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Die Rückkehr der Füchse

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05.06.2018
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Die Rückkehr der Füchse

Das überraschendste am Ende der Welt ist die Rückkehr der Füchse. Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie gejagt haben. Vielleicht kommen sie nun zurück um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können. Vielleicht. Aber wahrscheinlicher ist, dass die vielen Leichen sie anlocken. Manchmal, wenn es kalt genug ist, dann ist der Geruch erträglich. Aber wenn es Sommer wird und die Fliegen summen, dann beißt der Gestank in der Nase und in den Augen. Zu viele von uns sind krank geworden, nicht alle konnten wir begraben. Ich versuche nicht darüber nachzudenken wie viele Menschen über der Erde liegen geblieben sind und nie in den Himmel kommen werden.

Ich sitze auf der Lichtung vor meiner kleinen Hütte, als ich zum ersten Mal rot huste. Es ist ein winziger Tropfen auf meiner Handfläche, ich kann mir einreden, dass ich mir nur auf die Zunge gebissen habe. Aber ich weiß, dass mir die Zeit davonläuft. Ich kann nicht auf den Frühling warten, muss aufbrechen, sobald ich kann, Mama und Isa suchen, Kieselsteine unter ihre toten Zungen legen.
Das Kaninchen, das ich am Morgen in einer meiner Fallen gefunden habe, habe ich sauber gehäutet und ausgeblutet. Es hängt an einem Stück Wäscheleine von einem Ast. Ich habe solchen Hunger, ungeduldig warte ich darauf, dass das Feuer hoch genug brennt, damit ich das Fleisch darüber braten kann. Das Feuer wärmt meine steifen Finger. Die Nächte werden bereits kälter, bald kommt der Winter mit seiner Stille, mit Hunger und schwarzen, tauben Flecken auf den Zehen. Während ich warte, stecke ich mir ein paar Blaubeeren in den Mund, saftig und frisch zerplatzen sie auf meiner Zunge. Das Wasser, das ich aus dem Bach geschöpft habe, schmeckt nach Schnee.
Als ich das Kaninchen endlich vom Feuer nehmen kann, höre ich ein klägliches Wimmern im Gebüsch. Ich ziehe mein Messer aus dem Gürtel, schleiche in die Richtung der Geräusche. Das Wimmern klingt nicht menschlich, klingt nicht wie Mama und Isa und all die anderen, bevor ich allein war. Das Gebüsch raschelt wieder und ein winziger roter Fuchs humpelt auf die Lichtung. Sein linkes Vorderbein ist ganz verdreht. Er sieht mich ängstlich an, hebt die Nase in die Luft und schnuppert. Der Duft von gebratenem Fleisch muss ihn angelockt haben.
„Hallo“, sage ich so sanft ich kann. Meine Stimme klingt seltsam, es ist eine Weile her, dass ich sie benutzt habe. Das Fuchskind bleibt zitternd stehen.
„Hast du auch Hunger?“, frage ich. Es antwortet nicht.
Ich setze mich wieder neben das Feuer und ziehe ein Stück weiches Fleisch von meinem Kaninchen ab. Es zerfällt in meinen Fingern und ich muss schlucken, weil ich solchen Hunger habe.
„Hier“, sage ich und lege das Fleisch neben mich auf den Boden. Ich lecke meine Finger ab und warte. Der Fuchs macht keine Anstalten näher zu kommen. Ich nehme mir selbst ein Stück Kaninchen und stecke es mir in den Mund. Die ledrige Kruste und das zähe Muskelfleisch schmecken herrlich. Ich kaue und reiße mir direkt noch ein Stück ab.
Jetzt, wo ich ihn nicht mehr ansehe, wagt der kleine Fuchs sich vor. Immer wieder packt ihn die Angst und er bleibt stehen, aber der Hunger ist größer. Das kann ich verstehen. Er schnuppert am Fleisch und verschlingt es dann in einem Bissen. Erwartungsvoll sieht er mich an.
„Wie heißt du?“, frage ich den Kleinen. „Ich heiße Lennja.“
Ich ziehe noch ein Stück vom Kaninchen ab, einen weichen Teil von seinem Rücken, damit der Kleine nicht zu sehr kauen muss. „Ich nenne dich Toive, okay?“
Wir teilen uns das Kaninchen und ich gieße etwas Bachwasser in ein Stück Baumrinde, damit Toive daraus trinken kann. Kleine Tropfen bleiben in dem roten Fell seiner Schnauze hängen, sie glitzern im Licht des Feuers. „Es tut mir leid, dass dein Bein gebrochen ist“, sage ich.

Als das Kaninchen verspeist ist, gebe ich noch etwas trockenes Holz in das Feuer und lege mich auf die Decke im Eingang meines Verschlags. Sie riecht nach Rauch und Schweiß. Ich mache Platz für Toive, der sich neben mir zusammenrollt. Er streckt das verletzte Bein aus, ich wünschte ich könnte etwas tun, damit er keine Schmerzen mehr hat. Es rasselt in meiner Brust, wenn ich einatme.
„Wir gehen bald auf eine Reise.“, sage ich. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Toive kuschelt sich an mich. Ich huste und schmecke Rost.
In den beiden Wochen, in denen Toives Bein langsam heilt, fällt der erste Schnee. Ich sammle so viele Beeren und Nüsse, wie ich kann, wickle sie in Decken und hänge sie an einer Leine in die Bäume, damit die großen Tiere nicht angelockt werden. Es ist so lang her, dass ich Mama und Isa zurückgelassen habe, aber ich erinnere mich an die lange Strecke, die ich zurückgelegt habe, um den vielen Leichen zu entkommen. Ich werde noch mehr Proviant brauchen. Ich weiß nicht, ob ich den Weg wirklich noch wiederfinden kann, aber darüber versuche ich nicht nachzudenken.
Als der Schnee sich wie eine Decke über die Bäume legt, wird die Welt noch stiller. Auf meiner Suche nach Proviant begegne ich immer mehr Füchsen, sie sind wahrlich in die Wälder zurückgekehrt. Ihr rotes Fell leuchtet vor dem Weiß des Schnees. Ich wünschte, ich könnte mehr Nüsse sammeln, noch ein paar Fallen auslegen, aber meine Brust tut weh und in der Nacht ist meine Haut zu warm, die Zeit läuft mir davon. Toive kann sein Bein schon wieder ein wenig belasten, auch wenn es noch immer schief aussieht. Ich hole vier runde Kieselsteine aus dem Bach, weiß und kühl auf meiner Hand, zwei für Mamas Mund und zwei für Isas. Wegzoll für den Fährmann. Meinen Proviant und die Decken verschnüre ich gut und binde sie mir auf den Rücken. Dann lösche ich zum letzten Mal das Feuer vor meinem zu Hause.
„Auf Wiedersehen“, sage ich zu meinem Verschlag in den Fichten. Ich sehe in den grauen, wolkenverhangenen Himmel und bedanke mich bei der Mondmutter und dem Donnervater dafür, dass sie mir Toive geschickt haben, damit ich nicht mehr so allein bin.
„Bereit?“, frage ich Toive. Er sieht mich aufgeregt an, den buschigen Schwanz aufgestellt. „Ich weiß“, sage ich, „ich habe auch Angst.“

Wir folgen seit einigen Wochen den Bächen aus meinem Wald hinaus, als ich das Mädchen mit den langen roten Haaren entdecke. Toive und ich sind erschöpft, hungrig und müde, die Sonne steht schon tief am Himmel und ich bin dabei Feuerholz für die Nacht zu sammeln. Vielleicht ist es das Rot ihrer Haare, das ich zuerst sehe, es leuchtet in der Dämmerung. Vielleicht ist es auch der saftig aussehende tote Luchs, den sie über den Schultern trägt.
Bevor ich mich zwischen meinem Hunger und meiner Angst entscheiden kann, entdeckt das Mädchen mich. Ihre Augen weiten sich, dann läuft sie auf mich zu, so schnell ihre Last es zulässt. Ich schiebe mich vor Toive, ziehe mein Messer. Das Mädchen bleibt ein paar Schritte entfernt stehen, ihre Haut ist beinahe so weiß wie der Wald um uns herum, ihre Haare Fuchsrot.
„Ich wusste es“, sagt sie mit heiserer Stimme. „Ich wusste, dass ich jemanden finden würde.“ Sie lächelt breit. Ich versuche nicht zu sehr auf den Luchs zu starren, auf seine muskulösen Beine, die sicher herrlich schmecken, wenn sie gebraten sind. Toive schiebt sich an mir vorbei nach vorn und schnuppert in die Luft.
„Ich bin Elina“, sagt das Mädchen mit den roten Haaren.
„Ich heiße Lennja“, sage ich. Ich möchte sie bitten, ihren Fang mit uns zu teilen, mit mir an einem Feuer zu sitzen, damit wir beide nicht mehr so allein sind. Aber nie würde ich das Rasseln in meiner Brust verschweigen. Ich ziehe den Zeigefinger von meinem Haaransatz über den Nasenrücken bis auf mein Kinn. Elinas Lächeln verschwindet, sie sieht auf ihre Füße hinab. „Ich habe ihn auch“, sagt sie so leise, dass ich sie beinahe nicht verstehe. „Die Hitze ist noch nicht gekommen, aber ich kann das Blut schmecken, wenn ich huste.“ Ihre Augen wandern von meinen Stiefeln bis zu meinen Haaren und wieder zurück. Eine Weile lang stehen wir uns einfach in der Stille des Winterwalds gegenüber.
„Wer ist dein Freund?“, fragt Elina schließlich. Ich stelle ihr Toive vor.
„Habt ihr Hunger, Lennja und Toive?“, fragt sie.
Wir sammeln zusammen Holz, es ist zu feucht und das Feuer ist rußig und klein. Das Luchsfleisch brät in den Flammen, während wir aus meinen Decken und Elinas Fellen ein kleines Lager machen. Wir spannen zwei Decken auf, damit sie uns vor dem eisigen Nordwind schützen. Elina ist seit einem Winter allein in den Wäldern, zuvor hat sie mit sieben Erwachsenen weiter die Flüsse hinab am großen Meer gelebt. Sie hatten lange überlebt, hatten Hütten gebaut und begonnen Vieh zu züchten. Das erste Ziegenkitz wurden in dem Frühling geboren, in dem der erste von ihnen krank wurde. Der rote Husten tötete sie alle innerhalb weniger Wochen, nur Elina blieb übrig.
„Ich habe mich auf die Suche nach anderen Menschen gemacht“, sagt sie, während sie die Luchshaut säubert und ich das Fleisch im Feuer drehe. „Ich bin allen Flüssen gefolgt, ich bin weit gelaufen, aber ich habe niemanden getroffen.“ Elina legt eine getrocknete Beere auf ihre Handfläche und hält sie Toive hin. Toive nimmt sie ganz vorsichtig von ihrer Hand und versteckt sich dann schnell hinter meinem Rücken. „Als das Rasseln in meiner Brust angefangen hat, wusste ich, dass ich nicht weitersuchen konnte. Ich wollte niemandem den roten Husten bringen.“ Elina reibt sich die Haare aus dem Gesicht und sieht mich nachdenklich an. „Ich dachte, dass ich nie wieder einen anderen Menschen sehen würde.“ Weil sie hier am Bach geblieben ist, um allein zu sterben.
Wir teilen uns das Fleisch, meine Beeren und Nüsse. Lange nachdem es dunkel geworden ist, sitzen wir noch zusammen am Feuer.
Zwei Tage und Nächte machen Elina und ich gemeinsam Rast. Toive spielt im Schnee, froh darüber, dass wir eine Weile nicht weitergehen. Füchse kommen uns besuchen, ihr Fell leuchtend rot. Elina und ich erzählen einander von Dingen, die wir erlebt haben. Erst am zweiten Abend, als der Mond bereits aufgegangen ist und die Funken des Feuers in der Dunkelheit leuchten wie Sterne, erzähle ich Elina schließlich von Mama und Isa. Dass ich zu jung war um ein Grab für sie auszuheben, von meinen blutigen Händen, den Tränen, den Fliegen, die sich auf ihre aufgeblähten Leiber gesetzt haben. Meinetwegen sind sie noch immer auf der Lichtung gefangen, auf der ich sie zurückgelassen habe, statt im Himmel. Elina schaut ins Feuer, als meine Stimme nicht mehr funktionieren will, lange sagt sie nichts. Dann legt sie einen Arm um mich, ihren Kopf auf meine Schulter. Gemeinsam sitzen wir im Schein der Flammen, mehr eins als zwei. Die Haut ihres Gesichts ist rau von der Winterkälte, aber sie ist warm. Aus der Nähe kann ich die einzelnen Wimpern sehen, die Halbmondschatten auf ihre Wangen werfen.

