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Du wohnst hier nicht mehr

Monster-WG
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10.07.2020
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Du wohnst hier nicht mehr

Mit einem Zischen öffneten sich die Bustüren. Peter nahm die Lego-Tüte und die Aktentasche und stieg aus. Unten, in der Innenstadt, funkelten die Bürotürme; in der Ferne kreischten Sirenen. Hier oben hatte bereits die abendliche Ruhe Einzug gehalten. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: 19.26 Uhr. Er wartete, dass der Bus weiterfuhr, und überquerte die Straße.
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle wurde noch gearbeitet. Zwei Mechaniker betrachteten die Unterseite eines aufgebockten Ford Fiesta. Ich muss Muriel daran erinnern, die Reifen wechseln zu lassen, dachte er.
Erste, dicke Tropfen fielen vom Himmel. Er beschleunigte seine Schritte. Im Vorbeigehen bemerkte er einen neuen Wagen in der Einfahrt der Baders — einen elektrischen. Muriel und er hatten von einem Elektrischen gesprochen, vor der Katastrophe. Heute konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie den Passat bekam.
Seit seinem Auszug kam er ein- bis zweimal pro Woche vorbei, am Dienstagabend und am Sonntag. Er verbrachte Zeit mit Leon und Lisa, und Muriel bereitete das Essen vor. Sie gaben sich große Mühe, nicht vor den Kindern zu streiten. Was nicht einfach war, denn Muriels Anwalt war frech.
Die Schultern seines Regenmantels waren durchnässt, als er das Haus erreichte. Die Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet.

Fast hätte er es übersehen. Er blieb stehen und las den Namen auf dem Briefkasten erneut. Nguyen-Lasser.
Er blinzelte. Trat näher. Der laminierte Schriftzug glänzte im Licht der einzigen Laterne des Wendehammers. Der Doppelname war in einer großen, serifenlosen Schrift gedruckt, schwarz auf weiß. Er lächelte irritiert. Warum sollte Muriel das Briefkastenschild austauschen? Das ergab keinen Sinn. Vielleicht hatten Kinder aus der Nachbarschaft ihnen einen Streich gespielt, oder, eher noch, dem Briefträger? Er runzelte die Stirn. Was für ein Streich wäre das? Kinder spielten Klingelstreiche, klar, aber welche Kinder druckten und laminierten falsche Namensschilder und klebten diese auf fremde Briefkästen? Er fuhr mit dem Finger über das Schild. Es wellte sich leicht, als sei es ein paar Jahre alt. Dabei war er am Sonntag hier gewesen. Da hatte noch Hoffmann auf dem Briefkastenschild gestanden, in Großbuchstaben, H-O-F-F-M-A-N-N, und darunter ein Aufkleber: Bitte keine Werbung einwerfen. Aber der Aufkleber fehlte genau so wie das Namensschild. Er trat einen Schritt zurück.
Der Passat stand nicht im Carport. Stattdessen ein langes, graues Rechteck - etwas, das wie ein mit einer Plane verdecktes Boot aussah. Peter wollte schlucken, aber seine Kehle war trocken.
Langsam ging er auf die Eingangstür zu. Er klingelte nicht, sondern lief am Rand des Blumenbeets entlang, bis er vor dem Wohnzimmerfenster stand.
Eine Bogenlampe mit einem tropfenförmigen Schirm tauchte den Raum in ein weiches Licht. Eine dunkelhaarige Frau lag auf der Couch und blätterte in einer Zeitschrift. Auf dem Teppich drehte ein Säugling eine Rassel hin und her. Am Esstisch saß ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, und schrieb etwas mit ausgestreckter Zungenspitze in ein Heft.
Die Frau war nicht Muriel und die Kinder waren nicht Lisa und Leon. Und auch den Mann, der in diesem Moment mit zwei Tassen ins Wohnzimmer trat, hatte er noch nie gesehen.
Peter stand vor dem Fenster und beobachtete die Fremden in seinem Haus. Er hatte das Gefühl, sich einem Abgrund zu nähern. Wo war seine Frau, wo waren seine Kinder? Und wer waren diese Menschen? Tief in ihm erwachte etwas. Er zwang sich, langsam ein- und auszuatmen.
Der Mann hatte inzwischen eine der Tassen auf den Couchtisch gestellt. Die Frau nickte, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen. Der Mann sagte etwas, das Peter nicht hören konnte, und setzte sich neben das schreibende Mädchen. Peter spürte das Pochen seiner Halsschlagader. Wann hatte er zuletzt mit Muriel gesprochen? Kurz vor der Mittagspause - er hatte sie angerufen, ehe er mit Frantzen und Alcan zum Italiener gegangen war. Sie war kurz angebunden gewesen, wie so oft in den vergangenen Monaten. Leon freut sich auf dich, hatte sie gesagt. Es gibt Phad Thai. Sei pünktlich. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie ihn nicht sehen wollte. Dass sie - was? Das Haus aufgegeben hatte und fortgezogen war? Dass sie die Kinder mit sich genommen hatte, ohne ihn zu informieren? Einfach so, innerhalb von zwei Tagen? Schließlich war er noch vorgestern hier gewesen. Er war mit Leon und Lisa zum Spielplatz am Ende des Neubaugebiets gegangen. Leon hatte ihm gezeigt, wie er auf dem Klettergerüst balancierte, und Lisa hatte im Buggy mit dem abgewetzten Krümelmonster gespielt. Leon hatte von der Lego-Pirateninsel gesprochen und von einem Jungen aus seiner Klasse, der mit seinem Vater angeln ging, und … Nein, Peter war sich sicher: Noch vor zwei Tagen hatten Muriel und die Kinder in diesem Haus gewohnt. In diesem Haus, in dem jetzt eine fremde Familie war. Er spürte Schweißtropfen auf der Stirn. Sein Magen zog sich zusammen.
Er taumelte zurück, durch das Blumenbeet, und wäre fast über den niedrigen Zaun gestürzt. Im letzten Moment fing er sich. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen, im Licht der einzigen Laterne im Wendehammer, und dachte nach. Dann drehte er sich nach rechts. Er rannte über die Auffahrt der Baders, am elektrischen Auto vorbei, und pochte gegen die Terrassentür.
Nach ein paar Augenblicken wurde Licht eingeschaltet. Peter blickte von außen in Hector Baders Arbeitszimmer. Ein weißhaariger Mann in einem dunklen Bademantel stand in der Tür und blickte ihn verärgert an. Peter pochte weiter. “Mach auf, verdammt!”, schrie er.
Der Mann im Bademantel durchquerte das Arbeitszimmer, kniff die Augen zusammen und blickte Peter angestrengt an. Dann öffnete er die Terrassentür. “Peter - du bist…”, sagte er mit heiserer Stimme, räusperte sich, setzte wieder an: “Was machst du hier?”
Peter sah ihn verständnislos an. Dann hob er die Lego-Tüte hoch. “Leon hat heute Geburtstag”, sagte er. “Ich habe ein Geschenk für ihn.”
Hector Bader presste seine Lippen aufeinander. Jetzt erst bemerkte Peter die hohlen Wangen seines Nachbarn, die geplatzten Äderchen, die Augenringe.
“Das …”, sagte Hector. Seine Stimmte stockte. Er hob die Hand, senkte sie wieder. “Das ist doch schon Jahre her.”
“Was? Was ist Jahre her?”
Der Alte sah traurig ihn an. “Die Sache mit deiner Frau und deinen Kindern”, sagte er. “Das ist doch schon Jahre her."
Peter hatte auf einmal das Gefühl, über einem gähnenden Abgrund zu stehen.
“Aber, ich …”, sagte er. Dann spürte er heftigen Zorn in sich aufsteigen. “Ich habe heute Mittag mit Muriel gesprochen!”, schrie er. “Was soll das? Warum sind sie nicht da? Wo sind sie?”
Der Alte schüttelte den Kopf und griff nach Peters Handgelenk. “Warum kommst du nicht rein?” Ohne auf eine Reaktion zu warten, zog er Peter über die Schwelle.
Wie in Trance folgte Peter seinem Nachbarn in die Küche. Im Vorbeigehen sah er ein schwarzgerahmtes Bild von Monica auf einer Kommode. Ist sie gestorben? Er erinnerte sich nicht.
Hector setze ihn auf einen wackligen Küchenstuhl, nahm ihm die Lego-Tüte und seine Aktentasche aus den Händen und stellte sie auf dem Fliesenboden ab. Dann öffnete er eine Schranktür und zog einen Kaffeefilter aus der Schachtel.
Peter bemerkte, dass Hectors Hände zitterten.
“Du wohnst hier nicht mehr”, sagte Hector, während er den Filter in eine Kaffeemaschine einlegte. “Schon lange nicht mehr.”
Peter schüttelte den Kopf. “Ich war vorgestern hier. Ich komme aus der Kanzlei. Ich habe ein Geschenk für Leon. Muriel ist abgehauen und hat sie mitgenommen. Das ist es. Sie hat die Kinder mitgenommen.” Er zögerte. "Oder?"
Hector nahm eine Plastikdose aus dem Schrank, öffnete sie und begann Kaffeepulver in den Filter zu löffeln. “Ich glaube, wir sollten jemanden anrufen”, sagte er. “Jemanden, der dir helfen kann.”
Peter schüttelte den Kopf. “Muriel hat die Kinder. Sie hat alles mitgenommen. Sie hat gewartet, dass ich in der Kanzlei bin, und hat alles mitgenommen.”
Der Alte füllte Wasser in den Tank der Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Nach ein paar Sekunden begann sie leise zu brodeln. “Sie sind schon lange weg”, sagte er langsam und nachdrücklich. “Du wohnst hier seit acht Jahren nicht mehr, Peter. Du arbeitest auch nicht mehr in der Kanzlei.”
Der Abgrund öffnete sich dunkel und leer. Peter fiel ins Bodenlose.
“Aber …”, stammelte er und sah sich hilflos um. Das konnte nicht sein. Er war noch am Sonntag hier gewesen, hatte Muriel und die Kinder gesehen. Sein Hemd war schweißnass. Wie von Ferne hörte er seine eigenes, lautes Heulen, und spürte, wie der Abgrund ihn verschlang. Mit dem Fuß trat er versehentlich die Aktentasche um. Ihr Verschluss sprang auf und ihr Inhalt ergoss sich auf den hellen Fliesenboden. Mit leeren Augen starrte Peter auf einen Haufen vergilbter Prospekte.

Hector Bader stand noch lange rauchend am Fenster des Arbeitszimmers und schaute zum Nachbarhaus. Inzwischen war wieder Ruhe am Wendehammer eingekehrt. Nach dem Notarzt und dem Rettungswagen war auch die Polizeistreife abgefahren. Zwei junge Polizistinnen hatten erst mit ihm, dann mit den Nguyen-Lassers und schließlich mit ihnen zusammen gesprochen.
Die Nguyen-Lassers hatten schweigend, aber mit zunehmendem Entsetzen zugehört, als die Polizistinnen ihnen von Hoffmanns erzählten. Ein paar Mal ergänzte Hector, was sie nicht wussten. Peter war vor acht Jahren ausgezogen. Ein paar Monate später war Muriel mit den Kindern verschwunden. Sie hatten nichts mitgenommen, keine Kleidung, kein Spielzeug, kein Geld. Soweit Hector wusste, hatte Peter einen Zusammenbruch erlitten und lange Zeit in Kliniken verbracht. Ein paar Mal hatten sie noch lose Kontakt gehabt - Telefonate, die sich schnell in Belanglosem verloren -, aber dann hatte Peter sich nicht mehr gemeldet. Die Polizistinnen deuteten an, dass er in Einrichtungen lebte.
Hector seufzte. Nach Muriels Verschwinden war Monica wie betäubt gewesen. Sie hatte nur wenig gesprochen, das Haus kaum verlassen. In gewisser Weise, dachte Hector, war ihre Diagnose eine Erlösung gewesen.
Am Tag vor dem Arztgespräch, Hector war bei Kunden gewesen, hatte sie im Keller aufgeräumt. Dabei musste sie die frisch umgegrabene Erde entdeckt haben.
Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf dem Fensterbrett aus und schloss das Fenster. In der Küche räumte er die Tassen in die Spülmaschine und warf den gebrauchten Kaffeefilter in den Biomüll. Bevor er das Licht löschte, nahm er einen Kugelschreiber vom Kühlschrank und kreuzte den Tag im Wandkalender aus. Dann ging er in das fensterlose Bad neben der Eingangstür, setzte sich aufs Klo und pinkelte. Seit Monica nicht mehr da war, machte er die Tür dabei nicht mehr zu. Als er fertig war, nahm er die elektrische Zahnbürste und putzte sich drei Minuten lang die Zähne. Die Zahnseide hatte er aufgegeben.
Er verließ das Badezimmer und ging durch alle Räume im Erdgeschoss, um sicherzugehen, dass die Fenster geschlossen waren. Dann öffnete er die Kellertür und stieg die Treppe hinab. Im Vorbeigehen drückte er den Lichtschalter. Zwei Leuchtröhren knisterten leise, flackerten kurz und tauchten dann den niedrigen Raum mit der gewölbten Decke in gleißendes Licht. Links und rechts standen Aluminiumregale aus dem Baumarkt. Flaschen, Einmachgläser, Konserven. In der Mitte des Raumes, auf einer Bierzeltgarnitur, lag der Blaumann.
Am Ende, als Monica bei zugezogenen Vorhängen im Bett gelegen und die Minuten zwischen den Infusionen aus der Schmerzpumpe gezählt hatte, war er oft in den Keller gegangen.
Er entkleidete sich bis auf die Unterhose. Den Bademantel, das T-Shirt und die Jogginghose legte er ordentlich gefaltet auf den Tisch; die Pantoffeln stellte er darunter. Dann schlüpfte er in den Blaumann. Zuletzt zog er ein Paar robuste Gummischuhe an. Seit er sich im Kriechkeller einen Zeh gebrochen hatte, legte er Wert auf sicheres Schuhwerk. Als er fertig angezogen war, nahm er eine kleine Taschenlampe aus einem Regal und wandte sich dem Kopfende des Raums zu.
Die hüfthohe, gusseiserne Tür war mit einem schweren Rad versehen. Er fasste es mit beiden Händen und drehte es mit einem Ruck nach links. Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür auf. Zitternd ging er auf allen Vieren und kroch in den Kohlekeller. Der Raum war ein enger Schlauch. Von den Wänden schien permanent etwas herabzurieseln. Er zog den Kopf ein und krabbelte vorwärts. An der Stelle, wo er im Frühling vor zwei Jahren Muriel und den Säugling vergraben hatte, kam ihm der gestampfte Lehmboden weich und warm vor. Einen Meter dahinter ertastete er den Riegel, der die Falltür blockierte. Mit einer routinierten Bewegung löste er ihn und zog die Tür auf. Er knipste die Taschenlampe an, klemmte sie sich zwischen die Zähne und stieg die Alu-Leiter hinab. Unten angekommen, blieb er einen Moment in der Hocke und wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Die Kinder lagen im Stockbett und schliefen: Leon unten, Lisa oben. Die Stehlampe war gelöscht, nur der Fernseher flimmerte lautlos. Hector krabbelte zu dem Tisch neben dem Bett und nahm einen Filzstift. Auf einem Wandkalender, der über dem Tisch hing, kreuzte er den Tag aus.
Leon bewegte sich auf seiner Matratze. Blinzelte in die Dunkelheit. “Papa?”, sagte er.
“Pssst”, machte Hector und krabbelte zu Leons Bett.
“Was hast du da?”
Hector lächelte. “Herzlichen Glückwunsch, Großer!”, sagte er und legte die Tüte aus dem Lego-Laden neben das Kopfkissen.

