Ein häufig diskutiertes Thema ist die Ich-Perspektive. Viele Kritiker, vor allem aber Kritikerinnen, wollen nicht verstehen, dass ein Leser dieser Perspektive zunächst einmal annehmen muss, dass der Ich-Perspektive-Autor in einem solchen Text von sich berichtet.
Schau: Du sprichst hier von "dem Leser" meinst damit aber nur dich. Die Mehrzahl der Leser geht nicht davon aus, dass ein Ich-Erzähler mit dem Autor gleichzusetzen ist, weil man das in der Schule schon lernt. Wirklich. Man lernt das schon in der Schule.
Es geht sogar noch weiter. Sogar wenn der Ich-Erzähler eines Textes behauptet, er sei der Autor (wie etwa Dürrenmatt das im Versprechen macht), sogar DANN darf der Leser ihn nicht mit dem Autor gleichsetzen.
Ganz einfach weil Literatur immer den Aufkleber "Ich bin fiktiv" trägt. "Ich bin nur ausgedacht." Oder noch besser: "Ob ich wahr bin oder nicht, hat für dich als Leser keine Relevanz." Literatur ist die Form der Möglichkeit, was passieren könnte, nicht das, was passiert ist.
Das unterscheidet die Literatur, die Fiktion, vom Sachbuch, der Non-Fiktion. Wenn ich eine Autobiographie lese (im weiteren Sinne ein Sachbuch), dann ist für mich natürlich relevant, wer da erzählt und dass das auch alles passiert ist. Wenn ich eine literarische Biographie lese, greift wieder der "Ich bin fiktiv"-Charakter der Literatur. Und sogar wenn in diesem fiktiven Werk nicht-fiktive Elemente auftauchen, muss ich als Leser trotzdem davon ausgehen, dass sie fiktiv sind, ganz einfach, weil ich den Autor in der Regel überhaupt nicht kenne und nicht weiß, ob Dürrenmatt je einen Vortrag vor 3 Leuten gehalten hat und danach mit einem ehemaligen Kommisar nach Hause gefahren ist.
Ich weiß es nicht, es hat für mich auch keine Relevanz, deshalb gehe ich davon aus, dass er es erfunden hat. Er hat einen fiktiv-realistischen Erzählrahmen geschaffen, damit ich als Leser das Gefühl habe, es sei "echt".
Nur weil ihm das gut gelingt, darf ich trotzdem nie den Fehler machen, anzunehmen, es sei echt. Ich sollte es nur für die Zeit der Lektüre "glauben".
Und je öfter du deine ... Minderheiten-Sicht als allgemeingültig darstellst, desto öfter erscheinst du eben als der Geisterfahrer, der als einziger richtig fährt und sich über die vielen Leute aufregt, die ihm entgegenkommen.
Das Forum hier heißt "kurzGESCHICHTEN.de" und ist damit ein literarisches und beschäftigt sich mit Fiktivem. Das ist genau diese Sache, die du gern haben willst. Durch die Form der Kurzgeschichte ist der Inhalt schon immer fiktiv. Und der Leser, der eine halbwegs ordentliche Schulbildung genossen hat oder über ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand verfügt, der WEISS das. Er weiss es einfach. Da braucht's kein "Ach, hier, übrigens: Hab das alles nur erfunden." Echt nicht. Literatur ist Fiktion!