Am nächsten Morgen wache ich in Elinas Armen auf. Toive hat sich zwischen uns zusammengerollt und hebt die Schnauze, als ich mich rege. Ich schmecke Blut und das Atmen ist schmerzhafter als noch am Vorabend. Ich muss weitergehen, muss sie finden, kann mich nicht länger ausruhen. Elina hilft mir dabei meine Sachen wieder auf den Rücken zu binden. Als wir es geschafft haben, beginnt sie ihre Felle zusammenzuschnüren.
„Ich komme mit dir. Ich will nicht allein sein“, sagt sie. Ich möchte auch nicht allein sterben.
Das Gehen ist schwer, der tiefe Schnee hält die Füße fest. Meine Lunge funktioniert nicht mehr gut, jeder Atemzug brennt in der Brust. Wir folgen dem Bach aus dem Wald hinaus, wenden uns nach Westen, als er in einen breiteren Fluss fließt. Ich erinnere mich an die Gabelung und den kahlen Birkenwald, auf den wir einen halben Tag später stoßen. Bald schon werden unsere Vorräte knapp und ohne lange Rast können wir keine Fallen auslegen. Zwischen den verschneiten Birken finden wir viele Tote. Ihre Knochen schauen aus dem Schnee, zeigen in den Himmel, in den ihre Seele nie aufgestiegen ist. Ich zähle sie nicht, dennoch ist es überwältigend, wie viele blanke Knochen unseren Weg säumen. Füchse spielen zwischen den Überresten. Hier und da haben größere Tiere verwesende Leichen aus zu flachen Gräbern gezerrt, ich versuche nicht hinzusehen und doch sehe ich Bisspuren in totem Fleisch, Maden in klebrigen Augenhöhlen. Elina nimmt meine Hand, als sie mein Entsetzen sieht. Fest drückt sie meine Finger. Obwohl es weh tut, singen wir alte Lieder, um die unheimliche Stille der Wintergräber zu verscheuchen. Wir erzählen uns von alten Erinnerungen und Träumen. Träumen, die alle nicht mehr wahr werden können. Toive folgt uns durch den Schnee, an Bächen entlang, durch dichte Nadelwälder, vorbei an kahlen Laubbäumen. Er begrüßt die Füchse, die uns begegnen, immer mehr werden es, sie erobern die Wälder zurück. Nachts schlafen Elina, Toive und ich zusammengekuschelt auf Decken und Fellen, alles ist weicher und wärmer, weil ich nicht mehr allein bin.
Wochen vergehen, bis wir auf die erste zerstörte Straße stoßen. Früher wurden sie zum Transport genutzt, jetzt haben Wurzeln sie aufgegraben, nur Bruchstücke sind übriggeblieben. Wir umgehen die alte Stadt in riesigem Bogen, von der wir Schreckliches gehört haben. Dort ist alles giftig, nicht einmal die Füchse wagen sich hinein. Selbst in der kalten Winterluft können wir den Gestank der Stadt riechen.
„Vielleicht gibt es an anderen Orten der Welt noch Menschen“, sagt Elina, als der Duft von Fichten uns wieder umgibt. „An den Orten, an denen es keinen Wald gibt, sondern nur Sand. Oder hoch in den Bergen.“ Ich erinnere mich kaum mehr an die Bilder, die ich als kleines Mädchen gesehen habe, Fotos von Steppen, Wüsten, Bergen und Ozeanen. Ich sage nichts, wir wissen beide, dass es dem roten Husten egal war, wo die Menschen gelebt haben, über die er hergefallen ist.

Plötzlich höre ich ein Rauschen, das mit jedem Schritt lauter wird. Der Weg neben dem Fluss, dem wir gefolgt sind, endet am Rande einer steilen Klippe. Das Rauschen des Wassers, das darüber stürzt, ist ohrenbetäubend.
„Nein“, sage ich erstickt. „Nein, nein, nein.“ Wir müssen dem falschen Fluss gefolgt sein, wir müssen eine Abzweigung verpasst haben. Sicher würde ich mich an einen so imposanten Wasserfall erinnern, an Felsen, in denen ich klettern musste. Sind wir bereits seit Tagen dem falschen Flusslauf gefolgt? Panisch schnappe ich nach Luft, aber meine Lunge gibt nur ein feuchtes Geräusch von sich und die Welt dreht sich. Nein. Nein, nein, nein. Ich habe mich zu spät auf die Suche gemacht, ich hätte nie so lang warten dürfen. Ich huste rot, wieder und wieder. Eine Fuchsfamilie beobachtet uns aus den Schatten des Waldes.
„Hey!“ Elina kniet vor mir im Schnee, sie legt die Hände auf meine Wangen, sieht mir in die Augen. „Du musst versuchen ruhig zu atmen“, sagt sie. „Wir finden sie ganz sicher.“ Ihre Lippen sind ebenso rot wie ihre Haare, wie die Füchse. Elinas Fingerspitzen streicheln über meinen Nasenrücken, mein Kinn, meine Wange. Sie legt den Daumen auf meinen Hals, wo er weich und verletzlich ist, vergäbt die Finger in meinen Haaren. „Wir finden sie“, sagt sie noch einmal, „versprochen.“ Mein Atem beruhigt sich ein wenig.
Es ist bereits zu dunkel und zu kalt um umzukehren, also machen wir in der Nähe des Wasserfalls Rast. Unser Feuer will nicht so recht brennen, es qualmt in den Himmel und verdeckt die Sterne. Elina schläft erschöpft ein, als wir endlich auf unseren Decken liegen. Doch meine Lunge schmerzt zu sehr, meine Haut ist zu warm und feucht, der Husten zu quälend, um an Schlaf zu denken. Also sehe ich Elina beim schwachen Schein des Feuers dabei zu, wie sie träumt. Ihre Augen bewegen sich hastig hinter ihren dünnen Lidern, ihre Lippen murmeln Worte, die ich nicht ausmachen kann. Ich streichle Elinas Stirn, die zu heiß ist, berühre ihre Schultern und Arme, ihre Finger auf der Decke, die sich zuckend im Traum bewegen. Toive rollt sich in meiner Kniekehle zusammen, die Nase trocken und warm.

