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Die schiefe Buche und das verrückte Wildschwein
Der mit Abstand krümmste Baum im ganzen Wald war eine Buche. Und obwohl sich ihr vernarbter Stamm, schief und ganz eigentümlich verdreht, vom Boden aus in die Luft schraubte, erhob sich letztlich ihre Krone weithin sichtbar über die aller anderen Bäume. Und darauf war die Buche stolz.
Ganz in ihrer Nähe hauste das wohl hässlichste Wildschwein aller Zeiten. Selbst die abstoßendsten Geschöpfe des Waldes, die blatternarbigen Trolle, beglückwünschten sich gegenseitig, wenigstens nicht wie dieses Schwein auszusehen, das überdies von solch sagenhafter Größe war, dass bei jedem Schritt der Boden unter seinen mächtigen Hufen erzitterte.
Schon oft in seinem Leben, rannte das Wildschwein plötzlich wie eine wildgewordene Furie, brüllend und schnaubend durch den Wald, direkt auf die schiefe Buche zu. Die umliegenden Bäume bogen sich wie bei einem Sturm zur Seite. Schneller und immer schneller lief es, um schließlich mit seiner Stirn laut krachend gegen den Stamm zu donnern. Ächzend schwankte die Buche von einer Seite auf die andere, während das Wildschwein benommen herumtorkelte.
Als es nach einer Weile wieder sicher auf den Beinen stand, versprach es dem Baum laut grunzend, dass dies nicht sein letzter Besuch gewesen sei, und es abermals vorbeikommen werde.
Das Wildschwein war uralt, und ist schon gegen den Baum gelaufen, als die jetzigen Waldbewohner noch gar nicht auf der Welt waren. Daher wusste sich auch niemand sein Verhalten zu erklären. Egal wenn man fragte, ob Dachs, Eichhörnchen oder Luchs, bei allen erweckte es den Eindruck, komplett verrückt zu sein. Die Buche selbst aber hielt man wegen ihres missgestalteten Wuchses für verflucht. Aus diesen Gründen suchte nicht einer ihre Bekanntschaft, und so blieb auch ihre Vergangenheit ein Geheimnis.
Selbst das Wildschwein und der Baum träumten nur noch selten von den längst vergangenen Tagen, als einst eine Bache mit ihren Frischlingen durch den Wald zur Schlammsuhle trottete. Eines der kleinen Wildschweine, das Hübscheste, lief immer brav hinter seiner Mutter her, deren ganzer Stolz es war. Seine Geschwister aber hielten es für hochnäsig, und waren natürlich neidisch, da er nun mal Mutters Liebling war.
Auf ihrem Weg kamen sie bei der Buche vorbei, die damals noch jung, und einen geraden Stamm besaß. Die Mutter streifte diese, bog dabei einen Ast um, und als sie vorbei war, schnellte er pfeifend wieder zurück, direkt ins Gesichtchen des Frischlings. Darauf lief er wütend mit seinem Köpfchen gegen den Stamm, was noch einmal so weh tat.
Während er wankend sein Gleichgewicht suchte, bogen sich seine Geschwister vor Schadenfreude. Das Herz schlug dem Frischling vor Zorn bis zum Halse als er sah, wie sie lachend auf dem Rücken lagen, mit ihren Beinchen herumstrampelten, und nach Luft japsten. Doch als seine Mutter sagte, was für ein dummer Frischling er doch manchmal sei, und dabei schmunzelnd den Kopf schüttelte, da brach für ihn eine Welt zusammen.
Mit Tränen in den Augen lief er davon. Er lief und lief, bis ihm der Atem ausging, und sich erschöpft unter einer Fichte versteckte. Dort schluchzte er, dass er nicht dumm sei, und schwor es allen zu zeigen. Wann immer er an der Buche entlang kam, die er ab diesem Tage mehr als alles andere hasste, wollte er mit seinem Kopf dagegen rennen. Bis sie eines schönen Tages endlich umkippte. Dann würden seine Geschwister und seine Mutter schon sehen, wer der Dumme ist. Doch bei jeder Begegnung wurde die Buche nur etwas schiefer, und das Wildschwein von mal zu mal unansehnlicher.
Wüssten die Weisen des Waldes um das Schicksal dieses Tieres bescheid, dann würden sie wohl mit erhobenem Finger und ernster Miene sagen, das verletzter Stolz, Verbohrtheit und Hass zu blindwütigen Taten verleitet, die keinerlei Sinn ergeben. Als ob dies jemanden interessierte. Viel, viel schrecklicher ist doch, das irgendwann selbst die Trolle einem den Zutritt zu ihren dunklen Behausungen tief im Berg verwehren, weil man schlicht und ergreifend zu hässlich ist.
Doch all dass wusste niemand, und nur eines war klar, wenn ein lauter Donnerschlag durch den Wald rollte. Dass das Schwein mal wieder gegen den Baum gelaufen war.