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Die Notizen des Henrik Nottmeier
Sie trug keinen Hut, trank keinen Martini, betrachtete sich nicht im Barspiegel und hatte ihre Beine nicht übereinandergeschlagen. Es war nicht ein Uhr.
Auch nicht morgen; die Sonne drückt kein Licht durch Häuserhöhen und es regnet nicht. Sie ist nicht so leicht zu schleifen, wie ihr graziöser Körper den Anschein macht, trägt keine Unterwäsche und ihr rückenfreies, knappes, schwarzes Kleid wird nicht vom Schotter des stillen Gehsteigs zerrissen. Ihr Mantel hängt nicht über meinen Schultern.
Ich trank auch keinen Martini, kein Bier, war nicht in Begleitung, nicht in Gesellschaft erschienen, trug die gelbe Rose nicht zu offensichtlich und nicht in der Hemdtasche. Unsere Begrüßung war nicht überheblich, nicht schwunghaft. Sie musterte mich nicht, fragte nicht nach Interessen, Alter, Hobbys, Familie, Vorlieben, Kindheit oder Kinofilmen und lächelte nicht.
Die Beule an ihrem Kopf ist nicht groß, ihre dringenden, grünen sind Augen nicht geschlossen. Ich verschnaufe, warte, überlege nicht. Ihr Haar ist nicht echt oder blond und die Perücke fällt nicht in die Gosse.
Durch die Sonnenbrille war sie nicht leicht zu erkennen. Ich trug keinen Ring, keinen Bart mehr und auch keinen Anzug.
Ich nehme nicht das Küchenmesser und steche nicht langsam, nicht in die Brust und nicht in den Rücken.
Sie hatte das Geld nicht haben wollen, brauchte es nicht fürs Taxi oder
Hotelzimmer, wo wir erst gar nicht landeten.
Pflaumenbaumerhangen hampelt sie nicht; auch nicht am Kirschbaum. Ich verschmiere ihre Schminke nicht.
Mir fielen nicht wenige Todesarten ein; Meuchelmord steht ihr nicht gut zu Gesicht, dachte ich nicht.
Ihr Venushügel ist nicht Violet gefickt, was ich auch nicht erwartet habe.
Sie redete nicht viel, nicht lippentanzend, plauderte schon gar nicht; kein Zeichen von Nervosität, Zweifel oder Ähnlichem.
Die Saite ist nicht von einer Gitarre, geschweige denn von einer Violine.
Im Internet war sie nicht so forsch gewesen, nicht so aktiv, fordernd und schnell bei der Sache.
Der Tod ist nicht einfach, leise, schleichend und schon gar nicht berauschend.
Unsere Internetromance war nicht vergessen, kein Tabuthema, obwohl sie nicht darauf zu sprechen kam.
Ihr Alter hat sie mir nicht verraten, einen Personalausweis hatte sie nicht bei sich.
Keinesfalls verging ich mich an ihrem todkalten Leib, schloss ihr die frostgrünen Augen nicht ruppig, stieß sie nicht von der Brücke, ein Auto hielt auch nicht an.
Ich werd nicht gestehen.