Ein lautes Knacken weckt mich aus meinem unruhigen Schlaf. Das Feuer ist so weit heruntergebrannt, dass ich ihn in der Dunkelheit beinahe nicht ausmachen kann. Ich kann ihn riechen, kann seinen Atem hören, der viel zu nah ist.
„Elina.“ Elina blinzelt schlaftrunken. „Elina!“ Toive kauert sich an mich, stocksteif und still. Als Elina endlich die Augen aufschlägt, deute ich über ihre Schulter. „Bär“, flüstere ich. Elinas Atem ist feucht auf meiner überhitzten Haut. Wir liegen so still wir können, machen keinen Laut, in der Hoffnung, dass er uns nicht bemerkt. Die letzten Reste unseres Proviants hängen an einer Leine in den Bäumen. Der Bär sucht danach, richtet sich auf seine Hinterläufe auf und wittert. Mein Herz schlägt so schnell, dass meine blutige Lunge nicht mithalten kann, mir wird schwindelig, kleine Sterne blitzen hinter meinen Augenlidern auf, wenn ich blinzle. Ich bete zu dem Donnervater und der Mondmutter, dass sie den Bären ablenken und vorbeiziehen lassen, ohne dass er uns bemerkt. Doch auf seiner Suche nach Nahrung wittert er uns schließlich in unserem kläglichen Lager neben dem toten Feuer. Seine Pranken wirbeln feinen Pulverschnee auf, er nähert sich, die Nase auf den Boden gerichtet.
„Zu spät, er hat uns gesehen“, flüstere ich und Elina nickt. Wir stehen beide auf, nicht ruckartig, aber schnell genug, um nicht lang wehrlos und klein zu wirken. Wir richten uns so hoch auf, wie wir können, breiten Decken hinter uns aus um größer zu wirken.
„Verschwinde“, sage ich laut und deutlich. Wenn wir jetzt weglaufen, wird er uns verfolgen, wenn wir uns wie Beute verhalten, wird er Jagd auf uns machen.
Der Bär bleibt stehen und richtet sich auf. Sein lautes Brüllen dröhnt in meinen Ohren, ist so furchteinflößend, dass ich beinahe trotz besseren Wissens auf der Stelle kehrtmache und laufe, so schnell ich kann. Toive steht zitternd hinter Elina und mir, ich kann sein Wimmern hören.
„Verschwinde von hier“, sage ich noch einmal laut und bestimmt. Ich versuche furchteinflößend auszusehen, ein ebenbürtiger Gegner, gefährlich und bereit sich zu verteidigen. Wieder brüllt der Bär, lässt sich zurück auf alle viere fallen und neigt den Kopf. Ich ziehe mein Messer, sehe wie Elina es mir nachtut.
Der Bär schnaubt, ich habe nicht einmal mehr Zeit mein Gebet zu beenden, da stürzt er schon auf uns zu, die Zähne weiß im Mondlicht.
Ich nehme Elinas Hand, halte sie fest, damit ich selbst nicht weglaufen kann. Es ist unsere einzige Chance weiter Stellung zu halten, stark zu wirken, aber ich habe solche Angst, dass ich mir in die Hose mache. Mein Bein wird warm und feucht. Mit ohrenbetäubendem Brüllen greift der Bär an. Es tut mir leid, Mama, es tut mir leid, Isa. Ich hätte nicht so lang warten dürfen. Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid.
Der Bär bleibt stehen, kurz bevor er uns erreicht hat. Ich kann seinen widerlichen Atem riechen. Noch einmal brüllt er laut, dann dreht er sich um und verschwindet zwischen den Fichten.
Die Tränen laufen erst über meine Wangen, als das Knacken der Äste nicht mehr zu hören ist. Zitternd huste ich Blut in den Schnee unter meinen Füßen. Es riecht nach Schweiß, Rauch und Ammoniak. Ich kann nicht aufhören zu weinen, meine Finger immer noch fest um Elinas Hand geschlossen. Ich drehe mich zu ihr um, sehe in ihre weit aufgerissenen Augen. Ihre Brust hebt und senkt sich rasend schnell, ich kann das nasse Rasseln hören. Wir wissen den Weg nicht, wir haben beinahe nichts mehr zu essen, der Winter wird kälter, bald werden die Nordstürme aufziehen, aber noch sind wir am Leben. Ich drücke mein Gesicht an Elinas, atme den Geruch ihrer Haut ein. Blut. Ihre Lippen sind warm und feucht unter meinen, ich lasse mein Messer fallen und halte ihren Kopf fest, damit ich sie richtig küssen kann. Elina wischt die Tränen von meinen Wangen, legt die Arme um mich, vertieft den Kuss. Alles ist fieberwarm, nah, lebendig.
*
Am nächsten Morgen folgen wir Hand in Hand dem Fluss zurück. Jeder Schritt ist schwer, der Wind ist eisig kalt, doch das Fieber hält uns warm. Toive läuft dicht hinter meinen Beinen, um sich vor dem umherwirbelnden Eis zu schützen. Wenn wir nicht mehr weiter gehen können, wickeln wir uns alle gemeinsam in Decken und Felle, dann tauschen Elina und ich Küsse und geflüsterte Geheimnisse. Ich habe so viele Menschen sterben sehen, weiß genau was uns erwartet: Nach dem Fieber kommen die roten Augen, das Blut, das aus Nase und Ohren läuft, die blauen Flecken an den weichen Körperstellen. Wenn die Haut rot schwitzt, dann ist es nicht mehr lang bis zum Tod.
Wir trauen uns kaum mehr in der Dunkelheit Rast zu machen, ich weiß, dass die Zeit knapp wird, und noch immer haben wir den Weg nicht gefunden. Füchse huschen durch das Dickicht, durch das wir uns kämpfen, immer dem Fluss folgend. Es ist Tage her, dass wir dem Bären entkommen sind, als ich endlich den Wald um uns herum wiedererkenne.
„Es ist nicht mehr weit, hier habe ich früher Wasser geschöpft“, krächze ich erleichtert. Meine Stimme hat Schwierigkeiten Worte zu formen, so oft muss ich mich vornüberbeugen und husten. Die Wintersonne steht tief am Himmel, in ihrem kalten Licht suche ich den Weg hinein in den Wald, in dem ich aufgewachsen bin. So viele kahlgefressene Brustkörbe ragen aus dem Schnee, ich weine blutige Tränen, muss immer öfter blinzeln um etwas zu sehen. Elina zieht mich fest an sich. Auch wenn das Gehen dadurch noch schwerer wird, lege ich einen Arm um ihre Schulter und zusammen folgen wir den Pfaden durch die verfallenen Hütten, in denen schon längst niemand mehr lebt. Ich habe Mama und Isas Namen in den Baum geschnitten, an dem ich sie verlassen habe. Von dem lächerlich kleinen Loch, das ich mit Kinderhänden gegraben habe, ist nichts mehr zu sehen. Aber sie liegen noch da, nichts als Knochen übrig von den Armen, die mich gehalten haben, wenn ich mich gefürchtet habe. Nichts als Knochen übrig von meiner kleinen Schwester, die gerade alt genug war, dass Mama sie nicht mehr mit einem Tuch auf ihren Rücken binden musste, als sie zum ersten Mal Blut in ihre kleinen Fäuste gespuckt hat. Eine Fuchsfamilie nennt die Lichtung jetzt ihr zu Hause, sie sehen uns interessiert dabei zu, wie wir die Decken von unseren Schultern nehmen. Der Wald wimmelt von ihnen, überall kann ich ihr rotes Fell leuchten sehen.
Elina sieht auf Mama und Isa hinunter. „Das sind sie?“, fragt sie, ich nicke. Sie legt die Kapuze zurück, ihr Haar ergießt sich über ihre Schultern, so lang, dass es beinahe ihre Hüften erreicht. Sie legt ihre Stirn an meine, hält mich einen Augenblick lang fest.
Wir graben die ganze Nacht hindurch, bis unsere Hände bluten und ich meine Finger nicht mehr spüren kann. Meine Lungen brennen, ich kann warmes Blut fühlen, das aus meiner Nase tropft. Immer wieder müssen wir Halt machen, weil wir drohen ohnmächtig zu werden. Alles ist unwirklich, heiß, verschwommen, als wäre die Welt ein Fiebertraum. Und weiter graben wir, tiefer und tiefer. Die oberste Schichte Erde ist bereits gefroren, sie zerrt an unserer Haut.

Die Sonne ist zweimal unter und wieder aufgegangen, als das Grab endlich tief genug ist. Schweiß und Blut tropfen in das nasse Erdreich, ich kann kaum noch etwas sehen. Elina kniet im Schnee neben Mama und Isa, das Haar ausgebreitet. Toive stupst sie mit seiner weichen Schnauze an, versucht sie zu einem Spiel zu ermuntern, für das sie nie wieder die Kraft haben wird.
Wir betten Mama und Isa in die Erde, ich lege ihnen die runden Flusskiesel in den Mund, hoffe, dass der Fährmann sie finden wird, auch wenn sie keine Zungen mehr haben. Ich kann nicht mehr laut auf Wiedersehen sagen, weil meine Stimme nicht mehr funktioniert, aber ich spreche ein stilles Gebet.
Wir schieben die Erde zurück, decken die beiden zu. Erst als das Grab geschlossen ist, weine ich vor Erleichterung. Elina zieht mich zu sich in den Schnee. Sie sieht mich aus blutigen Augen an. Gluckernd atmet sie ein, legt die heißen Finger auf meine fiebernasse Wange. Wir haben es geschafft. Mama und Isa sind im Himmel. Elina lehnt die Stirn gehen meine, die Welt kippt. Ich will nicht zusehen müssen, wie sie stirbt. Bitte, bete ich, lasst Elina am Leben. Aber ich habe so viele Menschen sterben sehen, weiß genau was uns erwartet: Es beginnt mit blutigem Husten, der in der Brust rasselt. Dann kommen das Fieber und die Halluzinationen. Die roten Augen, das Blut, das aus Nase und Ohren läuft, die blauen Flecken an den weichen Körperstellen. Wenn die Haut rot schwitzt, dann ist es nicht mehr lang bis zum Tod.
Die Füchse um uns herum sonnen sich im Winterlicht. Toive schnuppert aufgeregt nach Beute. Elina und ich legen uns in den herrlich kalten Schnee, der unsere fieberheiße Haut ein wenig kühlt. Ich zittere vor Erleichterung, nehme Elina in den Arm und drücke sie an mich. Ihr rotes Haar läuft über mein Gesicht. Ich schwitze Blut. Elina küsst meinen Hals, meine Wange. Halluzinationen. Zumindest die sind mir erspart geblieben. Ich blinzle und liege allein neben dem Grab meiner Familie, mein Blut grell und leuchtend rot im weißen Schnee. So rot wie das Fell von Füchsen. Wie Elinas Haar. Ich kann nicht mehr atmen, die Welt verschwimmt. Mein Gesicht wird nass. Ich blinzle noch einmal und Elinas Haare sind auf dem Schnee um uns herum ausgebreitet wie eine Decke, die Füchse spielen in der Sonne, Toive kuschelt sich in meine Kniekehlen. Ich halte Elina fest und schließe die Augen.

 

Das Kaninchen, das ich am Morgen in einer meiner Fallen gefunden habe, habe ich sauber gehäutet und ausgeblutet.

Hallo,

der Einstieg ist gut, aber etwas, wie ich finde, zu erklärend. Du könntest ruhig mit Action und Atmo beginnen. Zum Satz oben: Einen Feldhasen in einer Falle zu erwischen, dafür muss man ein richtig guter Waidmann sein. Niederwild wird üblicherweise mit Schrot bejagt. Du könntest hier einen Waschbären nehmen, einen Marder oder einen Marderhund, das würde auch die Notlage besser beschreiben, sie isst eben alles. (Das Fleisch von Raubwild schmeckt ohne vorherige Behandlung sehr nach Aas.) Und ein Feldhase wiegt zwischen 4-6 Kilo, den hängst du nicht mal eben an einen Ast, der bricht ab. Außerdem brauchst du den Hasen nicht ausbluten lassen, du balgst ihn ab, und dann brichst du ihn auf, entnimmst also die Innereien. Du kannst ihn auch in der Decke lassen, aber du solltest unbedingt ihn reifen lassen, das dauert zwischen 5-8 Tagen, bei ausreichender Kühlung. Man kann das Fleisch auch so essen, aber dann wird es eben zur Schuhsohle.

Mich stört in einem solchen Text das Wort "Mama." Ich weiß, es soll vertraut klingen, aber ich glaube, dass sich auch die Sprache in einer apokalyptischen Welt verhärmt, sich verändert. Ich finde, es müsste härter klingen, "Mutter", das klingt existenzieller. (Vielleicht bin auch ich das nur?) Zum Fuchs: Ich weiß, das ist einer deiner Plotpoints, aber ein Fuchs ist Raubwild, und das Raubwild, was am besten hört, sieht und alle seine Sinne nutzen kann - vor allem um zu flüchten. Selbst ein verletzter Fuchs flüchtet bei Sicht auf den Mensch, eigentlich sobald er dich hört. Das macht die effektive Fuchsjagd auch so anspruchsvoll, weil der Fuchs eben ein ausgesprochen kluges Tier mit extrem scharfen Sinnen ist.

Hier, die Kleine, die einen Luchs fängt - einen Luchs! Ein eurasischer Luchs kann bis zu dreißig Kilo schwer werden, und ist ein absoluter Kulturflüchter. Wie will sie den gefangen haben? Mit einer Browning 30 06? Also, das ist sehr unwahrscheinlich. Ich würde hier viel eher ein kleines Tier nehmen, wie ein verletztes Wildkaninchen, eine Stockente, eine Wildschnepfe, ein Rebuhn ... also, die sind auch alle irgendwie schwer zu fangen oder zu bejagen, aber sie könnten immerhin sich verletzt haben und dadurch zu leichterer Beute geworden sein.

Nach dem Fieber kommen die roten Augen, das Blut, das aus Nase und Ohren läuft, die blauen Flecken an den weichen Körperstellen. Wenn die Haut rot schwitzt, dann ist es nicht mehr lang bis zum Tod.
Hier würde ich mehr showen. Sie erzählt es der Kleinen, und so ziehst du den Leser tiefer in diese unglaublich fiese Szenerie mit rein. Dein Setting ist oft sehr stark - die Wanderung, der Wasserfall, die Leichen, der Bär - aber da lässt du auch erzählerisches Potential liegen, weil du fast die gesamte Narration zusammenfasst. Lieber einmal stoppen, die Details sparsamer machen, dafür mehr eintauchen, den Leser mitsehen lassen. Hier hast du ja auch die einzigartige Möglichkeit, mit dem Leser die Außenwelt zu entdecken, es ist nichts, was dein Protagonist kennt, alles hat sich verändert.

Hier: Auch wenn das Gehen dadurch noch schwerer wird, lege ich einen Arm um ihre Schulter und zusammen folgen wir den Pfaden durch die verfallenen Hütten, in denen schon längst niemand mehr lebt. Wie sehen die Hütten aus, wie riechen sie, wie sieht es darin aus, was wurde vergessen?

