Hallo wegen,
was mir hier sehr gut gefällt: mit der kühl-distanzierten Erzählstimme vermeidest du Betroffenheitsliteratur, emotionale Manipulation.
Ich hab den Text mehrmals aufmerksam gelesen, und der Einstieg wirkt zweifellos anders, wenn man um das Ende weiß. Solche Kurztexte, in denen ein weitreichendes, im Grunde globales Problem isoliert nur über Details erzählt werden, schätze ich an sich. Und mir gefällt ausnehmend gut, dass du explizite Kritik (Auflösung oder Erzählermeinung/Kommentar) unterlässt.
Trotzdem lässt mich die Geschichte unbeteiligter, als Inhalt und verknappter Stil es müssten. Sie bleibt auf Aussageebene eines Zeitungsartikels, weil sie über ein fiktionales Beispiel für aktuelles Tagesgeschehen wenig hinausgeht. Das liegt auch nicht an viel show statt tell (damit hab ich kein Problem, solange es eine individuelle Erzählstimme ist.)
Die zwei Schwerpunkte in der Geschichte sind: Das vorausgesetzte Wissen um die politischen Zustände, und imA arbiträr hervorgehobene Details der Turnhalle und der Trainingsumgebung. Problem: Der politische Hintergrund ist abstrakt und damit unpersönlich. An der Turnhalle und all den Details ist nichts anders, als bei anderen Turnhallen, inner- oder außerhalb von totalitären Regimen, und damit keine sinnvolles Bild. Ich kann mir vorstellen, dass du durch die emotionale Distanziertheit des Prots und diese Detailwahrnehmung einen Schockzustand wiedergeben möchtest (sollte er schon ahnen, dass er dem Trainer folgt, dagegen spricht allerdings die Sache mit der Verbeugung), aber dazu passt die Erzählperspektive nicht. An dem Punkt ist auch noch überhaupt nicht klar, worum der Text geht, und ich frage mich, ob die Details nicht besser funktionierten, wenn man anfangs bereits ahnte, dass da eine persönliche Katastrophe eintritt. Nach den ersten zwei Absätzen hätte alles kommen können: Abrichtung, Gewalt, eine Sportgeschichte um Zweifel & Erfolg mit Happy End. Man tappt zu lange ohne Plot-Wissen durch den Text.
Was für mich – wenn ich das Vage der Ausgangssituation und die emotionale Isolation / Sprachlosigkeit durchweg belasse – besser funktionierte, wäre, all diese kleinteiligen Beobachtungen weniger durch einen kühlen Beobachter zu beschreiben, als stärker durch die Augen des Prots (in Ich-Form oder personal). Du hast zwar die Erzähler schon gemischt (was okay ist), aber an welcher Stelle mit welcher Stimme erzählt wird, ist für mich nicht ganz optimal, und die Distanz bleibt in beiden Perspektiven bestehen
Ein bißchen was zum Text:
Das Intro klingt, als sei dein erster Satz verloren gegangen. „Ihm“ am Anfang ist ein Rückbezug, nur fehlt der hier. Es stimmt, dass von der Grammatik her die Satzteile relativ austauschbar sind, aber wir lesen Gewichtung und Bezüge aus der Wortfolge. Eigentlich soll der Satz aber sagen: Yun würde sich heute vor dem Trainer (oder dem Diktator?) besonders tief verbeugen. Das zu verdrehen und alle dabei erwähnten Personen völlig im Unklaren zu lassen, bringt für mich keinen Mehrwert.
Krächzen in der Tonbandschleife -> das ist schief
Tagtraum reißt und er zum Aussteigen aufsteht. Auf dem Weg vom U-Bahnhof zum Eisstadion schmerzt sein rechter Fuß wieder. -> da bleibt das Setting zu lange unklar, ich war davon ausgegangen, dass er zu Hause ist dann (Tonband) in einem Gebäude, dann erwähnst du die Metro erst nach dem Aussteigen („Aussteigen aufsteht“ kannst du sicher eleganter sagen).
Sie sollen nicht befürchten -> Finde ich interessant. Tatsächlich hat er selbst ja etwas zu befürchten, wenn er versagt, nicht der Staat (gedacht: der Staat fürchtet nichts, er ahndet nur, was ihm Gesichtsverlust beschert). Ist das Absicht, dass der Prot hier glaubt, er sei mehr als nur ein austauschbares Zahnrad in der Maschine?
aufstößt, sind alle Deckenlichter aus. Normalerweise ist der Strom um diese Zeit schon wieder angestellt -> auf – aus – um - an ist nicht so schön. Wenn du diesen mit dem nächsten Satz zusammenfasst und was kürzt, würde das weniger holpern.