 

Hi @Christophe,

da bin ich doch tatsächlich einmal die Erste!
Ich bin kein Horrorprofi, da wird es noch kompetentere Kommentare geben, aber fange gern mit meinen Eindrücken an.
Grundsätzlich ist das Thema der Agst, das verrückte Uiversum, schön und langsam eingeführt. Das Märchen von dem, der in einem Wald einschläft und wenn er herauskommt, ist es hundert Jahre später und alle, die er kannte, sind tot, hat mich schon als Kid ganz nachhaltig beeindruckt. Das ging soweit, das ich mir im Kaufhaus vorstellte, ich könnte so eine einseiteíge Zeitverzerrung durch eine ungeschickte Bewegung hervorrufen, und dann wären zwanzig Jahr um und mein Vater alt und würde mich nicht mehr erkennen, und ich wäre immer noch ein Kid! Da kann man gar nicht vorsichtig genug sein.
Also erstmal: schönes Thema, auch im klassischen (vermutlich Frankfurter Raum?) Suburbia gut positioniert.
Du hast ein paar sehr schöne Beobachtungen, mit denen du das Setting setzt: Passanten mit beleuchteten Hunden, Einkaufsauto auf der Straße, Familienauto VOR der Garage zum Beispiel. Da weiß man sofort, wo man ist.
Insgesamt nimmt aber die Einleitung sehr viel Raum ein. Und das hängt natürlich an den vielen Bezügen auf die Trennung. Im Grunde braucht die Horrorgeschichte braucht die Trennung nicht. Er könnte von einem Gerichtstermin in einer anderen Stadt nach zwei Tagen Abwesenheit zurückkehren. Für mein Empfinden ist das Drama größer, je glücklicher die Familie ODER je größer die Nähe zu den Kindern. (z. b. Muriel und Peter sind getrennt, und er vermisst die Kinder sehr. Er hat Angst, dass M. den Kontakt begrenzt/ beschädigt etc.)

Die zweite Sache ist, dass die Auflösung ja doch sehr schnell abgewickelt wird. Warum in aller Welt hat der Nachbar die drei umgebracht? War das geplant? Und wo sind die Leichen jetzt? (Ein Plastikfass hält den Geruch nicht einmal kurzfristig auf.) Und welche Diagnose? Und wann genau und wieso genau ist Monica jetzt tot? Anfangs nimmst du dir Zeit für die Geschichte, am Ende leider nicht mehr. Es gibt natürlich die Möglichkeit, das Ende zu vereinfachen: Peter ist noch traumatisiert von dem Tag, an dem er die blutenden Leichen seiner (Ex-)Frau und seiner Kinder im Wohnzimmer fand. Ist aber weniger interessant als der sinistre Nachbar. Vielleicht etwas mehr Nachbar und etwas weniger Beziehungsgeschichte? Ob sie früher mal gebatikt hat, ob sie auch ein Anwaltstöchterchen ist, bzw. war, oder ein gebatiktes Anwaltstöchterchen, die gibt es ja auch, spielt letztlich keine Rolle.

Bin gespannt, was hier weiter wird, gern gelesen,
Herzlich
Placidus

 

Hallöchen @Christophe

Im Grunde kann ich mich hier Placidus anschliessen – das Thema (und wie du es in eine Geschichte verpackt hast) fand ich anreizend und nicht im Mindesten durchgekaut oder stereotypisch. Die trockenen Erdbrocken - schaurig. Aber: Ich hätte gerne länger gelesen. Bitte schreib mehr!:lol:
Damit meine ich (natürlich) nicht, dass du den Plot näher aufklären bzw. die Geschichte unnötig hinauszögern solltest, aber das Ende war im Gegensatz zur Einleitung dann wirklich zu kurz geraten (darfst Bader auch gerne mehr beleuchten: die Motive, der Hergang, wie er da reingerutscht ist bzw. das grosse Weshalb) – wie der Moment, in dem man ein gutes Buch beendet und es zuschlägt, enttäuscht, das die Reise bereits zu Ende ist.

Ich freue mich, mehr zu lesen!
Liebgrüsschen
icarus_flew

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Christophe,

dein Text ist für mich wie ein Puzzle. Nach und nach setzt man zusammen, was wohl mit Muriel und den Kindern passiert ist. Vielleicht passt auch die Einordnung Krimi/Mystery? Der gewählte tag sagt mir aber, dass dir der Horror-Aspekt wichtiger ist. Zum Mitraten ist es also wohl nicht primär ausgelegt. Die meisten Informationen sind dicht verpackt am Schluss, was besonders wegen dem ausführlichen Anfang auffällt. Ich habe weder gegen das eine noch das andere etwas auszusetzen, nur in Kombination ist es mir eben aufgefallen.
Nach der angedeuteten Auflösung am Schluss, dass Hector der Mörder war, habe ich den Text ein zweites Mal gelesen. Dabei sind mir Stellen aufgefallen, die diese Theorie doch nicht so plausibel machen, also bin ich mir nicht mehr so sicher.

Ein paar Mal ergänzte Hector, was er wusste. Viel war das nicht.
Hier zum Beispiel. Wenn Hector so wenig über Peter wusste, was hat ihn dann zu so einer schrecklichen Tat gebracht? Ich kann sein Motiv noch nicht ganz begreifen.
Vielleicht war Peters Auszug ein Anlass für Hector, die Situation zu "nutzen"? Keine Ahnung, mit so wenigen Anhaltspunkten ist es schwierig, mir die Gedanken eines Mörders zusammenzureimen.
In gewisser Weise, dachte Hector, war die Diagnose für sie eine Erlösung gewesen.
Ich denke, die Diagnose bezieht sich auf Hector. Und auch Monica leidet darunter, dass es ihm schlecht geht. Zusätzlich hat Peter (unabhängig davon?) auch noch ein Päckchen zu schleppen. In Summe sehr heftig, was in der Geschichte alles drinsteckt. Schwierig, das zu beurteilen, aber ist ein kurz gehaltener Schlussteil dafür die beste Umsetzung?

Noch eine Kleinigkeit:

Das machte keinen Sinn.
Das ergab keinen Sinn wäre korrekt, so ist es ein umgangssprachlicher Anglizismus.

Viele Grüße
Michael

 

Hallo @Placidus, @icarus_flew und @Michael Weikerstorfer,

vielen Dank für eure ausführlichen Kommentare! Ich habe mich mit ihnen beschäftigt und will versuchen, auf eure Hinweise einzugehen. Eines vorab: Ich habe das Ende des Textes umgeschrieben. Für mich fühlt sich das runder an - bin gespannt, wie ihr es findet.

@Placidus - vielen Dank für deinen Kommentar!

Grundsätzlich ist das Thema der Agst, das verrückte Uiversum, schön und langsam eingeführt. Das Märchen von dem, der in einem Wald einschläft und wenn er herauskommt, ist es hundert Jahre später und alle, die er kannte, sind tot, hat mich schon als Kid ganz nachhaltig beeindruckt. Das ging soweit, das ich mir im Kaufhaus vorstellte, ich könnte so eine einseiteíge Zeitverzerrung durch eine ungeschickte Bewegung hervorrufen, und dann wären zwanzig Jahr um und mein Vater alt und würde mich nicht mehr erkennen, und ich wäre immer noch ein Kid! Da kann man gar nicht vorsichtig genug sein.
Hehe. Ja, das war auch mein Einstieg - die erste Idee lautete "Vater kommt nach Hause und Familie ist weg". Also eine Alltagssituation, die von einem Moment auf den nächsten zerfällt. Daraus ist dann nach und nach die vorliegende Story geworden.
Also erstmal: schönes Thema, auch im klassischen (vermutlich Frankfurter Raum?) Suburbia gut positioniert.
Och neee, so deutlisch iss dess? :hmm:
Insgesamt nimmt aber die Einleitung sehr viel Raum ein. Und das hängt natürlich an den vielen Bezügen auf die Trennung. Im Grunde braucht die Horrorgeschichte braucht die Trennung nicht. Er könnte von einem Gerichtstermin in einer anderen Stadt nach zwei Tagen Abwesenheit zurückkehren. Für mein Empfinden ist das Drama größer, je glücklicher die Familie ODER je größer die Nähe zu den Kindern. (z. b. Muriel und Peter sind getrennt, und er vermisst die Kinder sehr. Er hat Angst, dass M. den Kontakt begrenzt/ beschädigt etc.)
Da bin ich anderer Meinung, weil ich das Thema der Story ein bisschen anders sehe: Es geht um den Vater, der im Zuge einer Trennung seine Familie verliert. Im Plot ist das ein ganz buchstäblicher Verlust - sie sind auf einmal einfach weg. Im Subtext geht es mir aber um das, naja, existentielle Grauen, das er empfindet, wenn seine engste Umgebung sich plötzlich verändert, fremd wird. Der Horror der Story steckt für mich tatsächlich in dieser Frage: Wie fühlt es sich an, wenn vormals enge Beziehungen sich auflösen - gerade die zu den Kindern? Und deshalb ist es auch wichtig, dass die Situation sich für den Protagonisten nicht auflöst - für ihn hat sich am Ende der Story nichts verändert, er lebt immer noch in seiner eigenen Horror-Welt.
Die zweite Sache ist, dass die Auflösung ja doch sehr schnell abgewickelt wird. Warum in aller Welt hat der Nachbar die drei umgebracht? War das geplant? Und wo sind die Leichen jetzt? (Ein Plastikfass hält den Geruch nicht einmal kurzfristig auf.) Und welche Diagnose? Und wann genau und wieso genau ist Monica jetzt tot? Anfangs nimmst du dir Zeit für die Geschichte, am Ende leider nicht mehr. Es gibt natürlich die Möglichkeit, das Ende zu vereinfachen: Peter ist noch traumatisiert von dem Tag, an dem er die blutenden Leichen seiner (Ex-)Frau und seiner Kinder im Wohnzimmer fand. Ist aber weniger interessant als der sinistre Nachbar. Vielleicht etwas mehr Nachbar und etwas weniger Beziehungsgeschichte? Ob sie früher mal gebatikt hat, ob sie auch ein Anwaltstöchterchen ist, bzw. war, oder ein gebatiktes Anwaltstöchterchen, die gibt es ja auch, spielt letztlich keine Rolle.
Ja, da hast du recht. Das Ende war zu knapp. Der Grund hierfür war, dass ich am Ende keine große Horror-Show veranstalten wollte - für mich ist der Horror, wie gesagt, in der ausweglosen und grauenhaften Situation des Protagonisten verortet, nicht so sehr in dem, was eigentlich passiert. Trotzdem fand ich das bei erneutem Lesen Ende auch zu knapp. Mit dem jetzigen Ende bin ich noch nicht super-zufrieden, aber es öffnet zumindest noch eine andere Lesart, die vielleicht auch zum Trennungs-Horror passt: Ein anderer Mann hat ihm die Familie buchstäblich weggestohlen. Mal sehen, wie das funktioniert.

@icarus_flew - vielen Dank für deinen Vorschlag! Ich habe Bader ein neues Ende spendiert, bin gespannt, was du davon hältst!

@Michael Weikerstorfer - danke für deinen Kommentar!

Zum Mitraten ist es also wohl nicht primär ausgelegt.
Uargh, nein, für komplizierte Krimi-Plots bin ich definitiv nicht geeignet! :sick:
Vielleicht war Peters Auszug ein Anlass für Hector, die Situation zu "nutzen"? Keine Ahnung, mit so wenigen Anhaltspunkten ist es schwierig, mir die Gedanken eines Mörders zusammenzureimen.
Ja, danach sieht es aus. Wie oben erklärt, ging es mir beim Schreiben nicht so sehr um Hector und seine Motivation, sondern eher um dieses Grauen, das Peter empfindet, wenn seine Welt sich einfach auflöst. Ich habe deinen Kommentar und die anderen Kommentare zum Anlass genommen, das Ende ein bisschen nachzuschärfen - vielleicht ist das jetzt befriedigender?
In gewisser Weise, dachte Hector, war die Diagnose für sie eine Erlösung gewesen.
Ich denke, die Diagnose bezieht sich auf Hector. Und auch Monica leidet darunter, dass es ihm schlecht geht.
Nein, es ist Monicas Diagnose, sie erfährt, dass sei todkrank ist. Ich habe das mal etwas deutlicher gemacht, danke für den Hinweis!
Schwierig, das zu beurteilen, aber ist ein kurz gehaltener Schlussteil dafür die beste Umsetzung?
Also, mittlerweile sage ich mal, nein. :D
Vielen Dank für deinen Kommentar!