Oder:Aber sie liegen noch da, nichts als Knochen übrig von den Armen, die mich gehalten haben, wenn ich mich gefürchtet habe. Vor was hat sie sich gefürchtet? Hier eine konkrete Erinnerung, eine Szene, die du präsentierst, das manifestiert sich sofort im Hirn des Lesers.

Das Ende ist dann sehr stark. Ich würde aber auch hier genau aufpassen: benutzt sie in diesem Moment wirklich das Wort "herrlich" - herrlich kalter Schnee? Beschreibt sie noch einmal genau diese Krankeheit? Ist das nicht alles eher fragmentiert, Erinnerungen, Gerüche, Angst, Schlaf, Erschöpfung, Todeskampf? Da könntest du ruhig auch noch mal was raushauen, ruhig auch experimenteller werden, über die Grenze hinaus, es muss nicht alles Sagbare vom Leser verstanden werden, mute ihm etwas zu.

Ein Text, der mich ein wenig an The Road erinnert. Ein einzigartiges Buch. Du hast das gut aufgezogen, ein langsamer, ruhiger Verlauf, in dem im Grunde auch nicht viel passiert, aber - mir wird die Motivation deiner Figur nicht ganz klar. Sie wird selber sterben, das weiß sie, warum geht sie dann los ihre Mutter und ihre Schwester begraben? Warum gerade jetzt? Bei The Road war es dieser Funke, also ein Glaube an Gott und an das Gute, Barmherzige im Menschen, das hat sie weitergehen lassen, sie waren auf der Suche, nach Erlösung, nach irgendeiner Art von Zukunft. Du löst das aber im Text nicht ein, da geht es in einer Spirale nach unten, sie ist infiziert, die Kleine auch, da ist es schwer, eine Motivation zu finden und der auch zu folgen. Vielleicht lässt du die Kleine gesund sein, und sie kehren beide an diesen alten Ort zurück, um Mutter und Schwester zu beerdigen, aber warum sollte dann die Kleine mitgehen? Sie wirkt patent, sie kann jagen, sie ist auch sich alleine gestellt, und das ist eine gefährliche Reise. Das wirkt noch nicht ganz austariert. Wenn das Zuhause jetzt eine Art Erlösung darstellen würde, der Ort eines Neubeginns, und Lennja belügt Elina darüber, das würde auch gehen, weil sie dann nicht mehr alleine ist, dann ist die Reise das Motiv, dass sie sich überhaupt fortbewegen, irgendein Ziel haben.

Mit dem Fuchs, der sie begleitet, ich weiß nicht ... wenn der jetzt metaphysisch wäre, also eine Illusion, dann würde ich dir das eher abkaufen. Wenn klar wird, diesen Fuchs sieht nur Lennja, aber er existiert nicht wirklich, er ist nicht real. So wirkt dieser Fuchs wie ein sidekick, der aber keine Funktion hat. Wenn er sie jetzt anleiten würde, ihnen einen Dachsbau zeigt oder sie warnt vor dem Bären, selbst wenn er nur imaginär ist, dann würde er als Symbol einfach mehr Sinn machen. Weißt du, was ich meine?

So, ich hoffe, das war halbwegs konstruktiv. Bin gespannt, wie es bei dir weitergeht.

Gruss, Jimmy

 

Hallo, MariaSteffens

Dingdingding. Du hast Dir eine Zeichensetzungslektion verdient, denn ich habe einen systematischen Fehler gefunden. :chaosqueen: Ich setze also mal mein Krönchen auf und nehme die Peitsche zur Hand. Der Inhalt der heutigen Stunde: Infinitivsätze.

Vielleicht kommen sie nun zurück um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können.
Ich versuche nicht darüber nachzudenken[,] wie viele Menschen über der Erde liegen geblieben sind und nie in den Himmel kommen werden.

Was ist ein Infinitivsatz? Eigentlich ganz easy, das ist so ein Satzteil, wo ein „zu“ + Infinitiv am Ende steht. In den beiden Beispielen, die ich direkt aus dem Anfang Deines Textes gezogen habe (bitte beachte die anderweite Zeichensetzungskorrektur in Beispiel 2), sind das:

Beispiel 1: „um sich zu rächen“
Beispiel 2: „nicht darüber nachzudenken“ oder (und bei Infinitivsätzen ist das wirklich interessant) „darüber nachzudenken“

Beim letzten Satz zeigt sich auch ein Knackpunkt der Infinitivsätze: Während die meisten fehlenden Kommata einen Text „nur“ schwer lesbar machen, können fehlende oder falsch gesetzte Kommata an Infinitivsätzen seine Bedeutung ändern. In Beispiel 2 weiß ich nicht, ob Dein Prot „nicht versucht“ oder „nicht nachdenkt“. Je nachdem, wo Du das Komma zu setzen wünschst.

Denn die Regel dazu lautet: Wenn die Infinitivgruppe von weiteren Wörtern abhängt, dann muss ein Komma gesetzt werden. In Beispiel wie … Nein, ich finde in Deinem Text kein Beispiel. Also selbstgeschrieben:

Er begann zu sehen.

In diesem Falle hängt die Infinitivgruppe „zu sehen“ von keinem anderen Wort ab. Hier muss also kein Komma gesetzt werden (möglicherweise darf nicht einmal eins gesetzt werden, meine Korrekturleserin streicht es mir zumindest immer raus, andere empfehlen aber, bei einem „zu“ + Infinitiv immer ein Komma zu setzen). Egal, denn ein solches Beispiel finde ich zumindest im ersten Drittel des Textes nicht. Dafür viele Infinitivsätze mit mehr Wörtern als bloß „zu“ und Infinitiv:

Der Fuchs macht keine Anstalten näher zu kommen.
Ich weiß nicht, ob ich den Weg wirklich noch wiederfinden kann, aber darüber versuche ich nicht nachzudenken.
Toive und ich sind erschöpft, hungrig und müde, die Sonne steht schon tief am Himmel und ich bin dabei Feuerholz für die Nacht zu sammeln.
Ich versuche nicht zu sehr auf den Luchs zu starren, auf seine muskulösen Beine, die sicher herrlich schmecken, wenn sie gebraten sind.
Sie hatten lange überlebt, hatten Hütten gebaut und begonnen Vieh zu züchten.

Sobald der Satz von weiteren Wörtern abhängt, zum Beispiel das spannende „nicht“, muss ein Komma gesetzt werden. Beispiele 4 und 6 werfen wieder die Frage auf, ob Dein Prot „nicht versucht“ oder „nicht nachdenkt“/"nicht schaut". Das musst Du (wie in allen anderen Beispielen) mit einem Komma strukturieren.

Also, so ein systematischer Fehler macht doch immer wieder Spaß. Bitte die Beispiele durcharbeiten und danach nochmal den ganzen Text nach Fehlern am „zu“ absuchen. Es sind bestimmt noch einige zu finden. Übrigens ist das „um“ + irgendwas + „zu“ + Infinitiv ein echtes Geschenk. Da kommt immer ein Komma vor. Immer.

Die Lektion natürlich lernen und die Fehler auch langfristig nicht mehr machen. Sonst sprechen wir uns bald wieder.

Weitere Kleinigkeiten:

Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie gejagt haben.

Du schreibst im Präsens, also brauchst Du kein Plusquamperfekt. Du kannst einfach Perfekt benutzen. Das gilt im Übrigen noch für eine weitere Textstelle:

Sie hatten lange überlebt, hatten Hütten gebaut und begonnen[,] Vieh zu züchten.

Sein linkes Vorderbein ist ganz verdreht.

Das ist aber ganz schön umgangssprachlich. Ich würde das „ganz“ schnell streichen. ;)

„Hallo“, sage ich so sanft ich kann.

Komma vor „so“.

Immer wieder packt ihn die Angst und er bleibt stehen, aber der Hunger ist größer.

Hier kommt aber die Behavioristin in mir raus: Wir wissen von Tieren überhaupt nicht, ob sie überhaupt Angst empfinden. Wir können nur ihre Körpersprache beobachten. Auch im Sinne des Shows kann man sich von den Behavioristen eine Scheibe abschneiden: Sie beschreiben nur das Verhalten, das sie beobachten können – und es funktioniert sehr gut. (Wow, diese Parallele wird mir jetzt erst klar.)

Er streckt das verletzte Bein aus, ich wünschte ich könnte etwas tun, damit er keine Schmerzen mehr hat.

Mehrere Prädikate am Stück und keine Konjunktion wie „und“ oder „oder“ in Sicht? Klarer Fall für ein Komma. Komma vor „ich könnte“.

„Wir gehen bald auf eine Reise.“, sage ich.

Punkt weg in der wörtlichen Rede.

So, das reicht jetzt mit Details. Der Inhalt ist ja viel, viel spannender.

Ich liebe dystopische Sci-Fi-Settings, und ich liebe Dein Setting. Das ist wirklich cool. Die Krankheit, die Leichenfelder, die wilden Tiere, die aufgebrochenen Straßen … Ich dachte die ganze Zeit: Mensch, genau das habe ich auch schon mal geschrieben. Aber es ist wohl sehr klassisch. Was nicht schlimm ist. Mir zumindest macht das nichts aus, ich habe mich in Deiner Geschichte sofort zu Hause gefühlt.

Der beste Kniff der Geschichte war für mich das hier:

Dann kommen das Fieber und die Halluzinationen.

Ich gebe meinem Vorredner recht, dass man an dieser Stelle leider viel Tell erlebt. Aber der Inhalt, nämlich, dass man unter dieser Krankheit auch halluziniert, das ist sehr stark. Da lasse ich sofort die ganze Geschichte Revue passieren, frage mich, was wirklich passiert sein mag. In diesem Sinne fand ich das wiederum sehr schwach:

Halluzinationen. Zumindest die sind mir erspart geblieben.

Du brauchst die Halluzinationen nur einmal erwähnen. Das schlägt richtig ein. Es ist mir auch relativ egal, welche der beiden Stellen Du drinbehältst. Aber indem Du das zweimal sagst, reibst Du es mir unter die Nase. Das würde ich nicht machen. Erwähne sie nur ein einziges Mal, dann hat das ausreichend Wumms. Dann kommt nämlich nicht nur die Frage auf, was noch Wirklichkeit ist, sondern auch die Frage, ob ich als Leserin gerade einfach nur paranoid geworden bin. Letzteres nimmst Du mir, wenn Du es mir nochmal unter die Nase reibst.

Ein bisschen was zu meckern habe ich neben den Infinitivsätzen aber noch: Mir war die Geschichte zu lang. Das Problem ergibt sich bei Heldenreisen, so fürchte ich, recht schnell: Ich habe häufiger das Gefühl, dass die Dinge nur als Lückenfüller passieren und mit der tatsächlichen Handlung nichts zu tun haben. Der Bär zum Beispiel. Der einzige Grund, den ich erkennen kann, aus dem er für die Handlung wichtig ist, ist, um die Protas zueinander zu führen. Das … äh … ich finde, dafür braucht man keinen Bären.

