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Durst
„Hallo, mein Name ist Laszlo DiAngelo, und ich bin Trinker.“
Was für ein total beschissener erster Satz für eine Geschichte. Aber, hey, dies war seine Geschichte, diese Suppe hatte er sich selbst eingebrockt. Und jetzt hieß es: auslöffeln! Oder wie es einer seiner Romanbösewichter einmal formuliert hatte: „Du hast doch den Arsch offen, Mann! Jetzt musst du die Scheiße ausbaden!“ Ein Klassiker.
Laszlo war Schriftsteller. Allerdings kein besonders guter. Einigermaßen erfolgreich, ja; aber eben nicht gut. Und er hasste seine Arbeit. Wann auch immer er nach seinem Beruf gefragt wurde, versank er vor Scham im Boden, denn auf die unweigerlich folgende Frage „Ach ja? Was schreiben Sie denn so?“ musste er … na ja, er musste ehrlich sein. Schriftsteller lieferten Literatur; er hingegen lieferte Schund. Erotische Romane, Schmacht-Schmonzetten, Nackenbeißer, Kliteratur.
Und von den saftigen, grasbewachsenen Hügeln der schottischen oder irischen Highlands (wen kümmerte das schon?), die vom lodernden Feuer der rotglühend untergehenden Sonne entflammt waren, und auf denen sich Liebende unter leidenschaftlichen Küssen und mit bebenden Lippen die ewige Treue schworen, von da war es nur ein kurzer Weg in einen kühlen Raum voll klappriger Stühle und abgewrackter Versager.
„Hallo, mein Name ist Laszlo DiAngelo, und ich bin Trinker.“
Und der Chor der Verlierer erhob sich: „Hallo, Laszlo.“
Na, Klasse.
„Sie müssen nicht den Anfang machen, Laszlo, wenn Sie sich nicht wohlfühlen.“ Laszlo, Laszlo, Laszlo … Hör endlich auf, meinen Namen abzunutzen!
„Ja, nein, es wäre mir tatsächlich lieber, erst einmal zu warten.“
„Aber sicher. Amy, wie wäre es denn mit Ihnen?“
Laszlo lehnte sich zurück und ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Da saßen sie: Trinker, Zecher, Saufkumpane. Wie ausgeschnitten aus dem TIME-Magazine: „Die fünfzehn größten Verlierer des Jahres“. Allesamt kauerten sie da, starrten auf den Boden, nagten an ihren Fingernägeln, fuhren sich mit zitternden Händen durchs Haar. Das war kein Blick in den Spiegel – das war ein Trauerspiel. Hier gehörte er nicht hin. Alkohol hin oder her.
Amy hatte ihr Fistelfalsett zu einer Arie des Versagens angehoben. Akt eins: Mann kennen gelernt, zum Trinken gebracht, verlassen worden, außer Kontrolle geraten, hallo, ich bin Amy, und so weiter. Und wo ihr die Worte ausgingen und sie ihre Passion nur unzulänglich vermitteln konnte, da sprang ihr Körper ein. Ein Körper, wie zum Leiden geschaffen. Ein Zeugnis jahrelanger Misshandlung. Fahl, schlaff, ausgemergelt. Aber irgendwie … Laszlo rutschte auf seinem Stuhl umher. Irgendetwas an ihrer blassen, leblosen Erscheinung irritierte ihn.
Es waren gerade die bis in die Poren plastikhaften Frauenfiguren seiner Geschichten, die ihn zum Trinker gemacht hatten. Wie sollte man eine Beziehung mit einem echten, lebenden Wesen eingehen, wenn man insgeheim an Nylana, die Piratenbraut denken musste, die mit ihrem wogenden Busengebirge die Weltmeere zu einem recht ansehnlichen Ort machte; wenn man sich langsam aber sicher vor allem zu ekeln begann, was Haare hatte, was schwitzte … was lebte? Aus so etwas konnte nur eine Männerfreundschaft entstehen. Das walte Jack.
Laszlo merkte, dass er begonnen hatte, Amy anzustarren. An ihr wogte nichts. Trotzdem … Mann, du fängst ja gleich an zu sabbern, Herrgottnochmal … Widerstrebend löste er seinen Blick von der leidenden Amy und schaute aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel, und die entlaubten Bäume wiegten sich im Licht der Straßenlaternen. Dämlicher Herbst. Um sechs war es stockfinster, und mit der Dunkelheit kam die Einsamkeit, und mit ihr der Durst. Je länger die Nächte, desto länger das Zechen. Ob Amy wohl auch den Sommer vorzog? Bei näherer Betrachtung schien sie eher ein Herbst-Typ zu sein. Ihr blasser Teint, die dunklen Klamotten, die schwarzen Haare, die etwas strähnig ihren verträumten Blick umrahmten …
„… und dann war mir bewusst, dass es so nicht weitergehen kann.“ Amy schaute vom Boden auf, ließ ihren Blick durch die Runde gehen, und für einen kurzen Augenblick hatte Laszlo das Gefühl, dass ihre Augen ein wenig länger bei ihm verharrten, als bei den anderen. Was für ein Triumph!
Okay, jetzt hast du ein Problem. Scheiß auf den Alkohol! Du findest die verwelkte Amy scharf. Das kann doch alles nicht wahr sein …
Er konnte die höhnenden Schulhofstimmen singen hören: „Laszlo liebt Amy! Laszlo liebt Amy!“ Jetzt war er es, der zu Boden blickte.
Laszlo liebt Amy! Laszlo liebt Amy!
