Eltern waren keine reichen Leute und auch wenn sie erst vierzehn Jahre alt war, wusste sie doch recht gut darüber Bescheid, wieviel Kosten Pferdehaltung mit sich brachte. Sie seufzte, während sie über den Hof zu ihrem Fahrrad ging. Eines Tages würde sie genug Geld für ein eigenes Pferd haben, das hatte sie sich fest vorgenommen.

Als sie ihr Fahrrad aufschloss, stutzte sie beim Anblick eines Mannes, der gerade über den Hof ging. Wenn sie nicht alles täuschte, war das ihr Lateinlehrer Professor Eisenhut. Verblüfft beobachtete sie, dass er die Stalltür öffnete und im Innern verschwand. Jenny konnte sich nicht ausmalen, was ihr Lateinlehrer auf einem Reiterhof zu suchen hatte. Sie wusste nur, dass er sich leidenschaftlich mit der Antike beschäftigte, angeblich auch an einem Sachbuch arbeitete. Es fiel ihr schwer, sich den älteren Herrn mit den weißen Haaren und der Nickelbrille, der oft seine Bücher und die Hefte der Schüler verlegte, als einen Pfedeliebhaber vorzustellen. Jenny war froh, dass er sie nicht gesehen hatte, denn sie gehörte nicht gerade zu den Besten in seinem Unterricht und zuhause wartete noch eine Cäsar-Übersetzung auf sie.

Es blieb nicht bei diesem einen Mal. Gleich viermal sah sie den Lateinlehrer in den nächsten beiden Wochen durch die Stallungen wandern. Mehrmals beobachtete sie ihn aus der Entfernung im Gespräch mit ein paar der älteren Stallgehilfen. Jenny konnte kaum glauben, dass er sich tatsächlich für Pferde interessierte. Seltsam, dass er das nie erwähnt hatte, wenn er sie in ihren Reitstiefeln gesehen hatte. Stattdessen hatte er sie öfter ermahnt, wenn sie kleine Pferdecomics in ihr Schulheft zeichnete. Dabei hatte er nicht so gewirkt, als teile er ihr Hobby. Doch es musste so sein, schließlich ging er jedes Mal die Boxen entlang und warf prüfende Blicke zu den Pferden hinein. An einem Nachmittag erkundigte sich Jenny wie nebenbei bei einem Stallburschen. Der Professor hatte sich vor allem über Pferdekrankheiten erkundigt. Unter anderem wollte er wissen, worauf Symptome wie Fieber und Abgeschlagenheit hindeuteten und wie man ohne Hilfe eines Arztes damit umgehen konnte. Jenny war nach dieser Auskunft noch verwirrter als vorher. Hatte der Professor etwa ein krankes Pferd bei sich zuhause? Aber warum rief er dann nicht einfach einen Tierarzt herbei?

An dem Abend, als sie ihn das sechste Mal bei den Stallungen sah, beschloss sie aus einem spontanen Impuls heraus, ihm nach Hause zu folgen. Sie wusste in etwa, wo er wohnte, nur ein, zwei Kilometer vom Hof entfernt. Sie wartete, bis er den Reiterhof verließ und folgte ihm zur Bushaltestelle. Sie grinste über ihr Glück: Professor Eisenhut mochte ein Ass in Latein und Griechisch sein, aber fürs Autofahren hatte er keinen Sinn. Unauffällig stieg sie nach ihm in den Bus, setzte sich ans andere Ende und stieg nach zwei Stationen an der hinteren Tür aus, immer darauf bedacht, dass jemand die Sicht auf sie verdeckte. Sein Haus lag am Ende einer Straße, ein kleines Einfamilienhaus mit geräumigem Garten, umsäumt von einer dichten Hecke. Jenny wollte nur herausfinden, ob zu seinem Haus auch ein Stall gehörte und dann mit dem nächsten Bus umkehren. Mehr nicht. Von der Straße aus war schlecht zu erkennen, ob es sich bei dem Gebäude im Garten um einen gewöhnlichen Schuppen oder tatsächlich um einen Stall handelte. Während der Professor die Haustür aufschloss und eintrat, versuchte Jenny, durch die Hecke zu spähen. Aber viel konnte sie nicht erkennen, dafür waren die Blätter zu dicht.

