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Du kannst nicht nach Hause gehen

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28.12.2009
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Du kannst nicht nach Hause gehen

Remi ist Neunzehn und darf das Auto seiner Eltern benutzen. Wir treffen uns auf dem Parkplatz der Autobahnraststätte. Meistens fahren wir zu einem Maisfeld oberhalb der Kirche. Von hier aus kann man die Flughafenlichter sehen. Bevor wir es machen, legt er eine Bundeswehrdecke auf die Sitzpolster der Rückbank. Danach nimmt er sich eine von meinen Zigaretten. Er sagt, er raucht nur wenn er mit mir zusammen ist.

Heute lässt er mich eine halbe Stunde warten. Den Wagen erkenne ich an den Frontlichtern, schmal und heller als die der anderen Autos. Er hält mit laufendem Motor neben mir und öffnet die Tür von innen.
„Musste was erledigen“, sagt er und legt eine Hand auf meinen Schenkel. Ich sehe aus dem Seitenfenster. Im Wagen ist es warm. Er dreht die Musik lauter. Seine Hand lässt er auf meinen Schenkel liegen.

Wir fahren die Hauptstraße entlang, an geschlossenen Geschäften vorbei. Ich starre in den Rückspiegel. Auf die bunten Lichter. Die Gegend kenne ich nicht. Lange Einfahrten führen zu Häusern, die hinter dichten Hecken liegen. Hinter den Fenstern kann ich schwaches Licht erkennen. Remi hält am Straßenrand und zeigt auf eines der Häuser.
„Meine Eltern sind am Bodensee für’s Wochenende.“
Ich nicke.
„Warst du schon mal am Bodensee?“
„Nein.“
„Warst du überhaupt schon mal woanders?“
Wir fahren über die Einfahrt bis zum Haus. Er parkt vor der Garage und stellt den Motor ab. Der Kies fühlt sich hart an unter meinen Schuhsohlen. Wir bleiben vor der Tür stehen. Lichter springen automatisch an. Er sucht in seiner Hosentasche nach den Schlüsseln.
„Was machen deine Eltern am Bodensee“
Der Schlüssel rastet ein. Er nimmt meine Hand und zieht mich ins Innere. „Ist doch scheißegal jetzt.“

Die Tür fällt zu. Der Raum dahinter ist dunkel und kühl. Umrisse einer Treppe. Glas. Spiegel. Remi legt die Hände auf meine Hüften und flüstert: „Wir sind hier ganz alleine.“ Seine Hände rutschen weiter nach unten.
„Ich glaub`, ich hab‘ Hunger.“
„Hunger …“
„Ja“, sage ich und höre, wie er ausatmet.
„Kriegste nix zu essen bei dir?“
Er lässt mich los und schaltet das Licht an. Das Licht ist grell, für einen Moment starre ich auf den weiß gekachelten Boden. Er geht in die Küche. Gläser klirren. Schubladen werden geöffnet. Ich folge ihm. Die Küche ist heller, ganz hinten ein langer Tisch aus lackiertem Holz. Auf dem Tisch steht eine Schale mit Obst, daneben ein halbvoller Aschenbecher. Remi reicht mir eine faustgroße, dunkelgrüne Frucht. Ich streiche über das Etikett, drücke mit dem Finger in die weiche Schale und lege sie zurück auf den Tisch. Die Fenster reichen bis zum Boden. Der Rasen im Garten ist kurz geschnitten, die Rosen verblüht. Seine Fingerspitzen auf meinem Nacken, berühren die Haut nur ganz leicht. Dann geht er zum Kühlschrank.

„Mach die Augen zu“, sagt er und holt eine kleine Schale aus dem oberen Fach.
„Was ist das?“
Er hält die Hand über die Schale. „Mach die Augen zu.“
Ich stütze mich mit den Händen auf der Tischplatte ab und schließe die Augen.
„Mach den Mund auf.“
Ich öffne die Lippen, spüre seine Finger, wie sie meinen Mund weiter auseinanderdrücken.
„Hier“, sagt er, dann ist etwas Weiches auf meiner Zunge, es schmeckt salzig, auch sein Finger schmeckt salzig.
Für einen Moment behalte ich es im Mund, drücke es gegen den Gaumen, befühle es mit der Zungenspitze.
Er lacht leise und streichelt mir über den Kopf. „Kannst die Augen aufmachen.“
Ich sehe in die Schale, die er immer noch in der Hand hält.
„Meeresfrüchte“, sagt er langsam. Er stellt die Schale auf den Tisch und nimmt die grüne Frucht in die Hand. „Das ist eine Avocado.“
Ich nicke, aber er schüttelt den Kopf. „Sag es … A-vo-ca-do.“ Er sieht auf meinen Mund. „Ich will, dass du es sagst. Oder soll ich denken, dass du dumm bist?“
Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht. Er wischt sie zur Seite und fragt: „Bist du dumm?“
Ich rieche die Meeresfrüchte. Säuerlich, und nach einem Gewürz, das mein Vater oft benutzte.

Alle Gewürze, die er kaufte, füllte er in Streuer um, auf die er selbstgemachte Etiketten aus Papier klebte. Darauf schrieb er fein säuberlich die Namen der Gewürze – Rosmarin, Thymian, Kreuzkümmel. Jedes Mal, wenn er kochte und die Streuer benutzte, fielen einige Etiketten ab. Er befestigte sie mit Tesafilm, den der Wasserdampf aus den Töpfen immer wieder ablöste. Ich kroch auf allen Vieren über den Küchenboden, um die Etiketten zu suchen. Sie landeten an den unmöglichsten Stellen, hinter einem Regal, zwischen dem Pfand. Einmal fand ich eine tote Maus in einer Nische unter dem Herd. Sie lag einfach nur still da mit ihrem weichen Fell und den dunklen Augen.

