Die Wäscheklammer
Die Wäscheklammer
Der entgegenkommende Lichtschein des Wagens blendete Marion extrem und sie lenkte das Auto an den Rand der rechten Spur. Sie kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf den äußeren weißen Fahrbahnstreifen. Ihr Blick richtete sich nach rechts zu ihrem Partner Rolf, dessen Kopf sich nach links auf seine Schulter neigte und leicht wippte. Sein Atem stank nach den diversen alkoholischen Getränken, die sich heute Abend in seinem Magen vereint hatten und deren Dunst, der dem Geruch einer Kläranlage glich, in regelmäßigen Ausstößen in die Luft des Innenraums durch Rolfs Mund gehaucht wurde. Marion verachtete diese Momente. Ihre Liebe zu Rolf dezimierte sich in solchen Augenblicken nicht einmal mehr auf Sympathie, sondern verwandelte sich auf einfache Duldung.
Die Geburtstagsfeier ihres Freundes Thomas wäre ein wunderschöner Abend geworden, hätte Rolf sich nicht mit seinen Kumpels, wie beinahe jedes Mal bei solchen Gelegenheiten, derart abartig voll getankt. Marions Hände pressten sich bei den aufkommenden Bildern des Abends vor ihren Augen in das Lenkrad. Ihre Abscheu und Wut ließen sie den Wagen rasant beschleunigen und mehrere Laster im Zickzackkurs überholen. Marion drückte aufs Gaspedal, Rolfs Kopf wackelte auf seine Brust, wanderte nickend weiter und stieß dann mit der Stirn gegen die Scheibe. Er gab ein kehliges Grummeln, gefolgt von einigen Schmatzlauten von sich. Anschließend schlief und stank er einfach ruhig weiter. Der Ekel erregende Geruch setzte Marion immer mehr zu. Sie wollte einfach nur nach Hause, sich ins Bett legen und den Abend so schnell es ging vergessen.
Wenn Rolf trank, veränderte er sich in einer sehr negativen Weise. Der Alkohol formte seinen Charakter zu einem herablassenden und beleidigenden Menschen, der nichts mehr mit dem Rolf zu tun hatte, in den sich Marion verliebt hatte. Er benahm sich wie ein Schwein, kränke und verletzte mit seinen penetranten, dummen Aussagen und pikierte Andere. Anschließend suhlte er sich in dem eigens erschaffenen Pfuhl, bis er wieder nüchtern war. Vor ungefähr einem halben Jahr, nachdem alle Gäste gegangen waren und Rolf lallend und Aggressiv sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, hatte er Marion ins Gesicht geschlagen – nicht mit der offenen Hand, sondern mit seiner Faust; und das ausgerechnet an ihrem 32. Geburtstag. Am nächsten Tag konnte er sich an den Vorfall nicht erinnern. Erst als Marion bitterlich anfing zu weinen, entschuldigte er sich bei ihr und bat später mit einem Strauß Blumen erneut um Verzeihung. Marion ließ sich von seinen süßen Worten einwickeln und verzieh ihm. Aber sie schwor sich ihn bei solch einem erneuten Eklat zu verlassen.
Marion fuhr im Eiltempo von der Autobahn runter. Nach wenigen Minuten hatte sie den Bungalow erreicht, fuhr die Auffahrt hoch und stellte den Motor ab. Marion atmete schnell und flach. Rolf hatte an diesem Abend wieder einmal einen Bock geschossen und am liebsten hätte sie ihn hier im Wagen gelassen und ihm das Vergnügen gegönnt morgens steif und mit Schmerzen aufzuwachen. Aber sie entschloss sich aus purem Erbarmen den bemitleidenswerten Mann auf dem Beifahrersitz irgendwie in ihre gemeinsame Wohnung zu schaffen. Sie rüttelte heftig an seiner Schulter. „Hey, aufwachen, wir sind zu Hause. Komm, steig aus“. Rolf gab einige mürrische Brummlaute von sich und erleichterte sich des Druckes in seinem Magen, indem er in Marions Richtung einen lauten und moderigen Rülpser ausstieß.
Wütend schlug sie die Wagentür zu, lief zur Beifahrerseite und öffnete sie. Dann packte sie Rolf am Kragen und zerrte ihn mit einem Ruck hinaus. Behäbig wankte er vor und zurück und versuchte aufrecht stehen zu bleiben. Sein Bemühen das Gleichgewicht zu erlangen und die nötigen Schritte bis nach Hause zu machen wäre ohne Marions Hilfe, die ihn fest hielt und leitete, für Rolf kaum möglich gewesen. An der Haustür lehnte sie ihn gegen die Wand. Mit vor Zorn zitternden Händen schloss sie auf und hievte Rolf über die Treppe des Flurs. Sie musste ihn bis ins Schlafzimmer lenken und fest halten, da er nach jedem schlendrigen Schritt drohte zur Seite zu kippen.