Kurzerhand entschloss sie sich, auf den Baum zu klettern, der neben dem Grundstück stand. Jenny wusste, dass es eine verrückte Idee war, aber sie wollte unbedingt sehen, was im Schuppen vor sich ging. Wenige Minuten später saß sie auf einem dicken Ast und konnte endlich über die Hecke hinwegsehen. Sie erkannte undeutlich den Professor, der in einer Tasche hantierte. Auf dem Boden lagen mehrere Decken ausgebreitet. Jenny hielt den Atem an, als sie auf einer der Decken einen silberweißen Pferdschweif erkannte. Sie krallte ihre Finger in die Rinde, um nicht den Halt zu verlieren. Der Professor kniete sich zu dem Tier. Jenny konnte nicht erkennen, was er genau dort machte. Behutsam beugte sie sich weiter vor, um ihre Sicht zu verbessern. Der Ast knackste und Jenny lehnte sich schnell wieder zurück. Der Professor erhob sich im Schuppen und mit ihm das Pferd. Jenny hielt vor Aufregung den Atem an, als sie das silbrig gesprenkelte Fell eines Schimmels ausmachen konnte. Der Schweif ging unruhig hin und her, die Hufe stampften auf und ab. Ein Teil der Tür verdeckte den Blick auf die Vorderseite des Pferdes. In diesem Moment fiel die Schuppentür zur Seite. Der Schein der Lampe zeichnete den überdimensionalen Schatten des Tieres auf den Boden. Jenny erstarrte. Ehe es sich beherrschen konnte, stieß das Mädchen einen Schrei aus. Sofort hielt sich Jenny die Hand vor den Mund. Dabei verlor sie den Halt, ihre Finger streiften den Ast, griffen ins Leere und sie fiel über die Hecke ins weiche Gras. Bei der Landung stöhnte Jenny auf. Alles um sie herum drehte sich. Undeutlich nahm sie jemanden wahr, der vor ihr stand und sie ansprach. Das hohe Gras hatte ihren Sturz gedämpft und sie konnte vor Glück sagen, dass sie nicht das Bewusstsein verloren hatte . Benommen starrte sie nach oben und sah dabei direkt dem Professor ins versteinerte Gesicht. Hinter ihm, im Schutz der Gartenhaustür, stand das Wesen, das sie kurz zuvor entdeckt hatte. Sie drehte den Kopf zur Seite, um die Gestalt besser erkennen zu können.

"Jennifer!"

Ihr Kopf fuhr zum Professor herum. Der alte Mann stand mit hängenden Armen vor ihr und schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Unbeholfen tastet er nach ihrem Arm.

"... verletzt?", drang es wie durch Watte zu ihr durch. Sie schüttelte mühsam den Kopf. Ihre Glieder schmerzten, aber mittlerweile war sie überzeugt davon, sich nichts gebrochen oder verstaucht zu haben. Sie hatte schon schlimmere Stürze beim Reiten erlebt und offenbar Glück gehabt. Mit wackligen Beinen stand sie auf.

Der Professor atmete heftig. Als er begriffen hatte, dass Jenny nicht ernstlich verletzt war, riss er sich zusammen.

"Was hast du hier zu suchen?"

"Ich, ich ...", stammelte Jenny und schämte sich entsetzlich in diesem Moment. Ihr Kopf dröhnte und sie wollte nur noch nach Hause. Aber da war doch eben noch etwas gewesen, etwas, über das sie sich so erschrocken hatte ... Als ihr Blick zum Schuppen fiel, wäre sie beinah wieder auf den Boden gesunken. Was sie dort sah, glich zwar in der hinteren Körperhälfte den Pferden auf dem Reiterhof. Doch der vordere Teil ...

"Was ... was ...", brachte sie hervor und deutete mit zitterndem Finger auf das pferdeähnliche Wesen.

"Mein Gott", murmelte der Professor. Jenny kam zusammenhanglos der Gedanke, dass er mit einem Mal aussah, als er sei um Jahre gealtert. Bevor einer von beiden etwas sagen konnte, erklang ein langgezogenes Stöhnen aus dem Schuppen. Der Professor drehte sich auf dem Absatz um und eilte hinein. Jenny folgte ihm langsam. Ihr Lehrer beugte sich über das Wesen, das nun auf dem Boden lag, und tupfte ihm mit einem Tuch die Stirn ab. Jenny sprach in die Stille hinein:

"Es ist ein Zentaur, nicht wahr?" Ihre Stimme schwankte bei diesen Worten und sie konnte kaum glauben, was sie sich da sagen hörte. Professor Eisenhut nickte, ohne sich umzusehen. Jenny holte tief Luft.