„Mit wie vielen hast du schon gefickt?“ Remi hat die gleichen Augen. „Wie machen es die Typen auf der Winterberger? Anders als ich? Besser?“ Er umfasst meinen Arm, seine langen, dünnen Finger berühren sich, ich spüre heißen, brennenden Schmerz. Knoblauch. Das Gewürz ist Knoblauch. Mein Vater streute es auf Schweinekoteletts, Eier, Kartoffeln … Remi drückt fester zu, noch fester, ich versuche mich zu befreien, aber er lässt nicht los, er lässt mich einfach nicht los, bis ich: „Weiß ich nicht mehr“, schreie, dann steht er da und sieht mich an mit diesen toten, kalten Augen.

Schließlich lässt er mich doch los. Er legt die grüne Frucht auf den Tisch und sagt: „Ich will dir was zeigen.“
Er spricht leise, ich kann ihn kaum verstehen.
„Warum hast du das getan?“
„Was meinst du?“
Ich blicke auf die roten Striemen an meinem Oberarm.
Er zuckt mit der Schulter. „Gehen wir nach oben.“
„Was ist da?“
Er lächelt. Seine Zähne sind klein und weiß.

Oben sieht alles fremd aus – Bilder, Tische aus Glas, lange Teppiche, und alles glänzt wie Schmuck glänzt. Weiter, sagt er, ich gehe weiter, dann drückt er mich gegen die Wand, nimmt meine Hände, hält sie fest. Ich kann den Puls spüren, seinen, meinen, wie sich die Schläge überlagern, so wie ein Herz, das aus dem Takt geraten ist.

Er küsst mich, meinen Hals, Wangen, Augen, die Stirn, seine Hände auf meinen Brüsten, überall ist Hitze, diese Hitze … er flüstert mir etwas ins Ohr, da lang, da lang, wir schieben uns über den Flur durch eine Tür, dahinter ein Zimmer mit hohen Schränken – Klamotten, Kleider, Röcke, Schuhe, sie liegen auf dem Boden, quellen aus Schubladen.
Er nimmt ein Kleid von einem der Bügel und hält es sich vor den Oberkörper. „Meine Mutter ist zweiundvierzig. Kannst du dir das vorstellen?“
„Ich kenn‘ deine Mutter nicht“, sage ich und fasse den Stoff an. Es ist weicher Stoff, mit glitzernden Steinen besetzt.
„Nein, du kennst sie nicht.“ Dann reicht er mir das Kleid.
„Aber es gehört deiner Mutter …“
„Ich weiß“, sagt er und legt seine Hand auf meine Schulter.

Das Kleid ist schwerer, als ich gedacht habe. Ich halte es gegen das Licht, die Steine glitzern.
„Hier“, sagt er. „Mach es hier.“
Er legt einen Finger auf den Knopf meiner Jeans und schiebt den Daumen in den Bund. Dann zieht er sie mir über die Hüften, bis sie mir in den Kniekehlen hängt und ich heraussteigen kann.
„Das andere auch. Alles.“ Er fasst unter mein Shirt, seine Hand ist kalt, und als er es mir über den Kopf zieht, wird es dunkel und still. Er biegt meinen Oberkörper nach hinten und spitzt die Lippen. Sein Speichel tropft auf mein Schlüsselbein, fließt über den Bauch bis ins Schamhaar.
„Bist du feucht?“, fragt er. „Ja, du bist bestimmt feucht.“

Seine Finger sind rau, ich spüre sie auf meinen Oberschenkeln, wie sie die Innenseiten hinauffahren. Über nackte Haut, Muttermale, Narben, dann in mir, tief in mir, wie Schläge, wie kurze, harte Schläge - aber ich ertrage das, ich ertrage alles, das habe ich schon immer.
Er sagt: „Komm zieh es jetzt an.“

Ich sehe mich selbst in dem großen, runden Spiegel am Ende des Raums. Ich strecke meine Arme aus, gleite in das Kleid, der Stoff liegt eng an.
„Dreh dich um“, flüstert er in mein Ohr. „Ich will dich sehen. Ich will alles sehen.“ Und ich drehe mich um, er soll alles von mir sehen, es ist das Kleid seiner Mutter. Er ist ja da, jetzt, bei mir, und nur das zählt.
„Meine Mutter ist Zweiundvierzig“, sagt er und sieht an mir herunter. „An dir ist echt nichts dran, du siehst aus wie `ne Zwölfjährige.“
„Aber ich bin keine Zwölf mehr …“
Er lächelt. Seine Lippen sind dünn und blass. „Müsstest du nicht längst zu Hause sein?“
„Nein“, antworte ich. „Ist okay.“
Er drückt den Daumen leicht in meinen Hals. „Du kannst jetzt nicht nach Hause gehen.“
Dann zieht er an dem Kleid, zuerst reißt der Träger, ich spüre den Stoff wie einen Schnitt an meiner Schulter, danach lösen sich die Steine ab, fallen auf den Boden, aber sie glitzern noch, sie werden immer glitzern.
„Du kannst nicht nach Hause gehen.“ Er legt die Hand auf meine Hüfte, er ist hinter mir, ganz nah. Ich sehe wieder in den Spiegel. Ganz langsam werde meine Augen zu schwarzen Punkten, die in der Dunkelheit verschwinden.

 

Ich fand das aber gar nicht schlimm. Der Typ ist gerne dominant und hat einen Mutterfetisch und das Mädchen ist masochistisch.
alexei,

da weißt du mehr über meine Figuren als ich selbst. Mutterfetisch, Masochismus, ich weiß nicht, das steht da nicht explizit. Das sind Möglichkeiten, die du da reinliest, was ich okay finde.

Und wenn das alles für sie okay ist und sie dem Jungen so sehr vertraut, dass sie freiwillig in seinen Wagen steigt, dann kommt bei mir kein ungutes Gefühl auf.

Du gehst hier von deiner Dualität der Wünsche aus, von etwas, dass ausgesprochen worden ist. Im Text wird da aber nie drüber gesprochen. Es gibt da keinen Konsens. Sie geht mit, aber er sagt und fragt nie: Gehen wir da hin? Tun wir das? Und zwar aus Gründen tut er das nicht. Da passiert etwas auf einer ganz anderen Ebene, was sich eben nicht so runterbrechen lässt auf einen ethischen Sachverhalt.