 

Hey @Christophe

und welcome back, sag ich mal. Oder warst Du nie weg? :hmm: Anyway, war sehr gespannt, was Du für 'ne Horror-Story mitgebracht hast. Für mich hätte die auch unter der Rubrik 'Seltsam' stehen können, aber durch das neue Ende wird das bisschen relativiert. Naja, eh etwas nebensächlich. Also ich habe den Text mit Spannung gelesen, das hast Du gut hingekriegt, ich wollte wissen, wie es ausgeht und auf was das hinausläuft. Der ausführlichere Schluss hat der Geschichte auf jeden Fall gut getan, es wirkt jetzt viel runder. Vorher hat es mich eher irritiert, weil ich da keinen Zusammenhang feststellen konnte. Eine gelungene Überarbeitung, wie ich finde. Hector hat sich also Peters Kinder geholt und Muriel umgebracht. Man erfährt nicht, warum er das getan hat, vielleicht hat er sich immer Kinder gewünscht und das wurde ihm und seiner Frau nie vergönnt, wer weiss. Aber das braucht auch nicht detailliert aufgeschlüsselt zu werden, so wie es da steht, finde ich es ausreichend und ich kann mir als Leser so meine eigenen Gedanken dazu machen.

Ich gehe mal noch bisschen ins Detail:

In den Häusern brannte Licht.
Kurz darauf kommt folgender Satz:
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle brannte noch Licht.
Ich würde da etwas variieren, vielleicht: In der Autowerkstatt gegenüber wurde noch gearbeitet. Dann hast Du da automatisch drin, dass noch Licht brennt. Naja, nur ein Vorschlag.

Aber das Fehlen einer ordentlichen Beleuchtung und die vielen Schnapsflaschen und Bierdosen machten die meisten Eltern im Neubaugebiet nervös.
Ich glaube, es sind nicht die Flaschen und Dosen, welche die Eltern nervös machen, sondern vielmehr die Alkoholiker/Penner/Jugendlichen whatever die sich dort rumtreiben, oder? Ansonsten liest sich die Stelle fast so, als hätten die Schnapsflaschen und Bierdosen ein Eigenleben entwickelt.

Die Geschichte fand ich grösstenteils gut geschrieben. Bei ein paar Stellen hatte ich aber den Eindruck, Du könntest die Satzanfänge etwas variieren. Eine Stelle mal als Beispiel:

Der Mann hatte inzwischen eine der Tassen auf den Couchtisch gestellt. Die Frau hatte genickt, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen. Der Mann hatte etwas gesagt, das Peter nicht hören konnte, und sich dann neben das schreibende Mädchen gesetzt.
Der Mann. Die Frau. Der Mann. Das liest sich wie eine Aufzählung, würde das abwechslungsreicher gestalten.

Dass sie die Kinder mit sich genommen hatte, ohne in zu informieren?
Kleiner Schreibfehler: in = ihn.

“Peter - du bist…”, sagte er mit der blechernen Stimme eines lebenslangen Rauchers,
Mmmh, klingt die Stimme eines lebenslangen Rauchers 'blechern'? Mich erinnert das eher an die artifizielle Stimme eines Roboters oder so. Vielleicht ist die Stimme kratzig oder heisern? Fände, das würde besser passen.

Grundsätzlich finde ich gut, wie Du hier Peters Beklemmung immer weiter zuspitzt:

Er hatte das Gefühl, sich einem Abgrund zu nähern.

Peter hatte auf einmal das Gefühl, über einem gähnenden Abgrund zu stehen.

Der Abgrund öffnete sich dunkel und leer. Peter fiel ins Bodenlose.
Allerdings finde ich, das mit dem sich öffnenden Abgrund ist ein sehr gängiges Bild, dass ich einfach schon zu oft gelesen habe, gerade auch in Horror. Ist mir zu abgegriffen. Vielleicht magst Du nochmal überlegen, ob es eine unverbrauchtere Metapher gibt.

Wie von Ferne hörte er seine eigene Stimme, ein lautes Heulen, und spürte, wie der Abgrund ihn verschlang.
'Wie von Ferne' klingt für mich seltsam, ist aber vielleicht was Regionales. Das mit dem lauten Heulen konnte ich hier nicht recht zuordnen: Ist es seine Stimme, die ihm als lautes Heulen erscheint oder ist es der Abgrund, der ihn laut heulend verschlingt? Ich nehme mal an zweiteres, aber würde es dennoch etwas klarer machen.

An der Stelle, wo er im Frühling vor zwei Jahren Muriel und den Säugling begraben hatte, kam ihm der gestampfte Lehmboden weich und warm vor.
Welcher Säugling?

That's it! Habe deine Story gerne gelesen, meiner Meinung nach verträgt sie aber hier und da noch einen klitzekleinen Feinschliff.

So long,
d-m

 

Hallo @deserted-monkey,

danke für Deinen Kommentar! Der Reihe nach:

und welcome back, sag ich mal. Oder warst Du nie weg? :hmm:
Nuuja, life is what happens when you're busy making other plans und so ;). Freue mich auch sehr, mich wieder hier zu tummeln.

Für mich hätte die auch unter der Rubrik 'Seltsam' stehen können, aber durch das neue Ende wird das bisschen relativiert.
Ja, grundsätzlich sicher. Es ist, bis auf das Ende, so ein bisschen "Horror ohne Horror". Allerdings gehört es für mich schon in dieses Genre, weil es um ziemlich existentielle Ängste geht - der Verlust meiner Welt, sozusagen. Aber ja, "Seltsam" wäre auch nicht unpassend.

Der ausführlichere Schluss hat der Geschichte auf jeden Fall gut getan, es wirkt jetzt viel runder. Vorher hat es mich eher irritiert, weil ich da keinen Zusammenhang feststellen konnte.
Danke, das freut mich! Mir gefällt der neue Schluss auch - wobei ich, wie gesagt, finde, dass der eigentliche Horror vor dem Hector-Teil stattfindet. Der eigentliche Horror ist Peters totaler Verlust und die Tatsache, dass es für ihn keinen Ausweg geben wird.

Hector hat sich also Peters Kinder geholt und Muriel umgebracht. Man erfährt nicht, warum er das getan hat, vielleicht hat er sich immer Kinder gewünscht und das wurde ihm und seiner Frau nie vergönnt, wer weiss. Aber das braucht auch nicht detailliert aufgeschlüsselt zu werden, so wie es da steht, finde ich es ausreichend und ich kann mir als Leser so meine eigenen Gedanken dazu machen.
Genau; spielt keine Rolle. Peters Horror ist unabhängig von Hectors Motiven.
In den Häusern brannte Licht.
Kurz darauf kommt folgender Satz:
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle brannte noch Licht.
Ich würde da etwas variieren, vielleicht: In der Autowerkstatt gegenüber wurde noch gearbeitet. Dann hast Du da automatisch drin, dass noch Licht brennt. Naja, nur ein Vorschlag.

Gekauft, du hast völlig Recht!
Aber das Fehlen einer ordentlichen Beleuchtung und die vielen Schnapsflaschen und Bierdosen machten die meisten Eltern im Neubaugebiet nervös.
Ich glaube, es sind nicht die Flaschen und Dosen, welche die Eltern nervös machen, sondern vielmehr die Alkoholiker/Penner/Jugendlichen whatever die sich dort rumtreiben, oder? Ansonsten liest sich die Stelle fast so, als hätten die Schnapsflaschen und Bierdosen ein Eigenleben entwickelt.
:rotfl:"Angriff der Killerdosen!", yeah! Danke für deinen Hinweis, das korrigiere ich.
Der Mann hatte inzwischen eine der Tassen auf den Couchtisch gestellt. Die Frau hatte genickt, ohne von ihrem Magazin aufzuschauen. Der Mann hatte etwas gesagt, das Peter nicht hören konnte, und sich dann neben das schreibende Mädchen gesetzt.
Der Mann. Die Frau. Der Mann. Das liest sich wie eine Aufzählung, würde das abwechslungsreicher gestalten.
Ja, das stimmt - ich sehe mir die Stelle nochmal an. Danke!
Dass sie die Kinder mit sich genommen hatte, ohne in zu informieren?
Kleiner Schreibfehler: in = ihn.
Hoppla - korrigiert.

“Peter - du bist…”, sagte er mit der blechernen Stimme eines lebenslangen Rauchers,
Mmmh, klingt die Stimme eines lebenslangen Rauchers 'blechern'? Mich erinnert das eher an die artifizielle Stimme eines Roboters oder so. Vielleicht ist die Stimme kratzig oder heisern? Fände, das würde besser passen.
Stimmt, "blechern" ist Quatsch. Korrigiert!
Grundsätzlich finde ich gut, wie Du hier Peters Beklemmung immer weiter zuspitzt:
Er hatte das Gefühl, sich einem Abgrund zu nähern.

Peter hatte auf einmal das Gefühl, über einem gähnenden Abgrund zu stehen.

Der Abgrund öffnete sich dunkel und leer. Peter fiel ins Bodenlose.
Allerdings finde ich, das mit dem sich öffnenden Abgrund ist ein sehr gängiges Bild, dass ich einfach schon zu oft gelesen habe, gerade auch in Horror. Ist mir zu abgegriffen. Vielleicht magst Du nochmal überlegen, ob es eine unverbrauchtere Metapher gibt.
Das stimmt, der Abgrund ist nicht originell. Allerdings trifft das Bild, das dadurch entsteht, dieses Gefühl ziemlich gut, finde ich. Manchmal passen die abgedroschenen Sachen halt gut. Ich nehme deinen Hinweis aber mal mit, vielleicht stolpere ich über etwas besseres ...
Wie von Ferne hörte er seine eigene Stimme, ein lautes Heulen, und spürte, wie der Abgrund ihn verschlang.
'Wie von Ferne' klingt für mich seltsam, ist aber vielleicht was Regionales. Das mit dem lauten Heulen konnte ich hier nicht recht zuordnen: Ist es seine Stimme, die ihm als lautes Heulen erscheint oder ist es der Abgrund, der ihn laut heulend verschlingt? Ich nehme mal an zweiteres, aber würde es dennoch etwas klarer machen.
"Wie von Ferne" -- mmh, seltsam. Das nehme ich auch mal mit, ich denke, ich formuliere um. Das "Heulen" ist tatsächlich Peters Heulen, bloß ist er zu dem Zeitpunkt total dissoziiert.

An der Stelle, wo er im Frühling vor zwei Jahren Muriel und den Säugling begraben hatte, kam ihm der gestampfte Lehmboden weich und warm vor.
Welcher Säugling?
Ja nun ... Wenn Muriel seit acht Jahren im Keller gefangen gehalten wird und vor zwei Jahren einen Säugling hatte (und mutmaßlich bei / in Folge der Geburt verstorben ist), dann ...

Vielen Dank für deine ausführliche und detaillierte Kritik, sie hilft mir sehr weiter! Ich freue mich auf deine Texte!

Christophe

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, zunächst einmal, deine Geschichte hat mich ab einem gewissen Zeitpunkt gut reingezogen. Ähnliche Plots kennt man ja, doch du hast hier zwei Motive verwoben, die man wohl so nicht erwarten konnte. (Erst dachte ich, der Prot selbst sei schon länger tot, etwa wie Bruce Willis in diesem Kinostreifen.)
Die Einleitung ist meines Erachtens deutlich zu lang. Vor allem in Relation zur Gesamtlänge. Und es werden hier so viele Details geliefert, die überhaupt gar keine Relevanz für die Handlung oder die Beschreibung der Figuren haben.
Klar, die Stimmung, in welcher sich der Prota befindet und der Anriss der Situation sind generell natürlich so möglich, dennoch hätte man die Story auch genausogut erst hier starten können:

Das Haus lag am Ende der Gasse, in einem Wendehammer. Sie hatten den 80er-Jahre-Bungalow vor drei Jahren günstig erstanden und um ein Carport und einen Wintergarten vergrößert. Das Küchenfenster und ein Teil der Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet. Seltsam, dass an der Eingangstür kein Ballon hing. Bislang hatte Muriel das immer so gemacht. Inzwischen hatte ein träger Herbstregen eingesetzt. Trotz allem spürte er eine warme Vorfreude, als er das Tor zum Vorgarten öffnete.
Um vielleicht an dieser Stelle noch ein paar Details von weiter oben -- kurz! -- einzuflechten.
Jedenfalls wär man schnell mittendrin in deinem Ding.
Zu viel sind diese ganzen Überlegungen mit dem Anwalt und so.


;;
Paar Kleinigkeiten:

die ihre Hunde mit blinkenden Halsbändern ausführten.
Weiß nicht recht, ich beziehe die blinkenden Bänder vollautomatisch auf das Ausführen. Vielleicht 'die ihre mit ... bändern ausstaffierten Hunde ...


eines lebenslangen Rauchers
Was ist ein lebenslanger Raucher? ein Verurteilter? einer, der schon als Säugling angefangen hat?