"Es tut mir leid", sagte sie leise. "Ich habe Sie auf dem Reiterhof gesehen und wollte ... da wollte ich wissen ... ob Sie ein Pferd ... ein Pferd ... ich dachte, ich könnte vielleicht helfen, falls Sie ein krankes Pferd haben", schloss sie unglücklich. Der Professor hielt inne und wandte sich um. Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen.

"Ja. Vielleicht kannst du das tatsächlich."

Er bat das Mädchen, sich auf einen Hocker zu setzen. Jenny würde nie vergessen, wie sie die nächsten Minuten verbrachte: Sie lauschte ihrem Lehrer, der mit ruhiger Stimme vom Boden zu ihr sprach. In den kurzen Pausen zwischen seinen Ausführungen hörte sie den schweren Atem des Zentauren. Professor Eisenhut erzählte eine Geschichte, die so unglaublich klang, dass Jenny sich mehrmals daran erinnern musste, dass sie nicht träumte. Sie hatte schon früher von seinen Reisen als Altertumsexperte nach Italien und Griechenland gewusst. Jetzt erklärte er, dass ihn dabei meist ein Freund begleitete, ein junger Forscher, der ihm bei seinen Recherchen für sein geplantes Buch über antike Fabelwesen zur Seite stand. Auf einer seiner Expeditionen hatte der Freund ein sagenhaftes geheimes Tal entdeckt, in dem wahrhaftig eine kleine Gruppe von Zentauren lebte. Jenny schüttelte fassungslos den Kopf, als sie das hörte ... doch der Beweis lag vor ihr! Der Professor versicherte, dass auch er zunächst erhebliche Zweifel hatte, aber sein Freund brachte ihm schließlich einen der Zentauren nach Deutschland. Jenny wollte wissen, wo genau das Tal gelegen hatte, doch der Professor winkte ungeduldig ab und fuhr fort. Er wollte einige Studien an dem Wesen betreiben. Allerdings hatte es Komplikationen gegeben. Gleich nach der Ankunft war der Zentaur von einer unerklärlichen Kranheit befallen worden. Er fieberte und befand sich ständig in einer Art Delirium. Der Professor gab sein Bestes, ihn mit Hausmitteln zu pflegen, aber er wagte nicht, ihm Medikamente zu verabreichen. Seine Nachforschungen auf dem Reiterhof waren eine verzweifelte Hoffnung gewesen, sich weitere Behandlungsmöglichkeiten zu suchen. Der Freund, der ihn gebracht hatte, war zu einer anderen Expedition aufgebrochen und bisher nicht erreichbar.

Jenny starrte mit großen Augen auf den Zentauren. Der hintere Teil entsprach dem eines großgewachsenen Schimmels mit silbriger Schattierung. Der vordere Teil ging in einen muskulösen männlichen Körper über. Auch seine Haut glänze leicht silbern, als wenn er mit einem Puder überzogen wäre. Auf den Armen und auf der Brust erkannte sie leicht gekräuselte silbrige Härchen. Der Kopf war so edel geformt, dass Jenny im ersten Moment an eine Marmorstatue denken musste. Die gerade Nase, die hohen Wangenknochen, die tiefliegenden Augen, die feingezeichneten Augenbrauen und die leicht gelockten, ebenfalls silbrigen Haare machten aus ihm einen wunderschönen jungen Mann, der aus einer anderen Welt zu stammen schien. Auf seiner Stirn allerdings standen Schweißtropfen und sein Atem ging unregelmäßig. Jenny näherte sich mit der Hand seinem Kopf, um nach Fieber zu fühlen, als der Zentaur überraschhend die Augen aufschlug. Das Mädchen zuckte zurück. Der Zentaur sah ihr regungslos ins Gesicht. Seine Augen waren tiefdunkelblau und sein Blick erwiderte ihren ohne Zögern. Nach einer Weile, die Jenny wie eine Ewigkeit vorkam, lächelte er ihr zu. Ihr Herz machte vor Freude einen Sprung und sie lächelte zaghaft zurück. Dann schloss der Zentaur wieder die Augen.