Die Prota wirkt angeekelt und angsterfüllt, aber ich habe das Gefühl, dass ihr gerade das gefällt.
Woraus liest du das? Dieses Mädchen ist doch viel eher gleichgültig, da kommt im Grunde ja gar keine Bewertung der Handlungen heraus, soweit scheint sie ja gar nicht zu denken, das fühlt sie nicht, sie fühlt und will etwas ganz anderes.

Danke für deinen Kommentar.

Geschichtenwerker,

danke auch dir. Du hast Recht, dieser Satz, den du fett markiert hast, der irritiert. Da muss nochmal ran. Ich denke mir was aus.

Abschließend empfinde ich einerseits als leicht störend andererseits aber auch als inspirierend die kühle Distanz der Erzählsprache in Kombination mit der Ich-Perspektive.

So soll das sein. Das ist natürlich maximal distanziert, abgekoppelt fast, ein Selbst nur in Fragmenten vorhanden, vor allem da wo es in der Retrospektive um ihren Vater geht. Ich finde diese Perspektive auch seltsam, vor allem seltsam zu schreiben, weil du eben alles, wo man sonst als Autor richtig Gas geben könnte, also im Grunde der innere Monolog, die Figurensprache, reduzieren musst. Das ist nicht einfach, vor allem, wenn du einen Gegenpart hast, eine andere Figur, die sich ja im Negativ der anderen Perspektive ausbreitet.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Hi, nur ein kurzer Einwand, weil das schon öfters in der Diskussion war. Ich finde, im Text steht eigentlich nirgendwo so ganz genau, dass die Icherzählerin weder Avocado noch Meeresfrüchte kennt. Da gehts mehr um die Beziehung zwischen den beiden. Remi will anhand dieses Fress-Zeugs Macht ausüben und sie verächtlich machen, das heißt ja aber nicht, dass die Icherzählerin wirklich nicht weiß, was das jew. Nahrungsmittel ist. Hab mal den Absatz zitiert:

„Hier“, sagt er, dann ist da etwas Weiches auf meiner Zunge, es schmeckt salzig, und auch sein Finger schmeckt salzig.
Für einen Moment behalte ich es im Mund, drücke es gegen den Gaumen, befühle es mit der Zungenspitze.
Er lacht leise und streichelt mir über den Kopf. „Kannst die Augen wieder aufmachen.“
Ich sehe in die Schale, die er immer noch in der Hand hält.
„Meeresfrüchte“, sagt er langsam, und ich wiederhole: „Meeresfrüchte.“
Remi stellt die Schale auf den Tisch und nimmt die grüne Frucht in die Hand. Er dreht und wendet sie, hält sie mir direkt vors Gesicht.
„Das ist eine Avocado.“
Ich nicke, aber er schüttelt nur den Kopf. „Sag es … A-vo-ca-do.“
Er sieht auf meinen Mund, doch ich schweige.
„Ich will, dass du es sagst, ist doch scheiße einfach. Oder kannst du das nicht? Soll ich denken, dass du dumm bist? Soll ich das denken?“
Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht, genau über das Auge, er wischt sie zur Seite und fragt: „Bist du dumm, ja?“
Dann sieht er an mir vorbei aus dem Fenster.
Ich kann die Meeresfrüchte riechen – säuerlich, und nach einem Gewürz, das mein Vater oft benutzte.

Wenn das Mädchen das Wort "Meeresfrüchte" wiederholt, kann man das auch so verstehen, dass sie dem Geschmack nachspürt. Vielleicht auch, dass sie weiß, was Meeresfrüchte sind, aber bisher keine gegessen hat. So ungewöhnlich finde ich das nicht.
Und bei der Avocado macht Remi ihr dauernd den Vorwurf auf, sie sei dumm, indem er sie zwingen will, das Wort zu wiederholen. Das heißt aber nicht, dass sie Avocados nicht kennt. Das Nicken kann ich als Zustimmung nehmen.

 

Novak,

so, jetzt zu deinem Kommentar. Ich finde den sehr stark, weil du eben nicht wie einige andere Leser nur an der Oberfläche bleibst, sondern dich auch emotional leiten lässt, bzw verleiten. Mir ist klar, dass dies auch ein schwieriger Text ist, der nochmal eine präzisere Überarbeitung braucht, aber trotzdem finde ich, wiegt da einiges schon, er hat eine gewisse Schwere.

Über die Stimme der Erzählerin kann man diskutieren. Natürlich verstehe ich, dass es eine gewagte Sache ist, diese abgekoppelte Stimme so zu benutzen, ich verstehe auch, dass man denkt, man folgt ihr nicht - aber ich frage mich, wer folgt einer geschwätzigen, alles dokumentierenden und bewertenden Stimme? Wie kann man da sagen: Ja, das finde ich gelungen, wo ich sagen würde, ich höre nur den Autoren, der schrecklich schön schreiben will. Geschmackssache. Als Leser fragen wir ja oft eben nicht so genau nach, warum wird mir das erzählt, welche Berechtigungen hat der Text, deswegen sind so pauschale Aussagen, wie: Ich glaube dem Erzähler nicht, im Grunde oft auch rein subjektive Dinge, man muss einem Erzähler irgendwann glauben, um etwas lesen zu können. Die Wiederholungen sind hier vielleicht drüber, da gebe ich dir Recht, es ist ein Mittel, wo ich einfach mal etwas anderes machen wollte, wo ich mir mal mehr Drama erlauben wollte, eine erweitertes Repertoire der Figur.

Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie schnell du den Kern der Figur erfasst. Das ist mir schon oft aufgefallen, dass du da einen guten, sensiblen Fühler hast, der auch echt immer genau trifft. Hier, in diesem Text, wollte ich einen Kontrast erzielen, das ist auch immer ein Wagnis, manchmal muss man eben etwas riskieren mit einer Figur, etwas wagen, um zu sehen, ob das funktioniert. Hier ist die Erzählerin eine Art Echokammer, sie ist ein Negativ, und Remi das Positiv dazu, er agiert, er ist aktiv, und sie ist bis auf dieses Fragment der Erinnerung, wo ihr Vater auftaucht, eigentlich ja nie vorhanden. Ich wollte sie so fast Roboter-haft haben, nur reagierend, und auch abgekoppelt, ich habe das immer wieder bei einem amerikanischen Autoren gelesen, Frederick Barthelme, die Stories werden alle von seltsamen Menschen erzählt, es sind auch seltsame Geschichten, oft drehen sie sich um nichts, um Alltägliches, aber eben wegen diesem speziellen sound, werden sie zu etwas Besonderem, auf ganz leisen, unauffälligen Pfoten kommen die daher.

