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Dunkle Schatten
Dunkle Schatten
Ich schaute in ihre Augen. Sie spiegelten Panik wider. Todesangst sogar. Ich streichelte ihr liebevoll über die Wangen, wuschelte durch ihr Haar und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn – alles ohne Widerstand ihrerseits...
Nacht. Einsamkeit. Eine sanfte Brise strich mir ins Gesicht und leichter Nebel lag über der Straße. Ich folgte ihr schon eine ganze Zeit in einem sicheren Abstand. Mein Atem ging schnell, mein Puls raste, um nichts in der Welt wollte ich, dass sie meine Anwesenheit bemerkte. Ich kannte ihr Ziel, wusste, wo ich meinen Plan durchführen konnte.
Jeden Abend ging sie die selbe Strecke. Immer wieder. Ohne auch nur einmal zurückzuschauen. Oft genug hatte ich sie auf diesem Weg beobachtet, währenddessen Pläne geschmiedet. Ich wusste genau, was ich wollte und wie ich dort hinkommen würde. Es ist ja nicht so, dass ich es nie vorher getan hätte, obwohl ich mich nicht als Profi bezeichnen würde. Nein, ein Profi war ich bei Weitem nicht.
Gleich kam sie zu der Stelle, wo sie in den Wald abbiegen würde. Gemächlich folgte ich ihr weiter. Schritt für Schritt, Meter für Meter. Immer drauf bedacht, gerade genügend Abstand zu halten, dass sie nichts vermutete.
Jetzt befand sie sich im Wald. Als auch ich dort war, bemerkte ich den dichten Nebel, der hier herrschte. Allerdings sollte dies nicht gerade ein großes Problem darstellen, denn jeder von uns kannte den Weg bis ins kleinste Detail.
Ich nahm jedoch eine Abkürzung. Fing zu joggen an. Zog meine schwarzen Handschuhe über die Hände, die Maske über den Kopf.
Die Abkürzung traf wieder auf den Weg, ich wartete auf sie. In Kürze würde sie hier vorbeikommen, dann könnte ich zuschlagen. Mein Puls raste, Erregung packte - beflügelte - mich. Ich konnte es kaum erwarten diesen Kick wieder zu erleben. Das Gefühl, wenn das Leben aus ihnen wich – ich grinste zufrieden. Nicht mehr lange.
Mir stockte der Atem – sollte sie nicht schon längst hier sein? Hatte ich mich verlaufen? Oder hatte sie sich verlaufen? Vielleicht war sie auch wider Erwartens einen anderen Weg gegangen... verwirrt lief ich umher, um sie doch zu finden – aber dieser Nebel behinderte mich – nirgends konnte ich sie entdecken.
Dabei hatte ich mich schon auf den Moment gefreut, wo sie den Weg entlangkam, ich zu ihr sprang und sie auf den Boden drückte...
Sie wehrte sich – genauso wild wie ich es von ihr vermutet hätte. Der Wahnsinn packte mich, meine Hände wanderten zu ihrer Kehle, drückten zu. Mit Armen und Beinen kämpfte sie gegen mich an. Doch meine Kraft war der ihren überlegen. Die Hände drückten fester und fester. Sie schnappte zwanghaft nach Luft. Versuchte zu atmen, es gelang ihr nicht. Ich bemerkte, wie ihre Augen hervorquollen. Ich genoss es, es machte mich an. Ihre Muskeln verkrampften sich, da sie nicht mit Sauerstoff versorgt wurden. Dann war der Moment gekommen, sie hörte auf zu kämpfen, das Leben wich – ihr Herz war stehengeblieben. Ich schaute in ihre Augen. Sie spiegelten Panik wider...
Ich hatte sie immer noch nicht ausfindig gemacht – ich verlor die Übersicht, wusste nicht mehr, wo ich war, wo ich herkam oder wo ich überhaupt hinwollte. Panisch schaute ich mich um.