In der Nacht konnte sie lange nicht einschlafen. Immer wieder spielte sie sich im Geist die letzten Stunden vor. Sie hatte ihrem Lehrer versprochen, niemandem von dem Zentauren zu erzählen. Sie spürte, wie unangenehm es ihm war, ihr in so einer großen Sache zu vertrauen. Immerhin war sie bloß seine Lateinschülerin und nicht einmal die beste. Jenny grinste kurz bei dem Gedanken, dass sie mit dem alten Eisenhut, der so manchen Schüler in die Verzweiflung getrieben hatte, jetzt unter einer Decke steckte. Aber er hatte keine andere Chance, er musste ihr vertrauen. Und Jenny hatte versprochen, niemandem etwas zu verraten. Dafür wollte sie am nächsten Tag wieder zu ihm kommen. Nun, da sie eingeweiht war, konnte sie ihre Hilfe anbieten. Sie hatte dem Professor eine Liste mit Kräutern gegeben, die man kranken Pferden verabreichte. Es war schwierig, zu entscheiden, ob man den Zentauren eher wie einen Menschen oder wie ein Pferd behandeln sollte. Welche Dosierungen an Arnzneimitteln waren richtig für ihn? Und wie sollte der Professor überhaupt an verschreibungspflichtige Medikamente kommen? Deswegen entschlossen sie sich, es noch einmal mit allen verfügbaren Hausmitteln zu probieren, die weder Mensch noch Tier schaden konnten. Als Jenny schließlich weit nach Mitternacht in den Schlaf glitt, träumte sie von einem silberfarbenen Mann, der ihr scheu zulächelte.

Am nächsten Tag blieb Jenny der Schule fern. Sie war zu aufgeregt und las stattdessen in der Stadtbücherei alles über Zentauren nach, was sie in die Finger bekam. Sie erfuhr von ihrer Feindschaft mit den Lapithen und den berühmten Chiron, über den schon der große Homer geschrieben hatte. Nach einer Stunde schlug sie die Bücher zu. Es brachte ihr nicht viel, sich mit Mythen zu beschäftigen, von denen sie nicht wusste, ob sie überhaupt auch nur im Entferntesten etwas mit dem lebenden Zentauren zu tun hatten, der in Professor Eisenhuts Schuppen lag.

Schon am Nachmittag fuhr sie mit dem Fahrrad zu seinem Haus. Sie hatte Glück, er war bereits daheim. Sofort fiel ihr auf, dass sein Gesicht sorgenvoll aussah.

"Es scheint ihm schlechter zu gehen", presste er kurz hervor und führte sie zum Schuppen. Als Jenny vorsichtig eintrat, drehte der Zentaur, der wie gestern auf einer Decke lag, den Kopf zu ihr. Bei ihrem Anblick glitt ein sekundenlanges Lächeln über sein Gesicht. Zur Überraschung des Mädchens erhob er sich, bis er auf seinem Pferdekörper stand. Seine Beine zitterten zwar ein wenig und er suchte mit den Händen halt an einem Wandregal, doch er stand. Auch der Professor war verblüfft.

"Höflich ist er ja", murmelte er vor sich hin. Behutsam streckte der Zentaur eine Hand in Jennys Richtung auf. Sehr zaghaft reichte ihm Jenny ihre Hand. Er fühlte sich warm und trocken an. Jenny hatte unzählige Male neben den Pferden im Stall gestanden, doch das hier war etwas ganz anderes. Sie konnte zwar einen leichten Geruch wahrnehmen, der sie an den Stall auf dem Reiterhof erinnerte. Aber er vermischte sich eindeutig mit etwas anderes, irgendwie moschusartig und würzig. Vergiss nicht, er ist zur Hälfte ein Pferd, rief sie sich in Erinnerung. In dem Augenblick sagte der Zentaur etwas. Der Professor rückte hektisch seine Brille zurecht. "Philos", wiederholte er das Wort des Zentauren und dieser nickte. Strahlend drehte sich der Professor zu Jenny um.

"Er versteht Altgriechisch!" Rasch wechselte er ein paar weitere Worte mit dem Zentauren.

"Er spricht einen altgriechischen Dialekt", erklärte der Lehrer Jenny aufgeregt. Seine Stimme überschlug sich beinah. "Es ist kein reines Altgriechisch, die Aussprache ist etwas anders und ich erkenne nicht alle Worte ... aber man kann ihn tatsächlich verstehen!"

"Professor ... was sagt er denn?", fragte Jenny schüchtern.