Ja, sehr vielen Dank, ein durchaus kritischer und konstruktiver Kommentar, dem ich sehr gerne folge und dem ich Beachtung schenke.

Gruss, Jimmy

 

Die Situation verwirrt mich. Die beiden treiben es normalerweise auf einem Parkplatz, und jetzt gehen sie zu Papi und Mami nach Hause? Das ist irgendwie, ich weiß nicht, fast niedlich.

Manlio,

danke dir für deinen Kommentar. Ich verstehe die Situation anders, nämlich so, dass er sozusagen wartet, bis seine Eltern weg sind, weil er den Kontakt mit ihr quasi geheim hält, also er hätte sie vielleicht schon früher mit nach Hause genommen, wenn sie eine andere Art Mädchen wäre. Er versteckt sie also, er will im Grunde nicht mit ihr gesehen werden, hat aber trotzdem Gefallen an ihr gefunden. So wollte ich das eigentlich aufziehen, wenn du jetzt sagst, diese Situation verwirrt dich, müsste ich überlegen, wie man es anstellt, das klar wird, aus welchen Beweggründen er so agiert. Ich wollte da dieses typische Droppen der backstory vermeiden, dann müsste man es szenisch auflösen und sie würde fragen, warum er sie nicht früher schon mal mitgenommen hat, das würde aber auch auf eine andere Historie der beiden verweisen, es wäre dann schon im Vorfeld anders, intimer, privater, mehr als es eigentlich sein soll. Ich verstehe aber den Punkt.

Ich komme nicht ganz dahinter. Was sie an ihm fasziniert. Vielleicht seine Selbstsicherheit, Dominanz.
Ich glaube, er ist einfach eine Leerstelle, er könnte irgendwer sein, ihr geht es um eine gewisse Nähe, überhaupt um Nähe, deswegen geht sie mit ihm mit, und es darf auch, meiner Meinung nach, hier nicht mehr Fleisch an die Erzählerstimme im Sinne einer ergründenden, fragenden, reflektierenden Instanz, denn dann würde man den Text doch viel mehr in Frage stellen - wie kann eine so junge Person überhaupt so denken, kann sie das geistig leisten, etc? Das ist halt immer sehr schwierig, da eine Übereinstimmung zu finden, hier habe ich mit dieser Reduktion insofern mal experimentiert, das fast ganz auf diese weitergehende Tiefe verzichtet wird, so wirkt die Stimme schon fast ein wenig autistisch, nur einmal weicht sie auf, wenn es um den Vater geht, aber das könnte auch eine falsche Fährte sein, da steht ja nichts Genaues, das erfährt der Leser ja nicht. Ich glaube, es geht hier weniger um Faszination, als um ein stilles Übereinkommen, beide kriegen ja auf ihre Art, was sie wollen.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

ich empfinde den Text als Experiment, das teilweise glückt, teilweise nicht. Du verlässt dich diesmal nicht auf die auktoriale Perspektive, indem du Sinneseindrücke systematisch aneinanderreihst, um den Leser in den Text zu ziehen, wie zum Beispiel in deinem Roman (Dunkels Gesetz), den ich kürzlich gelesen habe. Da klingt es manchmal überpenetrant, bis hin zu dem Gefühl „Ach nee, nicht schon wieder“, schafft aber eine dichte, stringente Atmosphäre. Für den vorliegenden Text wählst du die Ich-Perspektive und erreichst nicht dieselbe Tonlage. Das Mädchen offenbart sich auch gegenüber sich selbst als Erzählerin eben nur in Andeutungen, den Leerräumen zwischen den Zeilen, wirkt wie durch einen Schleier aus eigenen Erinnerungen betrachtet, was der Erzählung die Kraft nimmt, ohne eine zarte Verbindung zum Leser einzubauen. Denn ihre Erinnerungen bleiben allzu vage. Wären sie konkreter (auch da reichen ja Andeutungen), ließe sich womöglich die Distanz etwas aufheben. Stilistisch ahmst du ihre Gedanken nach, das finde ich sehr gelungen, auch wenn das sprachliche Niveau des Textes darunter leidet (einkalkulierte Wortwiederholungen). Inhaltlich, thematisch habe ich mir eine härtere, schonungslosere Handlung vorgestellt, weil ich die Kommentare vor dem Text gelesen habe.

Textstellen:

„Musste noch was erledigen“, sagt er und legt eine Hand auf meinen Schenkel. Ich sehe schweigend aus dem Seitenfenster. Im Wagen ist es warm. Er lacht und dreht die Musik lauter. Seine Hand lässt er auf meinen Schenkel liegen.
muss mich an die Schenkel-Dopplung gewöhnen, müsste aber im letzten Satz auf meinem Schenkel liegen oder auf meinen Schenkeln heißen.

Der Kies fühlt sich hart an unter meinen Schuhsohlen. Er geht an mir vorbei - sein schwerer Duft in der Dunkelheit.
der Teilsatz, den du mit Gedankenstrich einleitest klingt künstlich, so halbpoetisch denkt sie, echt?

Eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht, genau über das Auge, er wischt sie zur Seite und fragt: „Bist du dumm, ja?“
Dann sieht er an mir vorbei aus dem Fenster.
Ich kann die Meeresfrüchte riechen – säuerlich, und nach einem Gewürz, das mein Vater oft benutzte.