Und so fand ich den Text doch stellenweise recht lang. Hatte seine Längen wie Sams und Frodos Reise nach Mordor. Nur dass das wirklich richtig lang war. So sehr hast Du es zum Glück nicht übertrieben. Ich würde Dir ans Herz legen, zu kürzen, die Handlung zu verdichten, Dinge geschehen zu lassen, die sie wirklich voranbringen. Auch wenn ich am Ende denke, dass der Bär eine Hallu war und dass das ganz cool ist, hilft das nicht, denn ich habe mich in der Bärenszene schon gelangweilt.

In diesem Sinne würde ich Dir raten, den Text gründlich zu sichten, was für die Handlung wirklich von Bedeutung ist, was den Text voranbringt und was man eventuell weglassen könnte. Gerne dürfen vielleicht auch einzelne Sätze und Umgebungsbeschreibungen einer Kürzung zum Opfer fallen. ;)

Das war’s auch schon von meiner Seite. Trotz einiger Längen habe ich das sehr gerne gelesen. Und nun bleibt mir natürlich noch ein finales Peitschenschwingen: Make it work!

Infinitive Grüße,
Maria

 

Hallo MariaSteffens,

ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, für mich war es zu viel Tell, zu wenig Show. Ich glaube auch dein Text würde davon profitieren wenn du weniger Handlung szenischer darstellen würdest.

Viele Grüße Helen

 

Hallo MariaSteffens,

grundsätzlich finde ich diese Endzeitstorys schwierig. Es gab da so viel, daher hat man gleich bestimmte Filme und Bücher im Kopf. Da irgendwann aber nun mal jedes Thema mal dran war, gilt es was eigenes daraus zu machen. Ich finde das ist dir gelungen. Die Geschichte hat mich abgeholt und stellenweise mitgenommen, manchmal ließt du mich auch ratlos zurück ...

Ich habe die Geschichte für mich nun so interpretiert ... Ich halte Elina für die Halluzination, vielleicht anderes auch, doch das wäre schwer zu erkennen. Sie sagt ja am Schluss, sie liegt allein neben dem Grab ihrer Familie.
Als die beiden starben, dachte sie, sie wäre gesund und wollte weg von dort, verständlich, sie merkt sie ist krank, will zurück und ihre Familie ordentlich beerdigen. Ich habe das so verstanden ... sie ist gläubig und nach ihrem Glauben kommt der Fährmann und bringt die Toten symbolisch irgendwie halt auf die andere Seite ... Dafür bekommt er ein Geschenk (Kiesel) die man nach Art des Glaubens unter die Zunge legt.

Dieser Fährmann hat mich anfangs irritiert. Ich las es eher so, sie macht sich auf den Weg und weiß sie muss den Fluss überqueren mit dem Fährmann. Da in deiner Geschichte oft von Flüssen die Rede ist, verband ich das mit dem Fluss.

Die Szene mit dem Bär erinnert mich sehr an einen Film den ich gesehen habe.

Du schaffst es viel Emotion in der Geschichte aufzubauen, an der Stelle wo sie ihre Familie findet, finde ich es zu wenig. Es muss doch entsetzlich sein nur Überreste der geliebten Menschen zu finden und viel mehr Überwindung kosten, diese Knochen zu berühren. Ich fragte mich auch, wie sie diese so einfach gefunden hat. Vorher beschreibst du im Wald Leichen mit Tierbissen und sowas. Wenn da nur noch Knochen liegen, muss das recht lange her sein, da liegen die noch an Ort und Stelle. Erscheint mir nicht so realistisch.

Sie beschreibt immer wieder den Verlauf der Krankheit. Menschen stecken Menschen an, Tiere scheinen resistent. Ihre Familie starb, was länger zurück liegt, wegen der Knochen. Sie hat keine Menschen mehr gesehen, wird trotzdem krank.
Nun ist die Krankheit, ich würde mal sagen eine Mischung aus Ebola und Lungenpest. Sind Tiere auch Überträger? Oder das Wasser? Oder steckte sie sich schon bei der Familie an und die Inkubationszeit ist so lange?
Der Verkauf ist auch sehr lang, sie hat erste Symptome und ist danach, wie du schreibst, Wochen unterwegs. Das kann ja sein, nur bräuchte ich dann mehr Infos zu der Krankheit damit ich das nachvollziehen kann.

Ganz liebe Grüße
Charly

 

Hi jimmysalaryman,

danke dir für dein super ausführliches Feedback!

der Einstieg ist gut, aber etwas, wie ich finde, zu erklärend. Du könntest ruhig mit Action und Atmo beginnen.
Ich mag diese Art von Einstieg in eine Geschichte gern, vor allem wenn es um etwas postapokalyptisches geht, verstehe aber, warum du mehr Handlung/Atmosphäre besser fändest. Ich werde mal schauen, ob und wie ich das umsetzen kann.

einen Marder oder einen Marderhund,
Das ist eine super Idee, danke dir, das werde ich auf jeden Fall ändern, auch dein Wissen über die Verarbeitung des gejagten Tiers werde ich einbauen, danke dir dafür!

Mich stört in einem solchen Text das Wort "Mama." Ich weiß, es soll vertraut klingen, aber ich glaube, dass sich auch die Sprache in einer apokalyptischen Welt verhärmt, sich verändert. Ich finde, es müsste härter klingen, "Mutter", das klingt existenzieller.
Ich verstehe, was dich daran stört. Für mich ist es Ausdruck der Tatsache, dass sie ihre Mutter recht jung verloren hat. Oft updaten wir solche Begriffe dann nicht mehr, das heißt sie nennt ihre Mutter immer noch so, wie sie sie als kleines Mädchen genannt hat ("Mama"). Da muss ich drüber nachdenken.

einen Luchs!
Der Luchs war als einer der Hinweise gedacht, dass Lennja vielleicht vieles halluziniert durch ihre Krankheit. Am Ende bleibt ja offen, ob es Elina und Toive überhaupt wirklich gibt. Aber vielleicht war das kein so guter Hinweis, da man sich an dieser Stelle beim Lesen wahrscheinlich, wie du, tatsächlich nur fragt, wie Elina den denn gefangen haben soll (und einfach so über der Schulter trägt). Danke dir, ich werde schauen, dass ich das ändern (in ein Rebhuhn).

Nach dem Fieber kommen die roten Augen, das Blut, das aus Nase und Ohren läuft, die blauen Flecken an den weichen Körperstellen. Wenn die Haut rot schwitzt, dann ist es nicht mehr lang bis zum Tod.
Hier würde ich mehr showen. Sie erzählt es der Kleinen, und so ziehst du den Leser tiefer in diese unglaublich fiese Szenerie mit rein.
Das wollte ich erzählen, weil dadurch der Kontrast zu quasi dem gleichen Gedanken von Lennja nur später in der Geschichte deutlich wird, nämlich, dass sie erstmal die Halluzinationen als Teil der typischen Symptome unterschlägt. Das würde ich so deuten, dass sie nicht darüber nachdenken will, dass sie vielleicht ganz allein ist und ihre beiden Wegbegleiter möglicherweise nur halluziniert.

Dein Setting ist oft sehr stark - die Wanderung, der Wasserfall, die Leichen, der Bär - aber da lässt du auch erzählerisches Potential liegen, weil du fast die gesamte Narration zusammenfasst. Lieber einmal stoppen, die Details sparsamer machen, dafür mehr eintauchen, den Leser mitsehen lassen. Hier hast du ja auch die einzigartige Möglichkeit, mit dem Leser die Außenwelt zu entdecken, es ist nichts, was dein Protagonist kennt, alles hat sich verändert.
Ein sehr guter Punkt, ich denke davon kann die Geschichte total profitieren, danke, ich werde versuchen das umzusetzen.

Beschreibt sie noch einmal genau diese Krankeheit? Ist das nicht alles eher fragmentiert, Erinnerungen, Gerüche, Angst, Schlaf, Erschöpfung, Todeskampf? Da könntest du ruhig auch noch mal was raushauen, ruhig auch experimenteller werden, über die Grenze hinaus, es muss nicht alles Sagbare vom Leser verstanden werden, mute ihm etwas zu.
Eine gute Idee, denke ich, das noch etwas weniger stringent zu machen, zu dem Zeitpunkt wird sie ja schon nicht mehr zu so richtig vollständigen Gedanken fähig sein.

Ein Text, der mich ein wenig an The Road erinnert. Ein einzigartiges Buch.
Das kenne ich tatsächlich noch nicht, habe ich direkt mal auf meine Leseliste geschrieben!

aber - mir wird die Motivation deiner Figur nicht ganz klar.
Ihr Motivation ist ihr Glaube. Sie glaubt, dass Menschen nur in den Himmel kommen können, wenn sie begraben worden sind (mit runden Steinen unter der Zunge). Sie hatte Angst vor der langen Reise und davor, ihre Familie nicht wiederfinden zu können, und sie war lange zu schwach und noch zu jung, um die Reise auf sich zu nehmen. Aber als sie dann selbst krank wird, weiß sie, dass sie nicht mehr viel Zeit hat, und sie möchte unbedingt vor ihrem Tod noch dafür sorgen, dass ihre Familie in den Himmel kommt (begraben wird). Ich werde versuchen klarer zu machen, warum sie das bisher nicht getan hat, man könnte sich ja fragen, wenn es so wichtig ist, warum sie es nicht schon längst gemacht hat.

Mit dem Fuchs, der sie begleitet, ich weiß nicht ... wenn der jetzt metaphysisch wäre, also eine Illusion, dann würde ich dir das eher abkaufen.
Es stimmt, dass der Fuchs nur eine einzige Funktion hat: Dass Lennja nicht mehr so allein ist. Das ist, nehme ich an, eine der schlimmsten Sachen, mit denen sie zu kämpfen hat, die Einsamkeit. Zum Schluss erfahren wir, dass der rote Husten Halluzinationen hervorruft. Es soll offen bleiben, wie viel der Geschichte wirklich stattgefunden hat und wie viel davon halluziniert ist. Da die Füchse und Elina immer wieder als rot wie Blut beschrieben werden, und Lennja oft Blut in den Schnee spuckt, könnte man denken, dass sowohl Elina als auch Toive vielleicht nicht wirklich da sind. Aber sie haben eben eine wichtige Funktion, nämlich, dass Lennja nicht allein ist und sie deshalb stark und mutig genug wird, um die Reise zu ihrer Familie anzutreten. Vielleicht schaffe ich, noch ein paar mehr Hinweise darauf zu verstecken.

Viiiielen lieben Dank noch einmal für deine vielen hilfreichen Kommentare,
liebe Grüße,
Maria

 

Hallo MariaSteffens,
ich habe Deine lange Geschichte gelesen, bin im Verlauf dann etwas flüchtiger geworden, bin drübergeflogen, weil ich finde, dass sich die Motive (z.B. blutige Lunge, Husten, Suche) wiederholen. Bin geschwankt zwischen dem Reinleben in die apokalyptische Atmosphäre und der Frage, was mir nicht stimmig schien. Am Ende bin ich dann auf zwei Sachen gestoßen, die für mich nicht ganz passen.
Da ist erstens die Ich-Perspektive. Bezogen auf die ferne Welt, die geschildert wird, auf eine Welt, die archaisch daherkommt, ist mir der Eindruck zu nah. Das klingt vielleicht komisch. Aber das, was Du schreibst, ist entweder lange her oder weit voraus. Geschildert wird es aber mit den Mitteln, die Unmittelbarkeit evozieren sollen. Das kommt meinem Eindruck nach zu sehr auf der Ebene des Mitfühlens daher. Dabei ist aber der Inhalt so angelegt, dass er, wie soll ich sagen, etwas mythisch Großes, zeitlos Wirkendes einschließen soll. Ich würde mich in dem Kontext leichter tun, wenn die Figuren nicht schablonenhafter, aber distanzierter wären. Und da steht das Ich-Erleben dagegen.
In eine ähnliche Richtung geht die zweite Überlegung, die mehr von der Sprache ausgeht, die eben auch einer Darstellung der Unmittelbarkeit folgt und dem nicht nur unterschwelligen Sagenmäßigen kaum Raum gibt. Es gibt ja eine Menge Vorbilder für diese Art von Texten, die sich auch aufladen mit dem Hineinversetzen. Ich finde da eine Distanz, die der Ferne der Handlung entspricht, interessanter. Persönliche Meinung, wohlgemerkt.
Im Detail:
Müsste „überraschendste“ nicht groß sein?