"Wie?", antwortete Professor Eisenhut geistesabwesend, ehe er sich für seine Fahrigkeit entschuldigte. "'Freund' sagte er dann. "Philos ist der Freund. Und er sagte, dass er sich krank fühlt ... naja, das ist ja nichts Neues ... mehr habe ich nicht verstanden ..."

Jenny lächelte dem Zentauren zu. Philos, wiederholte sie in Gedanken. So wollte sie ihn bei sich nennen.

Gemeinsam mit dem Professor bereitete Jenny die Teemischungen vor, die der Lehrer morgens bei der Apotheke bestellt hatte. Der Zentaur hatte sich wieder hingelegt und ruhte sich aus. Offenbar waren die beiden Sprachen doch zu verschieden, als dass er und der Professor wirklich miteinander sprechen konnten. Jenny saß bei ihm auf dem Boden und flößte ihm die Medizin ein. Hin und wieder fiel der Zentaur in einen unruhigen Schlaf, in dem er manchmal ein leises Wiehern von sich gab. Jenny rührte dieses Geräusch, denn sie ahnte, dass er sich danach sehnte, mit seinen Artgenossen zu sprechen. Dabei fiel ihr ein, dass sie den Professor noch nicht gefragt hatte, wie sein Freund den Zentauren gefangen hatte. Als sie das nachholte, wurde der Lehrer sichtlich verlegen. Er gestand, dass sein Freund ihn mit einem ausgelegten Köder betäubt und im schlafenden Zustand ins Flugzeug gebracht hatte. Jenny verzog das Gesicht. Sie schämte sich vor dem schlafenden Zentauren.

"Vielleicht hat er Heimweh", sagte sie, mehr für sich selber bestimmt. Der Professor seufzte.
"Ich wollte ihn doch auch nicht auf Dauer hier behalten. Nur ein paar Untersuchungen, für mein Buch ..." Er sah Jenny beinah flehentlich an. Aber seine Stimme klang nicht mehr sehr überzeugt. Er murmelte etwas Unverständliches und verließ den Schuppen. Jenny legte dem Zentauren einen neuen Waschlappen auf die heiße Stirn. Ohne genau zu überlegen, was sie da tat, strich sie ihm anschließend über den weißen Pferdekörper. Das Fell war warm und noch viel seidiger, als sie es von ihrem Rufus kannte. Der silberne Schweif bewegte sich leicht hin und her. Immer wieder fuhr sie mit der Hand über das weiche Fell. Sie fühlte die Muskeln, die sich darunter verbargen und den gottseidank regelmäßigen Herzschlag. Nach einer halben Ewigkeit wollte sie wieder zum Waschlappen greifen. Sie erstarrte mitten in der Bewegung. Der Zentaur war erwacht und beobachtete sie. Sie wusste nicht, wie lange er schon zu ihr schaute, sie war völlig vertieft gewesen. Jenny spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Das sanfte Lächeln des Zentauren beruhigte sie ein wenig, obwohl sie sich noch immer schämte. Jetzt berührte er sie ganz leicht an der Hand und flüsterte: "Philos" Das Mädchen nickte mit roten Wangen und erwiderte den Händedruck. Der Zentaur schloss seufzend die Augen und legte sich wieder auf die Decke.

Es war bereits früher Abend, als der Professor wieder in das Gartenhaus trat. Er winkte Jenny zu sich.

"Ich habe meinen Freund erreicht", sagte er knapp. Jenny verstand zunächst nicht. Professor Eisenhut fummelte an seiner Brille herum, wie immer, wenn er ungeduldig war. Normalerweise kannte Jenny das nur aus dem Unterricht, wenn sie ihre Hausaufgaben vortrug.

"Meinen Freund, der auf der Expedition ist. Er wird heute Abend zurückkehren. Und er wird ..." Der Professor zögerte. "Er wird ihn zurückbringen. Heute Nacht. Nach Griechenland."

Er warf einen Blick auf den schlafenden Zentauren und seufzte.

"Es ist wohl das Beste ... für ihn."

Jenny drückte dem Professor aus einem Impuls heraus die Hände. Der Lehrer räusperte sich und putzte umständlich seine Brille. Sie warteten gemeinsam, bis der Zentaur von selber aus seinem Schlaf erwachte. Das Fieber war ein wenig gesunken, die Heilkräuter hatten offenbar ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Professor kniete sich zu ihm und bemühte sich, mit altgriechischen Worten sein Vorhaben verständlich zu machen. Der Zentaur erwiderte ruhig seinen Blick und schien zu verstehen. Am Ende sagte er nur ein einziges Wort.