Alle Gewürze, die er kaufte, füllte er in Streuer um, auf die er selbstgemachte Etiketten aus Papier klebte. Darauf schrieb er fein säuberlich die Namen der einzelnen Gewürze – Rosmarin, Thymian, Kreuzkümmel.

mm, weißt nicht, finde ich sehr autorgesteuert: erst fragt er sie, ob sie dumm sei und dann beweist sie sich mit einer kolumnenhaften Gewürzbeschreibung, dass sie es nicht ist.

ich kann den Puls spüren, seinen, meinen, wie sich die Schläge überlagern, so wie ein Herz, das aus dem Takt geraten ist.
sehr stark!

ich will nichts mehr als das – die Wärme, diese Wärme, diese Hand, die Nähe, und das alles so glänzt wie Schmuck, wie Schmuck, den ich nie besitzen werden, von dem ich nur träumen kann …
sehr schön, hier wird sie trotz oder gerade wegen der Dopplungen, greifbar

und langsam, ganz langsam werde meine Augen zu zwei schwarzen Punkten, die in der Dunkelheit verschwinden.
gelungenes, schwebendes Ende, muss aber “werden” stehen

Viele Ich-kann-nicht-nach-Hause-gehen-um-Fußball-zu-gucken-Grüße
Isegrims

 

Ich antworte hier fairerweise, weil ich ja mit Kritik umgehen kann, auch auf Bea Milanas Kommentar,

die Sache mit dem Schenkel ist ja mehrfach erwähnt worden, das ändere ich. Ich finde die Wortdopplungen und Wiederholungen, wie bei "Wir fahren", eigentlich charakteristisch, sie sagt es sich selbst vor. Ich mag auch den Takt, wenn etwas mehrfach wiederholt wird, kommt da ein anderer Rhythmus rein. Um bunte Lichter zu sehen, muss es nicht dunkel sein, es könnte auch einfach nur dämmern. Schwaches Licht, gedämpftes Licht, joah, da geht einiges, man muss jetzt nicht schwach nehmen, das stimmt, vielleicht noch zu unpräzise.

Also, dass die Treppen in den Häusern der Reichen (wie das auch klingt) nicht steil sind, das halte ich ja für Insiderwissen - woher weiß man so was? Wie viele Häuser der Reichen muss man denn eigentlich gesehen haben, um da eine derart pauschalisierende Generalaussage treffen zu können? Gibt es da einen standardisierten Bauplan? Ich dachte so - Dunkelheit, neue Umgebung, Flur, am Ende des Flurs eine Treppe, weil das so in de Häusern oft einfach der Fall ist, es sollte einfach die Atmo verdinglichen, ein Detail liefern. Die Treppe wird ja auch nachher noch wichtig.

Das Licht ist grell, für einen Moment kann ich nur auf den weiß gekachelten Boden starren. Auch hier kann ich deinen Gedanken nicht ganz folgen. Wieso klingt das hier nach Autor, und welchen Bruch genau meinst du? Für mich ist es kein Bruch, wenn ich von dem grellen Licht auf einen weiß gekachelten Boden sehe. Und auch hier: Marmor, Travertin, weiße Kacheln in Sozialbauwohnungen? Also, ich habe jetzt mal in den letzten drei Tagen mitgeschrieben, da waren Kacheln, da war Parkett, da war Laminat, da war so 'ne billige Klebefolie auf den Böden, in den Wohnungen meiner Freunde. Die sind jetzt alle nicht reich. Ich könnte da auch hinschreiben: Boden. Steinboden. Laminat. Oder Holzboden. Das spielt keine Rolle, es sollte hier nichts zeigen im Sinne von, Oh Marmor!, die sind reich, obwohl man das natürlich auch machen kann, es ging mir hier um den Kontrast, draußen war es dunkel, dann gehen die automatischen Lichter an, aber drinnen ist es noch viel heller, sie wird von all dem Licht geblendet, förmlich erschlagen, da steckt ja auch eine Art Symbolik drin.

Ich glaube auch nicht, dass er bei der Sache mit der Avocado überheblich reagiert, und auch macht er sich nicht lustig über sie, denn im Grunde ist da eine unterschwellige Aggression drin, er möchte schon, dass sie auf seinem Level ist, und er geht ja gar nicht davon aus, dass sie es ist, obwohl sie Avocado wiederholt, und er davon ausgehen könnte. Das zeigt ja seinen Charakter, oder bzw einen Teil, er trifft für sie eine Entscheidung, und sie bleibt passiv, sie wiederholt es nur, sie wiederholt ihn nur.

Er lächelt. Seine Zähne sind klein und weiß, seine Zunge ist rot, so rot wie Blut.
Joah, das könnte man einer Figur durchgehen lassen, vielleicht tilte ich das in einer neuen Version, aber da sind wir bei einem altbekannten Problem, ich kann eben jeden Text diskreditieren, in dem ich sage, da ist der Autor, das sagt keine Figur so, man muss schon auch manchmal ein gentlemens agreement machen, um überhaupt etwas lesen zu können.

Das Ende würde mich überraschen, wenn ihr auf einmal schwummrig und schlecht wäre, weil er ihr k.o. Tropfen gegeben hat. Das wäre ultrafies.

Ich glaube, das wäre ein ziemliches Klischee und auch gar nicht das, was ich mit den Figuren vorhatte, es sollte eigentlich nirgendwo wirklich explizit werden, es sollte nicht um eine Falle gehen, so weit würde ich als Autor gar nicht gehen wollen, es geht eher um die Moment davor, was dann wirklich passiert, das ist mir eigentlich relativ egal.

Insgesamt ist mir die weibliche Figur zu indifferent, zu vage, zu sehr von außen gezeichnet. Das hat nichts mit dem Typ junge Frau tun, der unterwürfig reagiert und tut, was er ihr sagt, sondern allein mit der Tatsache, dass sie beschreibt, was er tut, aber ihm gegenüber vollkommen gefühllos ist.

Das ist natürlich der Effekt dieser Geschichte, dass die Erzählerin seltsam abgekoppelt bleibt - das beschreibst du jetzt als die größte Schwäche, ich kann das verstehen, aber ich möchte mich einfach nicht als Autor im Kreis drehen, sondern auch etwas probieren, was über Konventionen und Regeln hinausgeht.