Das überraschendste am Ende der Welt ist die Rückkehr der Füchse.
Eher „weil“ statt „als“.
Vielleicht kommen sie nun zurück um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können.
Komma. „Über“ passt nicht als Präposition. „In den Himmel kommen“ hat mich stutzig gemacht. Es scheint mir zu christlich, wenn später Charon ins Spiel kommt und die Steine statt Münzen. Vielleicht wäre eine ganz eigene Jenseitsvorstellung interessant, die die Erzählwelt besonders macht.
Ich versuche nicht darüber nachzudenken wie viele Menschen über der Erde liegen geblieben sind und nie in den Himmel kommen werden.
Ich-Inflation:
Ich sitze auf der Lichtung vor meiner kleinen Hütte, als ich zum ersten Mal rot huste. Es ist ein winziger Tropfen auf meiner Handfläche, ich kann mir einreden, dass ich mir nur auf die Zunge gebissen habe. Aber ich weiß, dass mir die Zeit davonläuft. Ich kann nicht auf den Frühling warten, muss aufbrechen, sobald ich kann, Mama und Isa suchen, Kieselsteine unter ihre toten Zungen legen.
„Winzig“ empfinde ich übertrieben. Da denke ich an eine Maus.
winziger roter Fuchs
Das ist so eine Sache, die für mich dann eben zu direkt ist, viel zu sehr nette Tiergeschichte und das geht mit dem archaischen Setting nicht zusammen.
sieht mich ängstlich an
Direkt ist zu umgangssprachlich.
Ich kaue und reiße mir direkt noch ein Stück ab.
Wie vorher. Das personifiziert ihn zu sehr, das trägt ihn plüschig in die Szenerie.
Immer wieder packt ihn die Angst
Ähnlich hier:
Erwartungsvoll sieht er mich an.
Das ist so ein Bruch, der mir nicht stimmig erscheint. Da ist erst von Wochen die Rede und plötzlich kommt das Mädchen. Das müsste sprachlich subtiler oder spektakulärer oder unerhörter reinkommen oder sich zeitlich der Ebene annähern. Aber so passen die Teile nicht zusammen.
Wir folgen seit einigen Wochen den Bächen aus meinem Wald hinaus, als ich das Mädchen mit den langen roten Haaren entdecke.
Zweimal „mich“ klingt für „mich“ nicht gut.
Bevor ich mich zwischen meinem Hunger und meiner Angst entscheiden kann, entdeckt das Mädchen mich.
Fuchsrot klein.
ihre Haare Fuchsrot.
Kurz hintereinander gleiche Bewegungsform:
Ich schiebe mich vor Toive
Toive schiebt sich an mir vorbei
Da die Situation aus dem Dialog kommt, ist hier die indirekte Schilderung zu lapidar. Er trifft sie und sie sprechen zum ersten Mal. Und dann so nebenbei. Das widerspricht scheinbar dem, was ich vorher meinte. Aber das scheint mir in der Binnenszene nicht schlüssig, unabhängig vom gesamten Tonfall.
Ich stelle ihr Toive vor.
Klein ist wenig atmosphärisch zur Feuerbeschreibung.
Feuer ist rußig und klein
Da ist es aber schon ziemlich dunkel und das Feuer ist klein. Kommt mir nicht plausibel vor.
Aus der Nähe kann ich die einzelnen Wimpern sehen, die Halbmondschatten auf ihre Wangen werfen.
Einschub „besseres Wissen“ zu umständlich. Der Bärenangriff, der ja schon ein rechter Allgemeinplatz in der Wildnis von Lederstrumpf bis Revenant ist, wird hier mit häufig verwendeten Bildern beschrieben. Wenn man solche viel beackerten Bilder verwendet, müssten sie einen besonderen Reiz liefern.
S
ein lautes Brüllen dröhnt in meinen Ohren, ist so furchteinflößend, dass ich beinahe trotz besseren Wissens auf der Stelle kehrtmache und laufe, so schnell ich kann.
Das also von meiner Seite. Wie gesagt, insgesamt habe ich das gern gelesen. Diese trübe Anlage, so aussichtlos in der Kälte und mit dem Blut und den Toten. Aber etliche sprachliche Sachen sind mir ins Auge gefallen und eben der nahe Ton, den ich ferner und raunender, kühler und eisiger stärker empfände in einer Erzählung dieser Art.
Herzliche Grüße
rieger

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe TeddyMaria,

wooow, danke dir für den ausführliches Feedback!

Infinitivsatz
Verstanden, danke für die verständliche und ausführliche Erklärung, werde ich korrigieren und mir für die Zukunft merken!

Plusquamperfekt
Oh, stimmt, das ist mir an beiden Stellen durchgegangen, danke dir.

Hier kommt aber die Behavioristin in mir raus: Wir wissen von Tieren überhaupt nicht, ob sie überhaupt Angst empfinden. Wir können nur ihre Körpersprache beobachten. Auch im Sinne des Shows kann man sich von den Behavioristen eine Scheibe abschneiden: Sie beschreiben nur das Verhalten, das sie beobachten können – und es funktioniert sehr gut. (Wow, diese Parallele wird mir jetzt erst klar.)
Mh ... da muss ich mal drüber nachdenken, ob ich das auch so sehe. Ich würde sagen, dass wir aus vielen neurowissenschaftlichen Studien wissen, dass das, was wir als "Angst" bezeichnen, bei vielen Säugetieren auch auftritt. Ob sie das auch genauso empfinden (ganz subjektiv), wie wir Angst empfinden, das kann man sie natürlich nicht fragen. Aber wenn man es sich genau überlegt, dann wissen wir auch nicht, ob Angst sich für mich zB genauso anfühlt wie für dich. Und das, obwohl wir drüber sprechen können. Denn im Grunde genommen können wir uns eben nie wirklich sicher sein, wie etwas für jemand anderen wirkt. Wir schließen ja im sozialen Kontext ständig aus dem Verhalten, der Mimik etc. anderer auf deren inneren Zustand. Wir liegen dabei nicht immer richtig, aber wir tun es eben trotzdem. Das gilt auch für den Umgang mit Tieren. Deshalb finde ich es eigentlich okay, wenn ein Charakter vom Verhalten eines Tieres oder auch eines anderen Menschen, auf dessen inneren Zustand schließt.

Ich liebe dystopische Sci-Fi-Settings, und ich liebe Dein Setting. Das ist wirklich cool. Die Krankheit, die Leichenfelder, die wilden Tiere, die aufgebrochenen Straßen … Ich dachte die ganze Zeit: Mensch, genau das habe ich auch schon mal geschrieben. Aber es ist wohl sehr klassisch. Was nicht schlimm ist. Mir zumindest macht das nichts aus, ich habe mich in Deiner Geschichte sofort zu Hause gefühlt.
Danke dir! Ja, das stimmt, es gibt schon recht viele Geschichten dieser Art. Ich liebe Dystopien über alles und schreibe gern ab und an mal etwas in die Richtung, cool, dass es dir auch so geht.

Der beste Kniff der Geschichte war für mich das hier:
"Dann kommen das Fieber und die Halluzinationen."
Ich gebe meinem Vorredner recht, dass man an dieser Stelle leider viel Tell erlebt. Aber der Inhalt, nämlich, dass man unter dieser Krankheit auch halluziniert, das ist sehr stark. Da lasse ich sofort die ganze Geschichte Revue passieren, frage mich, was wirklich passiert sein mag.
Danke dir, cool, dass das bei dir so funktioniert hat, so war es gemeint. Ich werde einmal schauen, ob ich es schaffe, das noch ein bisschen mehr durch Handlung klar zu machen. Wobei ich es nicht leicht finde, das durch mehr "show" und weniger "tell" zu tun und gleichzeitig noch klar werden zu lassen, dass es eben normalerweise durch die Krankheit auch zu Halluzinationen kommt. Ich schaue mal, wie ich das umgesetzt bekomme.

Ich gebe meinem Vorredner recht, dass man an dieser Stelle leider viel Tell erlebt. Aber der Inhalt, nämlich, dass man unter dieser Krankheit auch halluziniert, das ist sehr stark. Da lasse ich sofort die ganze Geschichte Revue passieren, frage mich, was wirklich passiert sein mag. In diesem Sinne fand ich das wiederum sehr schwach:

Halluzinationen. Zumindest die sind mir erspart geblieben.

Das ist ein sehr guter Punkt. Ich finde, du hast völlig Recht. Ich werde das zweite Mal rausnehmen. Hatte ich auch erst nicht drin und habe es dann doch schnell noch eingeschoben. Aber es ist besser, den Leser da nicht so total drauf zu stoßen, ich gebe dir Recht.

Ein bisschen was zu meckern habe ich neben den Infinitivsätzen aber noch: Mir war die Geschichte zu lang. Das Problem ergibt sich bei Heldenreisen, so fürchte ich, recht schnell: Ich habe häufiger das Gefühl, dass die Dinge nur als Lückenfüller passieren und mit der tatsächlichen Handlung nichts zu tun haben. Der Bär zum Beispiel. Der einzige Grund, den ich erkennen kann, aus dem er für die Handlung wichtig ist, ist, um die Protas zueinander zu führen. Das … äh … ich finde, dafür braucht man keinen Bären.

Und so fand ich den Text doch stellenweise recht lang. Hatte seine Längen wie Sams und Frodos Reise nach Mordor. Nur dass das wirklich richtig lang war. So sehr hast Du es zum Glück nicht übertrieben. Ich würde Dir ans Herz legen, zu kürzen, die Handlung zu verdichten, Dinge geschehen zu lassen, die sie wirklich voranbringen. Auch wenn ich am Ende denke, dass der Bär eine Hallu war und dass das ganz cool ist, hilft das nicht, denn ich habe mich in der Bärenszene schon gelangweilt.

Ich muss mich hier direkt mal outen und sagen, dass ich ein großer Fan langer und ausgedehnter Heldenreise-Geschichten bin. Ich verstehe, dass das nicht für jeden etwas ist und ich werde auf jeden Fall durchschauen und versuchen die Handlung noch etwas zu straffen.
Wenn ich den Bär nun aber zum Beispiel rausnehme, würde ich als Leser denken: "Mh, das scheint irgendwie zu einfach, wären da in dem Wald nicht mehr Gefahren, wenn es schon so lange kaum noch Menschen gibt?"
Ich werde alles nochmal durchgehen und versuchen die Geschichte etwas zu kürzen, denn langweilen möchte ich natürlich niemanden.