"Können Sie das verstehen?", fragte Jenny atemlos. Der Professor nickte.

"Herde", sagte er leise. "Er sagte nur: Herde."

Jenny konnte nicht warten, bis der Freund des Professors eintreffen und den Zentauren mit seinem Bus zum Flughafen, wo seine Privatmaschine stand, bringen würde. Ihre Eltern würden sich ohnehin schon wundern, wo sie so lange abgeblieben war. Jenny kämpfte mit den Tränen, als sie vor dem Zentauren stand. Seine silbrige Haut war immer noch glänzend vor Schweiß, doch seine Augen leuchteten klar. Jenny trat so dicht vor ihn, dass sie die Wärme fühlte, die von ihm ausging. Mit dunkler Stimme sagte er etwas zu ihr. Sie verstand nur "Philos" und mehr musste sie gar nicht wissen. Ein Kribbeln fuhr durch ihren Körper, als sie ihm die Hand reichte. Mit einer einzigen kraftvollen Bewegung zog der Zentaur sie an sich heran, beugte den Kopf und berührte mit den Lippen ihre Wange, so zart wie ein Wimpernschlag. Einen Augenblick lang hielt er ihren Kopf in seinen großen Händen fest. Ein letztes Mal sah ihm Jenny in die blauen Augen, ehe er lächeln nickte und sich langsam umdrehte.

"Leb wohl", flüsterte Jenny, während sie wie benommen durch den Garten lief. "Leb wohl, Philos."

Ihre Hand fasste an ihre Wange. Dabei stieg ihr der würzige Moschusduft in die Nase und sie wusste schon jetzt, dass sie diesen Geruch nie vergessen würde.

 

Hallo Ginny-Rose,

inhaltlich ein schönes Mädchenabenteuer um eine Art erster Liebe, um Fantasie und darum, dass Liebe Loslassen bedeutet und am anderen interessiert ist. Das hat mir gefallen.
Formal fallen 29 "dass" zur Einleitung von Nebensätzen auf. Hätten sie mich nicht genervt, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, sie zu zählen.
Weitere Details:

Stattdessen hatte er sie öfters ermahnt, wenn sie kleine Pferdecomics in ihr Schulheft zeichnete
öfter (ohne s - gilt immer)
und folgte ihm dann zur Bushaltestelle.
"dann" steckt schon in "wartete bis", ist also überflüssig
stieg nach zwei Stationen gemeinsam mit ihm aus.
spätestens da müsste er sie doch entdecken
Sein Haus lag am Ende einer Straße, ein kleinen Einfamilienhaus mit geräumigen Garten, umsäumt von einer dichten Hecke.
ein kleines Einfamilienhaus mit geräumigem Garten.
Ihr Kopf fuhr zum Professor herum
Warum, sie sieht ihm doch schon ins versteinerte Gesicht?
Ihr Lehrer beugte sich über das Wesen auf dem Boden
weiter vorn steht das Wesen.
Jenny vergaß nie, wie sie die nächsten Minuten verbracht hatte:
Tempus: Ich würde hier in den Konjnktiv 2 gehen. Jenny würde nie vergessen, wie sie die ... verbrachte - Dann ersparst du dir den Wechsel in den Perfekt für einen einzigen Nebensatz.
der ihm sei seinen Recherchen für sein geplantes Buch
der ihm Bei
Seine Nachforschungen aufd dem Reiterhof waren eine verzweifelte Hoffnung gewesen
ein d zu viel
Nun, wo sie eingeweiht war, konnte sie ihre Hilfe anbieten
"da" statt "wo"
Nach einer halben Ewigkeit wollte sie wieder zum Waschlappen greifen. Die erstarrte mitten in der Bewegung.
Worauf bezieht sich "Die"? Vielleicht ein Komma setzen und statt "Die", "doch"?
Sie wusste nicht, wie lange er bereits schon zu ihr schaute
"bereits schon" ist irgendwie doppelt gemoppelt

Die Geschichte wirkt ein bisschen unkonzentriert geschrieben und etwas überhastet gepostet. Das ist schade, denn inhaltlich ist sie schön.

Lieben Gruß, sim

 

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