Schwierig, vor allem heutzutage, denn dreizehn- oder vierzehnjährige Mädchen sind erstaunlich weit entwickelt, nicht nur körperlich. Joah, in der Zeitungen stehen jeden Tag Meldungen, was genau diesen Mädchen nicht alles passiert, trotz ihrer angeblichen Reife, also das ist halt auch ein Totschlagargument, zu sagen, das kann es nicht geben -doch, gibt es. Ich würde das Mädchen hier in diesem Text auch gar nicht als naiv beschreiben oder als devot, das ist nochmal etwas anderes, das ist eine Art Hingabe, eine Opferbereitschaft, um an etwas anderes zu gelangen, so eindimensional, wie du sie hier machst, ist diese Figur eben nicht.

Für mich ist es eindeutig eine Geschichte aus der Perspektive eines Mannes und das würde ich auch denken, wenn der Urheber anonym wäre. Woran machst du diese männliche Perspektive denn genau fest? Sind ja einige Leser dabei, die es eben fast geärgert hat, weil für sie das Geschlecht eben nicht sofort feststand, deswegen würde mich interessieren, was denn die Merkmale einer männlichen Perspektive sind und wo diese im Text auftauchen?

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Das ist ein Text, bei dem ich mich frage, warum er geschrieben wurde. Sicher, er ist gekonnt geschrieben, aber er hat keinerlei Aussage, ist einfach ein Stück Alltag mit zwei besonderen, sehr gegensätzlichen Figuren. Das ist ja fast normal, denn Figuren, die nicht besonders sind, interessieren niemand – nur ein wirklich guter Text würde auch mit „Normalos“ funktionieren.

Dieser aber funktioniert nur, weil die zwei besonders sind. Sie sind sogar so besonders dargestellt, dass die Leser alles Mögliche hineininterpretieren: Es steht nirgendwo ein Hinweis, dass in der Vergangenheit der einen Figur ein sexueller Missbrauch vorlag, dennoch wird davon ausgegangen. Es wird sogar vermutet, dass der andere sie am Ende töten wird, obwohl laut Text auch ein ganz anderes Ende möglich ist.

Warum ist dem so? Weil der Text mit den Erwartungen der Leser spielt. Fast alles befindet sich in der Schwebe, was dem Leser zu viele Möglichkeiten gibt, sich zu fragen, wie war dies oder jenes jetzt gemeint. Also geht man zurück und liest den Satz noch einmal. Und vergleicht womöglich den noch mit dem vorangegangenen. Das unterbricht notgedrungen den Lesefluss, was schon ein Fehler ist: Eher des Autors, denn des Lesers.

Sicher, man kann auch ohne nachzudenken weiter lesen, allein um zu erfahren, welche Besonderheiten die zwei Protagonisten noch offenbaren werden. Manche sagen dazu, die Geschichte entwickle einen Sog, aber ich würde das als Sensationsgier bezeichnen, vergleichbar der, die man Bildzeitungslesern unterstellt, weil sie nach grausiger Details bei Tötungs- und noch mehr bei Sexualdelikten gieren und von der Zeitung auch befriedigt werden – nicht umsonst hat die Zeitung die größte Auflage hierzulande.

Obwohl du das in deinen Repliken verneinst, geht diese Geschichte auf Effekte aus, ist effektheischend auf eine Art, die nicht sofort sichtbar ist: Einmal ist da eine Jugendliche, die alles mit sich machen lässt. Warum dem so ist, lässt der Text bis zuletzt offen. Beim männlichen Gegenpart, der sadistische Tendenzen offenbart, ist das ähnlich: Auch über ihn erfährt der Leser nichts Genaues.

Der Text beschreibt nur das Heute mit wenigen Ausflügen in die Vergangenheit, die aber nichts zur Aufklärung beitragen. Er verbleibt somit an der Oberfläche, was mir nicht genügt; von dir, jimmy, erwarte ich mehr.

 

Hallo Jimmy.


ich mag Texte, die mich rätseln lassen, wenn ich selber die „Gestalt schließen“ kann, mit einer Atmosphäre mitgehe. Interessant wäre für mich, ob du selber zunächst ein ganz klares Bild für die Hintergründe der Personen hast, oder sogar mehrere eigene mögliche Lesarten oder ob du eher aus dem Bauch heraus schreibst, solange bis dir die Figuren und ihr Verhalten passend erscheinen. Also, ist deine Haltung "So und so habe ich es gemeint und wenn das bei den meisten rüberkommt ist es gelungen." oder eher "es gibt viele Möglichkeiten, hier die Hintergründe zu deuten und genau das beabsichtige ich."? Oder "Das und das sollte schon deutlich werden, der Rest ist variabel"?

Nach meiner Lesart handelt es sich tatsächlich um ein ausländisches Mädchen. (die Avocadoszene, der Kreuzkümmel, den der Vater benutzt hat). Ich sehe sie in einer Jugend-WG oder im Heim. Der Vater könnte gestorben sein, die Maus wirkt auf mich wie ein Omen. Starkes Bild übrigens, auch mit den Etiketten, das hat sowas pedantisch Unbeholfenes und zeigt sie schon als „Aschenputtel“. Ich denke, dass da keine Mutter war. Und frage mich, wo die Narben an ihren Schenkeln herkommen. Sie wirkt so nachgiebig und duldsam, nur schweigt sie, wenn ihr danach ist, zeigt dem Jungen zwar ihren Körper, aber wenig von ihren Gedanken und Gefühlen. Als Leserin erfahre ich etwas mehr, habe einen kleinen Vorsprung. Ein paar Stellen, an denen ich hakte:

Ich weiß nicht, warum, ich tue es einfach.

Entbehrlich? Auch irritiert mich, dass sie sich die Frage hier stellt. Sie folgt ihm doch anscheinend immer. Oder ist das an einen Leser gerichtet?