Das machte keinen Sinn.
Das ergab keinen Sinn wäre korrekt, so ist es ein umgangssprachlicher Anglizismus.
Genau, auch wenn sich das in der Alltagssprache leider durchsetzt, einen Sinn kann man nicht machen. Geht einfach nicht. Du kannst einer Sache einen Sinn geben oder den Sinn einer Sache erkennen oder die Sinnlosigkeit (das ist dann, wenn du den Sinn wieder weggemacht hast); etwas hat einen Sinn oder eben nicht. Und etwas kann schon gleich gar nicht einen Sinn machen. Oder schlimmer noch: keinen Sinn machen. Sinnlos ist dann, was keinen Sinn gemacht hatte.
Das ist Sprachmüll, leider inzwischen übel ... ähm, ich meine: üblich ;)

Dann wär da noch die Sache mit dem Abgrund, das hat ebenfalls schon jemand angemerkt, das fand ich nicht gelungen. Der 'verschlingende Abgrund' - hm naja.

Zu guter Letzt:
Das Ende, im Unterschied zur Einleitung, das war mir zu kurz. Hier ist doch der Platz, den Horror ganz gemächlich in aller Entsetzlichkeit auszubreiten (im Unterschied zum recht öden Intro). Es wär sogar noch mehr Handlung möglich mit den beiden Jungs am Schluss.

Dennoch, die Idee, wie sich die Story auflöst, bringt dir von mir einen :thumbsup:

Flac

 

Ich habe deinen Kommentar und die anderen Kommentare zum Anlass genommen, das Ende ein bisschen nachzuschärfen - vielleicht ist das jetzt befriedigender?
Das erweiterte Ende gefällt mir gut, es gibt der Geschichte eine ganz neue Ebene! Wobei gut vielleicht nicht das beste Wort ist, bei allen Grausamkeiten, die angedeutet werden. Jetzt habe ich auch verstanden, was mit Monica passiert ist. Und das mit Muriel und dem Säugling ... unbeschreiblich. Da will ich die Gedanken des Täters gar nicht so genau wissen, die Andeutungen reichen. Ich finde es so, wie es jetzt ist, gut gelöst, weil man auch erfährt, was mit Lisa und Leon passiert ist. Auch super gemacht, wie sich der Kreis mit der Lego-Tüte schließt.

Eine Anmerkung noch:

Als er fertig angezogen war, nahm er eine kleine Taschenlampe aus einem Regal und wandte er sich dem Kopfende des Raums zu.
Da steht einmal "er" zu viel

Viele Grüße
Michael

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @FlicFlac,

vielen Dank für Deinen Kommentar, ich habe mich sehr darüber gefreut!

Hallo, zunächst einmal, deine Geschichte hat mich ab einem gewissen Zeitpunkt gut reingezogen. Ähnliche Plots kennt man ja, doch du hast hier zwei Motive verwoben, die man wohl so nicht erwarten konnte. (Erst dachte ich, der Prot selbst sei schon länger tot, etwa wie Bruce Willis in diesem Kinostreifen.)
Danke!

Die Einleitung ist meines Erachtens deutlich zu lang. Vor allem in Relation zur Gesamtlänge. Und es werden hier so viele Details geliefert, die überhaupt gar keine Relevanz für die Handlung oder die Beschreibung der Figuren haben.
Klar, die Stimmung, in welcher sich der Prota befindet und der Anriss der Situation sind generell natürlich so möglich, dennoch hätte man die Story auch genausogut erst hier starten können:

Das Haus lag am Ende der Gasse, in einem Wendehammer. Sie hatten den 80er-Jahre-Bungalow vor drei Jahren günstig erstanden und um ein Carport und einen Wintergarten vergrößert. Das Küchenfenster und ein Teil der Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet. Seltsam, dass an der Eingangstür kein Ballon hing. Bislang hatte Muriel das immer so gemacht. Inzwischen hatte ein träger Herbstregen eingesetzt. Trotz allem spürte er eine warme Vorfreude, als er das Tor zum Vorgarten öffnete.
Um vielleicht an dieser Stelle noch ein paar Details von weiter oben -- kurz! -- einzuflechten.
Jedenfalls wär man schnell mittendrin in deinem Ding.
Zu viel sind diese ganzen Überlegungen mit dem Anwalt und so.
Ich verstehe dein Argument und muss hier vermutlich nochmal nachschärfen. Denn tatsächlich ist mir der "Anlauf" der Story, inklusive der Trennung, besonders wichtig.

Das "Thema" der Story ist für mich der existentielle Horror, den Peter nach der Trennung empfindet, weil er das Gefühl hat, seine Frau und seine Kinder zu verlieren. Der Plot macht aus diesem Gefühl eine Tatsache und lässt die Familie tatsächlich verschwinden, aber Peters Gefühle könnten aus meiner Sicht ähnlich sein (vielleicht nicht ganz so stark, klar), wenn er seine Familie vor Ort anträfe und sie ihm einfach "fremd" wären. Das war der eigentliche Horror, den ich hier beschreiben wollte.

Deshalb ist mir der Anlauf so wichtig. Würde ich unmittelbar vor dem Haus im Wendehammer einsteigen, liefe das Ganze Gefahr, eine reine Pointengeschichte zu werden - der Leser erwartet A und ich zaubere B aus dem Hut. Das ist natürlich legitim, war hier aber nicht mein Ziel.

Ich hoffe, das macht ein bisschen Sinn? Ich glaube, ich muss nochmal an diesen Anlauf ran - ihn sicher auch etwas kürzen, da hast du schon Recht -, damit er diesen Zweck erfüllt. Dein Hinweis ist dafür sehr wertvoll, vielen Dank!

die ihre Hunde mit blinkenden Halsbändern ausführten.
Weiß nicht recht, ich beziehe die blinkenden Bänder vollautomatisch auf das Ausführen. Vielleicht 'die ihre mit ... bändern ausstaffierten Hunde ...
Du hast recht - danke!

eines lebenslangen Rauchers
Was ist ein lebenslanger Raucher? ein Verurteilter? einer, der schon als Säugling angefangen hat?
Also, ich bin jedenfalls ein lebenslanger Doofer! :susp: ... wird korrigiert.


Das machte keinen Sinn.
Das ergab keinen Sinn wäre korrekt, so ist es ein umgangssprachlicher Anglizismus.
Genau, auch wenn sich das in der Alltagssprache leider durchsetzt, einen Sinn kann man nicht machen. Geht einfach nicht. Du kannst einer Sache einen Sinn geben oder den Sinn einer Sache erkennen oder die Sinnlosigkeit (das ist dann, wenn du den Sinn wieder weggemacht hast); etwas hat einen Sinn oder eben nicht. Und etwas kann schon gleich gar nicht einen Sinn machen. Oder schlimmer noch: keinen Sinn machen. Sinnlos ist dann, was keinen Sinn gemacht hatte.
Das ist Sprachmüll, leider inzwischen übel ... ähm, ich meine: üblich ;)
Der Sprachmüll wird einmal pro Woche abgeholt. Heute. Danke!

Dann wär da noch die Sache mit dem Abgrund, das hat ebenfalls schon jemand angemerkt, das fand ich nicht gelungen. Der 'verschlingende Abgrund' - hm naja.
Ja, darüber muss ich nochmal nachdenken. Klar ist das Bild abgedroschen, aber ich finde, es fängt das Gefühl gut ein ... Aber vielleicht gibt's da eine originellere Möglichkeit.

Zu guter Letzt:
Das Ende, im Unterschied zur Einleitung, das war mir zu kurz. Hier ist doch der Platz, den Horror ganz gemächlich in aller Entsetzlichkeit auszubreiten (im Unterschied zum recht öden Intro). Es wär sogar noch mehr Handlung möglich mit den beiden Jungs am Schluss.
Das schaue ich mir nochmal an. Wie gesagt, meine Absicht war, Peters Horror einzufangen, und der ist am Ende des zweiten Abschnitts eigentlich schon total. Aber klar, der dritte Abschnitt könnte weitergehen. Andererseits gefällt mir dieses Prozedurale sehr gut: Hector putzt sich die Zähne, geht in den Keller, zieht sich um usw. usf. Das spiegelt auch ein bisschen das Prozedurale des Einstiegs: Peter steigt aus dem Bus, passiert die Werkstatt, geht über die Abkürzung ... Man kann sagen, dass am Anfang der Story der eine Vater sich auf den Weg zu seiner Familie macht und am Ende der Story der andere Vater. Das finde ich in dieser Parallelität eigentlich ganz cool. Aber klar, es ließe sich auch etwas mehr Horror machen ... Puuh, schwierig. Ich denke drüber nach, versprochen!

Vielen Dank, lieber @FlicFlac, für deine substanziellen Hinweise!

 

Das "Thema" der Story ist für mich der existentielle Horror, den Peter nach der Trennung empfindet, weil er das Gefühl hat, seine Frau und seine Kinder zu verlieren. Der Plot macht aus diesem Gefühl eine Tatsache und lässt die Familie tatsächlich verschwinden, aber Peters Gefühle könnten aus meiner Sicht ähnlich sein (vielleicht nicht ganz so stark, klar), wenn er seine Familie vor Ort anträfe und sie ihm einfach "fremd" wären. Das war der eigentliche Horror, den ich hier beschreiben wollte. Deshalb ist mir der Anlauf so wichtig.
Ja, da hab ich dich schon verstanden. Diese Idee ist auch eine gute.
Allerdings erreichst du das (für mich) nicht in der Ausführung, wie sie da steht.
Das müsste wesentlich kompakter, dichter, vielleicht mit mehr gezeigtem Innenraum des Protagonisten daherkommen.
Ich denke auch, du möchtest mit den vielen Details der "Anreise" Peters zeigen, hier ist alles wie immer, normal - und das seinen Verlustängsten gegenüberstellen.
Nur, es ist viel zu lang.
So wie es hier steht, hatte ich bald in meinem Kopf: "Okay, ich hab's verstanden, und wann geht's endlich weiter?" Dass sich die Türen öffnen, die Sirenen kreischen, die Hunde blinken, an der Haltestelle gearbeitet wird, die Aktentasche in die linke Hand genommen wird (warum nicht auch noch, dass er sich am Hinterkopf kratzt, dann aber mit der rechten Hand?) - und und und - es reichen 3-5 Sätze.
Wenn der Text mit dem Wendekreis starten würde, könnte und sollte man immer noch ein paar der Details, vor allem seiner Gedankenwelt, einfügen, das wäre doch möglich.
Oder du kürzt einfach radikal und schaust, wie es sich liest:

Der Bus hielt an. Mit einem Zischen öffneten sich die hydraulischen Türen. Peter nickte dem Fahrer im Rückspiegel zu und stieg aus. Unten, in der Innenstadtfunkelten die Bürotürme; irgendwo in der Ferne kreischten Sirenen. Hier oben hatte bereits die abendliche Ruhe Einzug gehalten. Die Straßen waren leer, von vereinzelten Gestalten abgesehen, die ihre Hunde mit blinkenden Halsbändern ausführten. In den Häusern brannte Licht. Peter nahm die Aktentasche in die Linke und warf gewohnheitsmäßig einen Blick auf seine ArmbandUhr: 19.26 Uhr. Der Bus war pünktlich. Er wechselte die Tasche wieder in die Rechte, wartete, dass der Bus weiterfuhr, und überquerte die Straße.
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle wurde noch gearbeitet. Zwei Mechaniker in ausgebeulten Blaumännern betrachteten die Unterseite eines aufgebockten Ford Fiesta. Er musste Muriel daran erinnern, die Reifen wechseln zu lassen. Er erreichte den Bürgersteig und wandte sich nach links. Wie dunkel der Himmel war. Ob es heute Abend noch regnen würde?
usw. usf. auch mit den anderen Stellen deiner Einleitung.

Seit seinem Auszug kam Peter ein- bis zweimal pro Woche vorbei, am Dienstagabend und am Sonntag. Er verbrachte Zeit mit den Kindern, meistens auf dem Spielplatz am Ende des Neubaugebietes, und Muriel bereitete das Essen vor. Sie gaben sich große Mühe, nicht vor den Kindern zu streiten. Was nicht einfach war, denn Muriels Anwalt war frech. Wenn der Mann seinen Willen bekäme, wäre Peter das Haus los.
Das ist in Ordnung, seine Gedankenwelt, allerdings kann auch hier gekürzt werden.

Also, ich bin jedenfalls ein lebenslanger Doofer! :susp: ... wird korrigiert.
Ach nein, das bist du sicher nicht.


Andererseits gefällt mir dieses Prozedurale sehr gut: Hector putzt sich die Zähne, geht in den Keller, zieht sich um usw. usf. Das spiegelt auch ein bisschen das Prozedurale des Einstiegs
Ja, das halte ich für gelungen!

Flac

 

Hallo @Michael Weikerstorfer,

vielen Dank für Deinen neuen Kommentar!

Das erweiterte Ende gefällt mir gut, es gibt der Geschichte eine ganz neue Ebene! Wobei gut vielleicht nicht das beste Wort ist, bei allen Grausamkeiten, die angedeutet werden. Jetzt habe ich auch verstanden, was mit Monica passiert ist. Und das mit Muriel und dem Säugling ... unbeschreiblich. Da will ich die Gedanken des Täters gar nicht so genau wissen, die Andeutungen reichen. Ich finde es so, wie es jetzt ist, gut gelöst, weil man auch erfährt, was mit Lisa und Leon passiert ist. Auch super gemacht, wie sich der Kreis mit der Lego-Tüte schließt.
Dankeschön!


Eine Anmerkung noch:
Als er fertig angezogen war, nahm er eine kleine Taschenlampe aus einem Regal und wandte er sich dem Kopfende des Raums zu.
Da steht einmal "er" zu viel
Wird entsorgt - danke fürs genaue Lesen!

Viele Grüße

Christophe

 

Hallo @FlicFlac,

nochmal vielen Dank für deine Hinweise. Ich habe den Einstieg runtergekürzt - ich glaube, das liest sich besser!

Viele Grüße!