Beim Aneinanderschlagen der Schuhe fliegen Kristalle nach allen Seiten. Dann liegen die Füße schwer auf der Gummimatte und unter ihnen bilden sich kleine Pfützen. -> Irgendwie erwarte ich bei der Knappheit und Kürze des Textes, dass das handlungsrelevant ist – und es irritiert mich. Auch, woher das Eis an den Schuhen kommt, wenn man ihn grad nur auf der Bank sitzend verortet hat (denn er hat grad behauptet, er könne nicht allein anfangen).
Umkleiden -> das ist ein echt furchtbares Wort. Wenn Umkleidekabinen zu lang / bürokratisch klingt, nimm doch lieber Kabinen. „Umkleide“ ist so ein Girliemagazin-Slang.
wohl wissend -> getrennt (ich meine, das benötigte einen Anschluss auf ,dass)
sind die Stimmen der anderen Sportler zu hören -> hier brichst du aus der Perspektive aus (‚man‘ statt ‚er‘).
stoppen ihn mit scharfen Blicken -> Perspektivbruch: da ist dein Erzähler plötzlich mit in der Kabine, es fehlt ein Übergang, bzw. ein personaler Erzähler, der draußen bleibt, kann das nicht sehen.
Er könnte seine Eltern besuchen. Hatten sie sich doch schon lange nicht mehr gesehen. Besser nicht. -> Da stimmt was mit der Syntax nicht. Sowohl bei Wortstellung wie auch Anschluss.
In der Nacht kommen wilde Träume -> Hier hätte ich ein Traumbild mitreißender gefunden, das klingt so nach „Jo mei …“. (Wilde Träume sind auch eher ein Synonym für erotische Fantasien).
ein Ende finden, als jemand an seine Tür hämmert -> Understatement of the year? Du verspielst hier, die Todesangst des Prots UND den Terror des Regimes in einem einzigen Halbsatz subtil zu vermitteln.
Hinterfragt -> Ich komm nicht drauf, aber das scheint mir der falsche Begriff. Es wird beim Mithören der anderen Sportler schon deutlich, dass er die Verschleppungen hinterfragt, wenn auch zögerlich / schwach. So blind kann er nicht sein, dass er seine eigene Verhaftung okay findet.
aufeinander presst -> gertrennt
Nach sechs Tagen (…) mit einer Liege und einem schmalen Fenster -> Infos bissl ordnen. Dieser Absatz steigt nun ganz aus der personalen Stimme aus und wirkt sehr protokolliert. Ich finde, hier verspielst du am stärksten, emotionale Wirkung zu entfalten: der arme Junge sitzt irgendwo in Isolationshaft, der Prozess hat ohne ihn stattgefunden (Stalins Troikas lassen grüßen), und das ist eine der schlimmsten Situationen, die man sich vorstellen kann. Keiner hilft, weder im, noch außerhalb des Knastes, weil er eigentlich schon aufgehört hat, zu existieren. Ich kann mir das jetzt selbst denken, aber davon zu lesen, wie ein Autor das beschreibt – dafür suche ich Geschichten statt Sachbücher.
Er starrt durch die Gitter seiner Zellentür auf die großen Porträts am Ende des Flurs und verfällt in tiefe Traurigkeit. -> ein schönes und schlimmes Bild am Schluss (auch wenn mir die Emotion zu einfach verkürzt und beschreibend / wertend ist) – obwohl der Satz kurz ist, könnte er für die Wirkung knapper sein: Durch die Gitter seiner Zellentür sieht er auf das Porträt am Ende des Flurs …
(Würde ich im Singular bevorzugen, auch wenn da in der Realität vllt. mehrere hängen, weil es dann was von einem persönlichen Zweierkonflikt - Prot vs Diktator - bekommt, der immer dramatischer wirkt).
Sorry, mein Komm ist vermutlich doppelt so lang, wie dein Text. Ich hoffe einfach, du kannst mit einigen Anmerkungen etwas anfangen, ich freue mich jedenfalls, solche Erzählstimmen zu lesen.
Viele Grüße,
Katla