„Laszlo, wollen Sie jetzt vielleicht?“
„Was?“ Auch das noch …
„Wollen Sie uns nicht erzählen, warum Sie hier sind?“
„Nein, also … Ich … jetzt … später …“
Hallo, ich bin Laszlo DiAngelo, Schriftsteller. Ich forme Wörter zu Sätzen von erhabener Schönheit.
„Später …“
Amy kicherte.
Laszlo liebt Amy! Laszlo liebt Amy!
Na, Klasse.
„Schriftsteller. Ich bin Schriftsteller.“
In der Pause war es passiert. Die Versager hatten sich erhoben und zu Grüppchen zusammengefunden, da war sie auf ihn zugekommen, ganz beiläufig. Eine Hand hatte sie in ihren Nacken gelegt und dabei mit einer Haarsträhne gespielt.
Hinreißend.
Laszlo wäre am liebsten weggelaufen, aber da hatte sie schon die verheerendste aller Fragen gestellt: „Und was machen Sie so?“ Nun stand sie da und strahlte ihn an. Ja, tatsächlich. Diese traurigen Augen konnten strahlen. Und jetzt strahlten sie. Sie strahlten aus ihren dunklen Höhlen wie die gleißenden Sterne der Nacht über der endlosen Wüste … Reiß dich zusammen, du dämlicher Idiot.
„Ich … ja …“
Strike eins! Noch mehr davon auf Lager?
„Mann, das finde ich toll. Ich könnte so etwas nicht.“
„Was denn?“
Wieder kicherte sie. „Schreiben, das könnte ich nicht.“
„Ja, ach … das ist … Und warum trinken Sie?“
Strike zwei! So kriegst du sie alle!
„Habe ich das nicht gerade erzählt?“
Es lief hervorragend. Da stand er einer Frau gegenüber, die so ganz anders war als seine Romanfiguren – gescheitert, krank und körperlich am Ende. Und er hatte nichts Besseres zu tun, als herumzustammeln wie ein Schuljunge, der Xena um ein Autogramm bittet. Was hatte dieses wandelnde Siechtum nur an sich, das ihn so verrückt machte?
„Entschuldigen Sie, es ist nur weil … Die ganze Situation hier …“
„Wollen Sie mich nicht zu sich nach Hause einladen?“
Laszlo schluckte.
Nachdem der Gruppenleiter das Treffen mit ein paar aufmunternden Worten beendet hatte, waren die anonymen Versager in alle Richtungen entschwunden. Nur Laszlo und Amy hatten noch einen Moment unschlüssig vor dem Eingang verharrt und sich in die Augen gesehen. Dann hatte das Verlangen die letzten Zweifel beiseite gefegt, und sie waren zu seiner Wohnung aufgebrochen. Sie hatten Händchen gehalten, und er war von ihrem kräftigen Griff überrascht gewesen.
„Wie wär’s mit einem Chardonnay?“ Laszlo begutachtete die Flaschen in seinem Barfach. Das war das Gute am Trinken: Man hatte immer etwas zu trinken im Haus.
„Ich trinke niemals Wein“, fistelte Amy von der Couch herüber.
Verwundert drehte er sich zu ihr um. Das war merkwürdig. Standen nicht alle Frauen auf Wein? Hatte Men’s Health gelogen? Aber wenn er eines gelernt hatte an diesem Abend, dann war es, dass Amy eben anders war. In jeglicher Beziehung. Anders und aufregend. So bleich und doch so voller Leben.
Deshalb würde sie großartig sein. Mit oder ohne Wein. Da war er sich ganz sicher. „Kein Wein, hm … Irgendwas Stärkeres?“
„Etwas Stärkeres … Ich wüsste da schon was.“
Plötzlich spürte er Amys Hände in seinem Nacken. Kräftige Hände. Er wandte sich ihr zu, und sah ihr in die Augen. Alte Augen. So vieles hatten sie schon gesehen. So viel Leid.
„Ach ja? Und an was hättest du da gedacht?“, hauchte er.
Oh ja, sie würde großartig sein.
Langsam näherte sich ihr Mund seinem Ohr …
Sie flüsterte: „Oh, ich dachte da an …“
Weiter kam sie nicht, da hatte Laszlo schon ihren Kopf gepackt und mit einem Bersten auf den Rücken gedreht.
„Oh, entschuldige … Wolltest Du was sagen?“
Er zog sich einen alten Regenmantel über, schleifte Amy in sein Arbeitszimmer, entnahm ihre Innereien und verpackte sie in kleine Plastiktüten. Dann quetschte er ihren Körper durch eine Wäschemangel und fing ihr Blut in einem Bottich auf. Als er sie ausgepresst hatte, schabte er das Fleisch von den Knochen, warf es zu den Innereien und steckte die Knochen in eine alte Kaffeemühle. Aber darum könnte er sich morgen noch kümmern.
Er nahm ein Whiskyglas, schöpfte etwas Blut aus dem Bottich und nippte daran.
„Hm.“
Dann ging er zu seinem Barfach, griff nach dem Chardonnay und mischte ein paar Tropfen in das Glas.
„Mh!“
Oh ja, sie war großartig.
„Hallo, mein Name ist Laszlo DiAngelo, und ich bin Trinker.“
Was für ein total beschissener letzter Satz für eine Geschichte. Aber, hey, dies war seine Geschichte, diese Suppe hatte er sich selbst eingebrockt. Und vielleicht würde er sein Problem ja irgendwann einmal in den Griff bekommen. Und dann würde es auch einen besseren letzten Satz geben.