Christophe

 
Zuletzt bearbeitet:

Der Horror der Story steckt für mich tatsächlich in dieser Frage: Wie fühlt es sich an, wenn vormals enge Beziehungen sich auflösen - gerade die zu den Kindern?
Moin, Christophe,

nicht nur Du wirst fragen, warum der (mal wieder) rausfällt und statt der Geschichte einen Kommentar zur Einleitung zitiert, statt dem mehr oder weniger gruseligen Ereignis zu frönen, wo der doch an sich dem Horror aus dem Wege geht, da die Wirklichkeit Horror genug spendet derzeit. Die Antwort ist schlicht die Nutzung des Adjektivs/Attributs „enge“, das in seinem superlativ „am engsten“ nicht nur den Gleichklang zu pluralen „Ängsten“ zelebriert, sondern zugleich eine Bedingung der Angst – dem Gefühl der Enge, wenn plötzlich alles auf einen einstürmt/einstürzt oder Grenzen (und wären sie durch die schlichte Schlinge eines Garnes oder Seiles) zugezogen werden. Und ja – so nebenbei vom Freund des Wolfes und seiner Derivate – hier schüttelte es mich

Die Straßen waren leer, von vereinzelten Gestalten abgesehen, die ihre mit blinkenden Halsbändern ausgestatteten Hunde ausführten
wenn Hunde zu Advents- und Weihnachtsdummdudel degradiert werden.

Aber es sind auch noch ein paar Flusen aufzulesen, bereits hier

Hoffentlich war etwas übrig.
So mag Peter denken und es ehrt Dich, dass Du das schlichte „sein“ zum Vollverb adelst, aber warum verwendestu hier
Wie dunkel der Himmel war. Ob es heute Abend noch regnen würde?
den Konj. II, wenn der würdelose, aber bescheidenere Indikativ „werden“ zwischen einem „Es wird“ oder eben „… nicht“ offenhält?

Auch hier nix falsch,

Wenn der Mann seinen Willen bekäme, wäre Peter das Haus los.
und doch wieder die Frage, warum Konj. irrealis oder potentialis, wenn ein bescheiden sich gebendes „wenn“ die Bedingungen eh eingrenzt „wenn der Mann seinen Willen bekommt …“?

Hier gehts doch

Heute konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie den Passat bekam.
Der Doppelname war in einer großen, serifenlosen Schrift gedruckt, Schwarz auf Weiß:
kann m. E. klein gehalten werden, „schwarz auf weiß“ ... Schiller hat es vllt. im "was Du Schwarz auf Weiß" besitzt groß geschrieben ...

Ja, da kommen die Verlustängste des Kleinbürgers im Festival des Possesssivpronomens hervor

Leon hatte von der Lego-Pirateninsel gesprochen und von einem Jungen aus seiner Klasse, der mit seinem Vater angeln ging, und … Nein, Peter war sich sicher: Noch vor zwei Tagen hatten seine Frau und seine Kinder in diesem Haus gewohnt. In diesem Haus, in dem jetzt eine fremde Familie war. Er spürte Schweißtropfen auf seiner Stirn. Sein Magen zog sich zusammen.

Hector setze ihn auf einen wackligen Küchenstuhl und begann, Kaffee zu machen.
Wäre nicht „kochen“ besser, denn die Bohne „macht“ doch die Schöpfung ...

Zitternd ging er auf alle[n] Viere[n] und kroch in den Kohlekeller.
& zum Abschluss noch die Empfehlung für die bedrohte Art des Ausrufezeichens

Hector lächelte. “Herzlichen Glückwunsch, Großer!”, sagte er und legte die Tüte aus dem Lego-Laden neben das Kopfkissen.

Naja, ich grusel mich eher vor dem Zarewitzka und seinem Kirill (warum schmeißt die Kirche den Flohzirkus nicht raus?) ...

Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber @Friedrichard,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar und die - wie immer - beeindruckende Flusenlese!

Hoffentlich war etwas übrig.
So mag Peter denken und es ehrt Dich, dass Du das schlichte „sein“ zum Vollverb adelst.
Vielen Dank - gleich korrigiert (bzw., ist in der aktuellen Version nicht mehr enthalten).

So mag Peter denken und es ehrt Dich, dass Du das schlichte „sein“ zum Vollverb adelst, aber warum verwendestu hier
Wie dunkel der Himmel war. Ob es heute Abend noch regnen würde?
den Konj. II, wenn der würdelose, aber bescheidenere Indikativ „werden“ zwischen einem „Es wird“ oder eben „… nicht“ offenhält?

Auch hier nix falsch,

Wenn der Mann seinen Willen bekäme, wäre Peter das Haus los.
und doch wieder die Frage, warum Konj. irrealis oder potentialis, wenn ein bescheiden sich gebendes „wenn“ die Bedingungen eh eingrenzt „wenn der Mann seinen Willen bekommt …“?

Hier gehts doch

Heute konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie den Passat bekam.
Oha! Das war mir überhaupt nicht klar. Vielen, vielen Dank für die Hinweise - ich hätte bis in alle Ewigkeit so weitergeschrieben. (In der aktuellen Version, nach rigorosen Kürzungen, ist nur noch der Passat-Satz enthalten.)

Der Horror der Story steckt für mich tatsächlich in dieser Frage: Wie fühlt es sich an, wenn vormals enge Beziehungen sich auflösen - gerade die zu den Kindern?

Der Doppelname war in einer großen, serifenlosen Schrift gedruckt, Schwarz auf Weiß:
kann m. E. klein gehalten werden, „schwarz auf weiß“ ... Schiller hat es vllt. im "was Du Schwarz auf Weiß" besitzt groß geschrieben ...
Korrigiert.

Ja, da kommen die Verlustängste des Kleinbürgers im Festival des Possesssivpronomens hervor
Leon hatte von der Lego-Pirateninsel gesprochen und von einem Jungen aus seiner Klasse, der mit seinem Vater angeln ging, und … Nein, Peter war sich sicher: Noch vor zwei Tagen hatten seine Frau und seine Kinder in diesem Haus gewohnt. In diesem Haus, in dem jetzt eine fremde Familie war. Er spürte Schweißtropfen auf seiner Stirn. Sein Magen zog sich zusammen.
:D Auch dafür vielen Dank - ich reduziere.

Hector setze ihn auf einen wackligen Küchenstuhl und begann, Kaffee zu machen.
Wäre nicht „kochen“ besser, denn die Bohne „macht“ doch die Schöpfung ...
Allerdings - das ist sprachlich viel besser. (Auch der Satz ist in der neuesten Version verschwunden.)

Zitternd ging er auf alle[n] Viere[n] und kroch in den Kohlekeller.
Korrigiert!

& zum Abschluss noch die Empfehlung für die bedrohte Art des Ausrufezeichens

Hector lächelte. “Herzlichen Glückwunsch, Großer!”, sagte er und legte die Tüte aus dem Lego-Laden neben das Kopfkissen.
... schön, dass wir hier ein gesundes Exemplar in die freie Wildbahn entlassen können.

Naja, ich grusel mich eher vor dem Zarewitzka und seinem Kirill (warum schmeißt die Kirche den Flohzirkus nicht raus?) ...
Geht mir ähnlich.

Eine Nachricht zur Verteidigung des fiktiven Horrors, gerade im Angesicht realer Schrecken, hätte ich im Angebot: Horror-Liebhaber scheinen in Krisensituationen resilienter zu sein. Immerhin!

Lieber Friedrichard, vielen Dank für deine ausführliche Kritik, aus der ich erneut viel gelernt habe!

Viele Grüße!

 

Hallo @Christophe,

du sagst, es geht dir bei dieser Geschichte um den Horror, den Peter angesichts seiner verschwundenen Familie empfindet. (Das merkt man finde ich auch insofern als der erste Teil recht detailliert und ausführlich erzählt (showiger), der zweite dagegen eher zügig abgehandelt wird (telliger).) Dafür finde ich den Aufbau der Geschichte allerdings nicht so super geeignet, weil beim Lesen im Gedächtnis ja der erste Teil vom zweiten in den Hintergrund geschoben wird und am Ende übrig bleibt - vom Ding her wäre also die umgekehrte Reihenfolge besser, damit das, worum es dir geht, im Gedächtnis bleibt (was hier aber nicht so recht passt, weil du dann die Lösung vor dem Rätsel präsentieren würdest, und dann wäre das Rätsel nicht mehr spannend). Hinzu kommt, dass der zweite Teil auch handfester / spektakulärer / thematisch ergiebiger ist und die Leser eher interessiert - das zeigen ja auch die anderen Kommentare. Der Verlusthorror ist ja ein surreales Gefühl, das kann man ausmalen und so, aber der zweite Teil gibt einem viel mehr zu denken: Was ist der Hector für ein Typ, warum hat der das gemacht, was war mit Monica, was hat er jetzt für ein Verhältnis zu den Kindern usw. Und davon wird m.E. zu wenig beantwortet - unter deiner Prämisse verständlich, aber eben etwas unbefriedigend.

Was genau reizt dich am Verlusthorror? Du beschreibst ja eigentlich bloß Peters Niedergang in diesem Sinne, da gibt's am Ende ja keine Hoffnung oder Genesung. Also was ist die Aussage, wozu schilderst du das? Das ist mir nicht so recht klar.

Also m.E. kollidiert hier, was du willst und was die (oder einige/viele) Leser wollen. Aus Peters Niedergang kann ich als Leser nicht viel lernen/mitnehmen - ich kann etwas mitfühlen, das war's aber auch (auch das kann ich hier nicht so besonders gut, weil ich wenig über Peters (tiefere) Gefühlswelt erfahre, z.B. über seine Beziehung zu seinen Kindern oder zu Muriel - dabei wäre das hier ja gerade wichtig), aber wenn ich den Hector in seiner Absonderlichkeit verstehen würde, könnte ich vielleicht was über Menschen lernen. Verstehst du?

Noch etwas Kleinkram:

Direkte Rede/Denke i.d.R. mit einer neuen Zeile beginnen.

Er verbrachte Zeit mit den Leon und Lisa, und Muriel bereitete das Essen vor.
..

Was nicht einfach war, denn Muriels Anwalt war frech.
Finde ich etwas deplatziert, weil fast niedlich. Besser "dreist" oder was anderes Seriöseres..

Das Küchenfenster und ein Teil der Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet.
Unschöne Doppelung. Evtl. "Die Küche und das Wohnzimmer waren erleuchtet" oder so..

Anscheinend hast du den ersten Teil schon gestrafft, mir ist der immer noch zu ausführlich, da sind viele unwichtige Details, z.B. das (elektrische) Auto, oder die Sache mit dem Adressaufkleber ist auch sehr ausgewalzt.

An den Seitenwänden standen deckenhohe Bücherregale, vor denen eine L-förmige Couch aufgebaut war.
Die Schilderung des Wohnzimmers war mir auch zu ausführlich und unspannend. Das hier finde ich etwas ungeschickt: Es geht hier um (mind.) zwei Wände mit Regalen, vor denen eine Couch steht - stehen dann zwei Couches im Zimmer? Oder nur eine? Würde die dann nicht dazwischen stehen? (Da könntest du einfach die Verknüpfung rausnehmen und zwei Sätze draus machen.)
Auch die Reihenfolge fand ich etwas komisch: Da werden erst diverse Möbel beschrieben, bevor gesagt wird, dass da ja auch Personen anwesend sind. Ich würde so beschreiben, wie man guckt, also was fällt einem als erstes auf? Wohl die Personen. Dann kann man Möbel ergänzen, wenn es für igendwas sinnvoll ist.

“Peter - du bist…”, sagte er mit heiser Stimme, räusperte sich, setzte wieder an:
heiserer

Der Alte sah ihn an, als hätte Peter ihm einen Nagel in die Hand getrieben.
Also mit maximal schmerzverrtem Gesicht und maximal aufgerissenem Mund? Finde ich viel zu krass..

“Du wohnst hier nicht mehr”, sagte Hector, während er den Filter in eine Braun-Kaffeemaschine einlegte.
Unwichtiges Detail, das ablenkt.

Muriel ist abgehauen und hat sie mitgenommen. Das ist es. Sie hat die Kinder mitgenommen.”
Hier würde ich ein "Oder?" dazugeben, das würde seine Verwirrung/Unsicherheit zeigen, und sonst kommt das ziemlich aus dem Nichts.

Mit leeren Augen starrte Peter auf einen Haufen trockener Erdbrocken.
Das hat mich im Nachhinein etwas irritiert. Da Erde ja noch vorkommt (Monica bemerkte die frisch umgegrabene Erde (?)), und Hector sich ja untertage begibt, dachte ich, das wäre irgendwie symbolisch, aber ist es ja nicht, also das könnten auch Ziegel oder Bücher sein, oder? Würde ich irgendwas anderes nehmen..

Nach Muriels Verschwinden war Monica wie betäubt gewesen. Sie hatte nur wenig gesprochen, das Haus kaum verlassen. In gewisser Weise, dachte Hector, war ihre Diagnose eine Erlösung gewesen.
Hier bin ich hängengeblieben und dachte, Monicas Zustand hätte was mit Muriels Verschwinden zu tun..

Als er fertig war, nahm er seine elektrische Oral-B und putzte sich drei Minuten lang die Zähne.
Wieder unwichtiges Detail, sag doch einfach "Zahnbürste".