Trotz einiger Längen habe ich das sehr gerne gelesen.
Vielen dank!

Dein Feedback ist extrem hilfreich, danke dir, dass du dir so viel Mühe gemacht hast und mir so ausführlich Rückmeldung gegeben hast. Großartig!

Viele liebe Grüße,
Maria

Hallo HelenK,

Danke dir für deinen Leseeindruck!

ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, für mich war es zu viel Tell, zu wenig Show.
War die die Geschichte an allen Stellen zu erzählend und wenig zeigend oder gab es Stellen, an denen es dich besonders gestört hat? Ich finde es nicht leicht, in einer spekulativen Kurzgeschichte möglichst nur zu zeigen und kaum etwas zu erzählen. Das fällt mir in einem spekulativen Roman leichter, denn da hat man ja mehr Zeit, um dem Leser alle wichtigen Informationen über die Welt zu zeigen, die für die das Verständnis der Geschichte wichtig sind.
Ich werde auf jeden Fall versuchen, alles noch einmal durchzugehen und zu schauen, wo ich noch mehr zeigen kann!

Ich glaube auch dein Text würde davon profitieren wenn du weniger Handlung szenischer darstellen würdest.

Was genau meinst du mit "szenischer" Darstellen? Generell weniger Handlungspunkte, die dann aber ausführlicher/direkter beschrieben werden?

Danke dir für dein Feedback!
Viele liebe Grüße,
Maria

Hallo Charly1406,

danke dir für das ausführliche Feedback!

Da irgendwann aber nun mal jedes Thema mal dran war, gilt es was eigenes daraus zu machen. Ich finde das ist dir gelungen.
Danke dir, das freut mich sehr!

Ich habe die Geschichte für mich nun so interpretiert ... Ich halte Elina für die Halluzination, vielleicht anderes auch, doch das wäre schwer zu erkennen. Sie sagt ja am Schluss, sie liegt allein neben dem Grab ihrer Familie.
Es freut mich, dass du es so interpretiert hast. Ich habe es absichtlich offen gelassen. Für mich war die Idee, dass Elina und Toive (vielleicht auch die anderen Füchse) Halluzinationen waren, sie sind alle rot wie Blut und symbolisieren auf anderer Ebene vielleicht auch einfach die fortschreitende Krankheit.

Als die beiden starben, dachte sie, sie wäre gesund und wollte weg von dort, verständlich, sie merkt sie ist krank, will zurück und ihre Familie ordentlich beerdigen. Ich habe das so verstanden ... sie ist gläubig und nach ihrem Glauben kommt der Fährmann und bringt die Toten symbolisch irgendwie halt auf die andere Seite ... Dafür bekommt er ein Geschenk (Kiesel) die man nach Art des Glaubens unter die Zunge legt.
Genau so war es gemeint, es freut mich, dass das für dich funktioniert hat!

Dieser Fährmann hat mich anfangs irritiert. Ich las es eher so, sie macht sich auf den Weg und weiß sie muss den Fluss überqueren mit dem Fährmann. Da in deiner Geschichte oft von Flüssen die Rede ist, verband ich das mit dem Fluss.
Oh, alles klar, da bin ich gar nicht drauf gekommen, dass das irritierend sein könnte, verstehe ich aber total, gerade wegen der vielen Flüsse. Ich schaue mal, wie ich das klarer darstellen kann.

Die Szene mit dem Bär erinnert mich sehr an einen Film den ich gesehen habe.
Interessant! An welchen Film hat dich die Szene erinnert? Ich habe mich an Erzählungen von Campern aus Nationalparks gehalten, die nachts von interessierten, hungrigen und aggressiven Bären geweckt wurden. Ich dachte, dass das vielleicht eine gute Vorlage für diese Szene wäre.

Du schaffst es viel Emotion in der Geschichte aufzubauen, an der Stelle wo sie ihre Familie findet, finde ich es zu wenig. Es muss doch entsetzlich sein nur Überreste der geliebten Menschen zu finden und viel mehr Überwindung kosten, diese Knochen zu berühren.
Du hast Recht. Gemeint war es so, dass sie zu dem Zeitpunkt schon so krank und erschöpft ist, dass sie kaum noch etwas empfindet. Aber es liest sich leicht so, als wäre es ihr egal oder nicht so schlimm für sie. Und da sich ja die gesamte Geschichte um die Reise zu der Familie dreht, sollte das natürlich emotional mehr einschlagen. Danke dir, da werde ich auf jeden Fall dran arbeiten.

Ich fragte mich auch, wie sie diese so einfach gefunden hat. Vorher beschreibst du im Wald Leichen mit Tierbissen und sowas. Wenn da nur noch Knochen liegen, muss das recht lange her sein, da liegen die noch an Ort und Stelle. Erscheint mir nicht so realistisch.
Das stimmt absolut, es ist anzunehmen, dass zumindest nicht mehr alle Knochen da wären. Das hatte ich in einem früheren Entwurf drin und es ist dem Kürzen zum Opfer gefallen. Aber vielleicht nehme ich es wieder rein, du hast Recht, so fragt man sich doch, wie realistisch das wirklich ist.

Sie beschreibt immer wieder den Verlauf der Krankheit. Menschen stecken Menschen an, Tiere scheinen resistent. Ihre Familie starb, was länger zurück liegt, wegen der Knochen. Sie hat keine Menschen mehr gesehen, wird trotzdem krank.
Nun ist die Krankheit, ich würde mal sagen eine Mischung aus Ebola und Lungenpest. Sind Tiere auch Überträger? Oder das Wasser? Oder steckte sie sich schon bei der Familie an und die Inkubationszeit ist so lange?
Der Verkauf ist auch sehr lang, sie hat erste Symptome und ist danach, wie du schreibst, Wochen unterwegs. Das kann ja sein, nur bräuchte ich dann mehr Infos zu der Krankheit damit ich das nachvollziehen kann.
Das stimmt, da habe ich nicht viel zu gesagt. Ich finde es gruseliger, wenn man weniger über den "Gegner", in diesem Fall die Krankheit, weiß. Aber es soll dadurch natürlich nicht unrealistisch oder nicht nachvollziehbar scheinen. Ich werde schauen, ob ich das noch klarer rausarbeiten kann, ohne zu viel dazu zu sagen in der Geschichte. Meine Idee war, dass der rote Husten ein Virus ist, der spezifisch nur auf Menschen geht. Bei manchen Menschen bricht die Krankheit gar nicht aus, obwohl die Durchseuchung mit dem Virus am Ende 100% ist. Elina ist lange symptomfrei (wahrscheinlich aber schon ein Virusträger, was sie nicht unbedingt weiß), und als sie dann geschwächt ist, wegen Nahrungsmangel, fehlender medizinischer Versorgung und so weiter, bricht die Krankheit dann am Ende doch noch aus bei ihr.

Deine ausführliche Rückmeldung hat mir sehr geholfen, danke dir vielmals dafür!
Liebe Grüße,
Maria

Hallo rieger,

vielen lieben Dank für dein ausführliches Feedback!

Zuerst zu den (sprachlichen) Details: Kann ich alle verstehen und werde ich in der Revision berücksichtigen, danke dir dafür, dass du die Geschichte so genau gelesen hast.

Bezogen auf die ferne Welt, die geschildert wird, auf eine Welt, die archaisch daherkommt, ist mir der Eindruck zu nah.

In eine ähnliche Richtung geht die zweite Überlegung, die mehr von der Sprache ausgeht, die eben auch einer Darstellung der Unmittelbarkeit folgt und dem nicht nur unterschwelligen Sagenmäßigen kaum Raum gibt.

Ich kann beide Einwände verstehen. Im Grunde genommen behandelt die Geschichte eben ein großes, weites Szenario, sprachlich und von der Perspektive her ist es aber viel enger angelegt. Für mich ist genau das etwas, das ich in Geschichten gern lese. Gerade in spekulativen Geschichten mag ich diesen Kontrast - es passieren riesige gesellschaftliche Umwälzungen o.ä., aber der Protagonist ist am Ende eben doch in seiner kleinen Welt, in seinem aktuellen Moment gefangen. Ich verstehe aber, dass dass einen das beim Lesen stören kann. Sehr interessant, da muss ich nochmal drüber nachdenken.

Das ist so ein Bruch, der mir nicht stimmig erscheint. Da ist erst von Wochen die Rede und plötzlich kommt das Mädchen. Das müsste sprachlich subtiler oder spektakulärer oder unerhörter reinkommen oder sich zeitlich der Ebene annähern. Aber so passen die Teile nicht zusammen.
Das stimmt, hier wechselt Ton und Stil recht abrupt, ich schaue mal, wie ich das weniger extrem machen kann, danke dir!

Der Bärenangriff, der ja schon ein rechter Allgemeinplatz in der Wildnis von Lederstrumpf bis Revenant ist, wird hier mit häufig verwendeten Bildern beschrieben. Wenn man solche viel beackerten Bilder verwendet, müssten sie einen besonderen Reiz liefern.
Ja, ein guter Einwand. Ich schaue mal, wie ich das ändern kann, beziehungsweise wie es zu etwas wird, das nicht so "gähn, schon tausend Mal gelesen" wirkt.

Vielen lieben dank für die super hilfreiche Rückmeldung!
liebe Grüße,
Mara

 

Hallo, MariaSteffens

Kleine Anmerkung von meiner Seite, nur dass keine Missverständnisse aufkommen:

Wir schließen ja im sozialen Kontext ständig aus dem Verhalten, der Mimik etc. anderer auf deren inneren Zustand. Wir liegen dabei nicht immer richtig, aber wir tun es eben trotzdem. Das gilt auch für den Umgang mit Tieren. Deshalb finde ich es eigentlich okay, wenn ein Charakter vom Verhalten eines Tieres oder auch eines anderen Menschen, auf dessen inneren Zustand schließt.

Deine Kritik am Behaviorismus ist natürlich gerechtfertigt. Aber das ist ja nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Du, sobald Du Sachen schreibst wie: "Der Fuchs hatte Angst", Du zu tellen anfängst. Angst ist lediglich Deine Autorinneninterpretation eines Verhaltens, das Du vor Deinem inneren Auge siehst, es uns aber nicht mitteilst. Besser ist, Du showst das, zeigst uns also das Verhalten und überlässt die Interpretation den Leser/inne/n.

In diesem Sinne können uns die Behavioristen einiges über "Show, don't tell" lehren, denn diese Theorien sagen ja auch nicht, dass es Angst nicht gibt. Sie sagen aber, dass die Beschreibung Verhalten vollkommen ausreicht, um Vorhersagen zu treffen (oder, in unserem Beispiel, um anschaulich zu schreiben).

Das wollte ich damit sagen. Der Exkurs war nur ein Späßchen von mir, weil mir das gerade durch den Kopf gegangen ist.

Verhaltene Grüße,
Maria

 

Hallo MariaSteffens,

gegen Schluss überflog ich die Geschichte nur noch. Es passierte einfach zu wenig. Damit meine ich nicht zwingenderweise irgendwelche Handlungen, sondern vorallem Erkenntnisse, oder die Veränderung ihrer Persönlichkeit.