Ich sehe mich selbst in dem großen, runden Spiegel am Ende des Raums. Ich strecke meine Arme aus, sie sind ganz leicht, ich spüre sie kaum, ich gleite in das Kleid, der Stoff liegt eng an, er liegt so eng an wie eine zweite Haut, und seine Hand ist warm, so warm, sie liegt auf meiner Schulter, streicht über Hals und Kopf, ich will nichts mehr als das – die Wärme, diese Wärme, diese Hand, die Nähe, und das alles so glänzt wie Schmuck, wie Schmuck, den ich nie besitzen werden, von dem ich nur träumen kann …

Der letzte Teil ist mir zuviel und etwas zu sehr diese „armes Mädchen-reicher Junge“-Geschichte. Zu märchenhaft. („wie Schmuck, den ich nie besitzen werden“ müsste ohne „n“)

„Dreh dich um“, flüstert er in mein Ohr. „Ich will dich sehen, ich will alles sehen.“ Und ich drehe mich um, er soll alles von mir sehen, es ist das Kleid seiner Mutter. Er ist ja da, jetzt, bei mir, und nur das zählt. Halt mich fest, bitte halt mich fest, alles wird gut, alles wird gut sein, daran glaube ich, so ist es doch immer. So ist es immer.

Dieses „Bitte halt mich fest“ wiederum weckt bei mir so Schlager-Assoziationen, ich kann ihr diese schwärmerische Sprache nicht so gut zuordnen, gerade auch, weil sie das Kalte, Harte an ihm durchaus wahrnimmt. Auch, wenn sie offenbar kein Gefühl dafür hat, wie krank das ist, was er da mit ihr und dem Kleid seiner Mutter macht. Anfangs dachte ich noch, sie prostituiert sich, sie lässt sich das von ihm gefallen, weil sie Geld braucht, Drogen oder so. Dass da bei ihr wirklich körperliche Sehnsucht dahinter liegt, Wünsche an ihn, dass sie emotional am Verhungern ist, (meine Interpretation) das schleicht sich sonst gut ein in den Text, aber hier an dieser Stelle wird es mir zu sehr behauptet.

Den Jungen finde ich gut gezeichnet, das Mutwillige. Der sie für irgendwas braucht, was auch über den Sex hinausgeht. Durch ihre Zurückhaltung kann er ihr seine Vorstellungen überstülpen. Der Kühlschrank passt. Dieses Elternhaus hat den Charme einer Gefriertruhe. Seine Zärtlichkeit mischt sich fast durchgängig mit Abwertung ihr gegenüber und einer Art Aggressivität, die ein sehr mulmiges Gefühl macht. Sie scheint das nicht anders zu kennen, wiederholt vermutlich ein Muster und man weiß nicht, wie weit er noch geht.

Am Ende denke ich dennoch nicht unbedingt an Mord. Eher, dass sie wie weggetreten ist.

Ich habe das gerne gelesen.

Gruß, Chutney

 

Manlio,

wo soll ich das geklaut haben?

Gruss, Jimmy

Ich antworte auf die anderen Kommentare nachher, sorry!

 

Manlio, boah, da kannste mal sehen, das hatte ich nicht auf dem Schirm. So viel Ray gelesen, da passiert so was wahrscheinlich! :D

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,
ich empfinde Geschichte als extrem sexy und bedrohlich zugleich. Das Ding mit dem Kleid ist ziemlich krank. Gerade in Deinem reduzierten Stil wirkt das Bild sehr stark. Ich wünschte mir fast, dass es sich endgültig auf eine Seite neigt, denn die Kiste steht damit auf der Kippe. Dass er sie tötet, oder vögelt, nur damit das Pflaster schnell abgerissen ist. So blieb ich als Leser in der Schwebe. Und will die Protagonistin ungerne alleine lassen, in der Situation.

Aufwühlend, irgendwie.

Grüßle, Gretha

 

@Dion @Chutney @Manlio @Gretha

und alle anderen: Neue Version oben, viele der von euch genannten Punkte um- und abgeändert, verbessert. Check it out.

Sorry, dass ich mich nicht früher diesbezüglich melden konnte. Life is a bitch sometimes.

Gruss, Jimmy

 

Das ist ein Text, bei dem ich mich frage, warum er geschrieben wurde.

Naja, könnte ich mich bei deinem Kommentar auch fragen.

Weil der Text mit den Erwartungen der Leser spielt. Fast alles befindet sich in der Schwebe, was dem Leser zu viele Möglichkeiten gibt, sich zu fragen, wie war dies oder jenes jetzt gemeint.

Ich würde ja glatt behaupten, dass dies sogar eine herausragende Qualität von Texten sein kann. Das Grau, abseits von Schwarz oder Weiß.

Manche sagen dazu, die Geschichte entwickle einen Sog, aber ich würde das als Sensationsgier bezeichnen, vergleichbar der, die man Bildzeitungslesern unterstellt, weil sie nach grausiger Details bei Tötungs- und noch mehr bei Sexualdelikten gieren und von der Zeitung auch befriedigt werden – nicht umsonst hat die Zeitung die größte Auflage hierzulande.

Ist ein bißchen ärgerlich auch, mit dem Niveau der BILD Zeitung in Verbindung gebracht oder im Grunde gleichgesetzt zu werden, weil deiner Meinung nach dieser Text eine ebenso grausige Sensationsgier entfacht. Ich könnte das sogar ein wenig nachvollziehen, wenn der Text diese Gier auch einlöst, was er aber nicht tut. Ganz schön reaktionäre Sicht auf Literatur hast dir zugelegt, Dion, nichts für ungut.

Gruss, Jimmy

 

Der jetzt geänderte Text hat die gleiche Schwäche wie der ursprüngliche: Nichts Genaues weiß man. Es wird eine Begegnung von zwei sonderbaren Menschen geschildert, mehr nicht. Keine Hintergründe und keine Rückblenden, die für diese Geschichte wichtig wären, sondern eine bloße Aneinanderreihung von Fakten, gesehen und empfunden von der Ich-Erzählerin.

Diese Fakten erscheinen beliebig, denn weder die Meeresfrüchte, noch die Avocadofrucht spielen wirklich eine Rolle. Das nur als Beispiel. Man könnte zwar vermuten, dass sie eine Masochistin ist – und er ein Sadist –, aber sicher ist das nicht, denn eine masochistisch veranlagte Person würde nicht versuchen sich aus seinem Griff zu befreien, noch würde sie ihn hinterher fragen, warum er ihr weh getan hat. Gut, sie könnte auch devot sein und glaubte bisher, in ihm ihren Meister gefunden zu haben. Aber weil devote Menschen nicht auf körperliche Schmerzen stehen, wird sie ihn wahrscheinlich bei der erstbesten Gelegenheit verlassen.