Viele Grüße
Maeuser

 

Hallo @Maeuser,

vielen Dank für Deinen Kommentar und deine ausführliche Kritik!

du sagst, es geht dir bei dieser Geschichte um den Horror, den Peter angesichts seiner verschwundenen Familie empfindet. (Das merkt man finde ich auch insofern als der erste Teil recht detailliert und ausführlich erzählt (showiger), der zweite dagegen eher zügig abgehandelt wird (telliger).) Dafür finde ich den Aufbau der Geschichte allerdings nicht so super geeignet, weil beim Lesen im Gedächtnis ja der erste Teil vom zweiten in den Hintergrund geschoben wird und am Ende übrig bleibt - vom Ding her wäre also die umgekehrte Reihenfolge besser, damit das, worum es dir geht, im Gedächtnis bleibt (was hier aber nicht so recht passt, weil du dann die Lösung vor dem Rätsel präsentieren würdest, und dann wäre das Rätsel nicht mehr spannend). Hinzu kommt, dass der zweite Teil auch handfester / spektakulärer / thematisch ergiebiger ist und die Leser eher interessiert - das zeigen ja auch die anderen Kommentare. Der Verlusthorror ist ja ein surreales Gefühl, das kann man ausmalen und so, aber der zweite Teil gibt einem viel mehr zu denken: Was ist der Hector für ein Typ, warum hat der das gemacht, was war mit Monica, was hat er jetzt für ein Verhältnis zu den Kindern usw. Und davon wird m.E. zu wenig beantwortet - unter deiner Prämisse verständlich, aber eben etwas unbefriedigend.
Touché. Die Story hat sich ganz schön verändert. :-) Ursprünglich war Hector ja nur ein Nachgedanke; inzwischen hat er die Hälfte des Plots. Ich glaube, als ich geschrieben habe, hatte ich so einen Plot mit einer Leerstelle in der Mitte im Sinn - so wie "Picknick am Valentinstag" oder so. Mittlerweile ist es aber eher ein "Psycho"-artiger Plot (nicht in der Qualität, natürlich!), der zweiteilig ist. Nicht einfach. Ich mag den Text, der entstanden ist, eigentlich ganz gerne, aber ich glaube, ich muss ihn mir in ein paar Tage / Wochen nochmal in Ruhe ansehen.

Vielen Dank für die Kleinkram-Auslese - habe ich korrigiert.

Und auch das hier:

Die Schilderung des Wohnzimmers war mir auch zu ausführlich und unspannend. Das hier finde ich etwas ungeschickt: Es geht hier um (mind.) zwei Wände mit Regalen, vor denen eine Couch steht - stehen dann zwei Couches im Zimmer? Oder nur eine? Würde die dann nicht dazwischen stehen? (Da könntest du einfach die Verknüpfung rausnehmen und zwei Sätze draus machen.)
Auch die Reihenfolge fand ich etwas komisch: Da werden erst diverse Möbel beschrieben, bevor gesagt wird, dass da ja auch Personen anwesend sind. Ich würde so beschreiben, wie man guckt, also was fällt einem als erstes auf? Wohl die Personen. Dann kann man Möbel ergänzen, wenn es für igendwas sinnvoll ist.
... ist auf drei kurze Sätze runtergekürzt.

Muriel ist abgehauen und hat sie mitgenommen. Das ist es. Sie hat die Kinder mitgenommen.”
Hier würde ich ein "Oder?" dazugeben, das würde seine Verwirrung/Unsicherheit zeigen, und sonst kommt das ziemlich aus dem Nichts.
Super, vielen Dank!

Mit leeren Augen starrte Peter auf einen Haufen trockener Erdbrocken.
Das hat mich im Nachhinein etwas irritiert. Da Erde ja noch vorkommt (Monica bemerkte die frisch umgegrabene Erde (?)), und Hector sich ja untertage begibt, dachte ich, das wäre irgendwie symbolisch, aber ist es ja nicht, also das könnten auch Ziegel oder Bücher sein, oder? Würde ich irgendwas anderes nehmen..

Guter Hinweis! Ich passe an.

Nach Muriels Verschwinden war Monica wie betäubt gewesen. Sie hatte nur wenig gesprochen, das Haus kaum verlassen. In gewisser Weise, dachte Hector, war ihre Diagnose eine Erlösung gewesen.
Hier bin ich hängengeblieben und dachte, Monicas Zustand hätte was mit Muriels Verschwinden zu tun..

Uhh, das checke ich.

Als er fertig war, nahm er seine elektrische Oral-B und putzte sich drei Minuten lang die Zähne.
Wieder unwichtiges Detail, sag doch einfach "Zahnbürste".

Danke!

Lieber @Maeuser , vielen Dank für deine präzise Kritik!

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @Christophe ,

schön, dass du wieder hier aktiv bist, und ich hoffe, dass du in der Zwischenzeit viel schreibtechnisch beschäftigt warst und da weiterhin Erfolg hast. :)

Bei diesem Text komme ich mal mit ziemlich viel Kritik, hoffe sehr, das ist okay. Dazu: Wir mögen beide recht unterschiedlichen Horror, ich lese 'privat' / zum Spaß eigentlich nix, das so viel mit aktuellem Büro-/Familien-etc.-Alltag zu tun hat, aber sowas kann selbstverständlich sehr gut funktionieren. Proof, damals auch Salem und Schwupps haben sehr tolle Horrorgeschichten im Hier & Jetzt geschrieben, die lese ich auch gern.

Kurz gesagt hab ich mit Folgendem Probleme:
- Du mixt zwei voneinander unabhängige Themen, ohne sie tatsächlich plotmässig zu verknüpfen und ohne zumindest eine davon tatsächlich auszuerzählen: Das scheinbar spekulative Heimkehren in eine veränderte Realität und mit einem Fokus- und Perspektivwechsel die Sicht des Nachbarn als Psycho / Entführer / Mörder.
- Die eigentliche Handlung startet zu spät und wechselt dort, wo die Geschichte anfangen müsste.
- Okay, Leute haben es leichter, wenn sie kurze, schlichte Sätze lesen, aber ich zumindest finde, Prosa hat auch etwas von Ästhetik, Poesie und Sinnlichkeit, und imA sollte man es nicht mit der Einfachheit übertreiben.
- Einer der beiden Plots ist ein extrem bekanntes Sujet, und Mörder / Entführer gibt es - auch in dieser Extremform in der Realität - genug: Hier reicht mir für die Originalität nicht ein schlichter Mash-up aus beidem.
- Die Geschichte ist insgesamt auf Pointe geschrieben, diese verrätst du aber recht früh (fast direkt nach dem Perspektivwechsel), und dann kommt eigentlich nix mehr, das überraschen kann.
- Die Fragen des Protas (Peter) an sich selbst sind zu extensiv und total für Blödis - das ist doch genau das, was sich der Leser denken soll. Ich hab null Raum, mir irgendetwas bei diesem Text selbst vorzustellen und das finde ich echt frustrierend.
- An vielen Stellen (teils doppelt und dreifache) Phrasendrescherei, da vielleicht noch mal mit einem kritischen Auge selbst durchgehen, das kannst du auf jeden Fall besser. Z.B.

Nach Muriels Verschwinden war Monica wie betäubt gewesen.
In gewisser Weise, dachte Hector, war ihre Diagnose eine Erlösung gewesen.
Der Abgrund öffnete sich dunkel und leer. Peter fiel ins Bodenlose.
Wie von Ferne hörte er seine eigenes, lautes Heulen, und spürte, wie der Abgrund ihn verschlang.
Peter hatte auf einmal das Gefühl, über einem gähnenden Abgrund zu stehen.
Da abgründet es ganz schön ... ;-)
Phrasen verhindern, dass ich Empathie empfinde oder sogar, dass ich Interesse für den Prota aufbringe. Zu oft gelesen, zu banal, und daher nicht direkt mit diesem Text und der beschriebenen Situation verbunden. Aber um hier Tragik zu sehen, muss ich engagiert sein, und zumindest bei mir geht das nur darüber, dass ich einen ganz individuellen, direkten Eindruck einer Figur bekomme. Phrasen machen Figuren zu Pappkameraden, dein Plot verlangt aber, dass ich mit der Figur mitfühle.

Ich geh mal in den Text:

Mit einem Zischen öffneten sich die Bustüren. Peter nahm die Lego-Tüte und die Aktentasche und stieg aus. Unten, in der Innenstadt, funkelten die Bürotürme; in der Ferne kreischten Sirenen. Hier oben hatte bereits die abendliche Ruhe Einzug gehalten. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: 19.26 Uhr. Er wartete, dass der Bus weiterfuhr, und überquerte die Straße.
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle wurde noch gearbeitet. Zwei Mechaniker betrachteten die Unterseite eines aufgebockten Ford Fiesta. Ich muss Muriel daran erinnern, die Reifen wechseln zu lassen, dachte er.
Erste, dicke Tropfen fielen vom Himmel. Er beschleunigte seine Schritte. Im Vorbeigehen bemerkte er einen neuen Wagen in der Einfahrt der Baders — einen elektrischen. Muriel und er hatten von einem Elektrischen gesprochen, vor der Katastrophe. Heute konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie den Passat bekam.
Seit seinem Auszug kam er ein- bis zweimal pro Woche vorbei, am Dienstagabend und am Sonntag. Er verbrachte Zeit mit Leon und Lisa, und Muriel bereitete das Essen vor. Sie gaben sich große Mühe, nicht vor den Kindern zu streiten. Was nicht einfach war, denn Muriels Anwalt war frech. [Das Mühe-geben war nicht einfach, weil der Anwalt frech war? Hä?]
Die Schultern seines Regenmantels waren durchnässt [Wieso das? Regenmäntel sind doch eigentlich wasserdicht.], als er das Haus erreichte. Die Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet.
Das alles finde ich - sorry - nicht nur äußerst entbehrlich, sondern ganz extrem nervig zu lesen. Mikrobeschreibungen finde ich okay, aber nur in homöopathischen Dosen über größere Abstände verteilt, damit man Einzelheiten exemplarisch herausgehoben betrachten und würdigen kann. Hier hast du eine Handlung, die ausschließlich aus Mikrobeschreibungen und innerem Monolog besteht. Das alles hat auch kein eigenes Gewicht, sondern dient nur dazu, Normalität vorzugaukeln, damit der Twist als solcher erkannt wird.
Da ich zu Beginn einer Geschichte noch nicht weiß, worum es geht (obwohl mir durch den tag Horror schon klar ist, dass alles nicht so nett & fluffig ist, wie der Prota noch annimmt), bringt mir dieser gesamte Abschnitt erst mal gar nichts. Selbst nach Erkennen des Twists bringt es mir rückblickend nix, weil das dann lediglich eine Hinführung war, die aber nicht auf eigenen Beinen steht.

Detail: 'Soundso, dachte er' ist ein Bruch in der Perspektive, denn alles Erzählte ist auktorial-personal und damit ist ja fast alles bereits aus seinem Kopf heraus erzählt.

Ich würde zu einer anderen Struktur raten (zumal du ja bereits durch den Titel verrätst, was genau Sache ist - dann nutze den Titel doch lieber, um dir das Intro zu sparen): Starte am Klingelschild. Kürze dort die vielen Details und lass ihn relativ schnell ums Haus gehen. Dann startet ja die Geschichte: Es ist sein Haus, aber nix ist wie erwartet, er ist quasi aus dem Leben geschrieben worden.

Fast hätte er es übersehen. Er blieb stehen und las den Namen auf dem Briefkasten erneut. Nguyen-Lasser.
Diese Reihenfolge würde ich genau gegendrehen, das fände zumindest ich spannender, mitzuverfolgen:
Nguyen-Lasser. Er las den Namen auf dem Klingelschild erneut. Fast hätte er übersehen, dass sein eigener Name dort fehlte.
(Oder so).
Er blinzelte. Trat näher. Der laminierte Schriftzug glänzte im Licht der einzigen Laterne des Wendehammers. Der Doppelname war in einer großen, serifenlosen Schrift gedruckt, schwarz auf weiß. Er lächelte irritiert. Warum sollte Muriel das Briefkastenschild austauschen? Das ergab keinen Sinn. Vielleicht hatten Kinder aus der Nachbarschaft ihnen einen Streich gespielt, oder, eher noch, dem Briefträger? Er runzelte die Stirn. Was für ein Streich wäre das? Kinder spielten Klingelstreiche, klar, aber welche Kinder druckten und laminierten falsche Namensschilder und klebten diese auf fremde Briefkästen?
Den Absatz rate ich vollständig und ersatzlos zu streichen, wie auch sämtliche weitere Fragen des Erzähler-Protas an sich selbst. Eine solche Situation lebt doch von der Rätselhaftigkeit und dem Unerklärten. Wenn du mir alle realistischen Möglichkeiten durch den Mund (das Hirn) des Protas bereits vorkaust, hab ich keinen Anteil mehr an der Geschichte.

Zu dem Gestrichenen: Meiner bescheidenen Meinung nach ist es nicht sinnvoll, irrelevante Details zum Setting zu geben, wenn du an der gleichen Stelle auch etwas Relevantes zum Plot einbauen möchtest - das verwässert das Wesentliche.
Details zum Setting schätze ich generell mehr, wenn sie a) eine für die Geschichte wichtige Stimmung vermitteln, b) als unauffällige Kunstpause verwendet werden, damit nicht non-stop-action ist oder c) ein Symbolbild ist, das eigentlich den Prota indirekt mitcharakterisiert.

Es wellte sich leicht, als sei wäre es ein paar Jahre alt.
sei = Konj. I = wiedergegebene Rede
wäre = Konj II = irrealis / z.B. unwahrscheinliche Annahme

Eine Bogenlampe mit einem tropfenförmigen Schirm tauchte den Raum in ein weiches Licht. Eine dunkelhaarige Frau lag auf der Couch und blätterte in einer Zeitschrift. Auf dem Teppich drehte ein Säugling eine Rassel hin und her. Am Esstisch saß ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, und schrieb etwas mit ausgestreckter Zungenspitze in ein Heft.
Hier fängt die Geschichte an, das sind alles sinnvolle Infos, sagen mir etwas Neues. Die Art, wie der Erzähler das berichtet, sagt mir bereits implizit, dass da ja keine Leute sind, die er kennt, geschweige denn, seine Familie ist. Hier entsteht Spannung, hier lässt du auch den Leser mitdenken, rätseln und teilhaben - das wäre schön, wenn du dich mehr auf solche unforcierte Erzählweise konzentrieren würdest.
Er taumelte zurück, durch das Blumenbeet, und wäre fast über den niedrigen Zaun gestürzt. Im letzten Moment fing er sich.
Das ist doch eine schnelle, hektische Szene, viele Details (hinten, vorne, niedrig, hoch, langsam ...) nehmen dir das Tempo raus und machen das zu kleinteilig. Mit fast ist bereits klar, dass er sich fing, weil er ja sonst liegen würde - Er taumelte zurück, wäre fast gestürzt. Fertig, würde ich sagen.