Vor dem Bett ließ sie Rolf einfach reinfallen und zog ihm nur Jacke und Schuhe aus. Erschöpft und dennoch froh bereitete Marion sich für die Nacht vor. Nach einem kurzen Aufenthalt im Bad huschte sie Barfuss in ihrem hellblauen Negligé über die kalten Fliesen und verkroch sich unter der molligen Daunendecke. Marion überschritt gerade friedlich die Grenze zwischen unserer Welt und der nächtlichen Realität des eigenen Verstandes, als neben ihr einige wälzende Bewegungen das Bett zum schaukeln brachten. Rolf hatte sich mit einigen heftigen Schwüngen auf den Rücken gedreht und bescherte Marion das schlimmste Geräusch, das man einem gerade Einschlafenden nur antun konnte. Rolf begann beim Einatmen fürchterliche Laute zu produzieren und als er ausatmete, verbreitete er durch seinen offenen Mund den widerwärtigen Gestank von Gegärtem und Verfaultem. Marions Versuch dem Schnarchen, das der Lautstärke einer Abholzung ganzer Wälder glich, dadurch zu entkommen, dass sie ihr Kopfkissen an die Ohren presste, scheiterte kläglich.
Die rasselnden Geräusche drangen durch die Luft und den Stoff direkt in ihren Kopf und erschütterten ihren Verstand aufs Äußerste. Egal wie Marion sich drehte und wendete, sich in Kissen und Decke vergrub, sie konnte den nervtötenden schnarchenden Lauten ihres Partners nicht entkommen. Die digitale Anzeige ihres Weckers auf den Nachttisch zeigte zwei Uhr siebzehn an. Nach weiteren um den Schlaf beraubten Minuten rüttelte sie ihn an der Schulter, doch Rolf unterbrach sein rasselndes Sägen nur so lange, dass Marion es gerade schaffte die Augen zu schließen ehe er wieder anfing. Marions Gefühle banden sich zu einem Knoten aus Wildheit, Streitsucht und Gereiztheit. Sie versetzte dem Mann, der sie um ihren Schlaf brachte, einen starken Tritt. Rolf ließ die Tätlichkeit unberührt und legte daraufhin die Meßlatte der Dezibelzahl noch etwas höher.
Marion fing der unerträgliche Krach an Kopfschmerzen zu bereiten und sie hatte den Eindruck, dass obwohl Rolf tief und fest schlief, er den zunehmenden Lautstärkepegel mit purer Absicht kontinuierlich nach oben schraubte. Zusätzlich zu seinem ohnehin schon nasalen Gerassel, fügte sein desolater und widerwärtiger vom Fusel getränkter Zustand dem Schlafraum mehr und mehr einen derart abartigen Geruch zu, dass Marion sich beinahe übergeben musste. Unzählige Schnarchlaute später fuhr sie wutentbrannt hoch, schleuderte die Decke zur Seite und raste durch Wohnzimmer und Küche zur Kammer auf dem Flur. Abwechselnd hüpfte sie auf den eiskalten Marmorfliesen von einem Fuß auf den anderen. Hektisch wühlte sie in den verschiedenen Körben und Eimern, tastete sich durch die Wäschestücke, bis sie letztendlich das kleine Plastikobjekt fand, wonach sie gesucht hatte. Aufgebracht sauste sie zurück.
Mit einem grimmigen Blick stand sie über Rolf und setzte ihre Idee in die Tat um. Vorsichtig kreiste sie mit der offenen Wäscheklammer über dem vibrierenden Organ, stülpte sie über die beiden Flügeln und ließ anschließend behutsam los. Die Klammer drücke Rolfs Nase zusammen und blockierte nun der Luft den Weg. Jetzt atmete er zu Marions Erleichterung durch den Mund und die nervigen Geräusche wurden durch den Druck der Wäscheklammer erstickt. Marion legte sich hin und genoss die nun friedvolle Stille. Sie wusste, dass Rolf durch ihre Tat nichts passieren kann. Der Körper reagiert instinktiv, ähnlich wie bei einem Schlafenden, dem die Nase zugehalten wird. Dann öffnet sich automatisch der Mund und die Person atmet weiter – und Rolf sog und hauchte bereits die Luft durch seinen weit offen stehenden Mund. Kurz bevor Marion in einen tiefen Schlaf sank, hörte sie noch ein kehliges und röchelndes Würgen.
Einigermaßen entspannt und ausgeruht blinzelte Marion kurz nach elf Uhr morgens dem Wecker entgegen. Mit trüben Blick und etwas benommen, raffte sie sich aus dem Bett und zog ihren Bademantel an. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den Mann in ihrem Bett, der immer noch friedlich und regungslos schlief. Aber irgendwie sah er etwas bleich aus, was Marion dem übermäßigen Konsum an Alkohol zuordnete. Sie schlenderte in die Küche, setzte Kaffee auf und begab sich anschließend ins Badezimmer. Sie hatte weder bemerkt, dass Rolf an diesem Morgen einfach völlig starr und leblos da lag, noch dass seine Augen und sein Mund geschlossen waren und seine kalte Haut eine unnatürlich starke Blässe aufwies. Marion hatte sie völlig vergessen und auf den ersten Blick auch gar nicht mehr bemerkt - aber auf Rolfs Nase drückte und thronte immer noch die Wäscheklammer.