Natürlich will man dahinter kommen, was da gespielt wird, also liest man weiter – und wird enttäuscht. Dieser Text funktioniert nur, weil da zwei sonderbare Menschen agieren, und weil er gut geschrieben ist. Du zeigst viel und erklärst wenig, was gut ist. Aber die so erzeugten, durchaus interessanten Bilder führen zu nichts. Oder zu einem Ende, in dem alles möglich ist.

Mit wenig Worten viel zu sagen ist ein Wert an sich, das kann nicht jeder. Aber das Gesagte sollte einen Zweck haben, der außerhalb der bloßen Worte bzw. außerhalb der damit erzeugten Bilder stehen sollte. Bei dieser Geschichte ist das nicht der Fall. Leider, denn die knappe Sprache ist hier nur Selbstzweck. Du, jimmy, berauscht dich hier lediglich an deinem Können, aber das reicht für eine Geschichte, die diesen Namen verdienen würde, nicht.

 

@Dion

Der jetzt geänderte Text hat die gleiche Schwäche wie der ursprüngliche: Nichts Genaues weiß man.

Man könnte auch behaupten, das sei eine Stärke des Textes. Was ich damit sagen will - ob der Text eine Aussage macht oder hat, oder auch nicht, das spielt dann eine Rolle, wenn ich mich nicht darauf einlassen will und kann. Das ist eine interne Angelegenheit des Lesers, der an diesen Text mit einer gewissen Erwartungshaltung herantritt.

Diese Fakten erscheinen beliebig, denn weder die Meeresfrüchte, noch die Avocadofrucht spielen wirklich eine Rolle

Für viele andere Leser spielen sie aber eine Rolle. Und nur, weil du, Dion, das jetzt so empfindest, ist das die absolute Meinung über diesen Text? Warum dann überhaupt noch diskutieren?

Natürlich will man dahinter kommen, was da gespielt wird, also liest man weiter – und wird enttäuscht.

Du sagst also, du bist im Grunde auch einer dieser BILD-Leser, die etwas lesen, weil sie ihre Gier nach Blut und Eingeweide befriedigt wissen wollen? Und jetzt liefert der Text nicht und du bist enttäuscht. Tja.

Du, jimmy, berauscht dich hier lediglich an deinem Können, aber das reicht für eine Geschichte, die diesen Namen verdienen würde, nicht.

Dann frage ich mal andersherum: Was wäre das denn, wenn es keine Geschichte ist?

Gruss, Jimmy

 

Dann frage ich mal andersherum: Was wäre das denn, wenn es keine Geschichte ist?
Die Frage habe ich bereits beantwortet, wenn auch nicht so direkt: Dies ist ein Text, der im Stil und Form sehr gut ist, aber eben keine Geschichte im eigentlichen Sinn, weil eine gesellschaftliche Relevanz fehlt.

 

@Dion

Die Frage habe ich bereits beantwortet, wenn auch nicht so direkt: Dies ist ein Text, der im Stil und Form sehr gut ist, aber eben keine Geschichte im eigentlichen Sinn, weil eine gesellschaftliche Relevanz fehlt.

Also müssen Geschichten zwangsläufige eine gesellschaftliche Relevanz haben? Ich weiß nicht, für mich klingen deine Aussagen ein bisschen so, als würdest du es dir gerade so hinbiegen, wie du es gerne haben möchtest und wie es dir nutzt.

 

Also müssen Geschichten zwangsläufige eine gesellschaftliche Relevanz haben?
Man kann dazu auch sagen: Texte müssen eine tiefere Bedeutung jenseits der Worte haben, damit daraus eine Geschichte wird. Was nützen kunstvoll gebaute und gut klingende Sätze, wenn sie nur das sind? Was nützt es, mit wenigen Worten viel zu sagen, wenn dieses Viel kaum eine Bedeutung hat?

Deine Bemühungen um knappe Sprache sind bewundernswert, jimmy, aber mir scheint, du vergisst darob manchmal, Geschichten zu erzählen.

 

Denn wenn du sagst, der Text müsse gesellschaftlich relevant sein, dann fängst du ja an, Forderungen zu stellen, baust eine Messlatte auf, an die der Text erst mal heranreichen muss, um bestehen zu können.
Ganz genau: Literatur muss diese Messlatte überspringen, sonst ist sie keine Literatur. Ohne diesen Anspruch, könnte man jeden beliebigen Text zur Literatur erklären.

Natürlich freue ich mich, wenn Texte politische Relevanz haben, wenn sie zeitkritisch sind, Probleme unserer Gesellschaft ans Tageslicht bringen. Aber warum so apodiktisch sein?
Es geht hier weder um die politische Relevanz, noch um gesellschaftlichen Probleme, sondern um den Inhalt. Eine schöne Form ohne Inhalt kann natürlich per se schön sein. Aber sie ist eben leer, ist wie eine Vase ohne Blumen.

Es gab eine Zeit, @Manlio, als man sich in der Poesie an der Form berauschte: Da waren die Reime, die Worte wichtiger als das, was damit gesagt wurde. Wer bei Prosa der Form das Wort redet, d.h. schon zufrieden ist, wenn die stimmt, der betreibt das gleiche.

Um Missverständnisse vorzubeugen: Um einen Text zur Literatur zählen zu können, muss beides, Form und Inhalt/Funktion, stimmen.

Das gilt übrigens für alle Künste.

 

Dion schrieb:
Ganz genau: Literatur muss diese Messlatte überspringen, sonst ist sie keine Literatur.
Wer sich ein Bild darüber machen möchte, wie Komplex das Thema ist, kann bsp. einen Blick in den entsprechenden Wikipedia-Artikel werfen, in dem zumindest versucht wird, eine Definition abzuliefern. Und diese wird mMn vermutlich auch einer Dynamik unterworfen sein.

Ich denke, die Kontroverse führt zu weit und wird hier definitiv den Rahmen sprengen.

Ich habe das heute schon andernorts geschrieben: Bleibt doch beim Text und tauscht euch gerne weiter über Grundsätzliches via PN aus.

 

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