Dann verlässt du den Prota und wechselst zum zweiten. Hier verlässt du letztlich die Ebene des Erzählten, und bringst ein extrem langgezogenes Extro als Vorbereitung zu einem zweiten Twist, ähnlich wie es sonst durch einen fiktiven Zeitungsartikel gemacht wird: Der Holsteiner Anzeiger berichtete, dass gestern die Polizei einen verwirrten Mann aufgriff, der vor 10 Jahren usw.
Dann kommt der zweite Twist, der auch ein anderes Thriller-Genre einleitet: Das Motiv des unheimlichen Nachbarn. Du hast jetzt aber einen allwissenden Erzähler, der sowohl in Peters wie auch in Hectors Kopf sehen kann, und damit sind diese Stellen keine unzuverlässiger Erzähler (was ja okay wäre), sondern ein Autor, der seine Leser anlügt, um seine Struktur durchziehen zu können (finde ich nicht okay). Zudem: Vergangenheit und Vorvergangenheit stehen hier alle im Perfekt, du brauchst aber auch Plusquamperfekt:

Hector Bader stand noch lange rauchend am Fenster des Arbeitszimmers und schaute zum Nachbarhaus. Inzwischen war wieder Ruhe am Wendehammer eingekehrt. Nach dem Notarzt und dem Rettungswagen war auch die Polizeistreife abgefahren. Zwei junge Polizistinnen hatten erst mit ihm, dann mit den Nguyen-Lassers und schließlich mit ihnen zusammen gesprochen.
Die Nguyen-Lassers hatten schweigend, aber mit zunehmendem Entsetzen zugehört, als die Polizistinnen ihnen von Hoffmanns erzählten. Ein paar Mal ergänzte Hector, was sie nicht wussten. Peter war vor acht Jahren ausgezogen. Ein paar Monate später war Muriel mit den Kindern verschwunden. Sie hatten nichts mitgenommen, keine Kleidung, kein Spielzeug, kein Geld. Soweit Hector wusste, hatte Peter einen Zusammenbruch erlitten und lange Zeit in Kliniken verbracht. Ein paar Mal hatten sie noch lose Kontakt gehabt - Telefonate, die sich schnell in Belanglosem verloren -, aber dann hatte Peter sich nicht mehr gemeldet. Die Polizistinnen deuteten an, dass er in Einrichtungen lebte.

Die zweite Geschichte funzt bei mir nicht, weil sie nichts von der Psychopathologie des Täters verrät. Was hat er für ein Problem, warum macht er das alles, wie kommt es, dass nicht ermittelt wurde, und vor allem: Finden die Kids das alles so okay und normal? Stockholm Syndrome? Was löst das im Täter aus? Was ist dieser doch recht extremen Tat vorausgegangen, die ja im Detail geplant werden muss? Was ist mit seiner Vorgeschichte?

Jemand, der jemanden umbringt und gefangen hält, ist ja an sich nicht unheimlich oder interessant - sondern nur eine Person oder Figur, bei der die Widersprüche / Hintergründe aufgedröselt werden, bei der Leser vielleicht dazu gebracht werden, plötzlich Verständnis und Empathie zu empfinden (vgl. Dennis Nilsen, Rose & Fred West jeweils, Ed Gein, den Kannibalen von Rothenburg etc.). Oder aber das Ganze ist so schräg, dass es eine eigene, irreal-phantastische Qualität bekommt, wie bei @Proof s "Das Auge fürs Detail".

Kurzum:
Einer der beiden Protas sollte imA in den Fokus gerückt werden, evt. sogar unter Opferung des anderen. Ob man mit ihm mitfühlt oder nur eine schräg-überraschende Horrorstory liest, ist eigentlich egal.
Wenn beide Teile bestehen bleiben, vielleicht nur aus Hectors Sicht erzählen. Wenn er rein in Rollenprosa oder 1. Person erzählen würde, könnte er als unzuverlässiger Erzähler den Leser anlügen, oder diesen sogar langsam zum Komplizen machen. Das Verhalten des Täters - und ganz vor allem das der Kinder (finden die okay, dass ihre Mutti weg ist und sie in einem dunklen Betonloch hocken?!) - wäre besser irgendwie hergeleitet.
Das Thema 'als Fremder nach Hause zu kommen' bzw. 'aus dem Leben geschrieben werden' und das Motiv 'unheimlicher Nachbar ist ein mordender Psychopath' besser mit einem konsequenten Plot verbinden als durch zwei arbiträre Twists aneinanderzureihen.

Die Figur der Monica finde ich verwirrend eingeführt und vollständig enbehrlich - als Tatmotiv funktioniert ihr Leiden / Tod jedenfalls nicht. Und als Negativ-Doppelung funzt sie auch nicht, weil da nicht genug persönlich-individuelle Backstory ist: Denn er verliert seine Frau, killt dann aber Muriel und behält die Kinder. Wäre es nicht folgerichtiger, er würde die Kinder killen und die Frau (als Ersatz für Monica) einsperren?
(Wenn du Interesse hast: da gibt einen grandiosen, sehr intelligenten Film mit SF-Touch zu parallelen Möglichkeiten / Realitäten und Persönlichkeiten, die aufeinandertreffen: Coherence, USA 2013).

Es wäre ggfs. zu überlegen, ein durchgängiges, übergeordnetes Motiv zu nehmen (das kann natürlich schnell in unangenehmer Dickens'cher Moral enden), das unausgesprochen bleibt. Vgl. einen Film, der ziemlich beginnt wie dein Text und eine ähnliche Prämisse hat: Ein Mann kommt nach Hause, und seine Wohnung existiert nicht mehr, die Nachbarn erkennen ihn nicht, seine Frau ist nicht zu erreichen etc. Er geht in die Kneipe um die Ecke, trifft dort eine Frau, die seiner Gattin wie ein Zwilling gleicht, aber eine Fremde ist und auch eine andere Persönlichkeit hat. Sie flirten sehr heftig.
Dann stellt sich heraus, dass der Mann seit längerem seine Frau betrogen hatte, und das Verhalten in der Kneipe symptomatisch war. Die (ziemlich bieder-biblische) Grundidee ist, dass er sich durch sein Verhalten selbst aus dem Leben schrieb - und die Frau in der Bar lässt ihn letztlich auch allein sitzen. (Die gruselige Moralstory ist bis zum Schluss aber sehr spannend und lebt vor allem durch die ganz wunderbare, unterschätzte Maria Bonnevie in der Doppelrolle: Reconstruction, Dänemark 2003). Was den Film sehenswert macht, ist das Geheimnis um die Realität, seine und ihre Identität bzw. Hintergründe. Der kleine, kammerspielartige Film hat nur einen einzigen Twist und damit bleibt er seinem Motiv und dem Plot treu. Da ist ein roter (spekulativer) Logikfaden. Sowas fehlt mir bei deinem Text.

Ich bin absolut überzeugt, dass du mit etwas Arbeit eine tolle Geschichte schreiben könntest - von deinen Fähigkeiten her. Vielleicht ist das hier eine Art Experiment, aber du hast dich in deinen Ideen verloren?

Soweit meine 5 Cent, vielleicht kannst du ja etwas damit anfangen.

Alles, alles Liebe und dir noch einen schönen Sonntag,
Katla

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Katla,

vielen Dank für deinen Kommentar - schön, von dir zu lesen! Ich freue mich sehr, wieder hier zu sein. Ich hatte in den vergangenen anderthalb Jahren nur sehr wenig Zeit zum Lesen - geschweige denn Schreiben -; innerhalb von einem Jahr sind meine Eltern verstorben und ich bin Vater geworden, das, naja, hat mich ganz gut beschäftigt. Vor ein paar Wochen habe ich dann gemerkt, dass es wieder "kribbelt", dass ich wieder Lust und Muße habe, mich mal mit etwas anderem zu beschäftigen, und so bin ich wieder zum Schreiben gekommen.

Ich lese wieder recht viel und auch recht durcheinander - und freue mich unbedingt über Leseempfehlungen! Über dich bin ich z.B. auf China Miéville gestoßen, den ich total interessant finde. Ansonsten, da hast du schon recht, gibt es ein paar Autoren, die ich sehr gerne und immer wieder lese: Jim Thompson, Nathan Ballingrud, Philip Fracassi, Hailey Piper ("Queen of Teeth" ist sehr cool), natürlich Stephen King, Richard Matheson und, seit Neuestem, Shirley Jackson (von der ich außer "The Lottery" noch nie etwas gelesen hatte - Schande über mein Haupt). Oh, und vor ein paar Wochen habe ich "Tender is the Flesh" von Augustina Bazterrica gelesen, das fand ich auch sehr beeindruckend (aber eigentlich kein Horror). Und, natürlich, hier auf wk.de: deine Texte (und Kommentare!), @Proof, @Eisenmann, @Salem, @Quinn, @Somebody - in den Tiefen des Wortkrieger-Archivs sind eine ganze Menge wahnsinnig gute Horror-Stories zu finden - und die Diskussionen unter den Texten bieten oft einen wirklich spannenden und lehrreichen Blick hinter die Kulissen. :-) Ich weiß ja, dass du dich viel mit transgressiven und, äh, weirderen (?) Sachen beschäftigst - und freue mich unbedingt über Empfehlungen! Über Thomas Ligotti und, ein bisschen, Aickman bin ich noch nicht hinausgekommen. A propos Blick hinter die Kulissen: Auf meinem Schreibtisch liegt zurzeit auch "Writing in the Dark" von Tim Waggoner, ein Buch übers Schreiben von Horror-Sachen - wenig Schreibworkshop, viel Reflexion, insgesamt sehr empfehlenswert. (Hat vor ein paar Jahren einen Shirley-Jackson-Award gewonnen.)

Anyway, zum Text, grundsätzlich: Ich gebe dir recht. Die Story geht ihren Weg von Anfang bis Ende, aber sie macht es weder sehr originell noch sehr elegant und ist auch eigentlich ziemlich oberflächlich. Im Nachhinein betrachtet, scheint sie mir eher wie eine Schreibübung - ich habe nach anderthalb Jahren mal wieder versucht, etwas zu erzählen, und man merkt deutlich, dass ich in der Zwischenzeit nichts geschrieben (und monatelang auch nichts gelesen) habe. In der Beschäftigung mit den Kommentaren hier fällt mir erst nach und nach auf, was man da alles hätte anders angehen können. Und jetzt der Reihe nach:

Kurz gesagt hab ich mit Folgendem Probleme:
- Du mixt zwei voneinander unabhängige Themen, ohne sie tatsächlich plotmässig zu verknüpfen und ohne zumindest eine davon tatsächlich auszuerzählen: Das scheinbar spekulative Heimkehren in eine veränderte Realität und mit einem Fokus- und Perspektivwechsel die Sicht des Nachbarn als Psycho / Entführer / Mörder.
- Die eigentliche Handlung startet zu spät und wechselt dort, wo die Geschichte anfangen müsste.
- Okay, Leute haben es leichter, wenn sie kurze, schlichte Sätze lesen, aber ich zumindest finde, Prosa hat auch etwas von Ästhetik, Poesie und Sinnlichkeit, und imA sollte man es nicht mit der Einfachheit übertreiben.
- Einer der beiden Plots ist ein extrem bekanntes Sujet, und Mörder / Entführer gibt es - auch in dieser Extremform in der Realität - genug: Hier reicht mir für die Originalität nicht ein schlichter Mash-up aus beidem.
- Die Geschichte ist insgesamt auf Pointe geschrieben, diese verrätst du aber recht früh (fast direkt nach dem Perspektivwechsel), und dann kommt eigentlich nix mehr, das überraschen kann.
- Die Fragen des Protas (Peter) an sich selbst sind zu extensiv und total für Blödis - das ist doch genau das, was sich der Leser denken soll. Ich hab null Raum, mir irgendetwas bei diesem Text selbst vorzustellen und das finde ich echt frustrierend.
- An vielen Stellen (teils doppelt und dreifache) Phrasendrescherei, da vielleicht noch mal mit einem kritischen Auge selbst durchgehen, das kannst du auf jeden Fall besser.