Das überraschendste am Ende der Welt ist die Rückkehr der Füchse. Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie gejagt haben. Vielleicht kommen sie nun zurück um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können. Vielleicht. Aber wahrscheinlicher ist, dass die vielen Leichen sie anlocken. Manchmal, wenn es kalt genug ist, dann ist der Geruch erträglich. Aber wenn es Sommer wird und die Fliegen summen, dann beißt der Gestank in der Nase und in den Augen. Zu viele von uns sind krank geworden, nicht alle konnten wir begraben. Ich versuche nicht darüber nachzudenken wie viele Menschen über der Erde liegen geblieben sind und nie in den Himmel kommen werden.

Schauen wir uns mal den ersten Absatz an.

Das überraschendste am Ende der Welt ist die Rückkehr der Füchse.

Ok, also Füchse werden irgendeine wichtige Rolle innehaben und warum ist ihre Rückkehr überraschend? Muss die Geschichte beantworten. Erster Fehler: es ist nicht das Ende der Welt, sondern in der Geschichte geht es um das Ende der Menschheit. Bemerkung, als Leser hab ich noch kein Gesamtbild der Geschichte in meinem Kopf. Sind wir in einer Großstadt, auf dem Land, vor einem atomaren Kriege, was ist die Lage?

Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie gejagt haben.

Füchse sind heute keine bedrohte Lebensart. Sprich, meine Schlussfolgerung, es muss was passiert sein, dass wir Füchse jagen. Endzeitszenario vermutlich. Eine Frage, die mir sofort aufkam, warum jagen sie Füchse? Die sind schwierig zu fangen. Gibt es keine anderen Tiere?

Vielleicht kommen sie nun zurück um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können.

Wie rächen sich die Füchse? Indem sie einfach da sind, wohl kaum. Erste Idee, vielleicht sind es Krankheitsüberträger (wie die Ratten für die Pest). Mal schauen ob sich das im weiteren Verlauf bestätigt.

Aber wahrscheinlicher ist, dass die vielen Leichen sie anlocken.

Leichen verwesen auch mal. Also, müssen kurzfristig viele Menschen gestorben sein. Aber nur weil da Leichen sind vermehren sich die Füchse nicht wie Kaninchen. Bemerkung: im Verlauf der Geschichte lernen wir, dass Lennja, schon sehr lange alleine ist. Die vielen Leichen sind schon längsten verwest. Desweiteren, der Satz suggeriert, dass die Füchse wohl doch keine Übertrager sind. Wie rächen sich die Füchse ...

Aber wenn es Sommer wird und die Fliegen summen, dann beißt der Gestank in der Nase und in den Augen.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich Leichenberge von kürzlich Verstorbenen. Nur in der Geschichte lese ich das nicht.

MariaSteffens, du machst es mir schon nach dem ersten Absatz sehr schwer und es ist mir dann schon klar, dass die Geschichte nix ist.

Klar, ich kann mir nun eine Interpretation in deine Geschichte hineindenken, was bedeuten die Füchse, der Fluss, der Bär und so weiter. Aber ich glaub nicht, dass du dir da was richtiges überlegt hast.

Der Titel passt für mich daher auch nicht. Kannst du mir sagen, was der Titel mit Bezug auf deine Geschichte aussagen soll? Spielen Füchse die Hauptrolle, oder sind sie doch nur ein Nebenaspekt, austauschbar.

Ich würde den ersten Absatz komplett weglassen. Sehe darin keinen Wert.

Ich sitze auf der Lichtung vor meiner kleinen Hütte, als ich zum ersten Mal rot huste.

Das wäre schon ein viel besser Einstieg. Herum kannst du auch schnell das Gesamtbild aufbauen. Den Satz knackiger formulieren. Das ", als" nimmt zug raus. Aber mir gefällt "ich sitze auf der Lichtung", tönt stark. Solltest da ein bisschen rumspielen, was dann am besten tönt.

Meine Kritik ist nicht persönlich zu nehmen. Ich hoffe, dir ein paar Anstöße gegeben zu haben und freue mich, wenn du die Geschichte überarbeiten würdest. Endzeitgeschichten lese ich nämlich auch gerne.

Beste Grüße
Kroko

 

Hallo MariaSteffens,

also das war ein Film mit Leonardo DiCaprio, sah ich vor zwei Jahren etwa im Kino. Komm jetzt nicht drauf wie der hieß.

Das mit dem Fährmann liegt denke ich daran, bei der ersten Erwähnung ist der Satz ziemlich voll mit Aufzählungen was sie tun muss bzw. wird. Dadurch bin ich beim Lesen wahrscheinlich durcheinander gekommen.

Ja, jetzt verstehe ich das mit der Krankheit. Bei HPV ist das Prinzip glaube ich auch so.
Schwierig das in den Text einzubauen, ist mir auch nichts produktives zu eingefallen.

Liebe Grüße
Charly

 
Zuletzt bearbeitet:

also das war ein Film mit Leonardo DiCaprio, sah ich vor zwei Jahren etwa im Kino. Komm jetzt nicht drauf wie der hieß.
The Revenant?

Und hallo MariaSteffens,

auch ich wollte dir den ein oder anderen Gedankengang dalassen.
Aber zuerst mal. Ich fand das superspannend, auch und gerade die Szene mit dem Bären. Ich fand das auch nicht zu lang.
Das fremde Mädchen, die vielen Füchse, das immer wieder auftauchende Rot, ich habe das als Symbole, als Fantastereien ihrer Erkrankung verstanden. Am liebsten hätte ich den kleinen Fuchs auch so gesehen, aber der kommt ja recht früh, dann, wenn sie noch nicht so halluziniert, und dafür gewöhnt der sich aber recht schnell an sie. Nun kann es sein, dass Tiere, die vom Menschen nicht oder kaum mehr bejagt werden viel zutraulicher sind und sich anderes verhalten, aber ich würde den kleinen Fuchs jedenfalls nicht ganz so schnell sich neben sie zusammenrollen lassen. Da bin ich richtig zusammengezuckt, weil ich es unlogisch fand. Lass ihn doch erst mal einen Tag folgen oder so, dann rückt er immer näher an sie ran. Und so - weißt schon, baut sich die Beziehung auf, die du brauchst, aber bisschen langsamer eben, während der Reise. Sie sieht ihn, überlegt sich, warum er folgt, sieht, wie er näher rückt, halt eben alles ein bisschen nachvollziehbarer, wenn er sich nicht sofort neben sie kuschelt, vielleicht tiergemäßer, wilder, vielleicht sogar etwas mythischer, wenn er ihr auf der Suche nach Mutter und Schwester folgt und sich ihr anschließt. Und eine prima Rückkopplung mit dem Beginn.

Dass das andere Mädchen, auf das sie trifft, einen Luchs gefangen haben soll, das find ich keine gute Idee. Ich gebe zu, ich bin nur dadurch, also durch den Luchs, drauf gekommen, dass das ja nicht wahr, das Mädchen demnach eine Hallu sein könnte, weil man fängt eben nicht so easy einen Luchs. Aber wenn du es mehr in der Schwebe halten willst, dann lass es besser ein anderes Tier sein.
Zum Tellen wollte ich noch was sagen. Ich bin immer saufroh, wenn zum Beispiel jimmysalaryman einen meiner Texte am Wickel hat, weil er immer noch mal was findet, wo ich Autorenbehauptung mache und nicht so sehr neutrales Zeigen der Figuren. Das gilt natürlich auch für andere Autoren, wenn die die das toll können. Man kann es dann für sich prüfen und überlegen und ausprobieren, wo und an welcher Stelle man noch etwas mehr von der Figur oder den Ereignissen zeigen kann, soll oder will.
Trotzdem wollte ich einfach mal festhalten, ich fand jetzt weder, dass du soooooo schlimm viel getellt hättest, wie das aus manchen Antworten herauszulesen ist.
Und ich persönlich finde das Tellen auch nicht generell verkehrt. Es kommt halt drauf an. Mir gefällt dein Anfang zum Beispiel von der Idee her saugut. So ist das manchmal, der eine liest die Geschichte deswegen kaum weiter, die andere findet den Einstieg gerade cool. Ich finde den Anfang wie gesagt schön, nur sprachlich e bissi dorschenanner. Bisschen holprig. Aber wie gesagt, mich stimmt so ein Beginn gleich auf ein Endzeitszenarium ein, das steckt für mich den Geschichtenrahmen ab. Ich markiere mal, was ich holprig empfinde.

Das überraschendste am Ende der Welt ist die Rückkehr der Füchse. Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie gejagt haben. Vielleicht kommen sie nun zurück KOMMA um sich zu rächen, als wir uns nicht mehr wehren können. Vielleicht. Aber wahrscheinlicher ist, dass die vielen Leichen sie anlocken. Manchmal, wenn es kalt genug ist, dann ist der Geruch erträglich. Aber wenn es Sommer wird und die Fliegen summen, dann beißt der Gestank in der Nase und in den Augen. Zu viele von uns sind krank geworden, nicht alle konnten wir begraben. Ich versuche nicht darüber nachzudenken KOMMA wie viele Menschen über der Erde liegen geblieben sind und nie in den Himmel kommen werden.
Überraschendste
Dann empfinde ich den Beginn als Zeitendurcheinander. Möglich wäre auch: Sie waren beinahe ausgestorben, weil wir sie jagten. Ich bin da selbst immer unsicher, wenn es nicht generell im Präteritum verfasst ist, aber ich finde die Verwendung des Präteritums hier jedenfalls geschickter als zweimal hintereinander die zusammengesetzten Zeiten zu verwenden.
als wir uns nicht mehr wehren können - da klingt die Konjunktion "als" komisch. Wie ein falscher Bezug. Vielleicht so: Vielleicht kommen sie nun zurück, jetzt, wenn (oder ev sogar wo) wir uns nicht mehr wehren können.
Im nächsten Teilchen würde ich paar Füllwörter raushauen und das sich wiederholende "dann" und "ist fielen mir auf.
Wahrscheinlicher ist, dass die vielen Leichen sie anlocken. Manchmal, wenn es kalt genug ist, erträgt man den Geruch. Aber wenn es Sommer wird und die Fliegen summen, beißt der Gestank in der Nase und in den Augen.

Beim Himmel fiel mir auf, dass das vielleicht nicht mythisch genug ist. Sie kennt doch dieses Ritual mit den Steinen unter der Zunge. Vielleicht findest du was dem Himmel Vergleichbares?


Soviel mal für heute.
Für mich jedenfalls ein Lesevergnügen.

 

Hallo Novak (und MariaSteffens again),

ja, genau den meine ich!

Liebe Grüße Charly

 

Hallo MariaSteffens,

bitte entschuldige die späte Antwort. Bin die letzten Tage nicht dazu gekommen, mich anzumelden. Also ich meine so ziemlich genau das, was TeddyMaria geschrieben hat.

Der Punkt ist, dass Du, sobald Du Sachen schreibst wie: "Der Fuchs hatte Angst", Du zu tellen anfängst. Angst ist lediglich Deine Autorinneninterpretation eines Verhaltens, das Du vor Deinem inneren Auge siehst, es uns aber nicht mitteilst.

Du nutzt eben gerne verben, die zwar beschreiben, was passiert, es aber nicht darstellen. Ich weiß jetzt nicht, wie es aussieht, wenn ein Fuchs Angst hat, aber vielleicht legt er die Ohren an oder ähnliches.

Liebe Grüße,

Helen

 

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