Plötzlich stand sie da – vor mir und blickte mir eiskalt in die Augen. Erschrocken ging ich einen Schritt zurück. Hatte sie da eine Pistole in der Hand? Ungefähr zehn Meter stand sie von mir entfernt. Hinter ihr tauchten weitere Schatten auf. Irritiert schaute ich mich um. Das wird doch wohl nicht etwa... nein, kann nicht sein... ich hatte doch nie Beweise hinterlassen, war nie nach dem selben Schema vorgegangen und dennoch waren sie hier. Ein Sekundenbruchteil entschied jetzt über leben, sterben und gefasst werden. Sie kam näher, genauso wie die Schatten. Ich hörte ein Klicken – das Entsichern einer Waffe. Ich riss meine Augen auf, drehte mich um und rannte um mein Leben – darauf bedacht, die Bäume und den Nebel zu meinen Gunsten zu nutzen. Ich rannte und rannte. Lief im Zick-Zack-Kurs. Spürte die Polizisten im Nacken. Hörte sie „Da ist er!“ rufen. Und ich hörte auch ein paar Schüsse, die knapp daneben gingen oder in dem Baum einschlugen, hinter dem ich grad war. Unbeirrt lief ich weiter. Was hätte ich anderes machen können? Ich wusste nämlich immer noch nicht, wo ich war. Entweder ich würde hier ein gutes Versteck finden oder ich wäre verloren. Eigentlich gab es in großen Wäldern wie diesem genug Möglichkeiten, einen geschützten Unterschlupf zu finden. Nur mit den Polizisten auf den Fersen war das nicht so einfach.
Ich steigerte mein Tempo, sammelte meine letzten Kräfte und rannte um mein Leben. Ich merkte, dass die Stimmen leiser wurden, als ich ein gutes Versteck fand – ein ausgehöhlter Baum, in den ich hineinpasste. Schnell quetschte ich mich hinein, wissend, dass die Polizisten mich nicht gesehen hatten.
Ich hörte sie näher kommen. „Wo ist der verdammte Kerl?“, hörte ich eine Männerstimme sagen.
„Keine Ahnung. Aber weit kann er nicht sein“, entgegnete eine andere Stimme. Ich hörte, wie sie stehenblieben.
„Einsatzteam Süd, hier Einsatzteam Nord – Täter befindet sich auf dem Weg zu euch. Lasst uns den Kessel zuziehen“, sagte die erste Männerstimme.
Hehe, wenn die wüssten, dachte ich leicht amüsiert.
„Ich denke mal, der hat sich irgendwo versteckt“, hörte ich eine weibliche Stimme sagen. Es war die Frau, die ich eigentlich heute hatte töten wollen.
Draußen herrschte Schweigen, ich hörte Blätter rascheln. Mein Herz pochte. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. In diesem Versteck würden sie mich auf jeden Fall finden – doch wenn ich jetzt ausriss, könnte ich dann nicht direkt in die Arme eines Polizisten rennen? Oder wäre meine Situation dann vielleicht besser als vorher? Wieder ein Sekundenbruchteil, der über mein weiteres Leben entschied. Ich wollte nicht durch eine feige Aktion sterben. Deswegen verließ ich den Baum – checkte kurz die Situation, erkannte, in welche Richtung ich laufen musste und lief.
„Da!“, rief ein Polizist. Kurz blickte ich zurück und erkannte, dass die Polizei mir dichter als zuvor auf den Fersen war. Ich versuchte, meine ganzen Kräfte zu sammeln, nur schien ich mich durch die Spurt-Aktion vorher ein klein wenig verausgabt zu haben. Ich merkte, wie meine Beine schwer wurden. Jeder Schritt wurde zur Anstrengung. Bis ich schließlich über einen Ast stolperte und keine Energie mehr zum Aufstehen hatte. Schnell waren die Polizisten da, sie hatten mich nun besiegt.
„So, Freundchen, damit hätten wir dich“, sagte sie grinsend und legte mir Handschellen an.