Vielen Dank, diese Zusammenfassung ist sehr hilfreich - und ich stimme dir in allen Punkten zu. Am Interessanten/Lehrreichsten ist für mich gerade der Hinweis "Ich hab null Raum, mir irgendetwas bei diesem Text selbst vorzustellen und das finde ich echt frustrierend" - damit triffst du, glaube ich, das grundsätzliche Problem des Textes. Ich hatte seit Langem nichts mehr geschrieben und wollte es mal wieder versuchen und habe dabei alles viel zu kleinteilig, viel zu detailliert, geschrieben. Sozusagen als hätte ich mich nach langer Zeit mal wieder in ein Auto gesetzt und eine kleine Rundfahrt ausschließlich im ersten Gang gemacht. Da bleibt ziemlich viel auf der Strecke. Zu meiner Ehrenrettung: Ich habe das alles so kleinteilig und ausführlich gemacht, weil ich mir nicht mehr zugetraut habe; dem Leser traue ich unbedingt mehr zu- ;-)
Mit einem Zischen öffneten sich die Bustüren. Peter nahm die Lego-Tüte und die Aktentasche und stieg aus. Unten, in der Innenstadt, funkelten die Bürotürme; in der Ferne kreischten Sirenen. Hier oben hatte bereits die abendliche Ruhe Einzug gehalten. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: 19.26 Uhr. Er wartete, dass der Bus weiterfuhr, und überquerte die Straße.
In der Autowerkstatt gegenüber der Haltestelle wurde noch gearbeitet. Zwei Mechaniker betrachteten die Unterseite eines aufgebockten Ford Fiesta. Ich muss Muriel daran erinnern, die Reifen wechseln zu lassen, dachte er.
Erste, dicke Tropfen fielen vom Himmel. Er beschleunigte seine Schritte. Im Vorbeigehen bemerkte er einen neuen Wagen in der Einfahrt der Baders — einen elektrischen. Muriel und er hatten von einem Elektrischen gesprochen, vor der Katastrophe. Heute konnte sie sich glücklich schätzen, wenn sie den Passat bekam.
Seit seinem Auszug kam er ein- bis zweimal pro Woche vorbei, am Dienstagabend und am Sonntag. Er verbrachte Zeit mit Leon und Lisa, und Muriel bereitete das Essen vor. Sie gaben sich große Mühe, nicht vor den Kindern zu streiten. Was nicht einfach war, denn Muriels Anwalt war frech. [Das Mühe-geben war nicht einfach, weil der Anwalt frech war? Hä?]
Die Schultern seines Regenmantels waren durchnässt [Wieso das? Regenmäntel sind doch eigentlich wasserdicht.], als er das Haus erreichte. Die Wohnzimmerfenster waren hell erleuchtet.
Das alles finde ich - sorry - nicht nur äußerst entbehrlich, sondern ganz extrem nervig zu lesen. Mikrobeschreibungen finde ich okay, aber nur in homöopathischen Dosen über größere Abstände verteilt, damit man Einzelheiten exemplarisch herausgehoben betrachten und würdigen kann. Hier hast du eine Handlung, die ausschließlich aus Mikrobeschreibungen und innerem Monolog besteht. Das alles hat auch kein eigenes Gewicht, sondern dient nur dazu, Normalität vorzugaukeln, damit der Twist als solcher erkannt wird.
Da ich zu Beginn einer Geschichte noch nicht weiß, worum es geht (obwohl mir durch den tag Horror schon klar ist, dass alles nicht so nett & fluffig ist, wie der Prota noch annimmt), bringt mir dieser gesamte Abschnitt erst mal gar nichts. Selbst nach Erkennen des Twists bringt es mir rückblickend nix, weil das dann lediglich eine Hinführung war, die aber nicht auf eigenen Beinen steht.
Das ist gut nachvollziehbar, danke! Im Nachhinein - der Text ist jetzt drei Wochen alt - liest sich das auch für mich seltsam. Erscheint mir eher wie eine Schreibübung - erzähle Schritt für Schritt, wer was wann wie gemacht hat. Passt nicht.

Detail: 'Soundso, dachte er' ist ein Bruch in der Perspektive, denn alles Erzählte ist auktorial-personal und damit ist ja fast alles bereits aus seinem Kopf heraus erzählt.
Wow, hier beweist du, hihi, Auge fürs Detail! Dankeschön!


Ich würde zu einer anderen Struktur raten (zumal du ja bereits durch den Titel verrätst, was genau Sache ist - dann nutze den Titel doch lieber, um dir das Intro zu sparen): Starte am Klingelschild. Kürze dort die vielen Details und lass ihn relativ schnell ums Haus gehen. Dann startet ja die Geschichte: Es ist sein Haus, aber nix ist wie erwartet, er ist quasi aus dem Leben geschrieben worden.

Fast hätte er es übersehen. Er blieb stehen und las den Namen auf dem Briefkasten erneut. Nguyen-Lasser.
Diese Reihenfolge würde ich genau gegendrehen, das fände zumindest ich spannender, mitzuverfolgen:
Nguyen-Lasser. Er las den Namen auf dem Klingelschild erneut. Fast hätte er übersehen, dass sein eigener Name dort fehlte.
(Oder so).
Er blinzelte. Trat näher. Der laminierte Schriftzug glänzte im Licht der einzigen Laterne des Wendehammers. Der Doppelname war in einer großen, serifenlosen Schrift gedruckt, schwarz auf weiß. Er lächelte irritiert. Warum sollte Muriel das Briefkastenschild austauschen? Das ergab keinen Sinn. Vielleicht hatten Kinder aus der Nachbarschaft ihnen einen Streich gespielt, oder, eher noch, dem Briefträger? Er runzelte die Stirn. Was für ein Streich wäre das? Kinder spielten Klingelstreiche, klar, aber welche Kinder druckten und laminierten falsche Namensschilder und klebten diese auf fremde Briefkästen?
Den Absatz rate ich vollständig und ersatzlos zu streichen, wie auch sämtliche weitere Fragen des Erzähler-Protas an sich selbst. Eine solche Situation lebt doch von der Rätselhaftigkeit und dem Unerklärten. Wenn du mir alle realistischen Möglichkeiten durch den Mund (das Hirn) des Protas bereits vorkaust, hab ich keinen Anteil mehr an der Geschichte.

Zu dem Gestrichenen: Meiner bescheidenen Meinung nach ist es nicht sinnvoll, irrelevante Details zum Setting zu geben, wenn du an der gleichen Stelle auch etwas Relevantes zum Plot einbauen möchtest - das verwässert das Wesentliche.
Details zum Setting schätze ich generell mehr, wenn sie a) eine für die Geschichte wichtige Stimmung vermitteln, b) als unauffällige Kunstpause verwendet werden, damit nicht non-stop-action ist oder c) ein Symbolbild ist, das eigentlich den Prota indirekt mitcharakterisiert.

Das klingt gut - verschiedene Kommentatoren raten ja auch zu einem deutlich späteren Einstieg. Gerade deinen zweiten Vorschlag ("Nguyen-Lasser. Er las den Namen ...") finde ich cool, das kann ich mir gut vorstellen. Ich sehe schon, der Text wird gründlich überarbeitet werden ... ;-)
Eine Bogenlampe mit einem tropfenförmigen Schirm tauchte den Raum in ein weiches Licht. Eine dunkelhaarige Frau lag auf der Couch und blätterte in einer Zeitschrift. Auf dem Teppich drehte ein Säugling eine Rassel hin und her. Am Esstisch saß ein Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre alt, und schrieb etwas mit ausgestreckter Zungenspitze in ein Heft.
Hier fängt die Geschichte an, das sind alles sinnvolle Infos, sagen mir etwas Neues. Die Art, wie der Erzähler das berichtet, sagt mir bereits implizit, dass da ja keine Leute sind, die er kennt, geschweige denn, seine Familie ist. Hier entsteht Spannung, hier lässt du auch den Leser mitdenken, rätseln und teilhaben - das wäre schön, wenn du dich mehr auf solche unforcierte Erzählweise konzentrieren würdest.
Ha! Hier geht mir ebenfalls ein Licht auf - vielen, vielen Dank!
Er taumelte zurück, durch das Blumenbeet, und wäre fast über den niedrigen Zaun gestürzt. Im letzten Moment fing er sich.
Das ist doch eine schnelle, hektische Szene, viele Details (hinten, vorne, niedrig, hoch, langsam ...) nehmen dir das Tempo raus und machen das zu kleinteilig. Mit fast ist bereits klar, dass er sich fing, weil er ja sonst liegen würde - Er taumelte zurück, wäre fast gestürzt. Fertig, würde ich sagen.
Absolut, siehe oben - ich beschreibe viel zu viel.
Dann verlässt du den Prota und wechselst zum zweiten. Hier verlässt du letztlich die Ebene des Erzählten, und bringst ein extrem langgezogenes Extro als Vorbereitung zu einem zweiten Twist, ähnlich wie es sonst durch einen fiktiven Zeitungsartikel gemacht wird: Der Holsteiner Anzeiger berichtete, dass gestern die Polizei einen verwirrten Mann aufgriff, der vor 10 Jahren usw.
Dann kommt der zweite Twist, der auch ein anderes Thriller-Genre einleitet: Das Motiv des unheimlichen Nachbarn. Du hast jetzt aber einen allwissenden Erzähler, der sowohl in Peters wie auch in Hectors Kopf sehen kann, und damit sind diese Stellen keine unzuverlässiger Erzähler (was ja okay wäre), sondern ein Autor, der seine Leser anlügt, um seine Struktur durchziehen zu können (finde ich nicht okay).
Das ist interessant. Die Wahrheit ist, dass ich mir hierüber beim Schreiben keine Gedanken gemacht habe - aber deine Frage bzw. Kritik ist natürlich total berechtigt. Das leitet ja über zu deinem nächsten, ebenfalls gut nachvollziehbaren, Vorschlag, die ganze Story aus einer einzigen, durchgehenden Perspektive zu erzählen. Finde ich sehr plausibel.

Die zweite Geschichte funzt bei mir nicht, weil sie nichts von der Psychopathologie des Täters verrät. Was hat er für ein Problem, warum macht er das alles, wie kommt es, dass nicht ermittelt wurde, und vor allem: Finden die Kids das alles so okay und normal? Stockholm Syndrome? Was löst das im Täter aus? Was ist dieser doch recht extremen Tat vorausgegangen, die ja im Detail geplant werden muss? Was ist mit seiner Vorgeschichte?
Mmmhja - das wollte ich tatsächlich möglichst offen lassen, um dem:der Leser:in ein bisschen Projektionsfläche für eigene Ängste/Fantasien zu geben. Aber vermutlich ist es unterbeschrieben, genau so, wie der Story-Anlauf mit seinen vielen Details überbeschrieben ist. Danke für den Hinweis!

Kurzum:
Einer der beiden Protas sollte imA in den Fokus gerückt werden, evt. sogar unter Opferung des anderen. Ob man mit ihm mitfühlt oder nur eine schräg-überraschende Horrorstory liest, ist eigentlich egal.
Wenn beide Teile bestehen bleiben, vielleicht nur aus Hectors Sicht erzählen. Wenn er rein in Rollenprosa oder 1. Person erzählen würde, könnte er als unzuverlässiger Erzähler den Leser anlügen, oder diesen sogar langsam zum Komplizen machen. Das Verhalten des Täters - und ganz vor allem das der Kinder (finden die okay, dass ihre Mutti weg ist und sie in einem dunklen Betonloch hocken?!) - wäre besser irgendwie hergeleitet.
Das Thema 'als Fremder nach Hause zu kommen' bzw. 'aus dem Leben geschrieben werden' und das Motiv 'unheimlicher Nachbar ist ein mordender Psychopath' besser mit einem konsequenten Plot verbinden als durch zwei arbiträre Twists aneinanderzureihen.
Das ist ein sehr guter, sehr schlüssiger Vorschlag. Vielen Dank! Die Story kommt nochmal in die Werkstatt (in Scrivener :-) ) und ich schaue mal, wie ich sie neu zusammensetzen (oder neu schreiben) kann.

Die Figur der Monica finde ich verwirrend eingeführt und vollständig enbehrlich - als Tatmotiv funktioniert ihr Leiden / Tod jedenfalls nicht. Und als Negativ-Doppelung funzt sie auch nicht, weil da nicht genug persönlich-individuelle Backstory ist: Denn er verliert seine Frau, killt dann aber Muriel und behält die Kinder. Wäre es nicht folgerichtiger, er würde die Kinder killen und die Frau (als Ersatz für Monica) einsperren?
(Wenn du Interesse hast: da gibt einen grandiosen, sehr intelligenten Film mit SF-Touch zu parallelen Möglichkeiten / Realitäten und Persönlichkeiten, die aufeinandertreffen: Coherence, USA 2013).
Ja, Monica braucht es eigentlich überhaupt nicht, da hast du recht. Ich hatte bei Hector grundsätzlich so eine Mischung aus Manfred Seel und Josef Fritzl im Kopf, deshalb hat er eine Frau, aber die Story braucht das überhaupt nicht. Adieu, Monica.

Es wäre ggfs. zu überlegen, ein durchgängiges, übergeordnetes Motiv zu nehmen (das kann natürlich schnell in unangenehmer Dickens'cher Moral enden), das unausgesprochen bleibt. Vgl. einen Film, der ziemlich beginnt wie dein Text und eine ähnliche Prämisse hat: Ein Mann kommt nach Hause, und seine Wohnung existiert nicht mehr, die Nachbarn erkennen ihn nicht, seine Frau ist nicht zu erreichen etc. Er geht in die Kneipe um die Ecke, trifft dort eine Frau, die seiner Gattin wie ein Zwilling gleicht, aber eine Fremde ist und auch eine andere Persönlichkeit hat. Sie flirten sehr heftig.
Dann stellt sich heraus, dass der Mann seit längerem seine Frau betrogen hatte, und das Verhalten in der Kneipe symptomatisch war. Die (ziemlich bieder-biblische) Grundidee ist, dass er sich durch sein Verhalten selbst aus dem Leben schrieb - und die Frau in der Bar lässt ihn letztlich auch allein sitzen. (Die gruselige Moralstory ist bis zum Schluss aber sehr spannend und lebt vor allem durch die ganz wunderbare, unterschätzte Maria Bonnevie in der Doppelrolle: Reconstruction, Dänemark 2003). Was den Film sehenswert macht, ist das Geheimnis um die Realität, seine und ihre Identität bzw. Hintergründe. Der kleine, kammerspielartige Film hat nur einen einzigen Twist und damit bleibt er seinem Motiv und dem Plot treu. Da ist ein roter (spekulativer) Logikfaden. Sowas fehlt mir bei deinem Text.

Vielen Dank, das ist ein interessanter Vorschlag!

Liebe @Katla, vielen, vielen Dank für deine ausführliche und konkrete Kritik - daraus habe ich mindestens so viel gelernt wie aus dem Schreiben des Textes selbst. Mal schauen, ob ich wieder "reinkomme" - ich hoffe sehr. Und dieser Story spendiere ich eine Überarbeitung, da ist schon ein Kern, der mich fasziniert, aber von dem bin ich noch weit entfernt.

Viele Grüße!
Christophe

 

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